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TEXTE Dil) I'NTERSIXMGEN
ZUR GESCHICHTE DEK
ALTCHRISTLICHEN LITERATUR
HERAUSGEGEBEN
VON
OSCAR von aEBHARDT und ADOLF HAMACK
ZWÖLFTER BAND
LEIPZIG
J. C. HINRICHS'SCHE BUCHHANDLUNG
1895
INHALT DES ZWÖLFTEN BANDES.
Schlatter, Adolf, Der Chronograph aus dem zehnten Jahre
Antonius. 94 S. 1894.
Harnack. Adolf, Zur Überlieferungsgeschichte der altchristlichen
Litteratur. 32 S. 1894.
Noeldechen, E., Tertullian's Gegen die Juden auf Einheit, Echtheit,
Entstehung geprüft. IV, 92 S. 1894.
Pape, Paul, Die Predigt und das Brieffragment des Aristides
auf ihre Echtheit untersucht. 34 S. 1894.
Goltz, Eduard Freiherr von der, Ignatius von Antiochien als
Christ und Theologe. Eine dogmengeschichtliche Unter=
suchung. X, 206 S. 1894.
Klostermann, Erich, Griechische Excerpte aus Homilien des
Origenes. 12 8. 1894.
Rolffs, Ernst, Urkunden aus dem antimontanistischen Kampfe des
Abendlandes. Eine Quellenkritische Untersuchung. VII,
167 S. 1895.
Harnack, Adolf, Zur Abercius-Inschrift. 28 S. 1895.
Heft 1.
Heft 2.
Heft 3.
Heft 4.
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in 2011 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/texteunduntersuc12akad
DER
CHRONOGRAPH
AUS DEM
ZEHNTEN JAHRE ANTONIUS
VON
ADOLF SCHLATTER
ZUR ÜBERLIEFERUNGSGESCHICHTE
DER
ALTCHRISTLICHEN LITTERATUR
VON
ADOLF HARNACK
LEIPZIG
J. C. HINRICHS'SCHE BUCHHANDLUNG
1894
Verlag der J. C. HINIMCIIS'-flici) Buchhandlung in Leipzig.
Texte und Untersuchungen zur Geschichte der
Altchristlichen Literatur
herausgegeben von Oscar von Gebhardt und Adolf Harnack.
I-III. IV 1/3. V-IX. X 1. XI XII 1. M. 247 -
I, 1/2. Die Überlieferung der griechischen Apologeten des zweiten Jahrhunderts in
der alten Kirche und im Mittelalter, von Adolf Harnack. VIII, 300 S. 1882.
M. 9 —
I, 3. Die Altercatio Simonis Iudaei et Theophili Christiani nebst Untersuchungen
über die antijüdische Polemik in der alten Kirche, von Adolf Harnack.
Die Acta Archelai und das Diatessaron Tatians, von Adolf Harnack.
Zur handschriftlichen Überlieferung der griechischen Apologeten. I. Der
Arethascodex, Paris. Gr. 451, von Oscar v. Gebhardt. III, 196 S. 1883. M. 6 —
I, 4. Die Evangelien des Matthäus und des Marcus aus dem Codex purpureus
Rossanensis, herausgegeben von Oscar v. Gebhardt.
Der angebliche Evangeliencommentar des Theophilus von Antiochien, von
Adolf Harnack. LIV, 176 S. 1883. M. 7.50
II, 1/2. Lehre der zwölf Apostel, nebst Untersuchungen zur ältesten Geschichte
der Kirchenverfassung und des Kirchenrechts von Adolf Harnack. Nebst
einem Anhang: Ein übersehenes Fragment der Jiffa%rj in alter lateinischer
Übersetzung. Mitgetheilt von Oscar v. Gebhardt. 70 u. 294 S. 1884. M. 10 —
(II, 1/2. einzeln nur in anastatischem Druck (1893) käuflich.)
II, 3. Die Offenbarung Johannis, eine jüdische Apokalypse in christlicher Be-
arbeitung, von Eberh. Vischer. Mit Nachwort von Adolf Harnack. 137 S. 1886.
M. 5 —
II, 4. Des heil. Eustathius, Erzbischofs von Antiochien, Beurth eilung des Origenes
betr. die Auffassung der Wahrsagerin l. Könige [Sam] 28 und die dies-
bezügliche Homilie des Origenes, aus der Münchener Hds. 331 ergänzt
und verbessert, mit kritischen und exegetischen Anmerkungen von Alb.
Jahn. XXVII, 75 S. 1886. (Einzelpreis M. 4.50); M. 3.50
II, 5. Die Quellen der sogenannten apostolischen Kirchenordnung, nebst einer
Untersuchung über den Ursprung des Lectorats und der anderen niederen
Weihen, von Adolf Harnack. 106 S. 1886. M. 4 —
III, 1/2. Leontius v. Byzanz und die gleichnamigen Schriftsteller der griechischen
Kirche von Friedr. Loofs. 1. Buch: Das Leben und die polem. Werke des
Leontius v. Byzanz. VIII, 317 S. 1387. M. 10 —
III, 3/4. Aphrahat's des persischen Weisen Homilien, aus dem Syrischen übersetzt
und erläutert von Georg Bert.
Die Akten des Karpus, des Papylus und der Agathonike. Eine Urkunde aus
der Zeit Marc Aureis, von Adolf Harnack. LH, 466 S. 1888. M. 16 —
IV. Die griechischen Apologeten.
1. Tatiani oratio ad Graecos. Recens. Ed. Schwartz. X, 105 S. 1888. M. 2.40
2. Athenagorae libellus pro Christianis. Oratio de resurrectione cadaverum.
Recens. Ed. Schwartz. XXX, 143 S. 1891. M. 3.60
3. Die Apologie des Aristides. Recension und Reconstruction des Textes von
Lic. Edgar Hennecke. XX, 64 S. 1893. M. 3 —
Partiepreis M. 2 —
4. Theophili libri tres ad Autolycum. Recens. Ed. Schwartz. 1 jn yorDe_
5. Iustini martyris apologia et dialogus cum Tryphone Iudaeo. } rpitnnfr
Recens. 0. de Gebhardt et A. Harnack. ) 1BiLune-
Diese Ausgaben der Griechischen Apologeten sind nur mit kurzem
sprachlichen Commentar und Registern versehen und sollen zum Gebrauch
bei Vorlesungen oder in Seminaren dienen , weshalb auch deren Preise
möglichst niedrig gestellt wurden.
Fortsetzung auf Seite III des Umschlags.
DER
CHRONOGRAPH
AUS DKM
ZEHNTEN JAHRE ANTONINS
VON
ADOLF SCHLATTER
ZUE ÜBEBLIEFERUNGSGESCHICHTE
DER
ALTCHRISTLICHEN LITTERATÜR
VON
ADOLF HARNACK.
LEIPZIG
J. C. HINRICHS'SCHE BUCHHANDLUNG
1894
SEP 1937
DER
CHRONOGRAPH
AUS DEM
ZEHNTEN JAHEE ANTONINS
VON
D. A. SCHLATTER
PROF. IN BERLIN
INHALT.
Seite
1. Die Auslegung Daniels Strom. 1, 21 2
2. Die Liste der Kaiser, Ptolemäer und Perser bei Klemens .... 13
3. Tertullians Berechnung der Jahrwochen 15
4. Hippolyt und Julius ... 20
5. Eusebs Juda 25
6. Der Bischof Juda 28
7. Die Beziehungen des Verwandten Jesu zu Justus von Tiberias . . 37
8. Die biblische Chronologie des „Jemand" Strom. 1, 21 47
9. Theophilus von Antiochien 56
10. Das singulare 2148 58
11. Der „gefälschte" Josephus des Origenes 66
12. Der Bericht des Epiphanius über den Tod des Jakobus .... 75
13. Problematisches 83
a. Die Spalte im Felsen von Golgotha 83
b. Die Bauten Hadrians in Aelia 86
c. Akiba bei Epiphanius 87
d. Kokaba 89
14. Schluss 92
ßQ
TB
Der Chronograph aus dem zehnten Jahre Antonius.
Die kurzen Bemerkungen über dieses Thema „zur Topo-
graphie und Geschichte Palästinas" S. 142. 403 haben auf Schürer
den Eindruck gemacht: ich spiele mit leeren Vermuthungen,
Theol. L.-Z. 1893, 13. Nach meiner Meinung sind meine Schlüsse
ernsthaft dem Grundsatz unterthan, dass unser historisches Wis-
sen genau an derselben Stelle zu Ende ist, wo die Zeugen
enden. Was ich anstrebe, ist nur die sorgfältig kritische Aus-
nützung derselben. Ich verstehe darunter nicht eine Zvveifelei,
der schliesslich auch das echteste unecht scheint, sondern das
Bestreben und Vermögen, durch das junge hindurch das alte zu
fassen und auch mittelst der sekundären und überarbeiteten
Gestaltungen soweit möglich das ursprüngliche zu sehn. Diese
kritischen Operationen gleichen allerdings, wie Schürer richtig
sagt, oft einem „Kartenhaus", weil für die jüdische Geschichte die
Zeugnisse bekanntlich äusserst spärlich sind und sich nicht jede
Beobachtung durch eine reiche Induktion sichern lässt. Gerade
dess wegen veröffentliche ich sie. Beobachtungen lassen sich nicht
erzwingen, sondern sind ein Geschenk des Zufalls. Nur dadurch,
dass wir sie zusammenfügen, werden unsre historischen Urtheile
fest. Auch die kurzen Sätze über den Chronographen rechneten
auf die Kooperation derjenigen Kollegen, die im patristischen
Gebiet sachkundiger sind, als ich. Da aber Schürer lediglich
protestirt hat und Harnacks Geschichte der altchristlichen Litte-
ratur S. 755 die zu Grunde liegende Beobachtung zwar notirt,
aber nicht ausbaut und weiterführt, nehme ich in der Sache noch
einmal das Wort. Dass auch in dieser Gestalt meine Sätze nur
ein Anfang sind, liegt auf der Hand.
Texte u. Untersuchungen XII, 1. 1
■) Schlatter. Chronograph.
1.
Die Auslegung Daniels Strom. 1, 21,
Im Anschluss an Tatian and Kassians Exegetika bew<
Klemens, dass die griechische Religion und Philosophie neben
Ismeis Propheten jung sei, und giebi zu diesem Zweck eine
vollständige Chronologie d(>v jüdischen und griechischen Ge-
schichte von Mose bis zum Exil, welche auf der Gleichzeitigkeit
des Mose, Inachus und Amosis beruht. Da aber auch die Zahlen
Daniels für die christliche Chronologie von Wichtigkeit gewesen
sind, fügt er eine Erklärung derselben bei. Diese Stücke heben
sich durch Sprache, Zusammenhangslosigkeit, besondre Chrono-
logie und eigen thümliche Eschatologie scharf von der übrigen
Ausführung ab.
a.
P. 393: ji8jrZ?e]QC0T(XL roivvv tx r?jg ar/fiaZcoocag rf,Q tjzl
'hgefiiov rov jiootpSjTov dg Baßvlwva yevof/tvrjg zä vjio Aa-
vujl rov ütQoeprjTOV elQTj^tva ovrmg tyovra' Citirt wird Dan.
9, 24 — 27 nach Theodotion, an dessen Worte sich auch die er-
klärenden Sätze halten. Da wir über die Zeit Theodotions nichts
wissen, ergiebt sich hieraus kein kritischer Schluss. Falls meine
Schlussreihe das richtige trifft, stellt sie fest, dass schon in der
palästinensischen Christenheit zur Zeit Antonins Daniel nach
Theodotion gelesen worden ist. Der Schluss des Citats hat
einige kritische Wichtigkeit, xal övvapimöst öia-d-rjxrjv jio)Jj]v
(Theod. jiollolq) eßdoficcg fila xal (Theod. xal ev reo) 7/fxloei
x?jg eßöofiaöog aoftr/Oeral fiov {rvoia xal öjtovörj xal sjtl to
isqov ßöiZvyfia to *) [Theod. r<5r] eQT]tuoj6£a>v xal tcoq (Theod.
fc'cöc TTjg) öWTslelag xaigov owreZeia öodrjösxat ejtl t?jv £Q?'j-
ItmOiv. xal Tjniöv zrjq tßöoftaöog xaxauiavou {rvfiiafia {rvolag
xal jiTSQV/lov dtpaviOfiov ta>g ovvreZdag xal Ojtovöijg ra^iv
a(pavLö(iov. 27 b ist hier doppelt übersetzt. Während im Vul-
gärtext Theodotions der zweite Satz: xal rffiiov . . . acpaviOfiov
fehlt, giebt auch der Cod. Alex, die Doppelübersetzung, aber
mit umgekehrter Folge der Sätze, und genau in derselben Ge-
1) ro kann aus xdiv oder tu verdorben sein: ßöe/.vyfiara. Vgl. ö^sipw.
1. Die Auslegung Daniels Strom. 1, 21. ;»,
stalt hat sie der Vat. am Rand. Auf ev xm ?}[Üö£l rr/g tßöo-
(iäöoq folgt hier: xarajiavöei ftvöiaortjCHOV (Vat. frvoiaör/jQia)
xal S-volav (Vat. ftvoiag) xal tcoq jirsQvylov dm) ä<pavLötuoc
xal tog owreZelag xal ojrovdyg rd^et im dtpaviöfiov , worauf
die Worte xal övvaftcooti öia&rjxijv Jiolloig tßöofidg [iia xal
h> reo fjßiöet r//j eßdofldöoq zum /weitenmal folgen mit aQxh)-
osTat . . . £qtj(1(oCiv.
Die Doublette xal övvaficoöei etc. macht deutlich, dass im
Alex, eine gemischte Recension erhalten ist, welche Handschriften
voraussetzt, von denen die eine nur den einen, die andre nur
den andern Abschluss der WeissaL!;unL>; enthielt.
Der im Vulgärtext Theodotions allein erhaltene, bei Kle-
mens an erster Stelle stehende Satz xal ev reo tjfilöet, . . . ert^fico-
Öiv ist im wesentlichen der Text der Septuaginta. Der zweite
wird der echte Theodotion sein. Denn für rrns TOam
~nx JFlStt) D^S*lb hat Theodotion gesagt: xal öwaftwöei öiaOr/x^v
jtoXlolg tßöo^dg y.ia\ hiezu ist für yntt?n ^SHI nicht xal ev
T(Z i/ulou rr/g tßöofidöog. sondern das nur noch bei Klemens
erhaltene xal r^iLOv rtjg tßöofidöog mit seinem aktiven Verbum
xarajtavosc die Fortsetzung. Die Woche thuts bei Theodotion;
sie macht den Bund stark und beseitigt das Opfer. Im folgen-
den Gliede anerkennt dieser Uebersetzer D^SIpÜ nicht; er las:
z^'cc r:r tFi: xal twg jtTSQvylov djto dcpaviöfiov. Aber
auch V. 26 gab Theodotion für fiTattttJ: dpaviöfiolg, und endlich
haben die mir nicht verständlichen Schlussworte: rdt-ei km
a(pavLöfXov (Klem. xd^iv dcpavionov) deutlich Beziehung zu V. 26
övvTETurjfitvov rat- ec dcpaviGfiolc (Klem. 6vvrsT{urjkuavot dcpavio-
HOlg).
Das Motiv der Glossirung ist leicht zu erkennen. ßöt-Zvyfta
bQrjumoecog ist der durch Jesu Weissagung für die Kirche un-
entbehrlich gewordne Ausdruck. Darum wurde der letzte Satz
Theodotions zunächst aus der Septuaginta glossirt; hernach stiess
in dem schon von Hippolyt vertretenen Vulgärtext die Glosse
den Schlusssatz ab oder verwies ihn an den Rand. Wir lesen
bei Klemens eine bereits christliche, aber dem Vulgärtext und
auch der durch den Vorgänger des Vat. und den AI. dargebotenen
Itccension vorangehende Textgestalt.
Nun folgt die Auslegung: ort f/ev ovv ev tjtrd tßdo/idotv
cijxoöouijihi o vaog, rovro cpaveoov loxt' xal ydr> Iv reo 'Egöqu
1*
4 Schlatter, Chronograph.
ytjQajTrai, xal ovrcog lyivcXO y^taroq ßaoiZevq Iovöcdan
y/yovfitvog, jthjQov/isvajp tojv \jitu kßöofldöcov kv 'leQOVi
h'm. Das eingeklammerte ßaöiJLevg *) ist unerträglich, und bri
die ganze Auslegung um ihren Sinn. Sic bezieht das Ende der
7 Wochen richtig auf den Tempelbau und die Erfüllung
derselben könne man bei Esra lesen. Bei Esra liest man aber
nichts von einem „gesalbten König der Juden". Der AusL
hat tooq xqi6tov nyoviiivov korrekt vom neuen Hohepriester-
thum verstanden2). Die messianische Fassung des Worts ist
Glosse, sei es schon des Klemens, oder wahrscheinlicher der
spätem Textüberlieferung.
Nachdem die 7 Wochen erklärt sind, werden die 62 Wochen
erläutert: xal sv ralq t^rjxovxaövo tßöofidöcv rjovyaosv djtaoa
7] ^Iovöaia xal sytvsxo avev jtoZs\uojv' xal o xvgioq ?][i&v
XQiördg dyioq xoov aylcov tZ&eov xal Jilr/QOJüaq xr/v ogaotv
xal xov jtQO<pfjTT]v sxQtod-T] xrjv ödgxa Top xov jtaxQoq avxor
jivsvfiaxi sv xavxaiq ralq tt-rjxovraövo sßöofiäoiv, xa&coc sljtev
o jtQO(prjX7)q. Ein weiteres Hauptstück in Daniels Weissagung
ist durch Jesu Erscheinung erfüllt. Mit yjQloai ayiov aylcov
hat er den Allerheiligsten und durch den Geist Gesalbten ge-
weissagt, und „die Besieglung des Gesichts und des Propheten"
ist durch Jesus geschehn. Aber sein Kommen bildet nicht den
Endpunkt der Danielschen Rechnung; denn „in diesen 62 Wochen'-
kam der Herr. Die christologische Formel, die er braucht, giebt
das einfachste Element der apostolischen Predigt: er ist der am
Fleisch mit dem Geist seines Vaters gesalbte.
Es bleibt noch die Erklärung der einen Woche übrig: xal
sv zf] fiia tßöofiaöi xrjq [Dind. rjq] tßdofidöoq xo ?]fiiov xaxtöyt
Nsqoov ßaöilevoov xal hv xrj ayia Jiblsi 'lsoov6aX?)[i soxrjöt
xo ßdtZvyfia xal sv top rjftiost x?jq tßöo{uddoq dvijoeft?] xal
avxöq xal "Oftoov xal rdlßaq xal Ovixsllioq, OvsöJtaoiavoq
ds sxgdxrjös xal xa&sils xrjv 'isoovöaZr/fi, xal ro ayiov rjQTjfiooös.
xal wq ravO-' ovxooq syst, T0P & P 7e] övvisvai övvaf/svqo
1) Damit ist auch 'iovöalwv zweifelhaft. Fraidl, die Exegese der
70 Wochen Daniels in der alten und mittlem Zeit, Graz 1883, erklärt
„die einheimischen Fürsten"; aber der gesalbte König passt weder auf
Josua noch auf Serubabel.
2) Ebenso Hippolyt und Julius.
1. Die Auslegung Daniels Strom. 1, 21. 5
örjlov, xa&a xal 6 jiQO(p?jxtjq siqtjxev. Das folgende ist damit
ohne jeden Zusammenhang.
Daniel hat auch die Zerstörung des Tempels geweissagt; auf
diese geht die eine besonders ausgezeichnete Woche. Wie aber
Dindorf den Text giebt, entsteht kein Satz. Er zieht die voran-
gehende Zeitbestimmung herüber: hv xavxaiq xalq h&jxovxaövo
tßöofiaöiv xaftcQQ sljtev 6 jtQo^f/XTjq, xal hv x7\ fiia tßöofiaöt.
Mir scheint das wenig überlegt; denn die 62 und die eine Woche
können nicht im selben Athemzug erklärt werden, da sie auf
verschiedne Ereignisse gehn. hv xavxaiq . . . bis jtQO<p?]xrjq geben
den glatten und durchsichtigen Schluss zum vorangehenden Satz.
Zudem bekommen wir für diese Zeitbestimmung nicht einmal
eine Aussage. Klemens hat geschrieben: „und in der einen
Woche die Hälfte der Woche hatte Nero als Kaiser inne". Das
von Potter gegebne 6 xvQioq: xal hv xy f/ia Ißöofiaöt 6 xvgioq
sßdo/iaöoq xo ijfiiöv ist vollends verwerfliche Glosse; es zersprengt
nicht nur den Satz, sondern auch den Gedanken. Die eine
Woche endet mit dem Tempelbrand, wo der Herr nicht kam.
Die Wende in der einen Woche tritt mit Neros Ermordung
ein. Die drei kurzen Regierungen sammt den beiden ersten
Jahren Vespasians, welche durch den jüdischen Krieg ausgefüllt
sind, bilden die zweite Hälfte der Woche.
Voran geht die Aufstellung des ßöhZvyfia durch Nero. Bei
Josephus hat der Chronograph nichts gefunden, was diesem Satz
zur Basis dienen könnte. Allerdings beginnt dort der jüdische
Krieg mit einem Attentat des Florus auf den Tempel; allein
dasselbe betrifft nur den Tempelschatz. Der Greuel, den Nero
aufstellt, beruht auf dem Wort Jesu, Matth. 24. Da nach Jesu
Weissagung mit dem ßöhXvyna die Noth über Judäa kommt, hat
es folgerichtig Nero aufgestellt. Sprachlich sind die Sätze durch
das einförmige „und" gekennzeichnet: „und so gab es einen ge-
salbten Führer in Jerusalem und es war ganz Judäa ruhig und
es war ohne Kriege. Und unser Herr wurde gesalbt ... in den
62 Wochen. Und in der einen Woche besass Nero ihre Hälfte
und in der heiligen Stadt Jerusalem stellte er den Greuel auf
und in der Hälfte der Woche wurde er getötet ... Und dass
sich das so verhält, ist offenbar. Jüdischen Charakter haben
auch die Citationsformeln : jc&jiZ7jqcqtcci xa vjio Aavirjl xov
JtQorprjxov eigrititva ovrcoq r/ovxa, womit Matthäus zu ver-
i; Schlatter, < Ihronograph.
gleichen Lsi and «las stabile ittttfö rrc D^pb der Rabbinen; xcu
ydo ev tu) 'EoÖQa ytyoajiTai. ohne Cital als selbständig«
womit frg. c zu vergleichen ist: xal tovto ytyoajiTat ovi
auch dieses ovTcag bei ytyfjajtrcj is! jüdisch stabil: z^rr "izir. und
in der negativen Wendung: tfbtf p z^rz "pX; xa&mq ütiiv 6
jz()0(pijT?]g, xadd xdi o JiQO<pqTT]g UQrpcev, wie es auch ähnlich
in frg. d steht: xa&mg elQipce Javir/X o JtQog>/}TT]Q' elorpce ö%
und frg. c: tovto xal o Jinocp/'/Ti/g eiJtsv xal tu ', rayyü.tov.
Bei den Rabbinen ist das Passiv häufiger: ^EtfZL": oti uo/jTai.
allein aktive Formeln fehlen auch nicht: &On:n T£fcc 'pb z. B.
shem. r. 76 b und "PH 113 Ä 1. c. 76 a. frg. d giebt dafür das be-
kannte Präsens: xal Ötd tovto Xiyu AavLrjl, das auch rabbi-
nisch ganz gewöhnlich ist: TOIX tfin pl, auch mit dem Namen
des Propheten: 1E1X btfpTfi"1 pl, 1E1» Tm plö, TttlK lrTW* 70"
etc. vgl. beispielsweise shem. r. 50 a. 80b. etc.
Diese Auslegung Daniels hat sich in den der Synagoge ge-
wohnten Formen bewegt.
Wenig Wechsel und Gelenkigkeit in der griechischen Rede
zeigen die vorangestellten Subjektssätze: 6% t fthv ovv sv sjctcc.
ißöofcdöcv qixodofirjfr?] o vaog, tovto (paveoov Iotiv: xal oic
Tav&' ovToig \%u, tw 6h övvievai dvvctfiEvm dijXov, und ebenso
frg. c: otl öh tovt äZrj&eg Iotiv, iv tcq tvayyeXico . . . yt-
yoajiTai ovToyq und xal oti hviavTov tuovov löst avTOV x?]Qv$ai,
xal tovto yaygajiTai ovTcog.
Die Formel ?/ovyaosv ajtaoa r\ Iovöala ist ein biblischer
Ausdruck: "p«n ftupw.
b.
P. 404: jialtv ts av äjiö Ttjg ißdof/r/xovTasTOvg alyjiakoj-
öiag xal t//c tov laov üg jcaTQomv yr\v ajcoxaTaöTaoeojg eig t?)v
alynalcoötav tt\v tJil Ovsöjcaötavov ett] övvaysTai TSTQaxoöia
dexa' TelevTala ös äjid Ovsöjiaöiavov: hier setzt Klemens
seinen eigenen Endpunkt ein, den Tod des Kommodus, und
rechnet 121 J. 6 M. 24 T.
Hieronymus zu Daniel 9 hat versichert, dass Klemens die
Zerstörung Jerusalems 490 Jahre nach dem Exil ansetze. Aber
wie soll, wenn Hieronymus Recht hätte, das dexa des Textes ent-
standen sein? Dagegen ist die These des Hieronymus durchaus
begreiflich aus der kräftigen Verwunderung, die der überlieferten
1. Die Auslegung Daniels Strom. 1, 21. 7
Suin nie keinen Sinn abzugewinnen weiss. Die 70 Wochen sind
sämmtlich besprochen; es scheint, wir dürfen sie nur addiren:
70—1)4 v. Chr., die eine Woche? 371 a. Chr. — 63 p. Chr. die
62 Wochen; 420—372 die 7 Wochen. Da aber für den Tenipel-
brand die Summe 410 überliefert ist, so ist diese Rechnung für
die Quelle des Klemens , falsch.
Klemens hat nicht überliefert, wo die 490 Jahre enden.
Bei der Besprechung der einen Woche fehlt die Angabe: und so
wurden die 490 Jahre voll, und das neue Fragment zeigt, dass
die Ziffer Daniels sich über den Tempelbrand hinaus erstreckt.
Nachher bleibt aber für dieselbe nur noch ein einziger Schluss-
punkt übrig: die Parusie. Daniel hat den Anbruch des Himmel-
reichs, das Kommen des Menschensohnes in den Wolken des
Himmels und die Auferstehung geweissagt. Das Fragment ist.
^ein überlieferter Bestand als fehlerhaft erwiesen wird, das
Zeugniss dafür, dass unser Ausleger mit der Ziffer Daniels noch
den Anbruch des Himmelreichs berechnet hat, womit auch erklärt
ist, wesshalb Klemens das Ende der Rechnung nicht giebt. Sie
war, als Klemens schrieb, längst antiquirt.
In welches Jahr er die Parusie gesetzt hat, hängt davon
ab, ob er die 49 Jahre mit den 70 Exilsjahren oder mit den
490 Jahren Daniels verband. Schlug er sie zu den 70 und
nicht zu den 490 Jahren, so reichen diese mit 80 Jahren über
den Tempelbrand hinaus. Zählte er die 49 Jahre bereits zu den
490 Jahren, so reichen dieselben bis zum Jahre 101. Der Chrono-
graph schrieb entweder am Ende des 1. Jahrhunderts oder vor 150.
Für den Ansatz am Ende des ersten Jahrhunderts wTürde
sprechen, dass der biblische Text offenbar die Addition der
49 Wochen zu den 62 und zu der einen Woche verlangt. Allein
unser Exeget ist nicht bloss durch den Text Daniels bestimmt,
sondern zugleich durch den wirklichen Verlauf der Dinge. Er
legt das, was bei Daniel zusammensteht, auseinander, wie es die
Erfüllung zu fordern schien. Die eine Woche ist nach dem Text
unzweifelhaft die letzte; sie ist es aber nach unserm Ausleger
nicht. Die Salbung des Allerheiligsten und die Beseitigung des
Opfers gehören bei Daniel zusammen und an's Ende des ganzen
Geschichtslaufs, während sich jenes für unsern Exegeten auf
Jesus, dieses auf Vespasian bezieht und beides noch nicht das
Ende bringt.
g 8chlatter, Chronograph,
Aehnlich kann er den Anfang der 190 Jahre and die
7 Wochen nicht als identisch behandeil baben, so dass beides
gleichzeitig Geltung hat, dass die Weissagung Daniels sich von
der babylonischen Gefangenschaft an erfallt, frg; a, aber die
490 'Jahre von der Rückkehr in die Beimath an laufen. Daniel
hat zuerst die Heimkehr und den Neubau Jerusalems geweise
was nach 49 Jahren geschah und bei Esra geschriebeu ist. Er
wird die Frist zwischen dem ersten Jahr des Cyrns und dem
zweiten des Darius als 49 Jahre gesetzt haben, wie ihn auch
Fraidl versteht. Damit wurden die 70 Jahre voll und nun be-
ginnen die zum Ende zielenden 490 Jahre.
Dass diess die Rechnung des Auslegers war, dafür spricht
schon in dem, was wir bisher gelesen haben, das dunkle ßödZvyfia,
das Nero aufstellt. Im ersten Jahrhundert konnte man die Vor-
gänge, die den Ausbruch des Kriegs veranlassten, noch kennen 1).
Auch frg. c, die Berechnung des Jahres Jesu nach Lukas, ist
diesem frühen Ansatz der Fragmente nicht günstig, und frg. e
giebt das Datum: 10. Jahr Antonins, das mit unsrer Stelle aufs
beste harmonirt.
Es bedarf nach meiner Meinung keines weitern Beweises,
dass Klemens diese Dinge kopirt. Gleich nach 150 wird der
Satz: Zerstörung Jerusalems = 410. Jahr nach dem Ende des
Exils absurd. Er hat nirgends Halt als nur in Daniel und
nicht über das Jahr 150 hinaus, Zudem hat Klemens aus der-
jenigen Quelle, welche die griechische und jüdische Geschichte
miteinander verglich, einen sorgfältigen Synchronismus für die
erste Wegführung unter Jojachin gegeben, P 394: sie fällt in
Nebukadnezars 7. Jahr, Uaphres 2. Jahr, in das Archontat
des Philippus (Phänippus bei Euseb), Olymp. 48, 1, also 587
a. Chr. Diese Rechnung ignorirt Daniels Ziffer vollständig; sie
kam mit 490 Jahren nicht einmal zu Jesu Geburt, noch weniger
verknüpft sie dieselbe mit der Parusie. Aus der sich total auf-
hebenden Differenz der beiden Rechnungen folgt lediglich, dass
Klemens nicht selber rechnet, sondern die Daten seiner Vor-
gänger zusammenstellt.
1) Es werden sich später noch mehrere Instanzen finden, die unsern
Ausleger nach Palästina stellen. Schriebe er vor 100, so hätte er die eine
Woche noch selbst durchlebt.
1. Die Auslegung Daniels Strom. 1, 21. g
Auch an der annähernd richtigen Zitier: -lojachin exilirt
587 a. Chr., ist eine kräftige Tendenz betheiligt, welche die ganze
chronologische Untersuchimg durchdringt, diejenige nämlich,
welche die Bibel auch zeitlich den Griechen voranstellt und die-
selben als jung und abhängig erweist. Dieser Tendenz steht der
Ansatz: Jerusalems Zerstörung 410 seit dem Exil direkt im Wege.
Er macht die biblische Geschichte viel zu jung, kümmert sich
also nicht um die Prioritätsfrage und hat mit dem ganzen apo-
logetischen Nachweis für das Alterthum der Bibel nichts zu
thun. In der Vergleichung der biblischen Zahlen mit den grie-
chischen und egyptischen wachsen jene; unter dem Regiment
der eschatologischen Erwartung verkürzen sie sich. Dem das Welt-
ende in nächster Nähe schauenden Blick ist auch die Kürze
der abgelaufnen Weltzeit nicht befremdlich. Beide einander
entgegenwirkenden Gesichtspunkte finden sich bei Klemens bei-
sammen, weil ihm die ältere Litteratur der Kirche noch beide
zuleitet.
c.
P. 406: tyerrrjf)?j de o xvoioq rjficov tw oyöoe? xal elxoöToi
Itu, ote jzqojtov exekevöav äjzoyoa<paq yeveo&at ejtl Avyovörov.
Der Plural exeXevoav wird als Verderbniss aus exeXevöev zu
beurtheilen sein. Die ungeschickte nachträgliche Erwähnung des
Aucmstus deutet darauf, dass derselbe in der Quelle schon ge-
nannt war, womit auch das Subjekt von exeXevöev gegeben war.
Da Klemens nur diesen Satz heraushebt, muss er den Namen
des Kaisers erst nachträglich anbringen, ort de tovt aXrj&eq
löx iv, er t(~) evayyeXlq) reo xazd Aovxäv yeyoajtTai ovTooq' stel
öh izevTexaiöexaTc» ejtl TtßeQiov Kaloaooq lytvexo grjf/a xvqiov
ejtl ^IcoavvrjV xov Zayaolov vlov xal jtafov iv reo avroj' ?)v
de 'itjöovq eQ%6{jevoq ejil ro ßäjiTiöfta coq ercov X' xal ort
eviavTov fiovov eöei avTOv xrjQvgat, xal tovto yeygajtrai ovrcoq'
evcavTOv öexTOv xvqiov xrjQvt-at ajieoxeilev fze. tovto xal 6
rroocfi/Trjq eine xal to evayyeliov. jievrexaidexaTcp ovv eTei
Tißeoiov xal jtevTexaiöexaTro AvyovOTov ovtoo jiXrjQOvvTai tu.
TQtaxovTa eTTj, emq ov ena&ev. ag>' ov de ejia&ev eooq Ti\q
xaTaGTQ0(p7^ 'feQovöaX?}^ ylvovTai Ittj [iß' [itjveq y. xal ajio
tijq xaTaGTQO<p?jq '/eooroaXi/fi ecoq: Klemeus rechnet bis zum
Tod des Kommodus 128 J. 10 M. 3 Tage. ylvovTat ovv a<p
}o Schlauer, Chronograph.
ov o xvqioq hyswifi"r\\ bis zum r I ^ < > < i des Kommodua 194 Jahre
1 M. L3 T.
Die Stelle zeig! sich als Excerpi dadurch, dass sie die Elegie-
rungsdauer des Augustus nicht giebt, und doch wird erst durch
diese verständlich, wesshalb gesagi werden kann: „im \h. Jalir
des Tiberius und im 15. des Augustus, so werden voll die
30 Jahre, bis er litt"; im 15. des Augustus, nämlich von seinem
Tode an gezählt. Der Exeget giebt Augustus 43 Jahre, rechnet
28 bis zur Geburt Jesu, 15 des Augustus fallen in seine Lebens-
zeit, und das 15. des Tiberius ist das Jahr der Wirksamkeit
Jesu und seines Tods. Vom Regierungsantritt des Augustus bis
zur Zerstörung Jerusalems hat er richtig 100 Jahre; er rechnet
Augustus vom Jahre 30 a. Chr. an. Somit bleiben ihm vom
Ende des Exils bis zum Regierungsantritt des Augustus noch
310 Jahre.
In den Summen, die bis zum Tod des Kommodus berechnet
sind, wird der schlechte Zustand der Textüberlieferung sichtbar:
denn die Zahlen stimmen unter einander nicht. Qxd ist gegen
gxrf zu halten. Die Kaiserliste, die Klemens giebt, ist aber
in ihren Ziffern viel zu verdorben, als dass sich noch erledigen
Hesse, was für die Monate und Tage ursprünglicher Text ge-
wesen ist.
Auch in den neutestamentlichen Citaten tritt der alterthüm-
liche Charakter des Texts hervor, xo svayyüuov erscheint als
Name für die Gresammtheit der das Evangelium darbietenden
Schriften, daneben im selben umfassenden Sinn o jtQOtyfjxrjq, das
den religiösen Werth des alttestamentlichen Kanons zum Aus-
druck bringt. Das Citat aus Lukas 3, 23 zeigt nicht den über-
lieferten Text. Dieser giebt: xal avxoq ?]v 'Irjöovq aQ%6[i£Vog
coösl exeov X '. Unser Exeget citirt: i]v 6s 'Irjöovq iQxofisvoq im
xo ßajiTLö(ia a>g exeov X ' . Dass eQXOfievoq Beziehungen zu dem
dunkeln äoxofievog des Lukas bat, ist kaum abzulehnen, da es
an derselben Stelle steht. Die andere Variante: eyevexo Qr][ia
xvqiov ejtl 'icoavvr/v statt deov Luk. 3, 2 schliesst den Satz noch
enger an die alttestamentliche Form an: b$ Mi tn rPPJ.
Jesu Lebenslauf wird ausschliesslich nach Lukas berechnet,
ohne dass sichtbar wird, wie unser Exeget die Erzählung des
Johannes behandelt hat.
1. Die Auslegung Daniel- Strom. 1. 21. 11
d.
P. 408. (tri 6h xäxelva tf) yoovoyoatpia jiQogajio6(>Ti<>)\
_• Xtyo. aq alvizzszai Aavu'jX.) Das ist das Proömium
des lvlfineus. axo zrjg tgt/ftojoscjg 'legovoccfo}^ zd Ovtojza-
Oiavov i't/j C . fiijifeg C • tcc ydg ovo etfj jtgo^Xafjßdvszai rote
"Od-oji'o- y.c.l rr.Xßa xai OvizeXXlov fit/öl i£, ftfAtgaLg rf . xai
nvzco yiverai iz>t tgla xai fiijvsg ;', o iozi zo ijftiov zrjg tß6o-
ttädog, xalhog elgrpcs Aaru)X o JtQOtytfrrjg. eigrpce 6h ßz' tj^itgag
yeviö&cu, aq> ov toz/j zo ßötAvytiu vjio Atgcovog sig xrjv TtoXtv
t/])' aylav [ir/gi tT^ xaxaöZQOtyrjq avzijg. ovzco ydg zo gr/zöv
tu vrroziTuyttirov öeixvvöiv' (es folgt Daniel 8, 13. 14 nach
Theodotion) \'cog jcoze )) ogaoig ozSjoezai ?] ftvoia dgßeloa [Theod.
xtä /) dfiagzia t()}/tucü{h'/0£zai [Theod. tor/ficooecog] r\ dod-üoa
xai )) dvrauig xai zo dytov [Theod. xai zo dy. xai /; 6vvaiuq\
0V{Hzaz7f(h]G£zai xai djrev avzoY tag töjregag xai Jigan tj{utgai
ßz l) xai dofrijützai zo dytov [Theod. xad agiofttfoezai , p!2ü].
r.oih'joezaL ist deutlich eine christliche Glosse und steht mit der
Doppelübersetzung von Dan. 9, 27 parallel, avzai ovv al ßz
?]kutgai ylvovzai Izrj q fiijvsg 6> , a)v zo ?]fiiov xaztG%£ Nsgcov
ßaoiXsvwv xai sysvszo /jfaov Ißöofidöog, zo 6h //fuöv OvsöJia-
ötavög Gvi' Od-mvt xai FdXßa xai OvizsXXlcp' xai öid zovzo
Xsysi AavujX (12. 12)' {laxdoiog o (p&döag sig Tjfitgag azXs .
i/t'Z'ji yccQ zovzcov zojv ?/{zsgcöv o jtoXefiog r)v, ftszd 6h zavza
i<:roazo. ösixvvzai 6h xai ovzog o agifrfiog ix zov vno-
zszaytusvov xstpaXaiov syovzog a)6s (12, 11)' xai djto xaigov
nagaXXd^sojg zov sv6sXsyiö.uov xai 6o&rjvai [Theod. 6o& ' oszat
zo] ßötXvyfia tg?]{ivjöswg rjfisgag yiX'iovg 6iaxooiovg svvsv?'j-
xovza' [Theod. t/tutgat ylXiai etc.] [laxdgiog o vjto/isvwv xai
(p&doag dg ijfitgag azXs .
Der Eingang hat ein Fragment aus der Kaiserreihe erhalten,
durch welche die Zerstörung Jerusalems mit der Gegenwart des
Schreibers chronologisch verbunden war. Es folgte somit die
Liste von Vespasian bis Hadrian und zwar nicht in abgerundeten
Jahren, sondern mit den Monaten. Ueber die Zeit der kurz
regierenden Kaiser ist er unterrichtet. Die Lesung fi?jvsg i£
1) Die Ueberlieferung bei Theodotion schreibt: 2400 und 2300. Unser
Exeget las letzteres.
12 Schlatter, Chronograph.
darf wnlil in tfj gebesseri werden, da er mit 2 Jahren Vespa-
sians 3 Jahre und 6 Monate summirt. 18 Monate aenni richtig
die Distanz /wischen Neros Ermordung 9. Juni 68 and derjenigen
des Vitellius 20. Dez. 69. Dennoch ist die Rechnung kindlich.
Denn nachdem er für die kurzen Kaiser die Monate gezähll hat,
durfte er das 2. Jahr Vespasians, das Jahr des Tempelbrands,
nicht gleich 2 Jahren setzen, da zwischen der Ermordung des
Vitellius und der Eroberung Jerusalems nur 9 Monate liegen.
Auch die zweimal auftretende Ordnung: Otho, Galba, Vitellius
ist auffällig. Weniger gewaltsam ist die Gleichstellung der 1335
Tage mit der Dauer des Kriegs, den er auf B1^ Jahre schätzt.
e.
P. 408: Am Schluss des chronologischen Abschnitts giebt
Klemens Bericht über die Rechnung des Josephus. Das ist
schon desswegen eine Entlehnung, weil Klemens nur hier Jose-
phus citirt; sodann hat er hier nicht sein eigenes Epochenjahr
eingesetzt, sondern das der Quelle unverändert gelassen: das
10. Jahr Antonins.
<Plavlog de Icoor/Jtog o lovöaiog o rag lovöalxaq ovvrctt-aq
löTOQtag xarayaycov rovq XQOVovg g)tjölv äjzo Mcovotcoc eojg
Jaßlö Irr] ylyveö&ai cpjte' ajtb de Aaßld to?g Oveojcaoiavov
öevregov erovg agod' ' , elza ajto rovrov yteyjQi \4vtcovivov 6e-
xarov erovg errj o£ , cog elvat djto Mwvöemg IjtI rb dexarov
erog Avrcovtvov icavra errj acoly .
Die Summe zwischen David und Vespasian stammt aus
b. j. 6, 10. Die Distanz zwischen Mose und David konnte er dort
nicht finden, dazu musste er die Antiquitäten zu Rathe ziehn,
wo aber die Zahlen wechseln. Wahrscheinlich hat er A. 8. 3, 1. 61
benützt. Allerdings ist die Gesammtsumme acoly verdorben.
Wer die Ziffern rational machen will, kann lesen: von Mose bis
David (pjcrj statt cpjte und in der Gesammtsumme aco^d' statt
aooly '. Die beiden andern Summanden 1179 und 77 stehen fest.
Mit den andern Fragmenten verknüpft diese Stelle zunächst
der Ansatz der Epoche im 2. Jahre Vespasians, welcher auch
bei der Berechnung der einen Woche Daniels eine wichtige
Funktion zufiel. Sodann erklärt das hier gegebene Datum den
zunächst unverständlichen Ansatz: Ende des Tempels 410 nach
dem Ende des Exils vollständig. >Der Verfasser muss die Daniel-
•_?. Die Liste der Kaiser, Ptolemäer und Perser bei Kiemen-. 13
zitier herunterrücken, weil ihn selbst schon eine beträchtliche
Distanz von der Zerstörung Jerusalems trennt. Er schreibt im
487. Jahre Daniels. Er hat also die Parusie in der nächsten
Nähe vor sich und die Frist noch auf 3 Jahre bestimmt.
Zugleich belegt die Stelle, dass unser Rechner sich nicht
ausschliesslich auf die Zeit zwischen dem Exil und der Parusie
beschränkt hat, sondern auch die ältere Chronologie der Bibel
überblickt, und auch diess ist nicht ohne Interesse, dass er wenig-
stens aus Josephus unterrichtet ist, wie weit die Berechnung
der Perserzeit bei andern Chronographen seinen eignen Ansatz
überragt
Die Liste der Kaiser, Ptolemäer uiid Perser bei Klemens.
Er giebt zwei Listen der Kaiser, die eine mit abgerundeten
Jahren, die andre mit Monaten und Tagen. Da unser Chrono-
graph bei den kurz regierenden Kaisern und bei Vespasian mit
Monaten und Tagen operirt, käme für ihn zunächst letztere in
Betracht. Allein ihre unzuverlässig überlieferten Ziffern tragen
keinen Schluss. Gleich der Anfang: Caesar 3 J. 4 M. 5 T.,
Augustus 46 J. 4 M. 1 T. ist offenbar verdorben. Statt 46 muss
Augustus 56 haben. ■ Der kritische Werth der beiden Listen
besteht nur darin, dass sie die Abhängigkeit des Klemens von
mehreren Vorgängern darthun. Sogar für die Kaiserzeit stellt
er uns 2 Möglichkeiten zur Wahl: so oder auch so.
Die Liste der Perser sieht wunderlich aus, und legt den
Gedanken nahe, dass nicht bloss die Textüberlieferung sie übel
misshandelt hat, sondern dass schon Klemens hier ausgleichende
Künste versucht hat.
Cyrus 30
Cambyses 19
Darius 46
Xerxes 26
Artaxerxes 41
Darius 8
Artaxerxes 42
Nun folgt ilyoc, // AQörjq 7'. Darin steckt eine Verderb niss :
ob gemeint ist Ochus 8 Arses 3, ist fraglich. Da die Summe 2'.>~>
I | Schlatter, Chronograph.
sein soll, würden wir sie inii «Irr Lesung Ll/<>- X ÄQOTjq '/ er-
reichen, und dir EmendatioD wäre nicht besonders kühn, denn v'
kann zunächst in xal missdeutet und bernach in // korrigirl
worden sein» Allein Kambyses 19 ist ebenfalls ein fragwürdiger
Posten.
Dass wir für Cyrus und Kambyses zusammen 49 Jahre er-
halten, hat schon Fraidl an die 7 Wochen erinnert, die mit dem
Tempelbau abgelaufen sind. Noch merkwürdiger ist aber, dass
der letzte Darius vollständig fehlt, xafreZc/jv dl xov JclqbIov
tovtov, fährt Klemens fort, und doch hat er ihn noch gar nicht
genannt! 'Altt-avögog o Maxeöaw fierä xa Jigoxtifttva trr/
ßaöiZeveiv ccoyetaf ofioimg ovv xal rcov Mazedovcov ßaoilbojv
oi xqovoi ovtco xazdyovraf
Alexander 18(!)
Ptol. Lagi 40
Philadelphus 27
Euergetes
25
Philopator
17
Epiphanes
24
Philoruetor
35
Physkon
29
Lathuros
36
Dionysos
29
Kleopatra
22
Kappadoker
18 Tage
302
Die Summe soll sein 312. Wir hätten sie leicht, wenn Phila-
delphus 37 erhält. Allein die 18 Jahre des Alexander sehen
wie ein verderbtes 8 aus. Mit dem Text des Klemens lässt
sich hier nicht weiterkommen. Dass der letzte Darius bei Kle-
mens ohne Ziffer ist, hat ein Mysterium in sich; weiter ist es
Thatsache, dass für den Ansatz: 410. Jahr seit dem Ende des
Exils = 70 p. Chr., der Anfang der Rechnung genau 18 Jahre
vor den Tod Alexanders fällt. Da unser Chronograph bei den
Kaisern sorgfältig gerechnet hat, wird er auch den Ausgangs-
punkt der Rechnung genau bestimmt haben. Derselbe war
aber für Klemens ebensowenig annehmbar als ihr Schluss.
3. Tertullians Berechnung der Jahrwochen. 15
3.
Tertullians Berechnung- der Jahrwochen.
So kräftig sich Tertullian nach derParusie sehnt, dennoch ist
seine Auffassung der Zahl Daniels eine gänzlich veränderte. Sie
reicht nicht mehr in die Zukunft, weissagt nicht das Jahr der
Parusie und dient nicht mehr dem „bald" der Hoffnung zum
kräftigen Erreger, sondern sie ist mit der Zerstörung Jerusalems
zu ihrem Schluss gelangt. Dies ist um so bedeutsamer, weil
Tertullian denselben Rechner benützt, den Klemens citirt. Die
Rechnung steht adv. jud. 8.
Darius H>
Artaxerxes 41(40)
Ochus qui et Cyrus 24
A.rgus 1
alius Darius qui et Melas nominatus est 21 (22)
106
Alexander (nach Hieron.) 11(10, 12)
Soter 35
Philadelphus 38
Euergetes 25
Philopator 17
Epiphanes 23 *
Euergetes 29
Soter 38
Ptolemäus 37 (38)
Kleopatra 22(20) 6 M. (5 M.) *)
Die Schwankung in den Einzelposten können wir bei Seite
lassen. Die Summe ist durch das Schema der Rechnung ge-
sichert: 277 J. 6 M.
Perser und Griechen zusammen
Kleopatra und Augustus
Augustus bis zur Geburt Christi2)
d. h. 62 und % Woche, nach Daniel.
1) Menses V ist sicher falsch. Tertullian hat die in 2 Hälften zerlegte
Woche auf die beiden Perioden vertheilt, und nur desshalb bekommt
Kleopatra Monate; er hat ihr die genaue Ziffer gegeben.
2) Was Oehler druckt, hat weder spraclich noch sachlich Sinn:
videamus autem, quoniam quadragesimo et primo anno imperii Augnsti.
383 J.
6
M.
13 J.
41 J.
437 J.
6
M.
](; latter, Chronograph.
Augustus seil Christi Geburt
Tiberius, in dessen 15. Jahre der
Herr litt, 30 Jahre alt
Caligula
Nero
Galba
Otho
Vitellius
20
7
26
3
8
13
11
9
13
7
6
3
8
27
52 6
d. h. 7 Wochen und l/2 Woche. Mit Vespasian, der Jerusalem
zerstört, schliesst die Rechnung.
Sie ist kein Meisterstück. Die Streichung des Klaudius
ist eine starke Leistung, die Konfusion bei Augustus unschön,
nicht weniger auch die 6 Monate, die Kleopatra der halben
Woche wegen erhält. Allein im kritischen Verhör sind unkluge
Zeugen oft von besondrer Wichtigkeit. Folgendes kommt in
Betracht:
1) Tertullian sucht einen Darius, mit dem er den Darius
Daniels gleichsetzen kann. Da die Rechnung mit Vespasian
schliesst, kann er weder den ersten noch den dritten Darius
brauchen; er nimmt somit den mittlem. Dennoch hören wir:
Ocnus, qui et Cyrus; Darius qui et Melas nominatus est.
Darius Melas! Einerlei ob vermittelt, oder direkt: Tertullian
hat einen Griechen vor sich. Melas ist verlesenes MHJ02.
In der Quelle ist der letzte Darius der Meder genannt gewesen,
also der Darius Daniels. Folglich haben die Jahrwochen der
Quelle nicht bei der Zerstörung Jerusalems aufgehört, waren
also auf die Parusie bezogen und haben dieselbe also circa
150 p. Chr. angesetzt. Wir kommen hier nochmals zum selben
Schluss, wie ihn die Fragmente des Klemens verlangen, und
quo post mortem Cleopatrae XX et VIII annos hnperavit, nascitur Christus.
Et supervixit idem Augustus ex quo nascitur Christus annis XV et erunt
reliqua tempora annorum in diem nativitatis Christi in annum XL primum,
qui post mortem Cleopatrae. Der älteste Textzeuge ist Hieronymus, der die
XX et VIII Jahre nicht gelesen hat, sondern giebt: qui post mortem Cleo-
patrae imperavit. Hier wird nur statt qui quo als die bessere Lesung ein-
zusetzen sein. Auch mit videamus ist die schlechtere Variante in den
Text gesetzt statt videmus.
3. Tertullians Berechnung der .hihrwochen. 17
Tertullian bestätigt, dass das 10. Jahr Antonius zur Auslegung
Daniels gehört
2) Der Chronograph hat bis 70 p. Chr. 410 Jahre gerechnet,
bis zum Antritt des Augustus 310. Die Weissagung geschieht
im ersten Jahre des Meders Darius. Bei Tertullian erhalten wir:
Darius Melas 21 (22)
bis zum Jahre 30 290
311. (312)
Hiernach sind es bis zum Jahr 70 genau 410 Jahre seit dem
ersten des Darius Medus, event. dieses nicht eingezählt.
Xunmehr wissen wir, warum bei Klemens der letzte Darius
in der Perserliste fehlt. Sein Gewährsmann gab ihn als den
Kopf der Ptolemäerliste, und hat ihn mit 21 Jahren derselben
vorgesetzt. Klemens hat dieser Summe nicht getraut. Ob er
selber mit 18 Jahren Alexanders die Summe bis auf Alexan-
ders Anfang auf 312 gebracht und damit der Rechnung des
Chronographen gleichgemacht hat, können wir füglich offen
lassen.
3) Die Angaben der Quelle über Augustus haben Tertullian
völlig verwirrt. Augustus soll nur 56 Jahre haben und dennoch
stellt er 13 + 41 + 15 = 69 Jahre ein. Die Berechnung der
Quelle für die Geburt Christi ist aber offenkundig mit derjenigen
des Klemens identisch. Die 30 Jahre Christi werden zu je 15 auf
Augustus und Tiberius vertheilt, und das 15. Jahr des Tiberius
als das Todesjahr Jesu gefasst *). So bestätigt Tertullian, dass
die Berechnung des Jahres Christi zur Jahrwochenrechnung ge-
hört, zumal da c. Marc. 1, 15 steht: dominus anno XII Tiberii
Caesaris revelatus est. Tertullian hat die Voraussetzung der
ganzen Rechnung, das einjährige Lehramt Jesu, nicht mehr ge-
theilt, und hat dennoch das Datum: 15. Jahr = Todesjahr
festgehalten und die 3 Jahre vor dasselbe gestellt. Dass dies
neben den Sätzen des Chronographen eine sekundäre und ge-
mischte Vorstellung ist, heisse ich selbstverständlich.
4) Wie Tertullian Dan. 9, 24 citirt, lässt er nur den Vulgär-
1) Ganz abrupt erscheint am Schluss das Konsulardatum für das
Todesjahr Jesu: die beiden Gemini. Das ist dieselbe Rechnung wie die
<!»'- Chronographen. Woher Tertullian diesen Satz bezogen hat, weiss ich
nicht, falls er wirklich Tertullian angehört.
Texte u. Untersuchungen XII, l. 2
Ig Bchlatter, Chronograph.
text erkennen, ohne dass <li<' Doppeltibersetzung bei ihm sichtbar
wird. Für tjcl to Isqov ßöiXvy^ia xwv ^Qij/iciöscov sagt er: in
sancto execratio vastationis. Als er aber die Stelle erklärend
nochmals wiederholt, sagt er: dicit enim sie, et civitatem ei
sanetum exterminari cum duce venturo et coneidentur sicut in
cataelysmo et destruet pinnaculum usque ad interitum. Hier
erscheint plötzlich das pinnaculnm = üiXBQVfVOV. Da Tertnl-
lian kein Bewusstsein darum hat, wie sich Isqov und jtrtovyiov
durch 5pD einigen, zeigt die Stelle, dass er eine Vorlage hat, von
welcher Dan. 9, 27 b auch nach Theodotion gelesen wurde, trotz-
dem er selbst dessen Satz nicht in sein Citat aufgenommen hat.
Auch hier wird, was Tertullian giebt, durch Klemens durch-
sichtig, da dieser „auf das Heiligthum der Greuel" und „Flügel
der Verwüstung" neben einander giebt.
Tertullian hat uns nicht nur die Methode, sondern auch das
Motiv der Rechnung näher gebracht. Wenn ein kirchlicher
Mann verkündigt: in 3 Jahren kommt der Herr, so setzt diess
eine eigenthümlich geartete Zuversicht voraus, die durch die
„Zeichen der Zeit" nicht vollständig begreiflich wird, so wenig
dieselben bedeutungslos sind. Wir müssen allerdings im Auge
behalten, dass die fürchterlichen Dinge in Palästina noch in
nächster Nähe stehn, da die Judenverfolgung sich in die ersten
Jahre Antonins fortgesetzt hat, und dass Jerusalems Verwandlung
in eine griechische Stadt noch ein junges Ereigniss war und der
Zeustempel auf dem Tempelberg noch stand. Diese Dinge haben
die eschatologische Hoffnung in Palästina sicher stark erregt,
und haben bewirkt, dass man in der jüdischen Christenheit
mit besondrer Sehnsucht nach der Offenbarung Jesu sah. Aber
damit wird die Rechnung noch nicht erklärt, die gerade noch
3 Jahre bis zur Parusie behielt.
Dieselbe beruht darauf, dass ihr Ausgangspunkt nothwendig
in der Perserzeit liegen musste. Man konnte sich dieselbe nach
Daniel kurz denken, undzurNoth mit 2 Perserkönigen ausreichen,
aber einen Cyrus und Darius musste man haben und konnte mit
den Jahrwochen nicht unter Alexander hinuntergehn. Im 10.
Jahr Antonins war man aber bereits bis zum letzten Ende der
Perserzeit herabgedrängt, und erhielt die 490 Jahre nur noch,
wenn der letzte Darius der Meder war. So gewiss die Prophetie
nicht hinfallen konnte, die ja eben jetzt eine wunderbare ße-
3. Tertullians Berechnung der Jahrwochen. 19
stätigung erhalten hatte dadurch, dass der Gesalbte kam und
das Opfer aufhörte und die Verwüstung über den Tempel ge-
bracht wurde, so gewiss stand die Parusie unmittelbar bevor, weil
ja die 490 Jahre endgültig abliefen. Der Gedanke, dass die Kirche
die Rechnung Daniels auf etwas andres beziehen könnte, als auf
die Aufrichtung des Himmelreichs, war unserm Rechner noch
fremd, und darum hatte er die Zuversicht, derselben nachzu-
weisen, dass jetzt das Ende nahe sei.
In der Methode der Rechnung hat er jüdische Vorgänger;
denn Cyrus ist schon früher in der Reihe der Perserkönige vor-
wärts geschoben worden. A. 11, 6, 1. 184: rekevT?jöm^rog 6h
&£q§ov t))v ßccötteiav dg xov vior /{vgov, ov ^Agra^eQ^v 'EZXrj-
xaZovöiv, Ovpißtj {israßrjvcu. Somit heissen den Sohn des
\ fixes nur die Griechen Artaxerxes, die Juden d. h. die Bibel
Inisst ihn Cyrus. Gutschmids Konjektur 'Aövtjqov trägt zu viel
Gelehrsamkeit in Jos. hinein. Die erläuternde Parallele steht
bei Tertullian, der sagt: Ochus qui et Cyrus, worauf Darius Medus
folgt, selbst aber seine Rechnung bei Darius IL beginnt. Wir
haben hier einen Rest der Jahrwochenrechnung des ersten Jahr-
hunderts, der Zeit vor dem Tempelbrand, als „die Weisen" das
Himmelreich als nah bevorstehend berechneten und sich täuschten,
b. j. 6, 5, 3. Auf diesen Cyrus folgte Darius IL und ich kann
es nicht für Zufall halten, dass wir vom Beginn seiner Regie-
rung 423 mit den 490 Jahren ins Jahr 67 kommen, in die Zeit
der hochgespannten messianischen Aufregung.1)
Diese Rechnung war widerlegt worden. Darius IL war nicht
ihr richtiger Anfang gewesen. Aber es blieb noch ein letzter
Darius übrig. Mit ihm konnte man noch rechnen unter Haclrian
und in den ersten Jahren Antonins.
1) Die herkömmliche Wiederholung des Jos. verhindert immer wieder,
dass der religiöse Charakter des jüdischen Kriegs anerkannt würde. Auch
Schürer hat in seiner Antwort nochmals die Behauptung erneuert: a. 6ß
ii. iJT hätten Heiden vereinigt mit den Juden gegen die Römer gekämpft.
Die scheinbare Nöthigung zu dieser baroken Annahme, die in der Ver-
wechslung des peräischen Gadara mit dem Gadara der Dekapolis lag.
glaube ich entfernt zu haben. Von Heiden im aufständischen Gadara Bagt
Jos. kein Wort.
2*
2t) Schlatter, Chronograph.
Hippolyt und .Julius.
Der Chronograph hat xov öqpQaylöai oqcxöiv xal XQO€pTjtrjV
erläutert durch: jilrjoojöag x?)v OQaöcv xal xov nQO^rjrrjv^ und
Tertullian hat denselben Gedanken, da er ihm apologetisch gegen
die Juden dient, mit einiger Ausführlichkeit. Hippolyt im Kom-
mentar zur Stelle nimmt dagegen 6<pgayiGai als Gegensatz zu
kvöat. Das eigentliche Geschäft Jesu ist das Lösen und Offnen,
wie er durch mehrere Schriftstellen beweist. Das Versiegeln =
Verschliessen zielt auf den Unglauben der Juden schaft: eöec yaQ
xa uialat öict üzoo<pr}xojv Xzlalruiiva xolg fisv ajiloxoig <Payi-
Oaloig, ot eöoxovv xa xov vo\iov yivcoöxuv, hötyQaylöüaL, xolg
öh jiiöxevovötv navxa ?]vecpx&cu, Bratke S. 27. Das Siegel ist
hier nicht als Mittel der Bestätigung, sondern des Verschlusses
gedacht. Trotzdem giebt Hippolyt auch Sätze, die mit Tertullian
sich wörtlich berühren.
Hippolyt : Tertullian :
sjisiör) yao jifo]QOJ[ia vofiov xal signata est visio et prophetia.
üiQCHprjTwv avxog üiaoi)v , 6 id est statuta. Et merito evan-
vofiog yao xal ol jüQOtyf/xat gelista: lex et prophetae usque
tojg Icoävvov, söst xa vjt exsc- ad Joannem baptizatorem. Bap-
vcov ZaZrjdsvxa ö(pQayl^£ö^at tizato enim Christo, id est sancti-
xal jz!r}oov6&ai. ficante aquas in suo baptis-
Daraufwird mit jähem Ueber- mate omnis plenitudo spiritua-
gang zum heterogenen Gedan- lium retro charismatum in
ken gesagt: allcog öh Iva hv Christo cesserunt, signante vi-
xfj xov xvqlov jiaoovöia jiavxa sionem et prophetas omnes
Zv&svxa (poixLGftfi xal xa söcpga- quas adventu suo adimplevit.
yiOfieva yvw6$r\vai fir} övva-
fisva evxoZcog ejiiyvmöfrrj,
Bratke 26.
Identisch ist die Erläuterung des ö(pQayiöat durch Luk. 16, 16;
aber auch das hier und dort zur Beschreibung Christi dienende
jtZrjQODfia: jih]QQD[ia vofiov xal jioo(prjxwv avxog üiagijv =
omnis plenitudo spiritualium retro charismatum in Christo cesse-
runt ist schwerlich Zufall.
4. Hippolyt und Julius. 21
Hippolyt: Tertullian:
avTOq yag ?]v rj rekelet G<poaylg quoniam ipse est signaculum
xal ?) xXelg -fj ex Javtö , 6 omnium prophetarura adimplens
avoiymv xal ouöelg xXeiei xal omnia, qnae retro etc.
xXeicov xal ovöeig avoiyei ').
Identisch ist der Satz avrog yag ?jv (eonv) tj öcpoaylg
(navxcov xeov jiqo<pt]tcov). Hippolyts „Schlüssel" fällt sofort
wieder in den ihm selbst näher liegenden Gedanken, dass Christus
versiegeltes öffne.
Da wir wissen, woher Tertullian seine Erklärung der Jahr-
wochen hat, werden hier drei kleine Fragmente des Chronographen
sichtbar. Er hat Jesus „das Siegel der Propheten" genannt, und
für die Erfüllung der Weissagung das Wort aus Lukas citirt
und wahrscheinlich auch Jesus selbst als jiX?']Qco[ia vofiov xal
jiQO(p?]Tcov bezeichnet, worin natürlich Mth. 5, 17 verwendet ist.
Nunmehr tritt auch exQiO&r) rrjv oäoxa reo rov jtarQÖg
avrov jivevfiari im Satz des Klemens mit Hippolyts: ayiog 6h
ayiwv ... Sc; jzaoo)v xal ejtiöeixvvg tavrov elvat rov xexQtö-
fievov vjio rov jtvevjiaxog xal elg rov xoöfiov djteözaXfievov,
26, 16 in Parallele, wie auch bei Tertullian das entsprechende
Glied nicht fehlt, da die plenitudo spiritualium bei der Taufe
Christi in ihn tritt, als er das Wasser „heiligte" (ayiog aylcov).
Auch die Kongruenz in der Erörterung über das ajzalelipai
aöixiag
Hippolyt : Tertullian :
xlveg de eloiv ol rag aöixiag dimissa sunt peccata quae per
avrrov et-iXaöxofievoi ei firj ol fidem nominis Christi omnibus
eiqxo bvo[ia avrov Jitörevorreg; in eum credentibus remittantur
wird nicht bloss auf Zufall beruhn, so wenig sie für sich allein
etwas beweisen würde.
Bei der Berechnung der Jahrwochen kommt in Betracht:
1) Hippolyt macht mit den 49 Jahren bis zum Tempelbau,
dem 1. Jahr des Darius und 20 Jahren der Babylonier die
70 Jahre des Exils voll: tcoq xqlötov ?]yoi\utvov eßöofiaöeg tjrra,
a löTiv errj TeoöeoäxovTa evvea' elxoorrZ yaQ xal jiqojtco exet
&ea>Qü ravra ev BaßvXSvi davujX. rd>v ovv TeOöegaxovra
1) Beachte die unmittelbare Verbindung dessen, was dem Chrono-
graphen gehört, mit dem Bibel wort.
22 Schlatter, Chronograph.
Ivvta txajv Ji(>og xm elxoÖTCO 'int ip/j<f iZouiror JtXrjQOVVtai
ißöofirjxovxa Ixii, ajtt.(t elQTpcev o (/axdyiog '/;(>; uic. 25, ~>.
Wenn der Chronograph vom ersten Jahr des Letzten Darius
aus rechnet, so hat er die 49 Jahre bis zum Tcmpdbau zu den
70 geschlagen und ebenfalls gerechnet:
Babylonier 20
Perser bis zum Tempelbau 50.
Hiezu ist die Rechnung Hippolyts zum mindesten eine
Analogie. Aber der Chronograph muss die 49 Jahre vor den
Meder gestellt haben, und dieser Schluss ist durch Tertullian
bestätigt worden; denn Ochus qui et Cyrus geht dem Darius
Medus voran. Das ergab eine Schwierigkeit. Der Text verlangte,
dass 7 + 62 + 1 addirt werden, und im ersten Jahr des Meders,
wo der Engel mit Daniel redet, war hienach der Tempel bereits
gebaut. Hippolyt ist desswegen vom Ansatz des Chronographen
abgewichen und lässt die 49 Jahre auf das 1. Jahr des Meders
folgen, verzichtet nun aber auch auf eine ins einzelne gehende
Ausrechnung.
2) Für Hippolyt giebt es bloss 4 Perserkönige: Tlxi tqüc,
(p7]6i (Dan. 11, 2), ßaotlüg dvaöxr/öovxac hv xjj üagoldi xal 6
xixagxog jtXovxtjösl jzXovxov fiiyavu xal yeyevrjxai' ftexd ydg
Kvqov äveöTt] JaQBlog, tJieixa 'A^xat-SQ^jg. xgelg ovxoi ysye-
vrjvxai ßaötXelg' JiSJiÄrjQcoxai 7] yQa(pr). „xal o xtxaqxog jiXov-
X7]08t Jilovxoi^ ueyav" xlg ovxog aXX* r] AaQelog og ßaöiXsvöag
xal evöo^og yevrj&elg ejiXovxrjöe xal tnaviöxrj jtdoaig ßaoiXtlaig
cEXX?]vwv; xovxco dvtoxrj^AXi^avÖQog o Maxsöwv, vlog <PiXljijzov
yeyovcog, xal xadelXe xo xovxov ßaolXscov, 32, 11.
Damit kommt Hippolyt mit sich selbst in Widerspruch; denn
wenn das 1. Jahr des Meders das 21. seit dem Tempelbrand
ist, so hat Cyrus nicht vor, sondern erst nach dem Meder Platz.
Auch müssen wir die pg. 4 (Bratke) genannten Ziffern: 230 Jahre
für die Perser, nach einem „jemand" sogar 245 Jahre, völlig ver-
gessen. Es lässt sich aber nicht mehr rekonstruiren, wie die
Liste beim Chronographen stand, falls er überhaupt hier ins
Detail gieng. Bei Tertullian sind nur 3 Perserkönige erkennbar:
Cyrus-Ochus, Arses, Darius, und die Ziffern fügen sich nicht in
das Schema der 49 Jahre. Dagegen steht Hippolyts letzter Darius,
der den Gipfel der persischen Macht bezeichnet: ejtavtoxrj jrdoaig
4. Hippolyt und Julius. 23
ßaoiXsiaiQ 'EXlrjv&v, dem Meder jedenfalls näher als dem ko-
domannus.
3) Trotz der langen Ziffern: Perser 230, Griechen bis zu in
Anfang des Augustus 300. sagt Hippolyt: die 62 Wochen enden
mit der Gegenwart Jesu. Er fasst diese aber im Unterschied
vom Chronographen als deren Ende. Die Rechnung hat für ihn
keine eschatologische Bedeutung mehr. Die Nähe der Parusie
giebt er mit Bewusstsein auf. Er weist warnend auf die schwär-
merischen Erg 3e der Erwartung hin und stellt nach der
6000jährigen Weltwoche fest, dass zwischen Christi Geburt und
der Parusie 500 Jahre liegen. Dennoch
4) weissagt die letzte Woche das Ende. Sie beginnt mit
«K-r Erscheinung Elias und Henochs und hat in ihrer Mitte die
Herrschaft des Greuels der Verwüstung, d. h. des Antichrists.
Auch das ist eine gemischte Vorstellung. Die eschatologische
Deutung des Ganzen wirkt, auch nachdem die Ziffer nicht mehr
eschatologisch verstanden ist, noch nach, und reisst die letzte
Woche vom übrigen ab und stellt sie in die Zukunft hinaus.
Fraidl pg. 74 hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Be-
ginn der letzten Woche mit Elias Wiederkunft, was auch Apolli-
naris giebt, an das övvccfiocxjei 6ia\)7jx?jv jwÄZolq tßöofiac, [iia
denken wird. Allein schon bei Hippolyt steht der Satz ohne
seine exegetische Basis als fertiges Dogma. Bei Klemens hören
wir gar nicht, wie die „Stärkung des Bundes" sich vollzieht.
Welcher Exeget hat zuerst das dvvaficoöai diafrr]?c?]v als Elias
erk beschrieben? Es setzt sich hier ein jüdisches Element mit
auffallender Kraft im Zukunftsbild der Väter fort. Doch ist der
Ansatz: zu Anfang der Woche Elia, in der Mitte der Antichrist,
am Ende der Christus, bei unserm Chronographen nicht denkbar,
da er schon mitten in der letzten Woche steht.
Julius ist mit Hippolyt im wesentlichen eins:
1) Luk. 16, 16 dient auch ihm zur Erläuterung des 0(pQaylöai
ogaoiv. ogaotig re xal jiQO(p?jT8lcu f(ty()ic Icoävvov, yQisrat öl
ayioq ayicov. Eus. dem. 8, 2.
2) Die 490 Jahre laufen nicht vom Beginn des Exils, son-
dern von der Vollendung der Stadt an. Da aber Julius eine
vollständige Perserliste hat und eine genaue Rechnung erstrebt,
zieht er das 20. Jahr des Artaxerxes aus Nehemia heran.
3) Die 400 Jahre enden im 15. Jahr des Tiberius. Julius
24 Schlatter, Chronograph.
hat mit der Jahrwochenrechnung auch den Ansatz des Ohrono-
graphen für die Wirksamkeit Jesu aufgenommen. Bei Hierony-
mus zu Daniel 9 steht direkt: usque ad annum quintum deeimum
Tiberii Caesaris quando passus est Christus. Bei Euseb stehl
das 16. Jahr des Tiberius, was auf der Erwägung beruht, dass
der Tod Jesu über sein Lehrjahr hin ausreiche. Wir brauchen
uns hier nicht mit den spitzigen Schwierigkeiten abzumühen,
welche die Wiederherstellung der Einzelheiten der Rechnung des
Julius drücken1); für uns genügt die Thatsache, dass das 1T>. Mi.
Jahr des Tiberius als Todesjahr Christi nicht nur durch Ter-
tullian, sondern auch durch Julius als Bestandtheil der Jahr-
wochenrechnung überliefert ist.
4) Dennoch hat Julius die letzte Woche eschatologisch ge-
deutet. Denn Hieronymus hat aus Apollinaris erhalten, dass
er seine Beziehung der Jahrwochen auf die Zeit zwischen Christi
Geburt und derParusie desswegen aufgestellt habe, quia Africanus
ultimam hebdomadem in fine mundi esse testetur, nee posse
fieri, ut junetae dividantur aetates. Es ist nicht richtig, wenn
Fraidl diess als eine andere Berechnung der Jahrwochen neben
die frühere stellt. Die Sache wird sich genau so wie bei Hippolyt
verhalten. Die Rechnung geht nur auf Christi Tod; aber das
Ende der Weissagung wird von der Rechnung vollständig ab-
gelöst in die Zukunft hinausgestellt.
Dass Julius aus Hippolyt, Hippolyt aus Julius schöpfe,
scheint mir ausgeschlossen. Wir bedürfen einen altern Exegeten,
der ihre Uebereinstimmung erklärt und zugleich auch Tertullian
mit umfasst. Ich glaube dieses Problem als gelöst bezeichnen
zu dürfen. Julius und Hippolyt haben sich gleichmässig durch
den Chronographen sagen lassen, dass Daniel mit dem gesalbten
Allerh eiligsten Jesus weissage. Damit war beiden das Mittel
gegeben, durch welches die unhaltbar gewordne Rechnung sich
umbilden Hess: die Ziffer weissagte nicht Jesu zweite, sondern
die erste Ankunft. Hippolyt bleibt darin näher beim Chrono-
1) Es handelt sich bekanntlich immer um eine Differenz von 2 Jahren
in den Berichten. Geizers Lösungsversuch: egyptische Jahre und julia-
nische Jahre, lässt mir viele Zweifel. Hängt die Konfusion etwa an den
2 Jahren Sems? Geizer hat sie mit dem Syncell gestrichen; vielleicht hat
sie Julius gehabt. Ihr Wegfall müsste Korrekturen durch das ganze
System hindurch zur Folge gehabt haben.
5. Eusebs Juda. 25
graphen, dass ihm die Erscheinung Jesu als das für die 62 Wochen
bedeutsame gilt, während Julius die ganze Summe für sie braucht.
Dieser bleibt andrerseits darin beim Chronographen, dass er den
Bau der Stadt und des Tempels vor die Summe setzt, während
Hippolyt sie in dieselbe eingerechnet hat.
5.
Eusebs Juda,
Trotz alledem soll die Beziehung der Jahrwochen auf die
Parusie nach der traditionellen Meinung noch bis ins dritte Jahr-
hundert fortgesetzt worden sein. Denn Euseb sagt h. e. 6, 7: ev
Tovrcp xal 'lovöag övyygacpimv tTegog elg Tag jtaga reo JavirjX
eßöofiijxovTa tßöofiäöag tyygacpmg öiaZex&Hg tjtl ro öixaxov
r?jg Seßr'tQov ßaöiZelag löttjöc t?]v ygovoygayiav , og xal rrjv
frgvAovfiwrjv xov ävriXQiOTOv jiagovölav rfir\ tote jtZrjöcccL.siv
coero' ovtüj öcpoögwg r tov tote xa& micov öicoyfiov xivrjOig
rag twv nollmv ävctTSTCcgccxei ötavolag.
Zu einem verständlichen Text eine Konjektur zu machen,
wäre ein thörichtes Geschäft. Was aber hier berichtet ist, ist
nicht verständlich. Schürer hat meine lebhafte Phantasie ge-
rühmt; aber trotz aller Lebhaftigkeit derselben vermag ich mir
nicht vorzustellen, wie Juda a. 202 mit der Zahl 490 die Nähe
der Parusie bewies. Wie weit man im 10. Jahr des Severus
vom Anfang des Augustus entfernt war, wusste man in der
Kirche. Es blieben dem Rechner noch circa 250 Jahre; d. h.
er kam mit den Jahrwochen nicht mehr zum grossen Alexander
hinauf. Da aber kein Erklärer Daniels die Perser streichen
konnte, müsste er die Griechen unsinnig verkürzt haben. Und
doch war es für einen Chronographen keine entlegne Wissen-
schaft, dass zwischen Alexander und Augustus 300 Jahre stehu.
Zumal wenn er auf seinen Satz eine so gewichtige These baut,
wie den Mahnruf an die Kirche: der Herr ist nah!
Es ist viel thörichtes über die Jahrwochen in der alten Zeit
gesagt worden; und doch macht schon das bisherige deutlich,
dass diejenigen, welche wirklich rechneten, ernsthaft gerechnet
haben und die gegebnen Zahlen benutztem Der Chronograph
bringt seinen Alexander annähernd richtig auf 320 und Julius
hat sich mit seinen ..Mondjahren" redlich mit ernsthaften Zahlen
26 Sehlatter, Chronograph.
abgemülit. Wo unbesonnen« jagt wird, wird auch nicht
selbständig gerechnet. Tertullian hat bloss an der ihm vor-
liegenden Rechnung gewaltsam herumkorrigirt, und Hippolyi
hat, auf seinen Vorgänger gestützt und ohne selbst zu rechnen.
leichthin gesagt: 434 Jahre sind es, bis Christus kam. Hier soll
aber einer den Text Daniels auslegen und durch eine Rechnung
den Beweis für seine These geben, und dennoch ins dritte Jahr-
hundert hinunter gelangen.
Auch Euseb hat sich über die ihm vorliegende Notiz ver-
wundert und die Sache durch die Verfolgung unter Severus
entschuldigt. Dieser Grund erklärt nichts und beweist nur, dass
Euseb das Buch nicht kennt. Keiner von den andern, die mit
Juda die Noth unter Septimius mit erlebt haben, hat desswegen
die Jahrwochenrechnung erneuert, nicht einmal Tertullian, noch
weniger Klemens oder Origenes oder Hippolyt oder Julius. Wie
man nach Hadrian in der Synagoge die Jahrwochen verstand,
zeigt die Tosefta: 420 Jahre stand der nachexilische Tempel,
natürlich mit 70 die Ziffer Daniels, Zuckerm. pg. 499, 2 l). Und
doch war wahrhaftig für die Rabbinen der Tempelbrand nicht
das Ziel der Weissagung.
Wer erwiedert: Euseb sage nicht, Juda habe aus den 490
Jahren die Nähe des Antichrists erwiesen, sondern setze lediglich
die beiden Thatsachen neben einander: Juda habe von den 490
Jahren gehandelt und den Antichrist in seine Zeit versetzt, schafft
wieder eine Unverständlichkeit. Hat Juda auf die eschatologische
Fassung der Jahrwochen verzichtet und nachgewiesen, dass sie
schon längst zu Ende sind, so stellen sich die beiden Zwecke seines
Buchs quer gegen einander und heben sich gegenseitig auf. Mit
der Beziehung der Jahrwochen auf Jesu Leben machen sich
Julius und Hippolyt Raum zu dem Satz, dass die Welt noch
einige Jahrhunderte stehe. Auch wenn man die eschatologische
Fassung der letzten Woche beibehielt, so liess sie sich doch
nicht mehr zu einer Weissagung über die Nähe der Parusie
verwenden. Denn nachdem die letzte Woche von den übrigen
getrennt war, konnte man über das Mass dieser Distanz aus
1) Ebenso der Seder Olani. Vgl. auch den Rabbinen des Hierony-
nms zu Daniel 9 : 62 Jahrwochen bis zum jüdischen Krieg, 49 bis Hadrian,
und zweimal 372 Jahre für die beiden Kriege. Die 3V2 Jahre stehn auch
im Talmud für den Krieg Hadrians = l/2 Woche Daniels.
5. Eusebs Juda. 27
490 nichts mehr ableiten. Soll »Inda zuerst bewiesen haben,
dass die Jahrwochen nichts über das Weltende offenbaren,
und hernach es dennoch geweissagt haben? Wer es weissagt,
der hat nur einen Zweck, den, seine Weissagung glaubhaft zu
machen und mit dem Zeugniss der Schrift zu bewähren, und
da Juda dieselbe mit der Erörterung der Zahl 490 verband,
so hat er seinen Satz nicht trotz derselben, sondern wegen der-
selben aufgestellt.
Wollen wir ..Zeichen der Zeit" suchen, die seinen Gedanken er-
läutern, so böte der Judenkrieg in Palästina unter Severus vielleicht
eine kräftigere Erklärung für seine Weissagung als die Christen-
proc auf welche sich Euseb beruft. Das von Euseb ge-
nannte Datum fällt nahe zusammen mit der Gründung von Dios-
polis, Eleutheropolis und Nikopolis, und wenn die Juden zu
den Waffen griffen und die blutigen Scenen in Palästina sich
erneuerten, gähren regelmässig auch die messianischen Erwar-
tungen. Allein mit alledem gewännen wir noch keinen Einblick
in das mysteriöse 490, wie es bei Juda stand.
Ist es denn wirklich eine „unmögliche" Konjektur, die uns
hier hilft? Euseb las bei Julius: jivrcovivov und deutete das
auf Severus; alles andere bleibt sammt dem zehnten Jahr.
..Warum sollte nicht ein Chronist", hat Harnack, Geschichte
der altchristlichen Litteratur 756, erwiedert, „im 10. Jahr des
minus und ein andrer im 10. Jahr des Septimius die Jahr-
wochen Daniels ausgelegt haben? natürlich beide in der Ueber-
zeuo'uno\ dass man bereits am Ende der Zeit stehe." Allein da-
mit scheint mir die Besonderheit des Problems etwas verwischt.
Kommentare zu Daniel, wie sie in der Kirche seit Hippolyt ge-
schrieben worden sind, mögen in jedem Jahr in ungezählter
Menge denkbar sein; aber die beiden Rechner des 10. Jahrs
haben beide geweissagt, und diess sehr präcis. Kam es in der
alten Kirche so häufig vor, dass man die Parusie des Herrn
chronologisch fixirte? Ich weiss keinen dritten Fall; denn Montan
gehört nicht hierher, da er nicht mehr in der Kirche steht und
sich nicht auf Exegese, sondern auf Inspiration und eignes
Prophetenthum berief. Unsre beiden Rechner sind in kirchlichem
Ansehen geblieben, und nun ist es doch eine seltsame Sache, dass
das Schlussjahr beider nicht in der Jahrzahl, sondern nur im
Kaisernamen differirt, und dass mit dem einen Kaisernamen die
28 Schlatter, Chronograph.
Rechnung vollständig durchsichtig, mil dem andern zum absoluten
Geheimniss wird.
Die Korrektur von 2JeßrjQov ist um so mehr erlaubt, weil
der Schlusssatz Eusebs zeigt, dass er sich über die Sache seine
Konjekturen macht. Ihm war es glaublicher, dass jemand in
einer schweren Kampfeszeit etwas so thörichtes behauptet habe,
als in einer stillen Periode wie diejenige Antonin s. Er übt an
Juda Kritik; meine Antikritik gegen dieselbe steht auf dem
Faktum, dass einer in der Friedenszeit des Pius genau das that,
was Euseb durch die Nothzeit unter Severus erklären zu müssen
glaubt.
Euseb redet vom Antichrist, während die Sätze des Klemens
nichts über denselben geben. Aber kein Erklärer Daniels, dem
dessen Zahl noch in die Zukunft zielte, kam um das „kleine
Hörn" herum. Da die Parusie für ihn noch 3 Jahre ausstand,
muss es für ihn buchstäblich wahr gewesen sein: zrjv roc dv-
xiXQi6xov jtaQovötav ?}öfj tote jtkr/oiä&iv (Jjsto. Es sieht auf
den ersten Blick auffallend aus, dass gerade die Weissagung
des Antichrists als für das Buch charakteristisch hervorgehoben
wird. Warum wird nicht vielmehr von ihm berichtet, dass er
den Christus weissagte? Die Rechnung des Chronographen macht
diess deutlich. Er stand vor der letzten halben Woche; so muss
in der That der Zweck seines Buchs gewesen sein, der Kirche
zu sagen, dass jetzt unmittelbar der Antichrist erscheine und
die grosse Versuchung komme.
Auch der jüdische Name fällt ins Gewicht. Denn die 50
Jahre zwischen Antoninus und Severus haben für die Betheiligung
der jüdischen Leute an der Kirche und ihrer Litteratur viel be-
deutet. Wo treten um 200 noch Juden als Schriftsteller in der
Kirche auf? Während jüdische Männer im 10. Jahre Antonins
noch angeselme Glieder der Kirche waren. Der Ausleger Daniels
aus Antonins 10. Jahr theilt sein Judenchristenthum mit Hege-
sipp, vermuthlich auch mit Papias; mit wem theilt es derjenige
im 10. Jahre Severs?
6.
Der Bischof Juda.
Epiphanius haer. 2, 66, 20 giebt die Bischofsliste Jerusalems
in folgender Gestalt:
6. Der Bischof Juda.
29
Euseb h. e. 4, 5. 3. 12, 1.
'Iaxcoßoq 6 §vXq> JtXrjyelg ev 'laxmßog 6 rov xvqiov Xeyo-
%QOOoXvfioiq tfiaQTVQTjös fievoq aösXpog.
itr/oi XtQcovoc.
Svfiswv tm TQaiavov torav- Svfiewv.
QC0&7].
\lovöag. 'iovGTOq.
Zayaqiag. Zaxyaloq.
Twßlag. Tojßiaq.
Herta [UV. Bsv Lactiv.
'[cqccvvijq ecog öexaervea tTovq Icoavvrjq.
TQaiavov.
MatMaq. MaxMaq.
<I>iXi7iJtoq. <PlXuiJioq.
Ssvexäg. Sevexag.
'lovOTOq ecog 34.6ql<xvov. Iovötoq.
AsvIj. Aevlq.
Ovayoiq. 'EyQJfi.
7cooL. *Ico6r/<p.
'iovöaq ftr/QLq evöexaTovÄvToo- 'iovöaq fieyQi TVS xaxa 'Aögia-
v'ivov ovtoi de ajib jzeoiTO- vbv 'iovöaioov jtoXcooxlaq.
ur\q ejreoxojtevöav rfjg 'leoov-
oalrjfi, e$ e&voov de ovtoi.
Maoxoq. Maoxog.
Kaööiavog. Kaööiavbg.
UovjtZioq. HovjiXiog.
Magiftoq. Md^i{uog.
louXiavbg, ovtoi JtavTeg {ISXQI lovXiavbg.
dexctTov eTOvg 'ävTcovivov
ecoeßovg 1).
Die Liste ist mit derjenigen Eusebs identisch, ist aber
von Epipbanius nicht Euseb entnommen, weder der Kirchen-
geschichte, noch dem Chronikon, und ist bei Epiphanius auf
Antonius 10. Jahr datirt, und diess in ihren beiden Reihen, der
judenchristlichen und der heidenchristlichen. Alle Klagen über
1) Von nun an folgt je beim dritten Namen ein Datum: 8. des Verus,
20. des Verus, Commodus; von nun an treten die Kaisernamen regel-
mässig an.
30 Schlatter, Chronograph.
die Konfusion bei Epiphanius, der schon Judas bis zum 11. Jahr
Antonins reichen lasse und dann nochmals beim 5. heidenchrist-
lichen Bischof beim 10. Jahr Antonins anlange, sind Lediglich
Missverständniss. Es gab nach unsrer Liste in Jerusalem zuersl
nur beschnittene Bischöfe, dann neben den Bischöfen der Be-
schnittenen auch Bischöfe der griechischen Christen. Warum
beide Reihen bis zum 10. Jahre Antonins herabgeführt sind, wird
durch das bei Klemens erhaltene Fragment vollständig erläutert:
hier schloss der Chronograph.
Aber auch der Inhalt der Liste sichert ihr ein hohes Alter,
da, wie schon Gutschmid richtig hervorhob, der Chronograph
seine Episkopen nicht in eine fortlaufende Reihe stellt, sondern
mehrere gleichzeitige Episkopen aufführt. Nachdem wir schon
mit Symeon zu Trajan hinabgelangt sind, stehen wir mit dem
fünften folgenden Namen wieder bei Trajans 19. Jahr, und er-
halten von Hadrian, wo doch wohl an die Katastrophe Jerusa-
lems gedacht ist, bis zum 10. Jahr Antonins weitere 4 Namen.
Dass vollends die heidenchristlichen und die judenchristlichen
Episkopen neben einander gesetzt sind, sagt die Liste selbst.
Seit aber der monarchische Episkopat kraft göttlichen Rechts
als wesentlicher Bestandtheil der kirchlichen Verfassung galt,
war es unvermeidlich, dass die Bischofslisten von den Aposteln
her nach monarchischer Succession redigirt worden sind. Euseb
kann sich nicht einmal mehr judenchristliche und heidenchrist-
liche Episkopen gleichzeitig denken, und lässt darum Juda nur
bis zur Gründung von Aelia reichen und macht Markus zu dessen
Nachfolger. Das steht auf derselben Stufe wie sein naives xo-
fiLÖrj ßQaxvßioi, 4, 5, 1. Wer irgendwie zusammen fungirende
Episkopen nennt, reicht in die erste Hälfte des zweiten Jahr-
hunderts zurück 1).
Diese Liste ist judenchristlich, nicht nur dess wegen, weil
sie über Jerusalem sachkundig berichtet, sondern noch mehr
1) Wie sich diese Kooperation vollzogen hat, steht dahin. Nicht
einmal für die Frage, ob die nach Hadrian stehenden judenchristlichen
Bischöfe noch in Aelia selbst zu denken sind, liegt mir eine Instanz vor,
die ein Urtheil ermöglichte. Es hängt von der Frage ab, wie Hadrian und
seine Beamten den Unterschied zwischen den Juden und Judenchristen
beurtheilten. Nur das darf als gewiss bezeichnet werden, dass die Juden-
christen sich nicht am Krieg betheiligt hatten.
6. Der Bischof Juda. 31
desswegen, weil ihr die heidenchristlichen Bischöfe von Jerusalem
keineswegs ohne weiteres die Erben und Nachfolger der juden-
christlichen Reihe sind. Diese Setzt sich vielmehr neben jenen fort.
Auch die beiden andern Daten verdienen Beachtung: Jo-
hannes bis zum 19. Jahr Trajans, Justus bis Hadrian. Das
19. Jahr Trajans führt uns zum Ende seiner Regierung, d. h.
zum grossen Judenkrieg. Durch Sota 9, 14 ist der „Krieg des
Quietus" historisch völlig gesichert, und zwar für Palästina ').
Wer in der Succession: Vespasian, Quietus, Hadrian, das mitt-
lere Glied auf das Unglück der babylonischen Diaspora bezieht,
erklärt nicht vom Standpunkt der Rabbinen aus. Die Mischna hat
das, was jüdische Gemeinden draussen betrifft, mag das Unglück
auch schrecklich sein, nicht mit dem koordinirt, was dem Tempel
und der heiligen Stadt angethan wird. An die Vernichtung der
Alexandrinischen Judenschaft, die ein furchtbares Ereigniss
war. haben sich in den Talmuden bestimmte Erinnerungen er-
halten, aber das ergiebt nicht einen Krieg, der mit den Tempel-
/« Störungen des Titus und Hadrian verglichen würde. Haben
aber unter Trajan kriegerische Wirren in Palästina stattgefunden,
von denen Jerusalem nothwendig mitbetroffen wurde, so hat die
Erwähnung des 19. Jahrs Trajans denselben sachkundigen Sinn
wie diejenige Hadrians. Die Kriege unterbrachen regelmässig
den Bestand der Gemeinde Jerusalems und nöthigten die Christen-
heit und ihre Episkopen zur Flucht.
Auch zur Bischofsliste giebt Klemens eine Parallele, leider
nur mit dem durch Euseb erhaltnen Fragment aus den Hypo-
typosen h. e. 2, 1, 3: Kfo'/fir/g 6h h> txrco tcov ^YjtorvjtCDOecov
ygaqxjw oode JtaQLOTtjOC IltrQOv ydg (prjöi xaVlaxcoßov xal 'Iwav-
vrjv fiera ttjv avaX?jipiv xov öwrrJQog, wöäv xal vjto rov
XVQIOV JtQOTSTlf/7j(4tVOVC, //// tJlldlxätsOfrcci Öo^jQ, <xl)? 'iäxwßoV
rbv dixaiov huzloxonov 'JeQOGoZvfiwv ilto&ai. Wer sagt das?
1) Schürer hat gegen die Benutzung der rabbinischen Aussagen für
die Geschichte des zweiten Jahrhunderts bündig erwiedert: „spät rabbi-
ne Legenden". Der kritische Standpunkt, den er einnimmt, ist nicht
haltbar. Er zieht sich auf die Mischna zurück, und wirft alles übrige
weg. Aber in den Kommentaren zur Mischna und auch in den exegetischen
Sammlungen steht mancher Satz, der älter als die Redaktion der Mischna
Die Unterscheidung zwischen Legende und Geschichte dürfte auch
auf diesem Gebiete keineswegs unmöglich sein.
32 Schlatter, Chronograph.
Wäre der Satz des Klemens in die indirekte Rede umgesetzt,
würde diess anzeigen, dass Eusrb das Citat nicht selbst ans den
Hypotyj)osen nimmt. Citirt er Klemens direkt, dann hat sich
Klemens auf einen altern berufen, der die Wahl des Jakobus
durch die drei Hauptapostel berichtet hat. Da Klemens unsern
Chronographen gelesen hat und da derselbe den Episkopat des
Jakobus giebt, fände sich zu diesem <p?]6i ohne Zwang ein Subjekt.
Da die Liste Epiphanius und Euseb mit ihrer Fortsetzung
vorlag, giengsie durch einen spätem Chronographen durch. Euseb
hebt es als etwas besonderes heraus, dass er für dieselben keine
Zahlen finde. Andre Bischofslisten waren ihm mit Zahlen über-
liefert, diese nicht. Der ältere Chronograph, auf dem Euseb in
allen diesen Dingen steht, ist Julius, und da sich ohnehin schon
ergeben hat, dass Julius seinerseits auf unserm Chronographen
steht, so ergiebt sich auch nach dieser Seite keine Schwierigkeit.
Während die Liste der heidenchristlichen Bischöfe beim
10. Jahre Antonins endet, wie die Chronographie, reicht der
Bischof Juda bis zum 11. Jahr. Warum? Ich erkläre diess so: der
Erklärer Daniels aus Antonins 1 0. Jahr ist Juda, und Julius hat
sich mit verständiger Ueberlegung gesagt: ein Mann, der das
10. Jahr noch in seine Chronologie einbefasst, hat nothwendig
das elfte noch erlebt, während er für den heiden christlichen
Bischof keine Angabe hatte, die über das 10. Jahr hinausführte.
Er war bei Juda noch genannt, aber sein Bericht schloss mit
dem 10. Jahr. Das ist die nüchterne, ehrliche Weise des Julius,
der nicht mehr sagt, als er weiss.
Drei Dinge sind uns überliefert:
1) Dass eine weissagende Erklärung Daniels ihr Schlussjahr
im 10. Antonins besass.
2) Dass ein Juda eine weissagende Erklärung Daniels schrieb
mit dem Schlusspunkt: 10. Jahr (Severs?).
3) Dass das 11. Jahr Antonins das letzte für den Bischof
Juda überlieferte war.
Ich sagte in der Topographie: „vielleicht ein Zufall"; Har-
nack antwortete: „sehr wahrscheinlich ein Zufall"; ich glaube
nicht, dass die Sache damit erledigt ist.
Wir stehn erst in der Mitte des Jahrhunderts, wo der An-
theil der Laien an der Litter atur der Kirche noch ein geringer
ist. Die apologetische Litteratur war ihnen allerdings offen.
6. Der Bischof Juda. ;j;;
weil dieselbe litterarisches und philosophisches Wissen erforderte.
Wer das besass, mochte dieser missionirenden Aufgabe sich wid-
men. Unser Buch gehört aber nicht zur apologetischen oder
gelehrten Gattung, sondern zur Verwaltung des „Worts" im inten-
sivsten Sinne. Dazu bedurfte es in der alten Kirche einer Voll-
macht, und nicht bloss litterarischer Betriebsamkeit. Wer hat
sich für berufen erachtet, der Kirche das Geheininiss Daniels
auszulegen, und sie daran zu erinnern, dass die von ihm gesetzte
Frist nun unzweifelhaft abgelaufen sei? Ein Laie? Nach aller
Analogie lässt sich nur sagen: ein Bischof. Das gälte selbst
noch für das 10. Jahr Severs. Bis auf bestimmtes Gegenzeugniss
rnuss der weissagende und auslegende Juda unter dem Klerus
gesucht werden. Durch Kleraeus wird er aber in dasselbe Jahr
gestellt, wo in der That der Bischof Juda steht. Dieser Schluss
hat noch mehr Gewicht, weil das Buch aus der jüdischen Christen-
heit hervorgegangen ist, wo das Autoritätsbewusstsein vollends
entwickelt war und die „Alten" allein das Wort führten.
Das Buch besass in seinem Inhalt ein schwerwiegendes
Gegenzeugniss gegen seinen Werth. Seine Weissagung wurde
sofort durch den Gang der Dinge widerlegt und seine Aus-
legung Daniels unbrauchbar. Dennoch hat sich das Buch ein
Jahrhundert lang erhalten und zählt unter seinen Lesern: Kle-
mens, Tertullian, Hippolyt, Julius, — ich füge noch bei: Theo-
philus von Antiochien und Origenes. Das ist ein ansehnlicher
Leserkreis! Dass es namenlos gewesen sei, ist mir nicht glaub-
lich. Dass ihm der Anstoss an seinem Inhalt dennoch die
Autorität nicht raubte, deutet darauf, dass es durch einen an-
gesehnen Namen gehalten war. Stammt es von Juda, der noch
zur Urgemeinde gehört hatte, so ist es nicht unbegreiflich, dass
es noch ein Jahrhundert lang mit Ehrfurcht behandelt worden ist.
Endlich dürfen wir auch nicht vergessen, dass Julius das
Buch „eines Verwandten Jesu" gelesen hat, Brief an Aristides
Eus. 1, 7, 11. Weder Spitta, noch Geizer Jul. Afr. 1, 259 haben
dieser Nachricht ihr Recht gewährt: rov yäo öojrrJQog ol xard
öuQTca övyytvtlc. elx ovv (pavT/r icövx &g eid-' djrlcog exöcödoxor-
rsg, jtdvrcog öh dhjOtvovrsg, jiaotöoöav ravra, cog °Idov(iaioi
Z?]oral etc.; es folgt die Erzähluug von der Herkunft Antipaters
aus Askalon. Trotz des generischen Plurals ol ovyytvelg ist hier
von einem Buch die Rede, das natürlich nur einen Verfasser haben
Texte u. Untersuchungen XII, l. 3
;;,j Schlatter, ( hronograph,
kann, der aber für Julius als Vertreter and Erbe der in Jesu
eigner Familie vorhandnen Traditionen gilt. Das nagidocav Lsi
nicht Präsens, sondern etwas fertiges, also schriftlich vollzogenes,
wie wir denn von „Verwandten Jesu" im dritten Jahrhundert
nichts mehr hören. Was Geizer sngte: „im günstigsten Fall
könnte die Tradition in letzter Linie auf die Juden christlichen
Bischöfe von Jerusalem zurückgehen, welche bis zur Gründung
von Aelia Kapitolina den dortigen Stuhl inne hatten," bedarf
einer kleinen Vereinfachung: das Buch, welches Julius citirt,
ist von einem der letzten Juden christlichen Bischöfe geschrieben.
Man sollte denken, nachdem dasselbe bis ins dritte Jahr-
hundert fortbestand, hätte es sich bleibend forterhalten, und
ringsum grosse Ehrfurcht erweckt. Scheinbar ist Julius der
einzige, der diesen Verwandten Jesu befragen kann, und nach-
her verstummt die Erinnerung an ihn total. Euseb hat nichts
von ihm gewusst. Ich denke, dieses Räthsel ist gelöst. Nicht
dass Judas Weissagung verschwand, sondern dass sie sich noch
bis ins dritte Jahrhundert erhielt, bedarf der Erklärung, und
rov öcorrjQog ol xara oäoxa OvyyevsTg spricht aus, warum er
sich bis ins dritte Jahrhundert zu erhalten vermochte: er galt
als ein Zeuge der ältesten christlichen Tradition.
Da wir von diesem Verwandten Jesu nur ein historisches
Bruchstück haben, sieht es aus, als hätte er sich der Geschichts-
forschung gewidmet, und doch wird man von einem „Verwandten
Jesu" zunächst, ein lehrhaftes oder mahnendes Wort an die Kirche
erwarten. Wir haben aber auch vom Chronographen bereits
historische Mittheilungen erhalten, und wissen, welchem parä-
netischen Zweck sie dienten und warum er für denselben histo-
rische Beweisführungen verwendete.
Der Chronograph sprach von der Regierungsdauer der Ptole-
rnäer und Cäsaren, vom Jahr der Geburt Jesu, vom Census: kann
Herodes dabei gefehlt haben? Der Verwandte Jesu hob seine
heidnische Herkunft hervor. Wenn Julius diess nachher in
Beziehung zu den Geschlechtsregistern bringt, welche die Ö£-
öJtoövvot verfasst haben, trotzdem Herodes dieselben vernichtet
hatte, so ist die Erzählung über Antipater für diesen Zweck
etwas ausführlich. Nachher waren auch noch die Tetrarchen
erwähnt, so dass der Verwandte Jesu eine Uebersicht gegeben
zu haben scheint über die regierenden Herodier. Der Gedanke,
6. Der Bischof Juda. 35
dass Herodes „den Herrscherstab von Juda weggenommen" und
heidnisches Regiment in Jerusalem aufgerichtet habe, bildet
wegen Gen. 49, 10 ein ständiges Glied im Weissagungsbeweis
(Justin, Origenes, Euseb etc.). Der Nachweis, dass die Macht
und der Glanz des Herodes keine Erhöhung Israels, vielmehr
dessen Unterdrückung durch einen fremden Tyrannen bedeutet
habe, konnte darthun, wie in der That Jesu Kommen nach
Daniels Weissagung „das Gesicht und den Propheten besiegelt"
und den Anfang des Gerichts über Juda gebracht habe.
Nun beruft sich schon Justin gegen Tryphon, 52, bei der Be-
sprechung von Gen. 49, 10 auf ein jüdisches, d. h. doch wohl
judenchristliches Buch, nach welchem der Herodes der Leidens-
geschichte ein Askalonite und Hohepriester gewesen sei.
Der Satz Justins ist sehr unbesonnen und gerade desswegen
von kritischer Wichtigkeit: xal yaQ ^Hqcqötjv a<p ov ejtad-sv
AoxaXcovlrrjv ysyovtvat Xtyovrsg, ofimg sv reo ytvu v/licqv ovtcc
Xeysrs a.Q%i£Qta. Möglich, dass sich Justin seine historischen
Vorstellungen durch den falschen Petrus hat verderben lassen;
doch genügt derselbe zur Erklärung dieses Satzes nicht. Denn
dass Herodes Hohepriester gewesen sei, hat der falsche Petrus
schwerlich gesagt. Der Verwandte Jesu klart alles auf; denn der-
selbe hat in der That von einem Herodes, der Askalonit und
Priester war, gesprochen. Justin vermengt ihn in konfuser Er-
innerung mit dem Herodes der Leidensgeschichte. Indem aus
Herodes der „König" wurde, wurde er gleichzeitig statt Priester
in Askalon Hohepriester in Jerusalem.
Jedenfalls stellt Justin fest, dass die Erzählung des Ver-
wandten Jesu nicht jünger als der Chronograph sein kann.
Endlich was heisst bei Julius; eir ovv (pavrjTLmvrSQ, zlt)'
ajtZcog txöiödöxovzec, jzavTCQg 6h cu/j&svovTeg? Julius will nicht
versichern, dass sein Gewährsmann „bloss lehrt", wenn er von
Antipater erzählt. Die Mittheilungen dieses Mannes können auch
etwas anderes und grösseres sein; d. h. der Mann gilt ihm als
Prophet. Desshalb besinnt er sich, ob seinem Zeugniss die ge-
bührende Ehre gegeben sei, wenn es als ein ajtXmc exöidaöxsip
aufgefasst wird. Der Inhalt desselben spricht allerdings dafür,
dass er hier nicht aus besondrer Erleuchtung rede; da er aber
sonst solcher theilhaft ist und sich die Grenzen derselben nicht
ausmessen lassen, kommt auch einer solchen Aussage etwas von
3*
36 Schlatter, Chronograph.
der prophetischen Autorität ihres Urhebers zu, and es mit darum
in verstärktem Sinn: jiavxcoq dt äZijdsvovteg,
Diess muss das singulare (fap//TioZvrsq ausdrücken. !)••
tadelnde Begriff der Eitelkeit und des sich selbst Hervordrängens
ist hier durch jiavxcoq ö\ uhjtHvovxeq und durch den Gegensatz
sixe (pavrjucövTüc, sU)y ajtXcoq bxdtdaöxovxtq ausgeschlossen.
Auch wenn er ajiXcoq exötöaöxei, aXfjd-evei, noch viel mehr, wenn
er (pavrjTia; das Wort muss heissen: eine Offenbarung aussprechen.
Summiren wir: das Buch ist dasjenige eines Propheten, der
zugleich ausführliches über die jüdische Geschichte des ersten
Jahrhunderts gab, eines Historikers, der zugleich (pavrjxia. Sind
denn solche Bücher in der kirchlichen Litteratur so häufig,
Bücher, die beides sind: historisch und prophetisch zugleich?
Ferner stammt es von einem Verwandten Jesu, war folglich
unmöglich anonym, war Julius noch bekannt, später aber ganz
verschollen — ist diess der Chronograph? Wenn er's ist, dann
ist die Gleichsetzung des Chronographen mit dem Bischof Juda
angezeigt, und der Bischof Juda endet im 11. Jahre Antonins,
weil sein Buch im 10. geendet hat.
Irgend etwas wird der Verwandte Jesu auch über das Ge-
schlechtsregister Jesu gesagt haben, obgleich das, was er sagte,
bei Julius nicht recht deutlich wird. Trotz der Massregeln des
Herodes haben die jtQosiQt/fitvot ösöjtoövvot xaXovfievoc dennoch
xr\v JtQ07cet^iv7]v yspsaloytav, d. h. doch wohl Jesu Geschlechts-
register, wie uns Julius sagt, besessen, weil sie es, so gut sie
konnten, aus dem Gedächtniss und der Chronik *) wiederher-
stellten. Allein hiezu bemerkt er: eir ovv ovxcoq slx aZZwg
t%oi, während er von den ovyyeveTq sagt: ütavxcoq dtyfrevovrec.
Er hat diesen Satz als blosse Vermuthung, wir werden sagen
dürfen als seine eigene Vermuthung, kenntlich gemacht. Während
er aber über die Weise, wie das Geschlechtsregister hergestellt
wurde, nichts behaupten will, bezeichnet er dieses als die beste
überhaupt erreichbare Auskunft, bei der er selbst und jeder ver-
ständige sich beruhigen wird.2)
1) ßlßloq z(öv iitKQÜv bezeichnet sicher nicht die Aufzeichnung der
Verwandten Jesu, da sie ja aus denselben das Geschlechtsregister schöpfen.
Ich sehe mit Spitta hier einfach die biblische Chronik.
2) occ(pEOT£Qav i^yTjatv ovx av syoi tiq akkog i^svQeiv. i^r/yrjaigsteht in
unmittelbarer Beziehung zum vorangehenden: xr\v yevEccXoylc.v iq7]yt]Ga/uevoi.
7. Die Beziehungen des Verwandten Jesu zu Justus von Tiberias. 37
Am Schluss der Erklärung Daniels steht auch bei Klemens
ein Fragment über Jesu Geschlechtsregister Strom. 1, 21, Schluss:
Iv de xm xarcc Max^alov tvayyeliq) >/ djio 'Aßgadfi yEvealoyia
tnyoi MaQtaq r//> (iTjTQoq ror tcvqLov jrEQaiovraL. yivovrat yay
(f )jGir ajto 'Aßgaäfi tcog ilaßlö yiveat 16' xal djro Aaßlö twg rrjg
f/sroixsolag Baßvlcovog yeveai i<¥ xal ajtb rrjg f/erotxsalag
Baßvlcovoq tcog vor XqiOtov ofioicog aXXai ysvsai lö , zgla
ötaOT?]{aaTa ftvorixa. t§ tßöofidöiv TsXeiovfieva. Nicht nur die
Stellung, sondern auch die Betonung des nach der 7 ablaufenden
Symbolismus der Reihe erinnert an den Ausleger Daniels. Jeden-
falls entsteht hier keine Schwierigkeit, welche die Beziehung des
Verwandten Jesu bei Julius auf den Ausleger Daniels bei Kle-
mens verhinderte.
7.
Die Beziehungen des Verwandten Jesu zu Justus von
Tiberias.
Eingehender als die Frage, wie es sich mit dem Buch des Ver-
wandten Jesu verhalte, ist die andre Frage erörtert worden, aus
welchem Vordermann er seine Nachricht habe. Geizer hat diesen
in Justus von Tiberias gesucht, nachdem zuerst Gutschmid mit
seinem hellen kritischen Blick ausgesprochen hat, dass die Aus-
^;uj;en des Justus schwerlich spurlos vergangen sein könnten.
Es war natürlich, dass man in der Ausbildung dieses Gedankens
sich zunächst nach denjenigen Stoffen umsah, die neben Jos. über
die jüdische Geschichte erhalten sind. Diese Reste sind äusserst
spärlich; das bedeutendste ist die Erzählung des Verwandten Jesu
über den Zusammenhang der Herodier mit Askalon. Allein allen
andern Vermuthungen voran muss zuvörderst die Frage geklärt
werden, wie sich Josephus zu Justus verhält. Nun hat mir
Schürer allerdings erklärt, das sei keine Frage mehr, da wir ja
wüssten, dass Justus erst nach der Archäologie mit seiner Arbeit
hervorgetreten sei. Ich lege im folgenden dar, wesshalb mir hier
eine Frage bleibt, und wesshalb ich vorerst Justus nicht unter
die Quellen des Chronographen einreihe.
Bekanntlich giebt uns Jos. vom Makkabäer Simon bis zum
Ausbruch des grossen Kriegs zweimal dieselbe Erzählung. Satz
um Satz läuft durch lange Stücke die zweite Darstellung der
ersten parallel. Dass Jos. beidemal dieselben Quellen paraphrasirt
38 Schlatter, Chronograph.
hat, ist längst erkannt. Wäre mm die zweite Erzählung neben
den wörtüchen Uebereinstimmungen nur reicher als die erste, so
läge die kritische Frage einfach; wir hätten es Lediglich das
zweitemal mit einer reichern Ausnützung desselben Vorgängers
zu thun. Es finden sich aber auch bestimmte und in die Sub-
stanz der Erzählung einschneidende Abweichungen des zweiten
Texts vom ersten und diese bedürfen der Erklärung.
Es genügt nicht, lediglich die Thatsache zu konstatiren, dass
Jos. mehrfach mit sich selbst in Widerspruch steht, und nun
ziemlich willkürlich bald die ältere, bald die jüngere Aussage zu
bevorzugen. Es ist nicht eine unwichtige Vorbedingung zum
historischen Urtheil, dass wir begreifen, wer und was Josephus
mit sich selbst in Zwiespalt bringt.
Da hier nicht der Ort ist, tiefer in die Analyse des Jos.
einzutreten, bediene ich mich der Beispiele, die in anderm Zu-
sammenhang in der Topographie bereits erörtert sind. In b. j.
sind die entschlossenen Unternehmungen, durch welche Antipater
bei Cäsars Sieg den bisherigen Stand der Dinge in Jerusalem
fbrterhielt und sich selbst sammt Hyrkan die Macht sicherte,
ausschliesslich die That Antipaters. Er marschirt im richtigen
Moment, als sein Eingreifen für Cäsar noch eine werthvolle Hilfe
war, nach Egypten und bewirkt mit grosser Tapferkeit die Ver-
einigung seiner Truppen mit Cäsar. In A. wird diese Darstellung
nicht widerrufen; doch giebt Jos. einem „Jemand" (riveg) das
Wort, welcher den Hohepriester Hyrkan nach Egypten marschiren
lässt und diese Angabe dadurch gegen Zweifel schützen will,
dass er das Zeugniss des Hypsikrates und Asinius bei Strabo
anruft, A. 14, 8, 3. 138. Dieser „Jemand" hat nicht zugegeben
dass Hyrkan sein Hohepriesterthum Antipater verdankt habe,
während b. j. 1, 9, 5 diess mit dürren Worten sagt.
Als Herodes vor dem Synedrion als Angeklagter stand, wird
er in b. j. durch Hyrkan freigesprochen, dessen Verhältniss zu
ihm fast zärtlich beschrieben wird: er liebte ihn wie einen Sohn.
In A. ist diese Freisprechung verschwunden; Herodes flieht aus
der Stadt, ehe das Urtheil gefällt war, und der Rabbine Schemaja,
nach 15, 1, 1. 4 vielmehr Euthalion, tritt auf und schilt das
Synedrion, welches nur aus Furcht vor der bewaffneten Begleitung
des Herodes ihn nicht zu verurtheilen wagt; b. j. 1, 10, 7 =
A. 14, 9, 4. 53. Das ist ein deutlicher Gegensatz. Ob Herodes
7. Die Beziehungen des Verwandten Jesu zu Justus von Tiberias. 39
freigesprochen und von jeder Schuld ledig erklärt aus dem Kon-
flikt hervorgeht, oder ob er seine Verurtheilung nur durch seine
Bewaffneten verhindert, ergiebt eine verschiedne Beurtheilung
des Königs.
Augenscheinlich stehn beide Abweichungen miteinander im
Zusammenhang. Die Sätze: die Erhaltung des Hohepriesterthums
für Hyrkan war Antipaters Verdienst, und: Hyrkan hielt Herodes
wie sein Kind und sprach ihn frei, gehören derselben Betrach-
tung der Dinge an: ebenso auch die andern Sätze: Hyrkan hat
selbst das nöthige gethan, um sich Cäsars Gunst zu erwerben,
und: Herodes ist bloss desswegen nicht hingerichtet worden, weil
er den Rath einschüchterte. Jene Betrachtung der Dinge gehört
Nikolaus von Damask; wem nun diese?
Da der Augenschein lehrt, dass in diesen und den zahlreichen
analogen Fallen — es gehören beträchtliche Stücke aus der
zweiten Redaktion der Geschichte des Herodes hieher — eine
Nebenquelle die Darstellung färbt, stehn wir vor der Frage:
welcher Art sie war, was ihr angehört hat, ob sie jüdisch war
oder griechisch, ob sie ein Buch war, oder etwa nach Nieses
Auffassung „Tempellegenden", ob sie eine Einheit ist oder aus
gesammelten Notizen besteht etc. Dass Jos. hier neben seiner
Hauptquelle noch ein zweites Buch benützt, scheint mir erwiesen.
Tempellegenden brachten ihm keine Angaben aus Strabo zu, und
auch der verkehrte Name TIoXlicov beweist viel. Dass die
„Sprüche der Väter" diesem gefeierten Rabbinen seinen richtigen
Namen Euthalion geben, steht jenseits der Kontroverse.1) Wenn
nun bei Jos. aus EY: II, aus & : 0, aus A : A geworden ist, so
sind das Buchvarianten. Dergleichen macht zugleich zweifellos,
dass Jos. über die Zeit des Herodes nur das weiss, was er in
seinen Büchern fand. Jeder gesunde sachkundige Satz, den uns
Jos. über Herodes giebt, ist kopirt.
Diese Einlagen machen uns einen interessanten Mann kennt-
lich, einen Juden, der ein griechisches Geschichtsbuch schrieb,
bitter gegen Herodes und die Herodier, und doch nur ein Ge-
schichtsschreiber der Dynastie, da die ausschliesslich auf das Ge-
1) Schürer hielt fröttOM für den hebräischen Namen des Mannes; aber
■pVtffl» ist nicht hebräisch, sowenig als DWHaM = Eudemos oder tan»»
= Euthynos.
In Sclil.il irr. ( bronograph.
schick des Fürstenhauses blickende Erzählung des Nikolaus durch
diese Einlagen nicht merklich verändert wird; was er giebt, lind
Fürstenanekdoten. Er verfügt dabei über griechische Gelehr-
samkeit, die derjenigen des Jos. jedenfalls gewachsen war (Strab
Er hat auch den jüdischen Krieg erzählt, da Jos. aus ihm das
Versprechen kopirt, bis über das Jahr 70 hinaus zu erzählen,
A. 20, 17, 2. 141, und da die grosse Einlage über die Kolonie
am Trachon bis über das Regierungsende des Jüngern Agrippa
hinaussieht und deutliche Beziehungen zum jüdischen Krieg hat.
Denn die Hauptperson in diesem Abschnitt ist derjenige Phi-
lippus, welchem im Jahre 66 in Jerusalem eine wichtige Rolle
zugefallen ist, A. 17, 2, 1 — 3.
Die letztere Stelle ist besonders wichtig, weil sie ein ge-
naues Datum enthält. Es werden die Regenten des Hauran auf-
gezählt: Herodes, dessen Sohn Philippus, der grosse Agrippa,
sein ihm gleichnamiger Sohn, o jialg ccvtov xcu ofiojpvfioc, also
Agrippa II, jiüq' cov 'Pcofialoc desäfisvoi r?)v aQyj)v . . . iuii-
ßoXalq rcov (poQcov sie, rb JtdfiJtav emeoav ccvzovq. Darauf
folgt das unerfüllte, und bei den Grenzen, die Jos. den A. gab,
von vorn herein unerfüllbare Versprechen: xal rccös fzsv rj xaigbg
dxQißwoofiai jtQOLovroq xov Xbyov. Dergleichen beweist, dass
Jos. bis aufs Wort kopirt, A. 17, 2, 2. 28. Die Quelle, und
natürlich Jos. erst recht, schreibt nach dem Regierungsende Agrip-
pas, denn sie erzählte, wie die Verhältnisse im Königreich Agrip-
pas nach demselben neu geordnet worden sind.
Das alles passt vortrefflich zu Justus. Er wartete mit der
Veröffentlichung seines Buchs, bis Agrippa tot war. Er schrieb
über die jüdischen Könige, und besonders eingehend über
Agrippa II; natürlich fehlte hier auch der alte Herodes nicht.
Er hat griechische Gelehrsamkeit entfaltet, und ist als vornehm-
ster Mann in Tiberias, als Führer des dortigen Aufstands und
als zeitweiliger Beamter Agrippas mit der nöthigen Sachkunde
versehn, welche diese Einlagen sichtbar machen, ebenso aber
auch mit der antiherodeischen Tendenz. Schon diese Kongruenzen
sind nicht ohne Gewicht. Schürer weiss so gut wie ich, wie
wenig jüdische Historiker zwischen Alexander und Hadrian auf-
zuzeigen sind. Es hat seine Bedenken, sie unter Domitian plötz-
lich zu häufen.
Was uns aber vollends verpflichtet, bei der Auslegung der
7. Die Beziehungen des Verwandten Jesu zu Justus von Tiberias. 41
A. und der Beurtheilung ihrer Abweichungen und Widersprüche
mit b. j. Justus nicht zu vergessen, ist das letzte Stück der A., die
sog. Vita, die mit einer lebhaften Ansprache des Jos. .an Justus
schliesst. Die Beiziehung des Justus zur Erklärung der A. ist
keine blosse Konjektur: er steht an ihrem Schluss vollkommen
greifbar da, und Jos. nimmt ein lebhaftes Interesse an demselben
— natürlich! die beiden Männer waren einander wohl bekannt,
und schon im jüdischen Krieg Rivalen — und spricht unver-
hohlen aus, dass es eine seiner Absichten sei, Justus zu über-
winden. Das hat er nicht schon im Verlauf der A., sondern erst
am Schluss durch direkte Polemik gethan, hat aber sicher dafür
gesorgt, dass seine Darstellung nicht armer, als die des Justus
war, und manchen Stoff desselben seiner eignen Darstellung
einverleibt. Dazu gehört auch, dass er die herodeische Farbe,
die b. j. von Nikolaus her an sich hat, beträchtlich minderte.
Nicht ich bin unvorsichtig, wenn ich schon in der Geschichte
des Herodes an Justus denke, sondern der ist unvorsichtig, der
die A. bis Buch 20 ahnungslos liest, und dann im Schlusswort
sich plötzlich davon überraschen lässt, dass Jos. einen Dialog
mit Justus hält, und das vor Augen hat, was Justus über diese
Dinge behauptet hat.
So ist's, wenn die Vita zu den A. gehört. Schürer hält sich
für genöthigt, beide zu trennen. Er lehrt: a. 93 oder 94 hat Jos.
die A. geschlossen, und frühestens 101 noch einen Anhang zu
derselben, die Vita, publicirt. Diese beginnt stuol de yevoc löxiv
ovx aotifxov, und endet mit der Erklärung, dass nun „dem besten
Epaphroditus" die Archäologie vollständig übergeben sei. Nach
Schürer hatte er sie schon zum mindesten 8 Jahre. Das ist ein
unnatürlicher Ansatz. Wenn einer nach mehrjährigem Schweigen
wieder das Wort nimmt, so fängt er nicht an: sfiol 6s etc. Die
Vita hat nie ohne die A., und die A. nicht ohne ihren biogra-
phischen Abschluss existirt.
Schürer trennt, weil in der Vita Justus vorgeworfen wird:
er habe seine Arbeit schon vor 20 Jahren geschrieben, sie aber
»ist nach Agrippas Tod öffentlich gemacht, V. 69. 359. Aber
steht es denn in A. anders? Die Vita sagt: Agrippa ist tot; A. sagt:
Agrippa regiert nicht mehr. Das stimmt und ergiebt lediglich,
dass das Datum der A. das Todesjahr Agrippas bestimmt. A. ist
93 oder 94 geschrieben, also Agrippa circa 90 gestorben. Die
\2 S< hlatter, < Ihronograph.
*2o .laiin:, während deren Justus sein Geschichtsbuch zurückge-
halten hat, machen keine Schwierigkeit Justus wird
haben: er habe seinen Bericht gleich nach dem Krieg geschrieben.
70 ! 20 = 90.
Diesen Ansatz drückt freilich die Schwierigkeit, dass Photius
gegen Jos. steht, welcher sagt, Justus habe das 3. Jahr Trajans,
100, als das Todesjahr Agrippas und das Schlussjahr seiner
Chronik gesetzt. Ich kann diesen Widerspruch nicht lösen, und
stelle mich bis auf weiteres zu Jos. gegen Photius.
Denn was Photius eigentlich gelesen hat, bleibt eine zweifel-
hafte Sache. Es war 'Iovötov TißeyucoQ Xqovitcov, ov tj hjii-
ygayr 'iovörov TißeQiecog ^ovöalcov ßaotliow rcov Iv rote
öTtfifiaöi. Der dunkle Titel giebt wenig Sicherheit, dass es der
unverkürzte Justus war: „Geschichte der in den Stammtafeln
verzeichneten Könige": was sind das für Stammbäume? Wir
haben daneben ein Citat des Diogenes: „Justus im Stammbaum".
Da ist „Stammbäume" der Name des Buchs, nicht das Prädikat
der Könige. Die spätgriechische Zeit hat manche alte Historiker
in kurze Auszüge gebracht. Vielleicht las Photius eine Chronik
der jüdischen Könige, „die in den Stammbäumen, nämlich
denjenigen des Justus" stehn. Gesetzt, das wäre die Mei-
nung der seltsamen Ueberschrift, so würde sie uns mittheilen,
dass Photius ein Excerpt aus Justus besass, und damit ist eine
Alteration der Zahl wenigstens etwas begreiflicher.
Was Photius über den Inhalt des Buches sagt, passt gut
zu dem, was wir sonst von Justus wissen. Er begann bei Mose
und behandelte die Könige bis zum Tode des Agrippa IL Aber
auffallend ist, dass Photius nur an ein einziges ßtßllov denken
lässt. In der Vita sieht es aus, als ob Justus sich ausführlich
über den Antheil von Tiberias am Aufstand und über seine
eignen Thaten und auch diejenigen des Jos. ausgesprochen hat.
Das ist in einem Monobiblion von Mose bis Agrippas Tod nicht
recht vorstellbar.
Desswegen lässt Schürer Justus zwei Geschichtswerke ver-
öffentlichen, beide nach Agrippas Tod, beide wenigstens in der
Darstellung des jüdischen Kriegs einander parallel. „Wir wissen"
das aber nicht; denn es ist nirgends bezeugt, sondern das ist
Konjektur. Wenn ich ein Excerpt aus dem alten Justus in die
.. Die Beziehungen des Verwandten Jesu zu Justua von Tiberias. 43
Hand des Photius lege, so steht nicht ein fester Bau neben einem
„Kartenhaus", sondern Konjektur neben Konjektur.
Wenn die Erzähler einander verneinen, so fallt das schlich-
tende Wort sonst den Münzen zu. Hier stiften dieselben nur
neue Konfusion. Schürer hat die Ansätze Monimsens aufge-
nommen: 1, 500. Wenn ich dieselben unglaublich finde, so habe
ich Marquardt auf meiner Seite. Schürer sagt:
Agrippa ist im Libanon König geworden a. 50
„ „ im Hauran „ „ a. 53
Agrippas erste Aera hat begonnen a. 56
„ zweite „ „ „ a. 61.
Zwei Acren hat Agrippa nicht nur nach den Münzen und
Inschriften, sondern auch nach den Historikern, da er zweimal
König geworden ist, im Libanon und im Hauran. Aber Schürers
Aera beginnt ja mitten in seiner Regierungszeit, und diess wieder-
holt sieh noch einmal. Dass Agrippa sein 7., resp. 4. Jahr zum
ersten erklärt habe, und hernach noch ein späteres Jahr wieder
als erstes bezeichnet habe, das kann sich auch die lebendigste
Phantasie nicht vorstellen.
Den Inschriften und Münzen ist zu entnehmen, dass die
beiden Anfänge Agrippas 5 Jahre auseinander lagen. Die höchste
.Jaliressumme, welche die Münzen Agrippa geben, ist 35. Fügen
wir sie zu seinen Anfängen, wie sie durch die zeitgenössischen
Erzähler datirt sind, so erreichen wir circa 90. Das stimmt mit
A.1i Weiter wTeiss ich nichts. Die Aera von 61 wird uns durch
die Münzen mit der lateinischen Legende: Agrippa 25 (resp. 26)
= Domitian. cos. XII (86) aufgezwungen. Auch die Münzen,
die von Agrippas 24. Jahr an für Domitian Germanicus haben,
bestätigen sie. Entweder ist das nicht Agrippas Aera, oder es
neckt uns hier ein Fälscher. Lösen kann die Frage nur ein
Techniker.
Ich habe mir die Möglichkeit nie verborgen, dass sich die
Münzfrage gegen meine These klären kann, so dass Schürer
resp. Photius Recht behalten würde. Aber auch dann hat mein
Satz den Vorwurf nicht verdient, dass er gesicherte Ergebnisse
der bisherigen historischen Arbeit leichtsinnig überspringe. So
1) Nach Schürer regierte Agrippa 50 resp. 47 Jahre. Münzen aus den
vierziger Jahren Agrippas giebt es meines Wissens nicht.
II Schlatter, Chronograph.
lange die Münzen und die Historiker bloss durch so unnatür-
liche Kompromisse zusammengebracht werden and A. 17, 2, 2. 28
nicht beachtet wird, liegen noch keine Ergebnisse vor. Hat
Photius Recht, so fällt der Name Justus ftir die Nebenquelle
des Jos. weg, und wir kennen dann rieben Jos. und neben Justus
noch einen dritten zeitgenössischen jüdischen Historiker. Vorerst
halte ich es für geboten, beim Datum der A. als dem festen
Punkt zu stehen, womit Agrippas Tod auf circa 90 gesetzt ist,
und dadurch sind wir angewiesen, nicht zu vergessen, dass
zwischen b. j. und A. Justus steht. Desshalb muss auch für die
Frage, was Justus über die Herkunft des Antipater erzählt habe,
zuerst das Verhältniss des zweiten Texts zum ersten bei Jos.
erwogen sein.
Dem Geschlecht nach, sagt b. j. 1, 6, 2, war Antipater ein
Idumäer, und um der Vorfahren und des Reichthums und der
sonstigen Macht willen einer der ersten im Volk, jzgcortvoiv
rov sfrvovq. Da die Idumäer sowohl religiös als politisch der
jüdischen Gemeinde vollständig eingegliedert waren, kanu zb
Id-voq nur nach seinem bekannten, festgeprägten Sinn gedeutet
werden. Durch 'löovftaioq wird gesagt, dass die Familie im
südlichen Judäa sesshaft war, und durch Abstammung, Reich-
thum und sonstige Macht stand sie in der Judenschaft obenan.
Die Parallele A. 14, 1, 3. 8 — 10 ist in ihrer Färbung wesent-
lich geändert. Herodes wird als Usurpator bezeichnet; rvy?j riq
hat ihn zum König gemacht. Antipater war von Anfang an
OraOiaöTrjg. Die Zurückleitung des Geschlechts auf die Exu-
lanten Serubabels wird als eine Erfindung des Nikolaos bezeich-
net. Die einflussreichen Beziehungen Antipaters ^u Petra, Gaza,
und Askalon werden durch ein ktyovöiv abgeschwächt. Trotz-
dem bleiben die Angaben sachlich mit b. j. parallel. Die neue
Angabe, dass schon der ältere Antipas als OxQarrjyoq das süd-
liche Judäa regiert habe, erläutert das jtowrsvEiv rov s&vovq
und erfordert keine andre Quelle als Nikolaos.
Lehrreich ist weiter die Parallele zwischen b. j. 1, 15, 5 und
A. 14, 15, 2 — 402. Die ältere Stelle hat eine stark herodeische
Farbe. Herodes erscheint im Moment, wo er Jerusalem angreift,
in der schönsten Friedensliebe; nur wegen der Hartnäckigkeit
des Antigonos hat er schliesslich „den seinigen erlaubt, sich zu
vertheidigen", eine Phrase, die Nikolaos alle Ehre macht. In der
.. Die Beziehungen des Verwandten Jesu zu Justos von Tiberias. 45
Jüngern Stelle kopirt Jos. dieselben Sätze Wort für Wort, korri-
girt sie aber dadurch, dass er Antigonos eine Rede an die Römer
halten Lasst, die sein gutes Recht und das Unrecht des Herodes
deutlich macht. Sie ist offenbar das eigne Gebilde des Jos.; hier
sagt er ungehindert durch Nikolaos, was er über Herodes zu
klagen hat. Auch den [dumäer rückt er ihm auf, doch nicht
so, dass er ihn desswegen als einen „Fremden" behandelte; er
geht nicht über den ?jfiuovöalog hinaus, und weit kräftiger tritt
der Vorwurf hervor, dass er keinen legitimen Anspruch an die
Herrschaft habe. Nach dieser längern Einlage macht sich Jos.
wieder ans Kopiren; allein nun war es ihm entfallen, wer in der
Vorlage „den seinigen erlaubte, sich zu vertheidigen". Er setzt
den ihm am Herzen liegenden Antigonos ein, und macht den
dadurch sinnlos. Aber gerade das sinnlose Antigonos
illustrirt sein Verfahren hübsch.
Diese Rede gegen Herodes ist aber nach dem oben begrün-
deten Ansatz jünger als Justus und mit der Kenntniss dessen
geschrieben, was Justus gegen Herodes vorgebracht hat. Dennoch
enthält sie keine Anspielung auf Askalon und Antipaters ursprüng-
liches Heidenthum. Auch in der Schlussbetrachtung wird nur
der Mangel an Legitimität gegen Herodes geltend gemacht. Er
wird ins Unrecht gesetzt, als olxiag ovxa örjf/orixfjg, xal ytvovg
iÖKDTixov xal vjtaxovovroq rolc ßaöilevötv, 14, 16. 4. 491.
Die Richtung, in der der Angriff auf Herodes bei Jos. geführt
wird, ist von der Erzählung des Verwandten Jesu wesentlich ver-
schieden. Jos. drückt die Stellung des Antipater herunter, so dass
das Königthum des Herodes als eine kecke Anmassung erscheint.
Beim Verwandten Jesu wird bei aller Kürze dennoch sachkundig
hervorgehoben, wie Antipater zum legitimen Herrn Judaas wird,
so dass Herodes lediglich der Erbe seines Vaters, freilich eines
solchen Vaters, ist.
Würde Askalon irgendwie im Jüngern Text des Jos. sichtbar,
dann läge ein positives Anzeichen vor, dass diese Geschichte
Justus angehörte; dagegen ist ihr gänzliches Fehlen in A. dieser
Ableitung nicht günstig. Der Schluss: wovon Jos. nichts weiss,
das hat Justus gesagt, macht einen „Sprung".
Die Geschichte vom Hierodulen des Apollo, dessen Sohn
die idumäischen Banditen wegschleppen, und dessen Enkel zum
König der Juden wird, scheint mir eher heidnisch als
46 Schlatter, Chronograph.
jüdisch.1) Wenn Spott und Hass ihre Wurzel isl, so richtet sich
derselbe ebenso sehr gegen die Judenschafl alfl gegen Herodes; sie
mag leicht ursprünglich den Apollo von Askalon ;ils den mäch-
tigen Gott behandelt haben, der den Juden die Beraubung seines
Tempels bitter vergalt. Darauf deutet die schärfere Recension der
Geschichte, die Epiphanius giebt haer. 20, 1, und die nicht nur
aus dem Briefe des Julius stammt. Dort wird Herodes in der
Zeit geboren, als Antipater Sklave bei den Idumäern war, und
dieser bleibt nicht bei den Idumäern, sondern wird durch eine
Kollekte der Askaloniten losgekauft. Noch als Heide von As-
kalon her befreundet er sich mit Hyrkan, und erst als er durch
Cäsar zum Verwalter des Lands ernannt worden war, beschneidet er
sich selbst und Herodes.2) Ob diese Verschärfungen der Erzählung
christlich sind, scheint mir fraglich. Sie hat vermuthlich ihre
Heimath in den Seestädten, z. B. in Askalon, wohin auch die
konkrete topographische Angabe führt, dass der Tempel Apolls
an den Mauern vor denselben lag, worin weiter das richtige
Wissen liegt, dass Askalon selbst nie in den Händen der Juden
war. Der erste Verbreiter dieser Geschichte kann desshalb ebenso
leicht der Askalonite Ptolemäus, der über Herodes schrieb, ge-
wesen sein als Justus von Tiberias. Mit der christlichen Em-
pfindung hatte diese Erzählung desshalb Berührungen, weil sie
Herodes eine heidnische Herkunft gab. Mit dem Streit der
jüdischen Historiker über die Legitimität des Herodes gegenüber
der alten Regentenfamilie war der christliche Gedanke nicht ver-
flochten. Aber dem König Israels von oben, Jesus, setzte er
Herodes gegenüber, als einen fremden Herrscher und als ein
Werkzeug des göttlichen Gerichts an Israel. Den Spätem ge-
nügte es für diesen Gedanken völlig, dass Herodes ein Idumäer
war. Aber der Verwandte Jesu, für den die Zugehörigkeit der
1) Vgl. den Priester des Apollo, Zabicl, in Dor (quendam eorurn, qui
in civitate Dorii Apollinem colebat), welcher den Eselskopf aus dem Tempel
Jerusalems raubt, bei Mnaseas, c. Ap. 2, 9. 112.
2) Epiphanius hat einige Konfusionen. Er heisst Hyrkan seltsamer
Weise Demetrius, und schreibt statt Kalaagt: Avyovaza). Im übrigen giebt
die Erzählung, so kurz sie ist, ein recht gutes Bild über die Weise, wie
Herodes zum Thron gelangt ist, und hat noch ein neues Glied in der Ge-
schlechtstafel des Herodes. Sie lautet nun: Antipas, Herodes, Antipater.
Herodes der König. Jos. heisst den Grossvater des Herodes Antipas.
8. Die biblische Chronologie des „Jemand", Strom. 1. 21. 47
[dumäer zur jüdischen Gemeinde noch eine bekannte und ver-
standne Thatsache war. hol) denjenigen Bericht hervor, der ihm
Askalon zur Heimath gab, die nie jüdisch gewordne und stets
Israel feindliche Heidenstadt.
8.
Die biblische Chronologie des „Jemand", Strom. I, 21.
Auch für die biblische Zeit giebt Klemens zwei Rechnungen,
neben der als axQtßtöxsQov bevorzugten, welche die Synchronis-
men zwischen den Griechen und der Bibel liefert, noch die Zahlen
eines rivsc.
P. 391 Von Mose Geburt zum Exil 972
Von David „ „ 452. 6 M.
Die beiden dicht nebeneinander stehenden Zahlen gehören
sicher demselben System. Die Parallele giebt die Tosefta 1. c.
Klemens: Tosefta:
vom Auszug zum Exil 892. Vom Auszug zum Tempel-
von David zum Exil 452. bau 1. Kön. 6, 1. 480
Tempeldauer 410
~890.
Die Zahlen des Klemens geben vom Auszug bis zum Tempel-
bau 892 — 452 + 44 = 484, und für den Bestand des Tempels
408. Trotz der überschiessenden 2, von der noch zu reden ist,
scheint mir der Typus der Rechnungen unzweifelhaft identisch.
Hierbei ist zu beachten: 1) Diese Rechnung beruht auf sym-
bolischer Rundung der Zahlen. Zu 890 kommen noch die 70
Exilsjahre, und wir erhalten:
Vom Auszug zum Tempelbau 480,
bis zum zweiten Tempelbau 480.
Die beiden Perioden sind einander genau gleichgesetzt.
2) Der Rechner steht auf dem hebräischen Text 1. Kön. 6, 1.
Derselbe tritt in der alten Chronographie sehr selten hervor.
Die Paraphrase der Stelle durch den Chronisten 2. Chr. 3, 1 zeigt
die Ziffer nicht, ebensowenig die andre Paraphrase Jos. A. 8, 3, 1. 61.
Act. 13, 20 ignorirt sie, ebenso die alten griechischen Chrono-
graphen. Jos. giebt für die Frist zwischen dem Auszug und
Tempelbau
|s Schlatter, I bronograph.
A. 8, 3, 1. 61 592
A. 20, 10 612
A. 9, 14, 1. 280 J) 631.
Eupolemus hat yermuthlicb 653 gegeben, der cexQtßdöreQOc
des Klemens 567, Julius 741. Falls Origenes zu Joh. 2, 23 die
Angabe 1. Kön. 6, 1 herangezogen hat, hat er, obwohl bei ihm die
hebräische Zahl nicht weiter auffallend wäre, die Zahl der Sept.
440 benützt.2) Neben unserm Chronographen und Theophilus
kennt noch Euseb die hebräische Ziffer und versucht vergebens,
ihr Beachtung zu verschaffen.
3) Die Königsziffer, die von Rehabeam bis zum Exil 372
giebt, (Tos. 374), bleibt um 22 Jahre hinter den biblischen Zahlen
zurück, die in den beiden hebräischen und beiden griechischen
Texten (Kön. u. Chron.) und ebenso bei Jos. mit auffallender
Stabilität überliefert sind. Wo sie in der griechischen Chrono-
graphie Parallelen hätte, wüsste ich nicht, da diese die biblische
Königsziffer regelmässig um einige Jahre zu erhöhen pflegt. Im
gegenwärtigen Bibeltext hat sie nur in der Königsliste Samariens
Grund: 36 für Salomo seit dem Tempelbau, 241 J. 8 Mon. bis zur
Zerstörung Samariens und 132 J. 6 M. seit dem siebenten Jahr
Hiskijas bis zum Tempelbrand. Allerdings war die Königsliste
nicht immer 'so frei von Varianten. Die Synchronismen bei
Amazia und Jotham weisen auf kürzere Ziffern (19 neben 29,
6 neben 16). Vorerst ist es Thatsache, dass der Satz unsers
Chronographen nur bei den Rabbinen seine Parallele hat.
4) Von der Tendenz, das Alter der jüdischen Geschichte
nachzuweisen, sind diese Zahlen frei. Der dxQißeözsQog weist
vom Auszug bis zum Tempelbrand 1016 Jahre ohne jede will-
kürliche Dehnung der Fristen nach. So wie man nach der
1) Jos. giebt: vom Auszug zur Zerstörung Samariens 947, von Jero-
beam bis zur Zerstörung 240, somit vom Auszug zum Tode Salomos 707.
»Salomo rechnet Jos. aber mit 80 Jahren; somit Tempelbau 631. Dieser
Schluss wird dadurch gesichert, weil dieselbe Ziffer in der Passachronik
wiederkehrt. Die Zahlen, der jüdisch-griechischen Chronographen reichen
auch sonst bis zu den Byzantinern hinab.
2) Der Text giebt: vom Auszug zum Tempelbau 430, von Abraham
zum Tempelbau 770. Für die Patriarchen ist das kanonische 430 nicht
entbehrlich; somit ist xQiaxovxa in der ersten Summe verdorben aus
TBOoeQaxovxa = 1. Kön. 6, 1 Sept. Die Summe 770 entsteht aber so nur durch
einen Additionsfehler. Soll sie gelten, so muss statt 430: 340 gelesen werden.
S. Die biblische Chronologie des „Jemand", Strom. 1, 21. 49
allgemeinen Tradition die Posten des Richterbuchs addirte, erhielt
man leicht ein Jahrtausend vom Auszug bis zum Exil.
Ich deuke, die Klammer, die den „Jemand" mit dem Aus-
leger Daniels identisch macht, ist bereits fest.
P. 380 wird für rcvsg gegeben:
von Moses Geburt bis zur Zeit Salomos 595
tTZQoi 576,
also seit dem Auszug bis Salomo 515, oder nach andern 496.
Diese Angabe beweist, dass Klemens diese Zahlen nicht ganz
intakt erhalten hat. Der Tempelbau kommt hienach auf 479
(oben 484), und die Summe der beiden Zahlen giebt
vom Auszug bis Salomo 515
Königsziffer seit Rehabeam 372
887,
wahrend Klemens selbst 892 giebt. Es ist also irgendwo in der
Reproduktion der Zahlen eine kleine Konfusion begegnet.
Ueber die Jahre zwischen Adam und dem Auszug erhalten
wir erst nachträglich und an einer einzigen Stelle Bericht, weil
der Beweis für das Alter der Bibel nicht über Mose und Inachus
hinaufgeführt wird. Nur nebenbei hören wir:
P. 403: Von Adam bis zur Fluth 2148. 4 Tage
von Sem bis Abraham 1250
von Isaak bis zur Austheilung des Landes 616.
P. 406 steht ausserdem die Gresarnmtsumme von Adam bis
zum Tod des Kommodus: 5784 Jahre 2 M. 12 T.
Schon die „4 Tage" bei der Fluth zeigen, dass die erste
Ziffer dem jüdischen Rechner angehört. Denn Tage bei der
Fluthziffer lassen sich nur dadurch gewinnen, dass die Rechnung
mit dem Monatstag der Weltschöpfung als einer bekannten Grösse
operirt. Die Fluth tritt nach Gen. 7, 11 hebr. Text am 17. des
zweiten Monats ein. Der Rechner hat aber gewiss nicht die Welt-
schöpfung auf den 13. Ijjar verlegt, eher die Austreibung Adams
aus dem Paradies.1) Dagegen stellt sich die Summe 5784 zur
1 Weltschöpfung 1. Nisan; bis zum Fall: Nisan 29 Tage und 13 Tage
vom Ijjar = 42 Tage; es bleiben 4 Tage bis zum 17., an welchem die
Fluth eintritt. Die 42 Paradiesestage wären das Gegenbild zu den 4200
Jahren des Weltbestands, von denen noch zu reden sein wird. Eine rabbi-
nische Parallele ist mir nicht zur Hand.
Texte u. Untersuchungen XII, 1. 4
50 Schlatter, Chronograph.
griechischen Rechnung, welcher das Exil auf Ol. 48, 1 = 5S7 ßült
Denn von 587 bis zum Tod des Kommodus 192 erhalten wir
779 J.; vom Auszug bis zum Beginn des Exils unter Jojachiii
rechnete der Grieche 1005.1) Somit erhalten wir 5784 — 17M
= 4000.
Dieser Rechner hat, falls nicht ein Zufall waltet und Klein
richtig referirt, den Auszug 4000 Jahre nach der Schöpfung gehabt.
Für die Urväterreihe Gen. 5 ist 2148 Jahre eine ganz singu-
lare Zahl. Sie hat aber eine auffallende Relation zu 892 für den
Auszug bis zum Exil. Setzen wir die traditionellen Ziffern zwischen
diese beiden Summen ein, so entsteht:
bis zur Fluth 2148
bis zur Geburt Abrahams (mit dem 2. Kainan) Gen. 11 1070
Patriarchen 290
Aufenthalt in Egypten 430
Vom Auszug bis zum Exil 892
Exil 7d
4900.
Die bei Klemens genannten Zahlen 1250 und 616 sind auf-
fallend. Jedenfalls bekommen wir diese hohen Summen nur
dadurch, dass die griechische Glosse hv yr\ Xavaav Exod. 12, 40
für den Rechner nicht existirt. Er hat in die 430 Jahre die
Patriarchen zeit nicht einbefasst, sondern sie nur für Egypten ver-
wendet. Er ist auch hier durch den hebräischen Text regiert;
auch diess verbindet diese Zahlen mit der Benützung der hebrä-
ischen Ziffer 1. Kön. 6, 1 und der rabbinischen Königszahl.
Sollen es von der Fluth bis Abraham 1250 Jahre sein, so
müssen wir den Schlusspunkt bei seinem Tode suchen.
Von der Fluth bis zur Geburt Abrahams 1070
Abraham 175
1245.
Es bleibt uns ein auffallendes plus von 5 Jahren; vielleicht hat
dasselbe zu dem minus von 5 Jahren, welches die Summe 887
neben 892 aufwies, Beziehungen.
1) Mose 40, Richterzeit bis Samuel 463, Saul, David, Salomo 100, Kö-
nigsliste bis Zedekias Ende 413, somit bis Joj achin 402. Hiebei ist freilich
auffallend, dass er zwischen Ahas und Hiskia Hosea mit 8 Jahren unter
die Könige Judas stellt.
8. Die biblische Chronologie des „Jemand", Strom. 1, 21. 51
Ist die erste Summe durch den Tod Abrahams begrenzt, so
bleiben uns für die zweite Zahl 616:
Vom Tode Abrahams bis zur Einwanderung Jakobs
in Egypten 115
in Egypten 430
in der Wüste 40
585.
Für die „Vertheilung des Landes" d. h. für Josua bleiben somit
31. Ueber Josua steht gegenwärtig bei Klemens ein wunderlicher
Satz: fisza r/}r Mcovotcoi rov ßlov ts2.£vt?]v öiaöiyBxat t?v rjye-
fwviav rov Xaov '///oovg jtoZetJcov fiev Irtj ge, sv de rij y?j xr\
aya&it alXa jztvrs xal dxoot avajtavöäfisvoc. wq öh rc ßißXiov
rov 'LjOov jteQityti, öieöt^azo xiv Mcovota o jigosigt/f/svog avijQ
trt] x£. Wenn wirklich Klemens beide Satze schrieb, so hat er
bei zwei Vorgängern einen Ansatz für Josua gefunden. In dem
ersten ist aber er?/ §s unerträglich; er?] tg ist eine naheliegende
Besserung und giebt mit den 25 Ruhejahren den oben uns übrig
gebliebenen Rest von 31 Jahren.1)
Hienach stellt sich die Rechnung so:
Bis zur Fluth 2148
bis zu Abrahams Tod 1250
bis zum Auszug 545
bis zu David 435
bis zum Exil 452
Exil 70
4900.
Da wir die 7 grossen Wochen nicht bloss mit den vulgären,
sondern auch mit den von Klemens überlieferten Ziffern erhalten,
scheint mir diese Symbolik beabsichtigt zu sein. Alle diese Zahlen
sind bei Klemens überliefert; mir gehört einzig die Konjektur:
jioZsftojv Ixt) £'g statt tzr/ ge bei Josua. Ich glaube nicht, dass
dieselbe Vorwitz ist.
Um so sichrer gehören diese Ziffern zur Erklärung Daniels;
denn sie setzen die eschatologische Fassung der Jahrwochen
1) Es läge auch nahe in der Summe GIG dexaeg aus xui g zu
erklären, wodurch wir 660 erhalten: Isaak 60, Jakob 130, Egypten 430,
Wüste 40 = 660. , Allein dann wird die vorangehende Ziffer 1250 ganz
irrational und die Weise des Klemens empfiehlt, die xXrjQööooia nicht aus-,
Bondern in die Summe einzuschliesstn.
4*
52 Schlatter, Chronograph.
voraus. Di»' grosse Weltwoche endel mit der Gründung des neuen
Israel; Gott hat aber nach der Daniel gegebnen Offenbarung die
Wartezeit nochmals gedehnt und zu den 70 Exils jähren die 70
.Jahrwochen gefügt. Der Ablauf derselben bring! das letzte
Ende. Dass die 490 Jahre Daniels vom Ende des Exils an ge-
rechnet waren, wird nochmals dadurch bestätigt, dass die 4900
Jahre ebenfalls erst mit dem Ende des Exils voll werden.
Die überschüssigen 5 Jahre in der Summe 1250 von der
Fluth bis Abraham erinnern an die oft hervortretende Schwierig-
keit, die für die Berechnung der alten Chronographen aus den
beiden Jahren Sems nach der Fluth Gen. 11, 10 entsteht. Die
beiden Jahre hatten eine Schwebestellung zwischen beiden Listen
Gen. 5 und 11, wurden bald zur ersten, bald zur zweiten Liste
geschlagen und im Bericht Dritter leicht übersehn.
Da die erste Ziffer die Tage gezählt hat, die noch über das
ganze Jahr bei der Fluth hinausliegen, waren die beiden Jahre
Sems schwerlich übersehn, und der Hiatus in den Zahlen des
Klemens kann dadurch erklärt werden, dass er dieselben nicht
beachtet und hernach die Einer so zurecht gemächt hat, dass die
gewollte Summe wieder entstand. Als ursprünglichen Bestand
der Rechnung erhalten wir nach dieser Annahme:
Klemens:
bis zur Fluth
2148, 4
Tage
2148, 4 Tage
Sem
2
—
bis Abrahams Tod
1245
1250
bis zum Auszug
545
545
bis zu David
436
435
bis zum Exil
454
452
Exil
70
70
4900 4900.
Die symbolische Chronologie war eine nothwendige Folge
aus Daniels Weissagung. Da sich die letzte Periode des Welt-
laufs nach einer symbolischen Zahl vollzog, so lag der Schluss
nahe, dass sich Gottes Regierung überall in der Herrschaft runder
Zahlen bezeuge und nach grossen, der 7 unterworfnen Wochen
ablaufe. Die Symbolik wurde in zwei Formen ausgebildet, von
denen die eine Gottes Woche mit Jahrtausenden, die andre mit
700 Jahren bildete. Die letztere ist jüdischer und enger an
Daniel angeschlossen. Die 6000jährige Arbeitswoche der Welt,
8. Die biblische Chronologie des „Jemand", Strom. 1, 21. 53
zu welcher die Parusie den Sabbath bringt, war am Ende des
zweiten Jahrhunderts in der Kirche verbreitet, vgl. Julius und
Hippolyt. Wenn der „genauere" Gewährsmann des Klemens den
Auszug auf 4000 setzte, wird schon er die 6000jährige Woche
gehabt haben. Der Ansatz des Exils auf 5005 stimmt nicht
ganz, bleibt aber immerhin dieser Symbolik nah.1) Diese Jahr-
woche bedeutete aber den Verzicht auf die sofortige Nähe der
Parusie.2) Es entspricht sich, dass unserm Chronographen die
Parusie noch nahe ist und dass er nicht die 1000jährige Sym-
bolik aufweist, sondern die beiden Weltwochen mit 700 und
70 Jahren giebt.
Es ist nicht Zufall, dass dieselben Elemente, welche diese Rech-
nung benützt, auch bei den Kabbinen in ein symbolisches Ganzes
eingefügt sind. Denn mit der Rechnung der Tosefta erhalten wir:
Patriarchen 290
Egypten 430
bis zum Tempelbai i 4S0
Tempeldauer 410
bis zum letzten Tempelbrand 490
2100.
An der Ergänzung der Ziffer zur Weltwoche waren die
Kabbinen durch die Zahlen des masorethischen Texts gehindert,
der von Adam bis zur Geburt Abrahams nicht 2100, sondern
mit Sems zwei Jahren 194S Jahre giebt. Diese Symbolik ist
älter als der Tempelbrand: denn nicht seinetwegen ist die Ge-
schichte Israels in die grossen runden Jahre Gottes gefasst
worden. Das ursprüngliche Ende der Rechnung war der Christus
und das Himmelreich.
Auch Henoch hat verwandtes. Er giebt c. 93 10 Wochen,
von denen 3 ausschliesslich eschatologisch sind. Es bleiben
7 Wochen = 4900 Jahre bis zur Offenbarung der Geheimnisse
des Himmels an die Gerechten. Die Wochen werden nicht mit
Zahlen, sondern durch die heiligen Männer bezeichnet.
1) Zumal da die Königsliste des Klemens mit dem König Hosea in
Jerusalem nicht unbedingtes Vertrauen verdient.
2) Auf jüdischem Boden konnte man da, wo die Tage des Mee
und die ewige Vollendung unterschieden wurden, auch mit den 6x1000
Jahren eine auf die nächste Zukunft zielende Erwartung verbinden, denn
die Tage des Christus füllten leicht mit einigen hundert Jahren das 0. Jahr-
tausend aus.
54 Schlatter, ( 'bronograph.
Masorethische Ziffer
1. Woche: Henoch geb. 622
2. Woche: Noah geb. L056
3. Woche: Abraham geb. 1948
4. Woche: Gesetzgebung 2608
5. Woche: Tempelbau 3148 (1. Kön. 6, 1)
6. Woche: Tempelbrand 3578
7. Woche: ungefähre Gegenwart.
Bis Mose beruht die Rechnung deutlich auf den hebräischen
Zittern; dagegen verlässt sie mit dem Satz, dass der Tempelbrand
auf das Ende der 6. Woche falle, den Bibeltext ganz. Da bei
einem Juden der Widerspruch gegen das Schriftwort stets der
Erklärung bedarf, wird anzunehmen sein, dass Henoch eine Tra-
dition vor sich hat, welche den Tempelbrand auf 4200 setzt.
Da er dieselbe mit den hebräischen Zahlen für die Urväter kom-
binirt, verliert er nothwendig die Uebereinstimmung mit beiden
Formen des Bibeltexts. Der sekundäre Charakter der Rechnung
zeigt sich auch darin, dass sie die 7 X 700 und die 7 X 1000-
jährige Woche kombinirt, wodurch er ohne sachlichen Grund
eine Dreitheilung der Eschatologie erhält.
Weiter ist zu beachten, dass die verschiedenen Ziffern für
das Exil
vom Auszug bis Ende des Exils nach der Tosefta 960
bis zum Exil nach Eupolemus 1090 l)
bis zum Tempelbau nach A. 20, 10 612
zu den Schwankungen der Ueberlieferung in Gen. 11 auffallende
Beziehungen haben. Die eine Schwankung entsteht durch den
zweiten Kainan; so stehen 1072 neben 942 Jahren. Aber auch
durch Nahor wird die Summe wechselnd gemacht. Für den-
selben giebt
Cod. Vat. Sin. etc. 179
Jos. A. 1, 6, 5 129
1) Nach Kleinens hat Eupolemus gerechnet
vom Auszug bis zum 5. J. des Demetrius 1580
Jos. rechnet A. 20, 10 vom Auszug bis zum 1. Jahr Simons 1580.
Mein Schluss steht darauf, dass diess identisch ist. Weiter: vom Ende des
Exils bis zur Entweihung des Tempels durch Epiphanes 408 und zur Hin-
richtung des Menelaos 414; das bringt 490 genau auf das Epochenjahr des
Eupolemus. Also hat er gerechnet: 1580 — 490 = 1090.
8. Die biblische Chronologie des „Jemand", Strom. 1. 21. 55
Nim
Demetrius, Euseb, Cod.
AI. Samar. 79
hebr. Text
Jos. erhält dadurch für die 2. Liste die
29
Summe
992. 1)
erhalten wir:
Erste Liste
2148
2148
2148
/weite Liste
1072
990
942
Patriarchen
21M)
290
290
Egypten
Tempelbau
Tempelbrand
Exil
430
890
70
430
612
430
430
1090
4900 4900 4900.
Damit scheint mir ein doppeltes wahrscheinlich gemacht:
1 dass die singulare Lesung 2148 früher einige Verbreitung be-
sass. und 2) dass die Weltwoche zu 4900 Jahren öfter gebildet
worden ist. Auch die 1000 jährige Woche war leicht nach diesem
Schema zu gewinnen. Denn die Summe 2148 rechnet für Henoch
nur 65 Jahre; wurde er mit Demetrius, Euseb etc. zu 165 ge-
setzt, so stand die Rechnung beim Exil auf 5000.
Aber auch die Schwankungen der ersten Liste Gen. 5 haben
zu der Weltwoche Beziehungen.
Für Demetrius ist überliefert von Adam bis zum Auszug:
2264 + 1070 + 505 = 3839,
für Eupolemus
(2122 + 942 + 505) = 3569.
Fahren wir mit der durch Jos. A 9, 14, 1. 280 wahrscheinlich
gemachten Ziffer für den Tempelbau2) fort, so ergiebt sich:
bis zum Auszug 3839 3569
bis zum Tempelbau 631 631
Tempelbestand 430
4900 4200
1) Die Summe steht A. 1, 6, 5. In den Einzelposten ist das fehler-
hafte 12 für Sem und 120 für Nahor, wodurch die Summe verloren geht,
leicht zu bessern in Sem 2, Nahor 129.
2) Die verwendeten Ziffern für die Richterzeit lassen sich leicht durch
die überlieferten Zahlen verstehn. Saul ist nach 1. Sam. 13, 1 hebr. Text
berechnet; nämlich Samuel 12, Saul 40 oder 20, was gleichwertig ist mit:
Samuel 50 oder 30, Saul 2, ein Ansatz, der bekanntlich schon bei Jos.
steht, und sicher nicht von ihm erfunden ist.
56 Schlatter, Chronograph.
Bei den bedeutsamen Einschnitten der jüdischen Geschichte
entstehn die runden Summen schwerlich durch Zufall Ich sehe
in denselben das Merkzeichen, dass unser Chronograph eine Tra-
dition befolgt, die weit über ihn zurückreicht. Auch diese
Parallelen geben ihm seinen Platz in der jüdischen Christenheit
Die Griechen haben beim Exil oder Tempelbau keinen Symbolismus
mehr gesucht.
9.
Theophilus von Antiochien.
Die singulare Ziffer für die Fluth erscheint bei ihm nicht;
denn er hat das den Vulgärtext der Sept. bildende 2242. Seit
der Fluth stellt sich aber ein eigenartiges Verhältniss zwischen
ihm und dem Chronographen heraus.
Bis zur Geburt Isaaks Theoph.: 1036; Chronogr.: 1170.
Theophilus hat den zweiten Kainan nicht, verkürzt aber auch
Nahor um 4 Jahre, da er ihm statt 79: 75 giebt.
Bis zur Vertheilung des Lands Theoph.: 660; Chronogr.: 660.
Nicht nur die verwandte Eintheilung der Ziffern, sondern
auch die Abhängigkeit vom hebräischen Text Exod. 12, 40 ver-
bindet hier Theophilus mit dem Chronographen.
Von Josua bis Davids Tod ist die Ueberlieferung bei Theophilus
gespalten. Die Handschrift giebt III cap. 25:
Theoph.: 436; Chronogr.: 436,
also wieder die hebräische Ziffer 1. Kön. 6, 1; in der abschliessen-
den Rekapitulation c. 28 steht dagegen 498. Die überlieferten
Einzelposten geben 497.
Otto hat 498 für echt gehalten; ob er aber die Beziehung
von 436 zu 1. Kön. 6, 1 gesehen hat, ist nicht zu erkennen. Die
Einzelposten scheinen mir an einer Stelle deutlich interpolirt.
Auffallend ist einerseits: Ehud 8 statt 80 Jahre, und andrerseits:
Philister 40, Simson 20, Friede 40, Samera 1, Eli 20. Samera
ist Samgar, dessen eines Jahr auch bei Julius vorliegt und in
der alten Chronologie eine Geschichte hat. *) Aber wie kommt
1) Ueber Samgars einziges Jahr vgl. Stud. u. Krit. 1891, 681. Nach
dem Gesagten zu niodinciren ist der Satz: „Die Ziffer kehrt von An-
fang an bei den Griechen wieder von Theophilus an." Das ist nur für
den überlieferten Text desselben richtig. Der dxQißbOTSQoq des Rie-
mens bekommt in der Richterzeit in der Summe Monate: 463 J. 7 M.
9. Theophilus von Antiocliien. 57
er neben Eli? Dass er am falschen Ort steht, kennzeichnet ihn
als nachträgliche Einlage, womit aber auch die 40 Friedensjahre
vom Verdacht getroffen werden, aus Julius zu stammen. Damit
v« uliert die aus den Einzelposten addirte Summe ihren Halt.
Mit. Philister 2o, Simson 20 haben wir 436, wie es die andre
Lesung giebt.
Wäre Theophilus aus 1 Kön. 6, 1 interpolirt worden, so wäre
schwerlich die hebräische Ziffer benutzt worden. Ich halte es
für wahrscheinlicher, dass der falsch gestellte Samgar, als dass
die hebräische Zahl erst nachträglich eingedrungen ist.
Geizer, Julius Afr. 1, 23, hat Ehuds 8 statt 80 als alten
Schreibfehler angesehen und vorgeschlagen, die 72 Jahre desselben
dadurch einzubringen, dass die Periodisirung bei Eli gemacht
werde, wodurch Samuel, Saul und David mit 72 Jahren zur fol-
genden Summe kommen. Allein dann müssen wir, wenn die
überlieferten Summen gelten sollen, die Königsliste um ebenso-
viel verkürzen, was ohne willkürliche Schnitte nicht möglich ist;
auch sagt der Text ausdrücklich, dass die gegebene Summe sich
auf David erstreckt. Und den Samgar behalten wir damit an
seinem falschen Ort.
Ehuds 8 Jahre statt 80 hängen vielmehr mit der geringen
Summe 1. Kön. 6, 1 zusammen, in die sich nach der her-
kömmlichen Weise die Einzelzahlen nicht eingliedern Hessen,
ohne dass irgendwo ein kräftiger Abstrich an der Richterzeit
vorgenommen wurde. Es scheint mir desshalb auch die Ver-
kürzung Ehuds zu bestätigen, dass die Liste in ihrem Schluss
nicht unversehrt ist. Es hat wenig Sinn, für Simsons Periode
120 Jahre anzusetzen und gleichzeitig diejenige Ziffer für Ehud
zu verwenden, die zu 480 passt.
Die eschatologische Haltung des Chronographen macht es
wenig wahrscheinlich, dass er für die Perioden der jüdischen Ge-
schichte die einzelnen Posten gab. Steht Theophilus auf dem
Chronographen, so wird er nur das allgemeine Schema bei ihm
gefunden haben, das er nun selbst mit den Einzelziffern füllt.
Für die Königszeit seit Davids Ende giebt
Klemens macht dieselben nicht verständlich. Ich wüsste nicht, woher die
Monate stammen könnten, wenn sie nicht der Vorläufer zu »Samgars einem
Jahr sind.
58 Schlatter, Chronograph.
Theophilus 1 18 Chronogr. 414
Exil 70 70
Gesammtsumme seit der Fluth 2650 27.">0.
Vom zweiten Kainan und der singulären Ziffer von Nahor
her ist der Chronograph Theophilus um 134 voran; dieser holt
aber die 34 wieder bei der Königsliste ein, obwohl er sie ziemlich
gewaltthätig dehnen muss. Mit dieser Summe verbindet rieh
wenigstens im jetzigen Text die Vulgärziffer für die Fluth 2242,
wodurch die Gesammtsumme 4892 wird und um 8 Jahre hinter
der runden Weltwoche zurückbleibt.
Vom Exil an verändert sich die Rechnung total. Theophilus
muss einen neuen Führer suchen und findet ihn im Nomenklatur
des Chryseros, des Freigelassenen des Verus. Mit diesem macht
er nun sehr konfus den Uebergang von Cyrus zu Tarquinius
Superbus und rechnet der römischen Reihe nach bis auf die
Gegenwart.
Weil 1) Elemente des hebräischen Texts bei Theophilus auf-
treten (jedenfalls Exod. 12, 40, wahrscheinlich auch 1. Kön. 6, 1)
und weil
2) Theophilus durch seine Quelle beim Exil völlig im Stich
gelassen wird und sich selber mit dem Chryseros, so gut es geht,
forthelfen muss, darum halte ich es für wahrscheinlich, dass
Theophilus auf dem Chronographen steht, so dass auch er dessen
fortdauerndes Ansehn, jedoch ebensosehr den völligen Verzicht auf
seine eschatologische Rechnung am Ende des Jahrhunderts belegt.
10.
Das singulare 2148.
An das Räthsel der Textgeschichte von Gen. 5 und 11 sind
wir wieder gewaltsam erinnert. Alle andern Faktoren, mit denen
unser Chronograph rechnet: 430 in Egypten, 480 Tempelbau,
410 Tempeldauer, 7 X 700 Jahre bis zum Neubau des Tempels,
Ochus qui et Cyrus, 490 bis zum Himmelreich, sind jüdisch.
Akiba hätte genau ebenso rechnen können, als er ein Jahrzehnt
früher Bar Kochba zum gesalbten König ausrufen liess. Nur
bei Gen. 5 und 11 verschwindet plötzlich der hebräische Text.
Mit der Verweisung auf die Autorität der Sept. auch in den
Kirchen Palästinas kommen wir nicht durch. Denn für Ex. 12, 40
10. Das singulare 2148. 59
und 1. Kön. 6, 1 hat er dieselbe nicht anerkannt. Und wie soll
man es sich vorstellen, dass die hebräische und griechische Bibel
an einer Stelle, wo sie so hart aufeinander stiessen, unausge-
glichen neben einander als Autorität existirt haben? Kommen wir
um den Schluss herum, dass die Zahlen, die unser Chronograph
giebt, auch in seiner hebräischen Bibel standen? *) Wir haben
es ja mit einer Bibel zu thun, die leicht älter als Hadrian ge-
wesen sein kann.
Das Fehlen der Hunderter in den hebräischen Listen Gen. 5
und 1 1 ist schon oft für sekundär erklärt worden. Wer diess
thun will, rnuss für diesen starken Eingriff in den Text auch ein
starkes Motiv aufzeigen, und darf sich nicht damit begnügen,
von Fälschung der Rabbinen zu reden. Es gilt, den Gedanken
zu finden, welchen die Entfernung der Hunderter zum Ausdruck
bringt. Die Hoffnung Daniels leistet diess. Sie hat diejenige
symbolische Rechnung erzeugt, die nicht mit langen Fristen
operirte, sondern die abgelaufne Weltzeit in ein kurzes Mass
fasste. Dieselbe würde zugleich erklären, warum die "Geschichte
des griechischen und des hebräischen Texts sich hier trennt und
die Verkürzung der Ziffern nur auf palästinensischem Boden (Ma-
st »ra. Samarit,, Henoch, JubiL, Josephus) sich beobachten lässt.
Nun giebt der masorethische Text unzweifelhaft
vom Auszug bis zum Tempelbau 1. K. 6, 1 480
bis zum Exil 430
bis zum Himmelreich nach Daniel 490
1400.
Auch das legt nahe, dass die Redaktion der Ziffern im
hebräischen Text auf der Ziffer Daniels beruht. Die Bejahung
dieser Frage schlösse in sich, dass von Adam bis zum Auszug
2800 Jahre gerechnet wurden. Dadurch entständen die 6 „grossen
Jahre" zu 700 Jahren, auf welche der Sabbath des Himmelreichs
kommt. Die Summe des gegenwärtigen Texts giebt aber 2668,
also 132 Jahre weniger. Allein mit dieser Summe giebt das von
Jos. überlieferte 612 bis zum Tempelbau dasselbe Resultat:
1) Dasselbe Problem stellt auch das Geschlechtsregister Jesu bei
Lukas mit dem 2. Kainan, dessen Herkunft aus der palästinensischen Ge-
meinde sich nicht bezweifeln lässt, und das dennoch auf einer Bibel mit
den grossen Zahlen beruht.
00 Schlatter, Chronograph.
Erste Vaterliste
1656
/weite „
■i\)l
Patriarchen
290
Egypten
430
Tempelbau
612
Tempelbestand
430
bis zum Himmelreich
490
4200.
Giebt der masorethische Text gemischte Lesungen aus den
beiden Systemen, nach denen die 6 mal 700 Jahre gebildet sind?
Die Väterlisten wären der Kopf zur Summation der Richter- und
Königszahlen, und 1. Kön. 6, 1 der Schluss zu einer auf 2800
gestellten Rechnung bis zum Exodus.
Auch der Samaritaner lässt sich leicht aus demselben Ge-
sichtspunkt verstehn. Nur ist dort der Endpunkt der 2800 Jahre
nicht der Auszug, sondern die Eroberung und Vertheilung des
Lands. Als Josua die Stiftshütte nach Sichern brachte und das
Volk im Lande angesessen war, haben die 2800 Jahre ihre Er-
füllung gefunden. Der Samaritaner giebt:
Bis zur Fluth 1307
Väter nach der Fluth 942
Patriarchen und Egypten 505
2754
In der Wüste 40
Eroberung des Landes durch Josua 6
2800.
Die Rabbinen zählen allerdings nicht 6, sondern 7 Kriegs-
jahre für Josua: z. B. j. sheb. 6, 36b. tfbtf Wnna tfb DDW,ntf
IpbriTÖ Jtttn 'lM^DTÖ ynrc JH3E mW ^ma nnab. Dieselbe Zählung
erscheint in dem auf dem griechischen Gebiet sehr verbreiteten An-
satz von 27 Jahren für Josua, von dem der bei Klemens stehende
Satz behauptet, er stehe im Buch Josuas. Aber daneben lesen wir
ucoXsficov £TTj eg, und bei Josephus: srog ds uiiy.ur.Tov ?]6t] uzaoeXrjXv-
&et, A. 5, 1, 19. 68, und der beste Textzeuge, der Lateiner, giebt Josua
26 Jahre, d. h. 6 Kriegs- und 20 Ruhejahre, A.5, 1, 29. 117, und noch
in der Passachronik steht: kgr^JimCaq ßaöiZeiac xd' hv s§ ereoiv,
pg. 144 ed. Bonn. Uebrigens würde sich auch die Ziffer 7 zum
samaritanischen Schema fügen, da es sich mit Gen. 11, 10 auch
vereinigen Hesse, wenn dort nur ein Jahr eingelegt wird. Hat
10. D;^ Bingul&re 2148. 61
uian aber auch in Sichern mit der symbolischen Ziffer gerechnet,
so that man diess in Jerusalem erst recht. Es hat einige Wahr-
scheinlichkeit, dass derselbe Schlüssel, der die Besonderheiten des
Codex von Sichern deutet, auch die Lesung des masorethischen
Texts aufschliessen wird.
Die übrigen im Alterthum auftretenden Summen bis zur
Fluth lassen sich sämmtlich leicht aus den erhaltenen Varianten
erklären. Die Schwankungen beziehen sich bloss auf den zweiten
Theil der Liste, wahrend die 5 ersten Ziffern in den Zehnern
und Einern stabil bleiben. Wir erhalten:
Die 5 stabilen Posten 960 960
Jared 162 162
Henoch 165 165
Methusalah 187 167
Lamech 188 188
Noah 600 600
2262 *) 2242 2) 2122 3) 1662 4) 1656 5) 1307«).
Nur unser 2148 fügt sich in das Ueberlieferte nicht.
Jared scheint stabil, ist es aber dess wegen nicht, weil statt
des runden 800 für seine Lebenszeit beim Samaritaner 785 steht.
Sollte unser Chronograph für Jared 188 gelesen haben:
960
460
460
460
162
162
162
62
65
65
65
65
167
187
187
67
168
188
182
53
600
600
600
600
die fünf stabilen Ziffern:
960
Jared statt 162
188
Henoch \
Methusalah [ wie bei Eupol.
65
167
Lamech
168
Noah
600
2148,
dann erhalten wir auch die 4 X 700 Jahre bis
zum Auszug ohne
jede weitere Konjektur:
die fünf stabilen Ziffern:
460
Jared
188
Henoch
165
Methusalah
187
Lamech
188
Noah
600
1788
1) Demetrius Julius. 2) Euseb, Vulgärziffer. 3) Eupolemus.
4) Jos. A. 8, 3, 1. 61. 5) Hebr. Text. 6) Samarit.
02 SchUtter, Chronograph.
1788
Sem 2_
1790
Liste Gen. 11 290
Patriarchen 290
Egypten 430
2800
vom Auszug zum Tempelbau 480
Tempeldauer 430
bis zum Himmelreich 490
4200.
Fügen wir die mit Jareds 188 gebildete Summe zu 992, der
von Jos. für Gen. 11 überlieferten Zahl, die Nahors 129 in sich
schliesst, so ergiebt sich:
Erste Liste der Väter 2290
zweite „ „ „ 990
Erzväter 290
Egypten 430
4000.
4000 stand vermuthlich für den Auszug beim axQißtorsQOQ des
Klemens.
Es spricht manches dafür, dass die Konjektur 188 für Jared
zusammen mit Nahors 129, wie sie Jos. giebt, den alten echten
Text herstellt. Denn wie die Variationen in diesen Ziffern nicht
als Zufall zu verstehen sind, so ist schon ihre erste Genesis kaum
denkbar als ein blosser Willkürakt des Gesetzgebers. Mir scheint
der Wunsch begründet, ein Princip wahrzunehmen, aus dem die
Bildung der Reihe begreiflich wird. Die auf 4000 endende Reihe
lässt sich genetisch verstehn. Denn die Summen 2290, 990, 290
haben eine einfache Proportionalität. Das Schema ist:
290 + 2 x 700 + 600 = 2290
290 + 700 = 990
290 = 290.
Der Rest, der das 4. Jahrtausend voll macht, 430, fällt der
Zeit in Egypten zu. Der gegebne Ausgangspunkt der Reihe sind
die Patriarchenzahlen. Dass Abraham hundertjährig den Sohn
erhielt, und Jakob 130jährig nach Egypten wanderte, wird man
längst erzählt haben. Das gab für die Patriarchenzeit den An-
satz 100 + 60 + 130 = 290, der sich auch als die Zahl des
10. Das singulare 2148. 63
Mondlaufs leicht einprägt. Sodann ragt Noahs 600 eigenartig
aus diesen Zahlen hervor. Auch der Ansatz der Fluth in Noahs
600. Jahr wird ein alter Ansatz sein. Nun wird die übrige
Reihe dadurch gebildet, dass das gegebne 290 für alle 3 Perioden
als Grundziffer verwendet und für die Väter bis Noah um 2 X 700,
für die Väter vor Abraham um 700 Jahre vermehrt wird, wäh-
rend der Auszug das begonnene Jahrtausend schliesst. Warum
wird nicht einfach gesagt, dass Israel 400 Jahre in Egypten
wohnte? warum müssen es genau 430 sein, wenn der Erzähler
nicht eine runde Summe erstrebt?
Sodann erhalten wir von 4000 aus einen verständlichen Stamm-
baum der Varianten. Zum Rhythmus der Weltwoche von 6 x 700
Jahren gelangte man von 4000 aus leicht. Der Rechner auf
Grund von Daniel nahm der ersten Väterliste 500, der zweiten
700 Jahre, wodurch er mit dem Auszug bei 2800 stand. Allein
das setzte die Zahl 480 für den Tempelbau voraus, die sich mit
den Posten des Richterbuches stiess. Wurden diese summirt
und der Tempelbau auf 612 gesetzt, so niusste die runde Zahl
für den Auszug aufgegeben und die erste Väterliste nochmals
verkürzt werden.
Wer die hebräischen Ziffern für älter hält, kann sich die
Bewegung der Zahlen umgekehrt denken. Dann treten die Va-
rianten dess wegen auf, w^eil die Rundung zu 2800 oder zu 4000
beim Auszug angestrebt wird.
Dass sich die 6 x 700 Jahre nirgends unversehrt überliefert
finden, ist durch die einschneidende Wandlung erklärbar, welche
die Auslegung Daniels seit Hadrian erfahren hat. Seit Daniels
Zahl den Tempelbrand weissagte, war es mit der Berechnung
des gesammten Weltlaufs nach derselben vorbei Darum finden
sich im masorethischen Text Lesungen neben einander, die ver-
schiedneu Systemen angehören; das Interesse an ihrer Ausgleichuug
war tot. Deute ich die masorethischen Ziffern richtig, so illu-
striren sie nicht nur das Steigen, sondern auch das Sinken der
messianischen Hoffnung von Daniel bis Hadrian.
Das ist derjenige Zweig der Rechnung, der 490 mit um-
schliesst und beim Himmelreich endet. Die andre Stelle, von
welcher Variationen schon vor Daniel ausgingen, ist Exod.
12, 40. Die Glosse xal iv yjj Xavaav trat ein, welche durch
Moses Genealogie empfohlen schien. Dadurch wurde die Summe
(34 Schlatter, Chronograph.
um 215 gekürzt, und die Symmetrie zerstört. Auch die Vater-
listen kommen nun ins Schwanken, weil beim Ende des Tempels
oder des Exils die verlorne Symmetrie, sei es mit 5000, sei es
mit 4900, wieder gewonnen wird. J)
Das ist ein „Kartenhaus", so lange wir Jareds 1 SS Jahre bloss
aus der Summe 2148 herausschälen müssen. Vielleicht besitzen
aber andre mehr Material in dieser Sache als ich, und wenn sich
für Jared 188 irgendwo überliefert fände, dann wäre allerdings
nicht nur bewiesen, wie unser singuläres 2148 zu deuten ist,
sondern weiter, dass es vor Hadrian hebräische Bibeln gab mit
den 6 x 700 Jahren bis zum Himmelreich, und auch diess wäre
wahrscheinlich gemacht, dass 2800 aus 4000 stammt.
Vorerst notiren wir als Ertrag für unsre Untersuchung, dass
der Schluss aus der Verschiebung des Cyrus bei Jos.: Artaxerxes
= Cyrus, auf Berechnungen des Himmelreichs in Jerusalem sich
bestätigt hat. Denn dass die masorethischen Zahlen mit dem
überlieferten 612 und 430 auf 4200 stehn, das ist nicht Konjek-
tur, sondern Thatsache. Dadurch wird aufs neae die Zugehörig-
keit des Chronographen zur jüdischen Christenheit fest. Jeden-
falls lässt sich seine auffallende Fluthziffer nicht als Zeichen
seines griechischen Standorts verwenden. Denn sie mag leicht
eine alte Lesung erhalten haben, welche den Chronographen mit
den Rechnungen Jerusalems zusammenbringt, und damit in bester
Ueberein Stimmung stehn, dass er auch in der Deutung der Zahl
Daniels noch den alten Gedanken vertritt.
Zugaben.
1) Auch Jos. 8, 3, 1. 61 greift hier ein. Der Chronograph,
aus dem Jos. hier schöpft, ist nicht unbedeutend, da er ihm die
tyrischen Synchronismen geliefert hat. Dort wird der Auszug
1) Werden Jareds 188 zu den grossen Ziffern gefügt, so erhalten wir
2290 bis zur Fluth, 1145 mit dem 2. Kainan bis zur Berufung Abrahams.
Die 2. Periode wird genau die Hälfte der ersten; die Fortsetzung mag ge-
wesen sein: 430, 631, 434, 70 = 5000. Auch der Typus des Samaritaners
ist zu beachten. Er brachte mit Jared 188 und dem zweiten Kainan die
Fluth genau in die Mitte: bis zur Fluth 1790, bis zum Auszug (ohne die
Glosse FiXod. 12, 40) 1790. Mit der von Jos. gegebenen Ziffer 1662 bis zur
Fluth stand sie in der Mitte zwischen Auszug und Schöpfung bei Jareds
162 und 942 für die 2. Liste. So erhalten wir beidemal 1662.
10. Das singulare 2148. 55
auf 2510 gesetzt, ein Ansatz, der an denjenigen im Buch der
Jubiläen: 2410 erinnert.
Die Summen sind bis zum Tempelbau:
seit dem Auszug 592
seit der Berufung Abrahams 1020
seit der Fluth 1440
seit Adam 3102.
Für die Berufung Abrahams ist zunächst nach f/sra %l1i<x
xal dxoöi noch xal ovo beizufügen, wodurch wir für die Patri-
archenzeit statt der irrationalen 428 die kanonischen 430 Jahre
erhalten. Die Frist von 1662 Jahren zwischen Adam und der
Fluth ist verständlich, aber die 418 J. von der Fluth bis zur
Berufung Abrahams verschliessen sich dem Verständniss. Allein
L662 + 418 ergiebt 2080, d. h. diejenige Summe, welche der niaso-
rethischen Rechnung den Symbolismus giebt: 2080 -\- 290 -f- 430
= 2800. Es scheint hier der Anfang der Weltwochenrechnung
erhalten zu sein; aber Jos. hat die Summe verkehrt getheilt in
1662 und 418, statt in 1788 und 292 und übersehen, dass er
mit dieser Summe noch nicht bei der Berufung, sondern erst
bei der Geburt Abrahams stand, so dass er das irrationale 418
schuf, und da er weiter für 430 nicht die hebräische, sondern
die griechische Rechnung verwendet, verkürzt sich ihm die
Summe noch einmal um 215 Jahre, so dass aus 2800 nun 2510
geworden ist. Wenigstens ist diess ein Erklärungsversuch dieser
Zahlen, für die es sonst noch keine Erklärung giebt. Aber
auch hier sind die Zahlen so überarbeitet und zerbrochen, dass
sich auch an dieser Stelle keine zwingende Beobachtung ge-
winnen lässt.
2) Die Ziffer 612 für den Tempelbau erfordert noch einige
Ueberlegung, weil sie dadurch einige Wichtigkeit erhalten hat,
dass sie mit den masorethischen Listen im System der 6 x 700
Jahre zusammen gehört. Sie steht A. 20, 10 als Summand in
1580, der Summe des Eupolemus. Jos. setzt sie aber mit einer
irrationalen Tempelziffer fort: 466, die er nur durch Salomos
80 Jahre einigermassen rationalisirt. Ich schloss darum in der
Abhandlung von 1891, dass Jos. die Zahl des Eupolemus ver-
schoben habe vom Anfang Davids auf den Tempelbau. Ich sah
aber damals den Symbolismus in den synagogalen Rechnungen
Texte u. Untersuchungen XII, 1. 5
ßß Schlatter, Chronograph.
noch nicht. Derselbe spricht in der That dafür, dass 012. wie
Jos. es fasst, für den Tempelbau verbreitet war. 'j
Andrerseits erhalten die Gründe, die dafür sprechen, dass
die Königsziffer des Jos. ihm und nicht Eupol. angehört, dadurch
eine Verstärkung, dass Eup. Salomo gegen den Schrifttext im
ersten Jahr den Tempel bauen lässt. Ich nahm diess 1S91 als
eine Laune des Eup. hin, die sich nur durch die Erwägung erläu-
tern lasse, dass Salomo ohne Zögern an sein grösstes Werk gehen
müsse. Aber die Zahlen des Eupolemus stehn seit der Fluth so:
Liste Gen. 11 942
Patriarchen und Egypten 505
bis zu David 612
David 40
bis zum Tempelbau 1
"21ÖÖ"
Der direkte Widerspruch mit dem Schriftwort und die runde
Ziffer werden auch hier mit einander in Zusammenhang stehn.
Da nun Eupolemus nach seiner ganzen Art schwerlich als ein
selbständiger Rechner gelten darf und seine Zahlen 2122 und 1090
auch in andere Kombinationen sich fügen, vgl. S. 55, so wird an-
zunehmen sein, dass die Summe 612 ihm bereits überliefert war
und von ihm nur in besondrer Weise verwendet wird. Um so
glatter erklärt sich die irrationale Tempelziffer des Jos. 612 lag
ihm doppelt vor: als Summand von 1580 und als Summe für den
Tempelbau. Da er die Zahl in der letztern Weise deutete, und
doch 1580 nicht verlieren wollte, kam er nothwendig auf seine
willkürliche Zahl für den Tempelbestand. Die wichtigste Seite
dieser Frage ist das chronologische Moment. Eup. ist durch den
Polyhistor excerpirt worden. Da er bereits 612 verwendet, ist
die mit den masorethischen Zahlen zusammengehörende Tempel-
ziffer für die Zeit Hyrkans I oder Jannais belegt.
11.
Der „gefälschte" Josephus des Origenes.
Nach der traditionell gewordnen Meinung las Origenes einen
christlich interpolirten Josephus; nach meiner Meinung las er
Citate aus Josephus, die christlich interpretirt gewesen sind.
1) Es erklärt sich ohne jede Schwierigkeit: Wüste 40, Josua 26,
Richter (die Posten des Buchs addirt) 410, Eli 40, Samuel 50, Saul 2,
David 40, Salomo bis zum Tempelbau 4.
11. Der „gefälschte" Josephus des Origenes. (37
evgokuev, sagt Origenes zu Mth. 21, 25, ex xojv xaxd xov ygo-
vov Tißegiov Kaioagog löxogiojv ygapdg, cog dga hei JJovxiov
IJiXdxov exivövvevoev 6 Zaog, xov fiev Ihldxov ßiaCof/evov dv-
ÖQiavxa KaiöaQog dvafrelvai ev xcp vam, xojv öh xal jtagd övva-
{uiv xmXvovxajv. xo öe ofioiov dvayeygajtxai yeyovevai xal xaxd
xovg ygovovg raiov Kaioagog. Besonders merkwürdig sei, dass
ccvTog jtQcoxog kxoXprfiB iiidvai xov vaov xov &eov üiXäxoq,
cp jiageöorxav xov 'h/oovv. Hier liegt deutlich der Bericht des
Jos. zu Grund über den Streit um die Kaiserbilder unter Pilatus
und unter Caligula. Allein Origenes stellt sich vor, Pilatus habe
den Tempel durch ein Kaiserbild entweihen wollen. Stand das
in seinem Jos. und war dieser gefälscht, so dass er das [iiavai
xov vaov für Pilatus bot? Und hat Origenes Geschichten des
Jos. yga<pai genannt? Die Stelle verlangt nichts anderes, als dass
Origenes eine kurze Erwähnung der Dinge unter Pilatus und
Caligula vor sich hatte, die beides als gleichartig zusammenstellte,
so dass er die Differenz zwischen den Ereignissen unter Pilatus
und unter Caligula nicht wahrzunehmen vermochte, sondern auf
Pilatus übertrug, was bloss von Caligula richtig ist.
Die Herodianer erklärt Origenes zu Mth. 21, 25 als diejenige
Parthei, welche dem Kaiser die Steuern geben wollten, im Gegen-
satz zu den Pharisäern, welche sie verweigerten. iöxog?]xai öh
oxi yfovöag fiev 6 raXiXaiog, ov fisfivqxcu xal Aovxäg ev xalg
xoiv ajiooxöXwv jiga^zöiv, djtoöxrjöag JtoXv jtXrjd-og 'Iovöaiwv
eöiöaoxe firj ÖBlv öiöovai Kalöagi <pogov firjöh xvgiov dvayogeveiv
xov Kaloaga. o öh xaxd xov xaigov avxov xexgdgyrjg jiel&eiv
eßovXexo xov Xabv elxeiv xT\ Jtagovo?] xaxaoxdöet xal [irj avfrai-
gexov aigeiö&ai Jtgog löyvgoxegovg jioXekuov, öiöovai öh xovg
(pogovg. Hier bestehn deutliche Beziehungen zu A. 18, 1, 1;
aber der Tetrarch, gegen den sich die Bewegung richtet und
der das Volk zu beschwichtigen sucht, ist für den Text und Sinn
des Jos. ein fremdes Element. Wie soll Origenes selbst die Stelle
aus Jos. schöpfen, ohne auf die Absetzung des Archelaus und
die Einrichtung der römischen Prokuratur zu stossen, während
er sich seinen Herodes als Landesherrn von ganz Judäa denkt?
Dagegen hat Origenes gehört, dass Juda sich als Christus gab,
c. Cels. 1, 57 u. zu Joh. 1, 21. 6, 6, was nicht aus Jos. stammt,
und die Abwesenheit desselben bestätigt sich dadurch, dass
Origenes konstant Theudas vor die Geburt Jesu stellt und kein
(>§ Schlatter, ChronograplL
Bewusstsein zeigt, dass hier eine chronologische Schwierigkeit
besteht.
Zu Matthäus 14, 2 erwägt Origenes, worin die Sünde des
Herodes bestanden habe. „Jemand meint," xivlg (liv ovv o'Lovxai,
die Ehe sei desshalb illegal gewesen, weil Philippus nicht kinder-
los gestorben sei. Dieser „Jemand" kennt die Erzählung des Jos.
nicht. Origenes fügt bei: fj/ielg de fir/öafir/ öacpcog tvoloxovxtg
xsfrvqxJvcu xov <Pifojzjiov (lü^ov exi xo ziaoavö[irma xco HqwÖ%
ZoyiCofJs&a ysyovtvat, oxi xal ^covxog ajttoxrjöe xov aöeXipov
xr]v yvvalxa. Origenes hat somit nachgesucht, ob Philippus
vor „Herodes" gestorben sei, hat diess aber nirgends unzweideutig
gefunden. Er hat aber auch das Gegentheil nicht gefunden, dass
der Mann der Herodias, als sie ihn verliess, noch am Leben war.
D. h. Origenes hat nicht bei Jos. gesucht.
Den Spruch: das Gesetz und die Propheten bis Johannes,
belegt Origenes damit, dass der Täufer noch von Herodes, Jesus
nicht mehr von Herodes, sondern von Pilatus getötet worden sei.
Denn r) xcov ßaöiXevodvxcov ev xco Xaco e^ovoia fityyt xov
avaiQSlv xovg vofu^oftsvovg dt-iovg &avdxov avxolg vjiccQzovxaq
tcog 'Ioxxvvov r)v xal dvaioedtvxog xov xelevxaiov xcov jic>og)?/-
xcov jiaocivoficoQ vjto xov Hgcodov, avyigt&r) o 'Iovöalcov ßaoiXsvg
xrjg xov dvaiQelv sgovöiac. el ydg fir) acprjorjxo avxfjv 6 Hqoj-
örjg, ovx av aöixaösv o Uilaxog xov 'irjöovv xr)v ejti d-avdxcp,
dl)! ijQxrjOev av Hoc6dr]g fisxd xrjg xcov ctoxisgecov xal jtgeo-
ßvxzgcov xov Xaov elg xovxo ßovZrjg. Dadurch war Gen. 49, 10
erfüllt.
Somit hat Origenes von der Einrichtung der Provinz Judäa
keine Vorstellung und weiss vom Regiment der Prokuratoren
anstatt der Herodier in Jerusalem nichts. Sein Herodes ist König
von Jerusalem, nur dass ihm nach der Hinrichtung des Täufers
das Blutgericht genommen war. Das beweist eher, dass Origenes
den falschen Petrus, als dass er Jos. kennt.
Was die Juden Joh. 2, 20 über den Bau des Tempels sagen,
bringt Origenes in Verlegenheit. Gegen Herakleons Ausdeutung
der Stelle liegt es ihm daran, ihre historische Wahrheit darzu-
thun. Zu Salomos und Serubabels Tempelbau passt sie aber nicht;
er tröstet sich nun damit, dass der Tempel in der Makkabäer-
zeit leicht einmal zerstört und wieder neugebaut sein könne. D. h.
Origenes hat vom herodeischen Tempelbau nichts gehört.
11. Der „gefälschte" Josephus des Origenes. 59
Durften diese Instanzen wirklich bloss als negative Argu-
mente beurtheilt werden? Ich schliesse nicht: Origenes redet
nirgends vom Tempelbau des Herodes, also hat er Jos. nicht
gekannt, was selbstverständlich thöricht wäre. Der Schluss steht
im Gegentheil auf bestimmten positiven Aussagen des Origenes.
Er hat Herodes für den König Jerusalems erklärt, hat es als
problematisch behandelt, ob er einen Ehebruch begangen habe,
und hat die makkabäische Periode als diejenige bezeichnet, in der
ein Neubau des Tempels am leichtesten unterzubringen sei. Diese
Vorstellungen schliessen Jos. positiv aus. Die Fragen, die sich Ori-
genes stellte, hätten bei Jos. ihre Erledigung gefunden, finden aber
eine solche bei Origenes nicht; also hat er sie nicht bei Jos. gesucht.
Über die Königin von Saba hören wir, Hohes L. 1, 5: inve-
nimus autem hujus ipsius reginae etiam Josephum in historia
sua facere mentionem addentem etiam, hoc quod posteaquam re-
gressa est, inquit, a Salomone, Cambyses rex miratus ejus sa-
pientiam, quam sine dubio ex Salomonis sapientia susceperat, cog-
nominavit, inquit, nomen ejus Meroen. refert autem, quod non
solum Aethiopiae, sed et Aegypti regnum tenuerit. Letzteres ist
korrekt cf. A. 8, 6, 5. 6. 165. 167. Kambyses und Meroe stam-
men dagegen aus dem von Jos. über Mose gegebnen Midrasch:
övveXafrtVTec elg 2aßav Tioliv ßaöiluov ovöav xi\g Al&iojtiag.
?jv vortQov Kccfißvörjq Msgorpf ejtwvofiaosv aöelptig lölag rovzo
xaZovfiivTjg, tJtofaoQzovvTO, A. 2, 10, 2. 249.
Wenn bei Origenes Meroe aus dem Namen von Saba zu
demjenigen der Königin von Saba geworden ist, so ist das keine
„Fälschung" des Jos., sondern einfach eine mit Missverständnissen
belastete Wiederholung eines älteren Citats.1) Die Gleichzeitig-
keit zwischen Kambyses und Salomo giebt nicht gerade grosse
Zuversicht, dass Origenes die ersten Bücher der A. gelesen hat.
Aehnlich wird es sich mit Threni 4, 19 verhalten: xovyoi
lyivovxo ol öuoxovrsg r^iag vjiIq derovg. lörooel yäo ^Iwörjjtog.
cog ovdh rä oq>/ rovg (psvyovrag öitocooev Von den „Bergen"
i^r bei Jos. nichts sonderliches zu lesen; wohl aber stehn die
1) In der Paraphrase der biblischen Erzählung giebt Jos. der Königin
keinen Namen; dagegen steht S, 6, 2. 159 ein seltsames Fragment, über
•n Herkunft ich nichts zu sagen wage; in jüdischen Büchern habe Jos.
gefunden, dass der Pharao Salomoa der letzte dieses Namens gewesen sei,
und dass die Königin von Saba die von Herodes genannte Nikaule sei.
70 Schlatter, Chronograph.
Berge Mth. 24, 16: xoxt 61 tv rtj 'iovöala (pevytrwoav elg xa
OQTj. Damit wird beim Vordermann des Origenes Threni 4, 19
kombinirt gewesen sein und dafür, dass sie auch die Berge nicht
retteten, sondern die Drohung Jesu und der Propheten sich an
ihnen erfüllt hat, war Jos. als Zeuge citirt.
Da Origenes die Geschichten über Antipas nicht gekannt hat,
hat er nicht selbst die Stelle über den Täufer mit dem genauen
Fundort: 18. Buch der Arch. aus derselben herausgehoben, und
dieser Schluss wird dadurch bestätigt, dass auch hier Origenes
Dinge über Jos. sagt, die unrichtig sind, c. Cels. 1, 47: o d'avrog
xairoiys djiiörcov reo Itjöov wg Xqlötco ^tjtojv rrjv alriav t?/q
tcov leQoöoXvficov jiTcoöewq xal xr\g rov vaov xafrcuQeGeojg . . ov
[laxoav ttjq aZrj&elag ysvofisvog cpr/öi ravza ovußsßqxevai rolg
Tovöaloig xar ixölxrjOiv Iaxojßov rov öixalov, oq r/v aötlyoq
'Ir/Oov rov Isyofisvov Xqlötov , ejiecdrjJcsQ dixaiozarov avxov
ovza äjt£XT£ivav. rov de 'laxcoßov tovtov 6 'Itjöov yvrjotog
{la&ijzrjg TJavlog (p?i6tv twoaxivai mg äöslcpdv xvqiov, und nun
erst kommt noch einmal Jos., der doch nicht die ganze Wahr-
heit gesagt habe, weil er nicht von Jesu Tod, sondern bloss von
Jakobus spricht.
Die Stelle lässt sich ohne Schwierigkeit aus einem älteren
Citat begreifen. Der Vordermann hat gesagt: Jos. selbst spricht
die Ursache aus, welche den Untergang Jerusalems verschuldet
hat, da er ja die Hinrichtung des Jakobus erzählt, ebenso wie
er diejenige des Täufers berichtet und den Juden als Schuld an-
gerechnet hat. Diess that er, obwohl er von Jesus nicht ge-
sprochen und nicht an ihn geglaubt hat. Was für den Vorder-
mann im Bericht des Jos. faktisch enthalten war, betrachtet
Origenes als dessen eigene Aussage; dergleichen Weiterbildungen
der Citate haben viele Analogien, und eben hier liefert Euseb
eine solche, da er den Bericht des Origenes in die eigenen
Worte des Jos. umsetzt, h. e. 2, 23, 20. So wenig Euseb dess-
wegen einen gefälschten Text des Origenes las, so wenig las
Origenes einen gefälschten Jos.
Gegen die Fälschungshypothese spricht, dass die Ueberliefe-
rung des Textes keine Spur dieser angeblichen Interpolation aufweist.
Dass Euseb die Worte aus Origenes bezieht, beweist, dass auch
sein Text sie nicht enthielt. Sodann sind die Parallelen zu
dieser Stelle, c. Cels. 2, 13 und zu Matth. 13, 55 weit über das
11. Der „gefälschte" Josephus des Origenes. 71
hinaus, was als Interpolation in den Text des Jos. denkbar wäre,
stereotyp. Alle drei wiederholen die echten Worte des Jos.:
"Jdxcoßov top döeX<pov 7?]öov rov Xeyof/tvov Xqlötov = rov
äöelqpöv 'fyöov rov Xsyoftsvov Xqlötov 'Idxcoßog ovofia avzo)
A. 20, 9, 1. 200. Der Anschluss an diese Stelle ist augenschein-
lich. Alle drei charakterisiren weiter Jakobus als den Gerechten.
Die beiden ausführlicheren Parallelen c. Cels. 1, 47 und zu Matth.
13, 55 geben ausserdem gleichmässig das Citat von Gal., 1, 19,
was sich keineswegs von selbst versteht, da die Stelle in c. Cels.
1, 47 eine offenbare Abschweifung ist, und weiter die Angabe, dass
Jos. Jesus nicht als Christus angenommen habe. Neben xcdroiys
ccxiGTcov rcp yJr]öov coq Xqlötcj steht rov 'irjöovv /){Lc5v ov
xaraös^df/evog elvai Xqlötov, und auch die kurz gehaltne Bemer-
kung 2, 13 ist mit 1, 47 darin kongruent, dass auch sie heraus-
hebt, Jos. habe nicht die ganze Wahrheit gesagt. Gleichartig
sind endlich alle drei Stellen darin, dass sie über dieses Zeugniss
des Jos. bloss referiren. Las Origenes eine christliche Inter-
polation, so war ihr Wortlaut für seinen Zweck sehr beweiskräftig,
wie denn Euseb statt eines Referats mit Grund ein Citat verlangt.
Aber Origenes weiss von demselben nur aus dritter Hand.
Anderes ist weniger beweiskräftig. Zu Gen. 49, 10 beruft
er sich darauf, dass Herodes secundum historiae fidem, quam
Josephus scribit, alienigenam fuisse et per ambitionem in regnum
Judaeorum dicitur irrepsisse. Nachdem Origenes dieselbe Stelle
auch dadurch erläutert hat, dass Herodes nach der Ermordung
des Täufers das jus gladii entzogen worden sei, giebt dieser Satz
nicht die Sicherheit, dass er wirklich wusste, was Jos. über die
Herkunft des Herodes gesagt hat. Auch dicitur ist zu beachten.
Origenes berichtet hier nicht, was Jos. sagt, sondern was mit
Berufung auf Jos. gesagt wird. Auch darauf, dass die Alexander-
legende sich c. Cels. 5, 50 findet, lässt sich kein Schluss bauen.
Sie wird nicht als Zeugniss des Jos. bezeichnet: <paöL Er kann
auch den Chronographen mit <paöi citirt haben, der recht gut
im Kontrast zum jetzigen Elend Israels daran erinnert haben
kann, wie Gott ihm einst das Herz des Welteroberers geneigt
machte. Andrerseits ist nicht zu übersehn, dass auch die Quelle
des Jos., der Polyhistor, noch in die -Origenes benachbarte Litte-
ratur hinein wirkt.1)
1) Ueber meine Zusammenfassung der Alexanderlegende mit den
72 Schlatter, Chronograph,
Wenn Origenes zu Ps. 73, 5 sagl : ravra jtdvxa jitJifa)-
Qojrai tv rfj rwv 'leQoöoZvfiow aÄ&öei, coöjibq Icoor/jtog IötoqsI
xa&tva öiTjyovfievog rcov jtejtQcty (nvmv , so hält sich der Satz
sehr im Allgemeinen. Dagegen wird b. j. 6, 5, 3: die Priester
hörten im Tempel den Ruf: fisraßaivcofisv tvTtvfrev mit dem
Fundort ^coörjjioq ev rolq jzsql akcoöemg loroQtl zu Threni
4, 14 citirt. Aber auch diese Stelle ist mit einem Theologu-
menon gemischt, das Jos. nicht angehört. Denn das Citat ist
mit Gal. 3, 19 kombinirt und beweist die eyQrjyoQOt, welche das
Gesetz gegeben haben und im Tempel gegenwärtig sind. Dazu
findet sich hom. 13 zu Jerem. 15, 5 eine Parallelstelle, die bloss
das Citat aus Jos. nicht enthält. Hat wirklich Origenes sich
selber kopirt?
Es ist möglich, dass noch einige weitere Stoffe aus Jos. bei
Origenes beizubringen sind. Vorerst bleibt mir nur ein einziges
richtiges Citat: zu Jeremia 22, 24 beruft sich Origenes dafür,
dass Jojakim von Nebukadnezar getötet und unbestattet vor das
Thor geworfen worden sei, auf Jos. im 10. Buch der Archäo-
logie. Die Sache ist richtig: A. 10, 6, 3. 97.
Es Hesse sich leicht denken, dass nicht alle Citate des Ori-
genes von derselben Art wären, und vermittelte Citate neben
direkten sich fänden. Allein dass in der Schriftstellerei des Ori-
genes sich eine oder zwei zutreffende Berufungen auf Jos. finden,
scheint mir nicht geeignet, den durch die entstellten Angaben
geforderten Schluss zu entkräften oder auch nur zu begrenzen. *)
Die Beziehungen auf Jos. bei Origenes weisen auf seine mannig-
falschen Briefen bei Jos. hat Schürer gescherzt. Allein die falschen Briefe
(cf. denjenigen an Philometor) sind von der Enpolemus gehörenden Chrono-
logie (414 seit dem Exil!) nicht trennbar, zudem da Eupolemus notorisch
der Verfasser falscher Briefe war (Briefe Salomos). Im falschen Brief der
Samariter an Epiphanes wird aber in unlöslichem Widerspruch mit den
eignen Aussagen des Jos. über die „Kuthäer" gesagt: dieselben seien Sido-
nier. Und diese selbe Theorie über die Samariter steht in der Alexander-
legende. Auch hier steht mein Schluss auf einer unzweifelhaften Thatsache.
1) Die Apologie gegen Apion hat eine besondre Stellung; auch ist
die Quellenfrage für sie eigenartig. Origenes hat kein direktes Citat aus
ihr; genannt wird sie c. Cels. 1, 16. 4, 11. Was Origenes über Hermippus
und Hekatäus sagt, hat zu derselben Beziehungen, ist aber nicht bloss aus
ihr verständlich; denn Hermippus wird mit einem andern Titel citirt und
über Hekatäus giebt er das Urtheil Philos.
11. Der „gefälschte" Josephus des Origenes. 73
fache Lektüre im Bereich der altkirchlichen Litteratur zurück.
Wer vor ihm üher die Königin von Saba geredet hat, und über
das in der Schrift dunkel gelassne Ende Jojakims, und wer die
Alexanderlegende zuerst benützt hat, als Beweis für Gottes Güte
gegen Israel, und wer die Heiligkeit des Tempels auf die Egre-
goren zurückführte, und diese durch Gal. 3, 19 und b. j. 6, 5, 3
bewiesen hat, steht dahin. In unsre Untersuchung greifen die-
jenigen Citate ein, die sich mit der Schuld und Bestrafung Israels
beschäftigen. Der .,Greuel der Verwüstung*' fieng gleich unter
Pilatus an. Dass Ps. 73, 5 und Threni 4, 19 und Mth. 24, IG
an der Juderischaft sich erfüllt haben, dafür war Jos. als Zeuge
citirt. Er hat selbst die Schuld des Volkes sichtbar gemacht,
weil er zwar nicht von Jesu Tod, dagegen von der Hinrichtung
des Täufers und des Jakobus sprach. Dieser hatte seinen Bei-
namen: der Gerechte, und das Zengniss des Paulus für denselben.
Gal. 1, 19 war beigebracht.
Jos. ist erst allmählich in der Kirche berühmt geworden.
Klemens, der noch keine selbständige Berufung auf ihn hat,
und Minucius, der nach seinem echten Text seine Leser für den
Fall Jerusalems nicht auf Jos., sondern auf Antonius Julianus
verwiesen hat, belegen diess. Der Aelteste, von dem wir wissen,
dass er in b. j. und A. zu Hause war, ist unser Chronograph,
der über Jakobus als den ersten Bischof Jerusalems berichtet
und den Untergang Jerusalems als Gottes Gericht über das Volk
beschrieben hat, so dass unser Citat bei ihm aufs beste Raum
hat. Dass ihn aber Origenes gelesen hat, zeigt sich daran, dass
sein Ansatz: 15. Jahr des Tiberius = Lehr- und Todesjahr Jesu
bei Origenes wieder erscheint: c. Cels. 4, 22: rsöösQaxovra yao
exrj xal ovo olfiai, acp ov eöravQcoöav xbv 'l?]6ovv, ysyovevac
txl rt)v /sQoooXvficov xa&aiQSGiv, womit der andre Satz nah
verwandt ist: tviavrov yao Jtov zal firjvag oliyovg eöiöa^ev,
de princ. 4, 5, trotzdem Origenes in seiner Konstruktion der
Jahr wochen zu Mth. 24, 15 das dreijährige Lehramt Jesu nach
Johannes lehrt, und sich dadurch selber widerspricht. Um so
sichrer sind ihm die 42 Jahre litterarisch vermittelt.
Aufs schönste greift hier das Citat homil. 32 in Lucam ein:
praedicare annum domini acceptum. juxta simplicem intelligen-
tiam aiunt, uno anno salvatorem in Judaea evangelium praedi-
casse et hoc esse quod dicitur: praedicare annum domini acceptum
74 Schlatter, Chronograph.
et diem retributionis, nisi forte . . . und nun folgt die Allegorie,
aiunt, in der That. Wir lasen bereits bei Klemens: xal ort
ivtavxov fiovov lözi avxov xr/QVi-ai, xal tovto ytygajtrat
ovrcog' Ivtavxov dexrov xvqlov xr/Qv$ai aütbOxuliv {it.
Auch die Jahrwochen des Origenes sind eine -Umbildung des
Chronographen.
Er verzichtet auf die 490 Jahre, und erklärt die 70 Wochen
ajs 70 X 70 Jahre, wodurch er einen Symbolismus von 4900
Jahren erhält von Adam usque ad septuaginta annos, qui fuerunt
post . . . Habe ich den „Jemand" bei Klemens richtig gedeutet, so hat
derselbe gesagt: nach der Zerstörung Jerusalems durch Nebu-
kadnezar, und nun erst Daniels Weissagung beginnen lassen.
Origenes dagegen sagt: qui fuerunt post dispensationem Christi
und endet die 4900 Jahre beim Tempelbrand, Die letzte eine
Woche sind die 70 Jahre von Christi Geburt bis zum Tempel-
brand, die durch die Himmelfahrt ungefähr in 2 Hälften getheilt
werden. Die 7 und 62 Wochen = 490 + 4340 = 4830 Jahre
enden bei Christi Geburt. Natürlich fehlt Origenes jeder Grund,
wesshalb 490 Jahre nach Adam ein Einschnitt gemacht werden
soll. Wie Origenes dazu kommt, eine Weltwoche von 4900
Jahren zu konstruiren, scheint mir durch den Chronographen
erklärt, und nicht minder ist es durchsichtig, warum er seine
Deutung Daniels vollständig aufgegeben hat und aus der ganzen
Rechnung nur das eine Glied: vom Tode Christi zur Zerstörung
Jerusalems 42 Jahre, einmal wiederholt.
Auch bei Origenes erscheint der „Flüger' und die Doppel-
übersetzung von Daniel 9, 27. Was er über den Text der Stelle
sagt, ist nicht völlig deutlich : et conformabit testamentum multis
septimana una et in dimidio septimanae tolletur sacrificium et
libatio et pinnae usque ad consummationem festinationis. Hier
ist Sept. und Theodotion bunt gemischt; das mittlere Glied ge-
hört jener, das erste und dritte diesem. Da aber Origenes in der
Auslegung sagt: Christus cessare fecit incensum et sacrificia et
templum, quod arbitror a pinna nominavit, so macht er deutlich,
dass er auch das mittlere Glied in einer sehr ähnlichen Form
gelesen hat, wie die, welche der Text des Klemens giebt: xaxa-
jzavöei &vftia{ta (nicht d^vöiaöTrjQLov wie im Alex.) [xal] ftvoiaq.
Auch das folgende Glied: xal jiregvyiov twq owreXelag OJtovörjg
ist mit dem Text des Klemens xal jtreQvylov apaviöfiov tcog
12. Der Bericht des Epiphanius über den Tod des Jakobus. 75
öwxeZeiaq xcu öxovörjg im Fehlen des tcog vor jtxegvyLOV ver-
wandt. Darauf fährt Origenes fort: post haec sequitur sernio
quem exposuimus (das ßötXvyfta) ita habens: et confirmabit testi-
monium multis septimana una. Er hat also bereits das övva-
tuc6ü£c öiafrt/xtjp doppelt x wie der Alex., und zwar macht das
ßöeXvy^a den Schluss. Der Text des Origenes ist somit mehr
entstellt als der des Klemens. Auch lässt der Satz: templum quod
a pinna uominavit, nicht mehr wahrnehmen, dass Origenes eine
deutliche Vorstellung von der Lokalität des Flügels hat.
12.
Der Bericht des Epiphanius über den Tod des Jakobus.
Schürer nimmt an, derselbe stamme aus Hegesipp. Nun
sagt Epiphanius über den Tod des Jakobus: ovxco yag lOxoQrjoav
JtoXXöl JIQO f](ld)V JtSQL CIVTOV EvOeßtOQ T8 XCU Kh][iijq xal
ccXXoi. Hier nöthigt noch nichts, an etwas andres als an Eusebs
Kirchengeschichte zu denken, wo Klemens und Hegesipp als die
Zeugen für den Tod des Jakobus zusammenstehn. Aber Epi-
phanius sagt weiter: aXXd xal to jztraXov sjtl xrjq xeyaXrjg e^rjv
avzcfi cpegeiv, xa&cbg ol jrQOSigrj^tvoi a^tontöxot dvÖQeg hv rolg
vjt ccircov vjtoiiV7][iaTLö[iolq) ifictQTVQTiöav, c. haer. 1, 2, 29. Bei
Euseb steht das nicht; es bleibt also von den Genannten nur
Klemens als Gewährsmann übrig. Somit liegt hier eine irgendwie
vermittelte Benützung des Klemens vor, die nicht auf Euseb be-
schränkt ist, und eine Angabe des Klemens, die nicht aus Hege-
sipp genommen war. Ueberhaupt ist die Abhängigkeit des
Klemens von Hegesipp keineswegs vor jeder Untersuchung ge-
wiss. Die Texte müssen verglichen sein.
Hegesipp sagt eine Reihe von Thorheiten, die nicht bei
Epiphanius wiederkehren. Dass der Bericht gesäubert worden
sei, ist eine schwierige Vorstellung. Die sachliche Kritik trägt
hier auch einen litterarischen Schluss: das sachlich richtigere ist
das ältere.
1) Die topographische Angabe ist wie überall von entschei-
dender Bedeutung. Jakobus ist dadurch getötet worden, dass er
über den „Flügel" des Tempels heruntergeworfen worden ist.
Zuerst heisst es auch bei Hegesipp, Eus. 2, 23, 12: Orrj fr 1 ovv
txi to jtxEQvyiov rov Isqov. Das wird aber hernach ersetzt
76 Schlatter, Chronograph.
durch eöTTjöav xov 'laxcnßov tjcl xo jzxsovycov xov vctov, und
Hegesipp nimmt das ernsthaft: die Schriftgelehrten und Pharisäer
denkt er sich nicht droben; Jakobus allein steht auf der heiligen
Höhe, und die Schriftgelehrten und Pharisäer sagen: dvaßdvxLc
xaxaßdZwfiev avxbv. Demgemäss wird Jakobus an der Stelle
begraben, wo er umkam: üiaga xco vacp und txt avxov rj oxr/lr/
fisvsi jictQcc reo vam. D. h. Hegesipp hat vom Tempelplatz keine
Vorstellung. Nicht nur das topographische Bild fehlt ihm, das
ohne weiteres jedem fehlte, der den Platz nicht gesehen hat,
sondern auch die rituelle Behandlung der Räume ist ihm gänz-
lich fremd. Wir wissen nicht, wo er lebte; er mag ebenso leicht
nach Aleppo gehören als nach Palästina; da lag ihm der Tempel
in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, trotzdem er ein
jüdischer Christ gewesen ist, ebenso fern, wiePapias oder Klemens.
Die Angaben, die den Namen „Flügel" als Ortsbezeichnung
brauchen, treffen darin zusammen, dass der „Flügel" am Eand
des Tempelbezirkes lag. Er war jcxsqvjiov xov legov und nicht
xov vaov. Der hebräische Schreiber jenes Kodex des Daniel, den
Theodotion übersetzt hat, welcher gab: DÜlTÖtt 5pD 1$\ hat sich
den „Flügel" als den Grenzpunkt gedacht, bis zu welchem die Ver-
heerung dringt. Noch im vierten Jahrhundert ist in Jerusalem eine
feste Tradition über den „Flügel" erkennbar. Er ist sowohl dem
Pilger aus Bordeaux als der Silvia gezeigt worden. Jener sah den
angulus turris excelsissimae, wo Christus versucht wurde, und sub
caput anguli et sub pinna turris ipsius die cubicula plurima, an der
Stelle, wo Salomos Palast gestanden ist. Die Silvia, deren Be-
richt wir nur im Auszug des Petrus diaconus haben, sah duae
pinnae als einzigen Ueberrest des Tempels, quarum una, quae
altior valde est, ipsa est, in qua dominus temptatus est; reliqua
autem destructa sunt. Das steht noch in Beziehung zu Daniels
„Flügel", bis zu welchem die Verwüstung kommt, obwohl die
Worte im Vulgärtext Daniels verschwunden sind. *) Hier ist deutlich
von den südlichen Ecken des äussern Tempels die Rede. Denn
der Bordeauxpilger kommt nachher zu den grossen Cisternen
und erst dann zum Tempel und der Sachra, und die duae pinnae
1) Es stimmt hübsch zusammen, dass der Palästinenser den „Flügel"
in der Auslegung neben dem ßdtkvyfxa festhielt und dass sich in Jerusalem
die Erinnerung a,n denselben erhalten hat.
12. Der Bericht des Epiphanias über den Tod des Jakobus. 77
der Silvia, von denen die eine die höhere ist, entsprechen den
bedeutenden Resten der herodeischen Mauer an den Südecken,
von denen die an der Südwestecke gegen die Stadt zu stehenden,
die sog. Klagemauer, valde altior sind. Doch soll diese Bemer-
kung nur den Satz der Silvia erläutern; ob die Südostecke gegen
das Kidronthal, oder die Südwestecke gegen die Stadt hin, so
lange der Tempel noch stand, mit besonderm Nachdruck to
jzteqvjlov hiess, kann füglich im Zweifel bleiben.1) Hier und
dort war es eine scharf vorspringende Ecke mit gewaltigen
Mauern. Auch die Geschichte des Jakobus besitzt ursprünglich
noch dieselbe klare Vorstellung von der Oertlichkeit. Jakobus
ist über den Flügel herunter zum Tempel hinaus geworfen
worden; das bestätigt der Walker mit seinem Stecken, der doch
wahrhaftig nicht neben dem vaog sein Geschäft betreibt. Das
jtTSQiyiov muss eine Stelle bezeichnen, wo ein solcher Sturz
schauerlich und sicher todbriugend war; das trifft für die beiden
Südecken des Tempelhofes zu.
Da auch bei Hegesipp die richtige Angabe: jiTsovyiov rov
hgov an einer Stelle erscheint, so ist zu schliessen, dass er einen
altern Text bearbeitet. Weder bei Klemens, noch bei Epiphanius
findet sich aber der für alle spätem verführerische vaog. Klemens
sagt einfach: to jtTEQvycov, und Epiphanius korrekt: xb jztsqv-
yiov rov lsqov. Schwerlich hat sie ein Zufall behütet, das Ver-
sehen des Hegesipp nachzuschreiben; ihrem kritischen Scharfblick
verdanken sie diess jedenfalls nicht. Vielmehr ist zu schliessen:
der Bericht, den Klemens hat und der durch ihn hindurch bei
Epiphanius wiederkehrt, weiss vom vaog noch nichts.
2 1 Wesentliche Glieder der Erzählung Hegesipps hängen an
seiner Vorstellung von der Lokalität. Er motivirt, wie Jakobus
auf das Tempelhaus hinaufkommt; die Pharisäer hiessen ihn
hinaufsteigen, damit er droben als auf einer Art Kanzel das Volk
vor Jesus warne. Dass diese Erzählung Jerusalem nicht mehr
kennt, bedarf nicht immer wieder des Beweises. Wenn sie nicht
ausschliesslich Hegesipps Eigenthum ist, so hatte er die Angabe
vor sich, dass die Juden auf dem nxeovyiov die Verleugnung
Jesu von Jakobus verlangten. Zu einem solchen Begehren war
1) Die Grabsäule an der Stelle, wo Jakobus starb, spricht dafür, dass
Jakobus ins Kidronthal hinabgeworfen wurde. In der Stadt wurde
nicht begraben.
78 Schlatter, Chrono#ni]>h.
es allerdings ein schauerlich passender Ort. Aber auch die Steini-
gung wird nur durch die Einfügung des vaog möglich. Wurde
Jakobus über die Tempelmauer heruntergeworfen, so lag er nach
seinem Sturz nicht mehr mitten unter den Juden. Sie standen
droben, und er lag zerschmettert unten. Aber weil bei Hegesipp
das üixzQvyiov als Kanzel dient, ist es noch nicht die Tötung
des Jakobus, dass er heruntergestürzt wird, sondern das dient
nur dazu, ihn in die Gewalt der Juden zu bringen, und nun
nachdem er auf dem Boden liegt, steinigen sie ihn. So häuft er
die Todesursachen widerspruchsvoll, da er dennoch den Walker
nicht aufgiebt. Im ursprünglichen Bericht ist sein Eingreifen
wohl motivirt. Jakobus war nach dem Sturz noch nicht sofort
tot; darum machte der Walker mit seinem Stocke seinem Leben
ein Ende. Aber gerade der Walker beweist, dass der ursprüng-
liche Bericht von der Steinigung nichts wusste. Wohl aber giebt
sie Jos., und der Bericht Hegesipps ist ein schlechter Kompromiss.
Ist es nun Zufall, dass nicht nur der vaog, sondern auch, alles
was an ihm hängt, die Predigt des Jakobus, mit der er die Juden
überrascht, und die Steinigung, bei Epiphanius fehlen? Er hat
nur den Sturz und den Schlag mit dem Stock des Walkers.
Und doch hätte er für die Steinigung recht wohl Raum, denn er
sagt: Qupelq ajto rov Jirsgvyiov rov hgov xal xaTsX&cov xai
firjösv aÖLxrjdEig. Dennoch stirbt Jakobus bei ihm bloss vjto
rov yvapewg reo §vZq) jiTCCLöfrelq rrjv xetyccfo'jv, wie es auch in
der Bischofsliste steht. So hat es aber auch schon Klemens er-
zählt: o Tcaxa. rov Jtrsgvylov ßXrjfrelg xal vjto yvacpemg £vZco
jiZqyelg dg ftävarov, Eus. 2, 1, 5.
3) rovxcp (lovcp 6§rjv elg rec aytet eloisvcu, sagt Hegesipp,
ovös yäo 6QSOVV e<p6oeL, aXXa oivöovag. xal fiovog eIötjqxbto
dg rov vaov. Der erste Satz hat nur in seinem [tovog eine
Schwierigkeit, dg xa ayia elöitvai kann, von einem sachkun-
digen Mann gesagt, nur bezeichnen, dass Jakobus in den heiligen
Bezirk, also in den innern Tempelhof, eingelassen wurde, trotzdem
er als Führer der Christenheit längst bekannt war. Dennoch
hatte seine offenkundige Frömmigkeit die Wirkung, dass ihm
der heilige Raum nicht gesperrt worden ist. Hegesipp hat aber
nicht mehr verstanden, warum es eine besondre Sache war, dass
Jakobus in den Tempel gehen durfte, und macht aus dem Heilig-
thum das Tempelhaus.
12 Der Bericht des Epiphanius über den Tod des Jakobus. 79
Ueber das fiovog lässt sich wenig sagen, weil uns über die
Beziehungen der Judenschaft zur christlichen Gemeinde in den
sechziger Jahren nichts überliefert ist. Es ist nicht undenkbar,
dass ein Beschluss durchgesetzt wurde, welcher der Christenheit
das ayiov sperrte. Dass sich das fiovog, wenn es je einen ver-
sündigen Sinn hatte, nicht auf die Juden, sondern nur auf die
Christen beziehen kann, liegt auf der Hand. Das letzte, was wir
vom Antheil der Gemeinde am Tempelkult wissen, ist, dass Paulus
der christlichen Nasiräer wegen in das ayiov gieng und eben-
falls herausgeworfen wurde. Was später geschah, wissen wir
nicht, nur das, dass der Fanatismus in den sechziger Jahren
inmitjr heisser und gewaltthätiger geworden ist. Wie es sich
mit dem f/ovog verhalte, ein sachkundiger Kern darf auch in
diesem Satz anerkannt werden: Jakobus hat bis zu seinem Tode
den Tempel besucht, und die Weise seines Todes war gerade
dadurch bedingt, dass er schliesslich noch allein that, was sonst
kein Christ mehr wagen durfte.
Bei Epiphanius steht: [tovov rovro? reo 'laxcoßco e^ijv ana^
uodvai rov erovg elg rä ayia rcov aylcov dia ro Na^cooaiov
avrov eivcu xal nen'iy&ai rfj hocoGvvr}. Das steht in bester
Uebereinstimmung mit der Angabe, dass Euseb und Klemens
über Jakobus berichtet hätten. Denn das ist ein gemischter
Text. Die Thorheit Hegesipps kehrt gesteigert wieder: ana^
rov erovg und ayta rcov aylcov; allein daneben steht ein ver-
ständiger Satz: 61a ro Na^cogalov avrov sivai. Was Na^m-
oalog in der Quelle bedeutet hat, ist zweifelhaft. Zunächst weist
die Form nicht" auf den Nasir, sondern auf den Nazarener, und
wenn die Quelle es desswegen als etwas grosses und besonderes
bezeichnet hat, dass Jakobus noch den heiligen Raum betreten
durfte, weil er ein Christ war, dann hat sie den ganzen Unsinn
über den Eintritt des Jakobus ins Allerh eiligste nicht gehabt.
Epiphanius scheint aber Na^moalog als Nasir zu verstehn, und
auch das überragt Hegesipps linnenen Rock, der den Eintritt
ins Heiligthum begründen soll, um ein beträchtliches. Das Na-
siräat erläutert in der That das uöiivai eig ra ayia. Auch so
würde sich hier ein jüdisches Element zeigen, das nach dem
Jahre 70 und vollends für Griechen völlig erloschen war. Was
wussten die spätem noch von der Hochschätzung des Nasiräats
in der Gemeinde des stehenden Tempels, die uns durch reich-
§0 Schlatter, Chronograph.
liches rabbinisches Zeugniss beglaubigt ist? Auch in derjenigen
Relation, in welcher stand: weil er ein Nasir war, durfte er ins
Heiligthum hineintreten, stand vom Allerheiligsten noch nichts.
Und Hegesipps linnener Rock darf vielleicht als Anzeichen ver-
standen werden, dass der von ihm reproducirte Bericht die Zu-
lassung des Jakobus in den Tempel in der That so begründet
hat. Der linnene Rock mag ein Rest aus der Schilderung seines
Nasiräerlebens sein; nur dass Hegesipp einen Punkt nennt, der
für das Nasiräat nicht entscheidend war.
4) rovrov ovv dvofiazi ovxtxi txalovv, sagt Epiphanius,
all' 6 dixatog i]v avxco ovofia. Dass Ephiphanius diesen ver-
ständlichen und einfachen Satz aus dem verworrenen Bericht
Hegesipps herausgelesen habe, hat geringe Wahrscheinlichkeit.
Bei Hegesipp steht: öta. ys xoi ttjv vjteoßolrjv rrjg öcxaioovvrjg
avrov ixalslro dixatog xal coßliag o hört tllrjviörl Jisoioyj/
tov laov xal öixacoövvri, mg ol nootyrixat öqlovoi jteol avrov.
Hegesipps Ixalslro dixatog meint, was Epiphanius sagt, drückt es
aber nicht mit sonderlicher Klarheit aus. In ojßltag mit seiner
wunderlichen Uebersetzung: JieQtoyr} tov laov xal ötxatoövvrj
liegt jedenfalls kein Beweis für die Ursprünglichkeit dieser Re-
lation. Dass wßliag etwas anderes sei als D23 2K, hat geringe
Wahrscheinlichkeit. Dann stand aber in der Vorlage Hegesipps
auch ojßliaft und der falsche Nominativ coßliag stammt erst
von ihm, und zur „Uebersetzung" hat er den erläuternden Satz
der Quelle gemacht, dass Jakobus die oiBQtoyi] tov laov ge-
wesen sei.
5) Als Jakobus betete, mahnt bei Hegesipp ein Priester,
ihn nicht zu töten: sig tcqp isoewv rwv vimv Pifyaß vlov
cPayaßsl[i rwv fiaoTVQOVftevaip vjtö 'hosfiiov tov jtQocpfjzov.
Die Tautologie: xmv vlmv Pt]yaß vlov *Payaßu{i verräth wieder
die bearbeitende Hand. Die erste Formel stammt von einem Manne,
der des hebräischen Textes kundig war, die zweite aus dem
olxog cPayaßslv (die Texte geben verschrieben ^Agyaßstv) Jer.
42, 2 Sept. Eine analoge Mischung von sachkundigen und sekun-
dären Elementen tritt darin hervor, dass der Mann einerseits
Rechabit, andererseits Priester heisst. Sachkundig ist, dass die
Rechabiten im ersten Jahrhundert noch existirten und eine ge-
wisse Bedeutung in Jerusalem hatten, vgl. mishna taan. 4, 5.
Aber das Haus Jonadabs war kein Priestergeschlecht. Soll nun
12. Der Bericht des Epiphanius über den Tod des Jakobus. §j
der Mann, der vom vaog keine Vorstellung hat, noch in eigner
Kunde wissen, dass es damals noch Rechabiten gab, und zugleich
nicht wissen, dass sie nicht Priester gewesen sind? Auch hier
bearbeitet er eine Quelle. In der Vorlage des Epiphanius standen
dieselben Sätze, aber statt des Rechabiten nennt er den Simeon,
den Sohn des Klopas; er hat an den „Priester" der Christenheit
gedacht.
6. Die Zugaben des Epiphanius sind nicht alle eine Steigerung
der Legende: og yixcora ötvxeQOv ovx hvBÖvCaro, og xQißcovlco
txtyofjTo XiVfß fiovcotarq)' ovxog oavöaliov ovy vjttd?/Gaxo. Das
wendet Mths. 10 auf Jakobus an und beschreibt ihn als der
Regel Jesu völlig gehorsam. Darum wird, nachdem Mrk. 14, 51
(der mit der Leinwand bekleidete Jüngling) citirt ist, gesagt, dass
auch die beiden Zebedaiden, Johannes und Jakobus, diese Lebens-
weise gehabt hätten.
Jakobus bat um Regen in der Zeit der Dürre und er ward
ihm gewährt. Auch diess ist ein spezifisch jüdischer Zug. Das
erfolgreiche Gebet um Regen erscheint in den Talmuden oft als
hervorstechendes Merkmal besonderer Frömmigkeit.
jtaQd-ivog <hv hat dagegen in 1. Kor. 9, 5 ein Gegenzeugniss,
und wird sammt dem hohen Alter des Jakobus spätere Zu-
gabe sein.
Es bleibt noch das speziell auf die Alten zurückgeführte:
jrtxaXov Im x7kg xscpaXijg t(poQ8ö£. Trotzdem sich nicht sagen
Lasst, was das heissen soll, ob das Haar des Nasir, oder wTas
sonst gemeint ist, so führt dennoch gerade dieser Ausdruck ins
zweite Jahrhundert zurück, da Polykrates von Ephesus über
Johannes sagt: og iyevr^rj leosvg xc Tiixalov jie<poQ7]xc6g, Eus.
h. e. 5, 24, 1.
Wir stehen vor der Prioritätsfrage. Nun fasst die Vorlage
des Epiphanius ausdrücklich die beiden Zebedaiden, Jakobus und
Johannes, mit Jakobus zusammen als derselben jzoXixsia theilhaft.
Polykrates konnte sein legendenhaftes jzixaXov für Johannes
unserm Text entnehmen; dagegen war bei Polykrates nicht zu
sehn, dass es Jakobus trug. 1)
1) In der Schilderung des Jakobus sind Sätze über die Verwandt-
schaft der Maria und Elisabeth eingelegt, die in ihrer Substanz Julius ge-
hören sollen, cf. Spitta Brief des Julius an Aristides 46 ff. Wenn der
Texte u Untersuchungen XII, l. 6
§2 Schlatter, Chronograph.
Mein Schluss verläuft so: Hegesipps Erzählung ist sekundär
und nicht bloss aus der Tradition erklärbar. Verfarbi sich die
mündliche Tradition, so stösst sie die ihr widerstrebenden Ele-
mente aus, erb iili sie aber nicht noch daneben in gemischten
Kompromissen. Sie erzählt nicht beides, dass Jakobus von der
Mauer des Hofs und dass er vom Tempelhaus herabgeworfen
worden sei, dass er gesteinigt und dass er mit einem Stock tot-
geschlagen worden sei, dass er ins Heiligthum hineingehn und
dass er das Allerheiligste betreten durfte. Solche Kompromisse
entstehn bei der Bearbeitung schriftlicher Dokumente. Die durch
ihre Wertlosigkeit als jung gekennzeichneten Elemente des
Texts fehlen aber nicht nur im Fragment des Klemens, sondern
auch noch in der Erzählung des Epiphanius.
Wir brauchen somit als erste Quelle einen Erzähler, der
einerseits Hegesipp, andrerseits Klemens und vermuthlich auch
Polykrates in Ephesus umfasst. Nicht nur als Judenchrist, son-
dern als Palästinenser muss er betrachtet werden, weil er das
Grab des Jakobus noch kennt, vgl. auch coßZlag und den Recha-
biten. Vom Chronographen hat sich bisher ergeben, dass er vom
Episkopat des Jakobus und von seiner Ermordung durch die
Juden sprach und dafür Josephus als Zeugen anrief. Darum
scheint es mir nicht ein Spiel mit leeren Möglichkeiten, wenn
wir den Kern der Erzählung ihm zuweisen.
Die Steinigung des Jakobus bei Hegesipp geschieht schwer-
lich ohne Kenntniss des Jos.; das erklärt sich auf Grund unsrer
Annahme hübsch. Nach Origenes stand das Citat aus demselben
beim Chronographen; was bei ihm nebeneinander stand, ver-
arbeitet Hegesipp in ein einziges Gemälde. Der Schlusssatz
lautet: xal ev&vq OvsöJiaöcavog jioXloqx£Z avrovg. Dieser Ge-
danke ist uns schon bekannt.1)
Vordermann des Epiphanius von Euseb unabhängig noch Julius benützt
hat, ist die Beziehung zu Klemens um so weniger auffallend.
1) Vielleicht erscheint es manchem als Schwierigkeit, dass der Chrono-
graph Jos. angerufen und doch den Tod des Jakobus von ihm wesentlich
verschieden erzählt haben soll. Aber das Citat, soweit es bei Origenes
erkennbar ist, beruft sich auf ihn desswegen, weil auch er die Schuld
Israels und die Grösse des gerechten Jakobus bezeugt. Gerade die Weise,
wie Jakobus umgekommen ist, bleibt bei Origenes unbestimmt. Die Juden
„töteten" ihn, nicht sie steinigten ihn. Der Erzähler behielt sich seine
eigne bessere Kenntniss über den Verlauf der Dinge vor.
13. Problematisches. 83
13.
Problematisches.
a. Die Spalte im Felsen von Golgotha.
Julius hat erzählt, dass Adam auf Golgotha begraben
worden sei. Routh hat diess als eine Verleumdung des Julius
verworfen, Geizer es mit überlegnem Lächeln notirt. Es dünkt
mich, die Sache muss zunächst verstanden sein. Wir haben einen
Schluss vor uns aus Mth. 27, 51. 52: „Die Felsen zerrissen und
die Gräber wurden eröffnet und viele Leiber der entschlafnen
Heiligen richteten sich auf." Diess wird in doppelter Richtung
näher bestimmt: wenn die Felsen sich spalteten, so war es vor
allem derjenige, auf welchem das Kreuz stand, zu dem Zweck,
damit das in demselben befindliche Grab geöffnet werde. Als
erster, welcher der Auferstehung Christi theilhaft wird, kommt
aber Adam in Betracht, da seine Erweckung die erlösende Macht
des Todes Christi am vollkommensten offenbart. Also lag er im
Felsen von Golgotha.
Bei den Rabbinen finden sich solche Schlüsse zu Hunderten.
Diese Exegese hat vollständig den Charakter des palästinensischen
Midrasch in seinem bestimmten Unterschied von der Allegorie.
Der Realismus des Verses wird nicht aufgelöst, aber mit keckem
Schluss seine scheinbare Unbestimmtheit und Lückenhaftigkeit
ergänzt. Dieser Ausleger weiss, welcher Fels zerrissen sein muss
und welcher Tote auferstanden sein muss, verliert sich aber dabei
nicht in rohe Phantastereien. Nicht ohne Grund hat der Ge-
danke, dass das Kreuz auf dem Grabe Adams stand, die ganze
Kirche ergriffen und auch auf unsre Gräber das Kreuz gesetzt.
Es lag in dieser Exegese, so ungebunden die Phantasie waltet,
ein schöner Blick in Jesu Werk.
Diese Auslegung stammt nicht von Julius; denn Origenes
zu Mth. 27, 32 sagt: venit ad me traditio quaedam talis, quod
corpus Adae primi hominis ibi sepultum est, ubi crucifixus est
Christus, ut sicut in Adam omnes moriuntur, sie in Christo omnes
vivificentur, ut in loco illo, qui dicitur Calvariae locus, id est
locus capitis, caput humani generis resurrectionem inveniat cum
populo universo per resurrectionem Domini salvatoris, qui ibi
passus est et resurrexit. inconveniens enim erat, ut cum multi
6*
g4 Schlatter, Chronograph.
ex eo n:iti remissionem acciperent peccatorum et beneficium resur-
rectionis consequerentur, non magia ipse pater omnium hominum
hujusmodi gratiam consequeretur. Origenes drückt die Gedanken-
reihe, die den Satz über Adams Grab erzeugt hat, im wesent-
lichen richtig aus; nur verallgemeinert er sie, während sich die
präcise Ortsbestimmung nicht aus dem Vorblick auf die künftige
Auferstehung, sondern nur aus den Ereignissen bei Jesu Tod
erklärt. Die multi ex eo nati, welche die Wohlthat der Auf-
erstehung erlangten, und denen Adam billig vorangieng, waren
ursprünglich die erwachenden Heiligen bei Matthaeus.
Für die Herkunft des Satzes ist die bei Migne zu Origenes 1. c.
veröffentlichte Stelle aus einer Catene von Interesse. Sie giebt
statt: venit ad me traditio quaedam talis quod: jisql tov xgaviov
tojiov ijXfrev eig rjfiäg, ort 'Eßoalot jtaoadiöovöcv, ort ro 6a>[ia
rov Aöafi exet Tt&ajirai, tva huiu sv reo 'Aöap jcavzeg äjto-
ftrtJGxovöi, üialiv ev reo Xqiotw jcavrsg ^coojiomj&cdOi.
Dass dieser Midrasch jüdisch ist, ist einleuchtend, nicht nur
wegen der exegetischen Methode, die hier zur Verwendung kommt,
sondern auch wegen der Lokalisirung der Urgeschichte in Jeru-
salem. Zuerst hat der Jude gesagt: Adam ist auf dem Tempel-
berg geschaffen worden, targ. Ps. Jon. Gen. 2, 7. 15; hernach
fuhr der jüdische Christ fort: und auf Golgotha ist er begraben
und erweckt worden. Wir bedürfen somit ein judenchristliches
Buch, das sowohl Julius als Origenes mit einer gewissen Ehrfurcht
behandelt haben. Unser Chronograph bietet sich hier an. Die Auf-
erstehung lag unmittelbar im Bereich seines Grundgedankens;
so mag er als Bürgschaft für dieselbe angeführt haben, dass Adam
bereits auf Golgotha auferstanden sei.
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts war es eine be-
rühmte Streitfrage, ob Adam selig werde oder nicht. Der Streit
zwischen Tatian, welcher den, in welchem wir alle sterben, von
der Erlösung ausschloss, und der Kirche, die ihm diess als un-
erträgliche Häresie anrechnete, gewinnt an Verständlichkeit, wenn
Adam schon vor Tatian durch eine Autorität als der erste Em-
pfänger der Wohlthat Christi auf Golgotha beschrieben war.
Epiphanius haer. 26, 5 hält Tatian vor: er habe doch gewusst,
dass Adam auf Golgotha begraben sei, cog xal Iv ßlßXoig evqtj-
xafitv. Auch hier schimmert noch durch, dass der Satz über
13. Problematisches. 85
Adams Grab durch ein Buch, das eine gewisse Autorität besass
und alter als Tatian gewesen ist, verbreitet worden war.
Der Fels von Golgotha, der heute noch gespalten ist, war es
schon zur Zeit Cyrills: 6 roXyoda ovroq o ayioq o vjteQccveöxojq
xal iitXQ1 Ot'jfiSQov (paivofievoq xal öuxvvmv ^X(u vvv, ojicoq
öia Xqlotov al jztTQaL tote e^gayrjoav; er wird als ein Zeuge
Christi aufgeführt, Catech. 13, 39.
Die Sätze des Julius und des Origenes machen wahrscheinlich,
dass man sich den Fels schon in Antonins Zeit gespalten ge-
dacht hat; ob man ihn auch mit einer Spalte gezeigt hat, wissen
wir nicht. Zunächst steht die Sache so : bei den bekannten
Grabungen an der Stelle der Grabeskirche unter Konstantin hat
man den Felsen entweder gespalten gefunden, oder man hat ihn
hernach gespalten gemacht. Wem das letztere das glaubhaftere
Glied dieser Alternative ist, der wird immerhin annehmen dürfen,
dass die beteiligten Bischöfe unter dem Druck einer starken
Tradition gehandelt haben. Man hat die Spalte als noth wendiges
Merkmal der Echtheit verlangt, und nachdem man sich durch
die bekannten Zeichen von der Echtheit des Grabes überzeugt
hatte, so musste folgerichtig auch der Fels gespalten sein. Es
kommt einiges Licht in die Sache, wenn schon Juda, der letzte
Bischof der Beschnittenen, der Zeuge für Adams Grab und damit
auch für die Spalte im Felsen von Golgotha gewesen ist.
Mit dieser Schlussreihe fügt sich die Thatsache leicht zu-
sammen, dass bei den Verhandlungen über den Ort des Grabes
Christi während der Anwesenheit der Helene in Jerusalem ein
altes judenchristliches Buch die Entscheidung gab. Der Aphro-
ditetempel wurde als die Stelle des heiligen Grabes erkannt, wq
fliv rivec Zeyovötv, dvögoq 'Eßgalov zcov ava X7]v ea> olxovv-
rcov Ix jiargojaq yQ<x(p?]q xaTafitjvvoavzoq , Soz. 2, 1. Dass
Sozomenus diesen Bericht verwirft, weil Gott nicht menschliche
Anzeige brauche, sondern den Ort selbst durch Träume und
Wunder offenbart habe, entwerthet denselben keineswegs. Hat
der Chronograph im vierten Jahrhundert überhaupt noch existirt,
so müssen wir ihn zuerst bei den jüdischen Gemeinden im Ost-
jordanland suchen, zumal falls er wirklich mit dem Verwandten
Jesu identisch ist. WTeun man bedenkt, mit welcher Ehrfurcht
noch Julius von diesem redet, ist es zum mindesten nicht im-
&() Schlatter, Chronograph.
möglich, dass er zur Zeit Konstantins bei den jüdischen Christen
als eine jtatQo'ja jQu<fi) noch erhalten war.
b. Die Bauten Hadrians in Aelia.
Ueber die schrecklichen Dinge in Jerusalem unter Hadrian
ist die Ueberlieferung bei den Vätern auffallend dürftig. Neben
dieser Lücke heben sich zwei Fragmente durch ihre genauen
Angaben seltsam ab. Das eine bezieht sich auf den Sklavenmarkt
in Mamre und den Untergang der jüdischen Sklaventransporte
während der Fahrt nach Egypten, Chr. pasch. 1, 474 = Hieron.
zuSacharja 11, 15, das andre auf die Bauten Hadrians im heidnisch
gewordenen Jerusalem, Chr. pasch. 1, 474. Ich habe in der
„Topographie" zunächst an Julius erinnert, aus dem manche der-
artige Notizen bis in die späten Chroniken hinabgelangt sind.
Allein es scheint mir fraglich, ob wir uns dabei beruhigen
dürfen.
Das Urtheil über die letztere Stelle hängt von der Deutung
der Worte: xb dcoösxäjrvXov zo jzqlv ovofia^ofisvov ävaßa&ftoi
ab. Meine Deutung derselben auf den Zeustempel Hadrians auf
dem Tempelberg stützt sich darauf, dass dieser Bau als Wieder-
herstellung eines alten Baus bezeichnet ist, da er schon früher
einen Namen besass. Wiederhergestellt hat Hadrian den Tempel
als Zeustempel. Sodann ist nibtf /Q = avaßad-fiol als Name für den
Komplex der heiligen Bauten im Unterschied vom äussern Tempel-
viereck bei den Rabbinen nachweisbar.1)
Tragen diese Argumente den darauf gestellten Schluss, so
behandelt diese Stelle den Zeustempel noch als stehend. Wo
erscheint er aber sonst noch? Mir scheint das totale Fehlen
jeder Erwähnung desselben von Tertullian und Origenes an
höchst auffallend, zumal da die Gremara zu taan. 4, 7 ihn eben-
falls nicht kennt. Darum glaube ich vorerst nicht, dass der
Zeustempel auf dem Tempelplatz bis ins dritte Jahrhundert hinein
bestand, und suche darum für diese Erwähnung desselben einen
Mann, der ihn unzweifelhaft gesehen hat, und das ist unser
Chronograph.
Die aufgezählten Bauten: 2 öffentliche Bäder, das Theater,
1) Wiefern die Zahl der Thore den Schluss unterstützt, siehe To-
pogr. : 152 ft".
13. Problematisches. §7
das Tetrauymphon, worunter leicht der Tempel der Aphrodite ver-
borgen sein kann, der Zeustempel, und die Quadra, die Umfassungs-
mauer des grossen Tempelvierecks, stellen alle die heidnische Art
des neuen Jerusalems dar. Auch das rgtxd^aQov würde keine
Ausnahme machen, falls ich es richtig auf den sog. Robinson-
boffen 1 »czosen habe, und würde ebenso sehr mit der Tendenz
OD»
der Stelle zusammenstimmen, wenn es einen Triumphbogen etwa
zur Verherrlichung des kaiserlichen Siegs bedeutete. Zur Nennung
der Bäder ist zu vergleichen, dass an Jakobus gepriesen wird,
er habe nie ein öffentliches Bad besucht. Auch die Angabe, dass
die Namen der Quartiere der Stadt noch jetzt diejenigen der
Beamten aus der Zeit Hadrians seien, hebt hervor, wie gänzlich
neu und heidnisch nun die Stadt geworden sei. Wenn ein
jüdischer Christ im 10. Jahre Antonins das Schicksal Jerusalems
unter Vespasian eingehend besprochen hat und von dort zum
Ende vorwärts blickt, ist es schwer vorstellbar, dass die totale
Umwandlung der heiligen Stadt durch Hadrian mit keinem Wort
berührt sein soll.1)
c. Akiba bei Epiphanius.
Unser Chronograph war der Zeitgenosse Akibas, der aufs
tiefste in die Geschichte der Judenschaft und Jerusalems ein-
gegriffen hat. Es lasst sich erwarten, dass er ihn genannt habe
als den, der für den letzten Sturz Jerusalems in besondrer Weise
verantwortlich sei, und dass demgemass trotz der totalen Lücke
in der Ueberlieferung über diese Zeit eine Erinnerung an Akiba
sich auch in der Kirche erhalten habe. Diese Erwartung wird
nicht getäuscht; Epiphanius spricht von ihm. Dass er es mit
grosser Thorheit thut, beweist nur, dass die soliden Erinnerungen,
die in seiner Stelle liegen, nicht Eigenthum des 4. Jahrhunderts
gewesen sind. Epiphanius sagt haer. 42: devzaocQöeiq öh jkxq*
avrolg reooageg ijoav' (iia fiev elq 6vo[ia Mcovöicoq xov jzqo-
ffijxov, öevxtoa öh dq xov ötödoxaZov avxcov 'AxLßav ovxco
1) Das Urtheil über die einleitenden Worte: Hadrian xa9e?.a>v xov
vaov xdiv 'lovöcriwv xov iv ^IeQoaoXvfxoiq hängt von der Vorstellung ab,
die man sich über den Tempelplatz unter Barkochbas Regiment bildet.
Da nach meiner Meinung die alten, soliden Erinnerungen in den Talmuden
diese Angabe als vollständig korrekt erweisen, nöthigen mich auch diese
Worte, die Stelle als sehr alt zu betrachten.
£g Schlatter, Chronogr;i|>)j.
xaXovfievov /) Baoax'ißap (in der Parallele haer. 33, 9: ?/ tov
xaXovf/tvov 'Paßßl Axißa), aXXr/ de dg top "Avöav rj vAvvav top
xal 'lovöap (in der Parallel«' ".iööa rjxoL 'lovöa), IrtQa dt Big
xovq vlovg siöa/scovalov. Eine dritte Stelle ist kritisch desshalb
wichtig, weil sie auch in der komischen Entstellung bei Epi-
phanius eine korrekte Zeitangabe enthält: (rj jiaoaöooig töjp
jtQEößvTtQcov) tov Aaßlö //er« T7]v Ix BaßvX.cöpog tJiävodov, TOV
öh Axißa xal jtqo tcov Baßvlcovixoiv ar/ftaZwöHup yr/tpr/Tai,
tcov öh vIojp 'Aööaywpatov sp XQovoig AXet-äpöoov xal AvTibyov,
haer. 42, 332. Die Angabe, dass Akibas Lehrthätigkeit vor die
alinaXmoiai falle, ist sachkundig; natürlich handelt es sich nicht
um die babylonischen, sondern um diejenigen Hadrians.
Leider ist der mittlere Name entstellt, wodurch auch die
Deutung der „Rückkehr aus Babylon" unsicher wird. Ware
sie das Gegenstück zur „babylonischen Gefangenschaft", die auf
Akiba folgt, so wäre an das Ende der Verfolgungszeit und das
Toleranzedikt Antonins gedacht. Oder der betreffende Rabbine
war schon in der Quelle als aus Babylon heimgekehrt beschrieben.
Unter den 4 Namensformen, die Epiphanius giebt:
ANNAN
ANA AN
AAAA
JABIJ
ist nur Annan ein jüdischer Name; das wäre fSH. Das AA,
NN, NA könnte aber auch AA repräsentiren, und daran lässt
auch die Rückkehr aus Babylon denken. War AAAIA (EAAIA)
der ursprüngliche Text? top xal %vöav enthält ebenfalls eine
Verderbniss. Ob der Name des Vaters beigefügt oder ein Paar
von Rabbinen genannt war oder eine konfuse Erinnerung an den
heiligen Juda eingemischt ist, lässt sich bei der starken Verderb-
niss des Satzes nicht mehr klarstellen.
Die dritte Stelle giebt der Aufzählung ein durchsichtiges
Princip. Es soll das jugendliche Alter dieser ösvTSQcoöeig und
jtaoaöoöetg tgjp jioeoßvTeoojp nachgewiesen werden. Wer sind
die Urheber derselben? Nach dem Krieg Chanan, und Akiba,
der unmittelbar vor demselben steht, und weiter zurück: die Has-
monäer zur Zeit Alexanders, natürlich Jannais *), und des Antio-
1) Die Betrachtung der Stelle ist rückblickend, so dass Alexander,
der vor Antiochus steht, ihm auch zeitlich vorgesetzt ist. Dass die Qi >lle
13. Problematisches. 89
chus! Oder: Von wem stammen die öswegcoösig? von Hillel, der
aus Babylon kam, und von Akiba, der dicht vor dem Kriege
steht, und weiter zurück von den Männern der hasmonäischen
Zeit seit Antiochus.1)
Lassen wir den unleserlichen Namen ganz aus dem Spiel:
auch so enthalt die Stelle ein für die Väter unerhörtes Mass von
Sachkunde. Nicht bloss für Epiphanius, der bei einer alxnalwöia
bloss an die babylonische zu denken weiss, sondern auch für
einen Origenes war ein solcher Satz eine vollständige Unmög-
lichkeit. Es ist ganz korrekt, dass das, was die Juden im zweiten
Jahrhundert als jtayaöoöiq rcov jtQSößvrsQwv verehrten, in der
Zeit des Antiochus begonnen hat, unter den spätem Hasmonäern
(Alexander) energisch ausgebildet worden ist und durch Akiba
vor der Hadrianschen Katastrophe eine wesentliche Vermehrung
und Fixirung erhalten hat. Die Mischna weiss es nicht anders.
Ihre ältesten Namen gehn in die makkabäische Zeit zurück;
Jannais Periode ist durch Simon b. Shetach besonders hervor-
gehoben, und Akiba hat als Verfasser einer „grossen Mischna"
die ganze folgende juristische Litteratur beherrscht.
Jedenfalls liegt ein deutliches Wissen um Akibas Zeit und
Bedeutung in der Stelle, und das macht rathsam, dass sie nicht
von Antonius Zeit weggerückt wird.
d. Kokaba.
Im Brief des Julius an Aristides, der zum „Verwandten Jesu"
Beziehungen hat, steht: ol jcyoeiQtjfitvoi öeöüioövvol xaZovfievot
ajto re Na^agcov xal Kw%aßa xco^wv ^Iovöcuxmv r?j Xoitci] yf[
ijcifpotrrjOavTsg, Eus. h. e. 1, 7, 14. Hienach hat Julius gehört,
dass Jesu Geschlecht zu irgend einer Zeit in Kokaba ansässig
war, in ähnlicher Weise, wie in Nazareth. Denn er stellt Naza-
nicht gesagt hat, die Hasmonäer reichten bis auf Alexander den Grossen,
darf man ihr zutrauen. Sie hat Antiochus nicht umsonst genannt.
1) Die Beiziehung der „4 grossen Mischnen", die für die Kritik der
Talmude allerdings wichtig sind, scheint mir hier nicht angebracht. Die
Stelle spricht von den Urhebern der davzbQajöLq und ihrer Zeit, und giebt
nicht eine literarhistorische Notiz. Mose fehlt in der dritten Parallele aus
guten Gründen. Die Quelle heisst die dsvztQwoic jung, und hat sie nicht
auf Mose zurtickgeleitet. Erst ein späterer hat bei der Frage, woher die
Juden ihre Gesetze hätten, Mose nicht vergessen wollen.
90 chlatter, Chronograph.
reth und Kokaba neben einander, als wären sie in derselben
Weise die Heimatli <\uv Familien, die mit Jesus verwandt ge-
wesen sind. Wann war es so?
Die Antwort giebt Epiphanius, haer. 29: Nazarener befinden
sich in Beroia in Cölesyrien, und in der Dekapolis in der Gegend
von Pella, xal Iv rfj Baöavlzcöt rr/ Zeyofiev?] Kcozäßy, Xco%ctß)j
de tßQaiöTL Zeyokuevi]. exel '&• ev yäg rj aQyrrj yeyove [lexa n)v
CCJTO TCOV Cl£Q0Ö02.V[l0W flSTCCÖTaötV JtaPTCOV T(7)V {LOL&7[Z(7)V,
Epiphanius fügt bei xmv ev Ilelh] oixtjzotojv. Dadurch wird
der Satz eine Mischung sich aufhebender Vorstellungen. Zuerst
war gesagt: von Kokaba sei die aQyyi geschehn nach dem Weg-
zug aller Jünger von Jerusalem; wenn sie aber in Pella wohnten,
so geschah der Anfang eben nicht von Kokaba, sondern von
Pella aus. Der Zusatz giebt die Vorstellung, die Euseb verbreitet
hat, 3, 5, 3, und die dadurch vollständig durchsichtig ist, dass
wir wissen, dass Ariston aus Pella über diese Dinge geredet hat,
4, 6, 3. Dagegen stimmen der Satz des Julius: „von Kokaba
aus giengen die Verwandten Jesu ins übrige Land", und der-
jenige des Epiphanius: „von Kokaba aus geschah der Anfang nach
dem Wegzug der Jünger aus Jerusalem" vortrefflich zusammen,
und die Zeitangabe des Epiphanius erläutert, wann die öeojioövvoc
in Kokaba wohnten: während der sechziger Jahre.
Die auf Pella weisende und die nach Kokaba zeigende Nach-
richt heben einander nicht auf. Auch ohne die letztere dürften
wir uns nicht vorstellen, dass die gesämmte Christenheit Palä-
stinas sich in den Mauern von Pella zusammengedrängt habe.
Die Nachricht (Aristons?), dass Pella durch Einwanderung in den
sechziger Jahren eine starke Christengemeinde erhielt, ist glaub-
würdig; dasselbe gilt aber auch von derjenigen des Julius, der
den Bericht des Verwandten Jesu kennt.
Ueber Kokaba bleibt sich Epiphanius nicht gleich. Julius
heisst es eine xw[ir} wie Nazareth. In der citirten Stelle redet
dagegen Epiphanius, als hätte Kokaba den alten Landesnamen
Basan ersetzt oder als wäre es wenigstens eine Landschaft in
Basan. haer. 30 pg. 126 nennt es dagegen auch Epiphanius eine
xcofiT): Ebion aQyexai fiev ttjv xazoixrjöiv eyeiv ev Kwxaßyi zcvl
X(6[i% em zä [iiQrj zrjg KaQvcufi 'Agveft x) xal 'Aözagcoft ev zi]
1) Aqve[a neben KaQvaiß wird Double
13. Problematisches. 91
BaoaviTiöi yjooa. ciq >) iX&ovöa slg t'jfiäg yvmoiq jteQibzei. tvdev
(tn/ erat rfjg xaxijg avrov 6i6aöxaXlag, 6&sv 6?]&sv xal ol Na^a-
Qtjvoi ol avoptoi JtnoöedrjkcövTcu. Hienach ist auch haer. 30
pg. 142 zu verstehn: ajio Kcoxäßatv rrjg Iv rij Baoaviriöi ytj
ejitxeiva \i6oaojr. Die Angabe des Julius wird dahin ent-
scheiden, dass der Narne nicht der Gegend, sondern einer Ort-
schaft angehört.1)
Es liegt hier eine Spur vor, welche die Ueberlieferung über
die alten, besonders die jüdischen Häresien mit dem Chronographen
verknüpft. In der That enthält der Bericht des Epiphanius über
die 4 samaritanischen und 7 jüdischen Sekten, so konfus er ist,
doch einige Angaben, die noch das alte Jerusalem im Auge haben.
Dass Epiphanius, trotzdem er nicht aus Hegesipps 7 Sekten zu
eilen ist, doch enge Berührungen mit ihm hat, fügt sich
leicht mit den bereits gewonnenen Schlüssen zusammen . Allein
wir stehn hier an der Thüre eines Labyrinths.
Die Häresien gehörten mit zu den Zeichen des nahenden
Endes. Die Pseudochristen und Pseudopropheten waren von Jesus
geweissagt, und der Chronograph wird darauf hingewiesen haben,
dass eben jetzt in der jüngsten Zeit solche reichlich hervortraten.
Bei Klemens lesen wir, ström. 7, 17: die Sekten sind jünger als
die Kirche; r\ fihv yag rov xvqiov xara xijv jzaoovöiav 6i6a-
öxalia äjzb Avyovörov xal TißtQiov Kaiöagog aQ^afisvr] [isöovv-
tov roJv Avyovörov ygovcov rsXeiovrar t\ 6h rcov ajtoöroXmv
avrov [ityQL ys rrjq JJavXov XsirovQylag ejd Ntgcovog rsXei-
ovrai. xarco 6h jtsol rovg 'A6qkxvov rov ßaöiXemg XQovovg
ol rag aiQeöeig tJtivorjöavreg yeyovaoi xal (ISXQ1 7£ T^S Avro-
vivov rov jtQsößvrtQOV öureivav rjXixiag. Darauf werden Basi-
lides und Valentin und ihre fälschlich angerufnen Autoritäten
im apostolischen Schülerkreis und schliesslich Marcion genannt.
{ueöovvrcav rcov Avyovörov ynovcov für das Ende der Lehr-
thätigkeit Jesu ist jedenfalls unbedacht und erklärt sich nur aus
der Rechnung des Chronographen. „15 Jahre des Augustus und
15 Jahre des Tiberius, so wurden voll die 30 Jahre." Eine Mitte,
die zu Augustus Beziehungen hat, liegt hier allerdings vor, aber
es ist sein Tod, der mit der Mitte im Leben Jesu zusammen-
1) Es trifft seltsam zusammen, dass die christlichen Davididen von
Kokaba ausgehn, und von Kokaba aus der Ebionitismus sich verbreitet
haben soll, und dass der König der Hadrianschen Zeit Barkokaba heisst.
92 Schlauer. Chronograph.
trifft. Kleraens hat sich die Rechnung, auf die er sich bezieht,
hier nicht deutlich gemacht. Da wir für die Zeitangabe den
Kommentar zu Klemeris aus dem Chronographen holen müssen,
ist's nicht unmöglich, dass er auch Hadrians und Autonins Zeit
als die Periode der Häresien aus ihm hat. Nur am Stand-
punkt unserer Quellen kann es liegen, dass die Zeit Domitians
und Trajans als von Häresien unberührt erscheint.^
14.
Schluss.
Nach allen diesen kritischen Mühseligkeiten dürfen wir uns
noch einen Moment gesammelter Vertiefung in den Verlauf der
Ereignisse gönnen.
Die herkömmliche Meinung stellt sich Jerusalem seit dem
Jahre 70 für die Kirche als tot vor. Aus dem Gesagten ergiebt
sich eine andre Vorstellung. Noch in der Mitte des zweiten
Jahrhunderts ist aus der judenchristlichen Gemeinde Jerusalems
ein Schriftstück hervorgegangen, das von der gesammten Kirche
mit grosser Ehrfurcht aufgenommen worden ist. Erst Hadrians
fürchterliche Edikte gegen die Juden haben auch die jüdisch-
christliche Gemeinde für die Kirche bedeutungslos gemacht, weil
sie zur Folge hatten, dass die Kirche Jerusalems mit derjenigen
von Alexandrien oder Antiochien völlig gleichartig geworden ist.
Es ist bedeutsam, wie das, was den Sturz der Judenschaft
herbeigeführt hat und andrerseits wieder ihre Erhaltung bewirkte,
auch an unserm Chronographen zu Tage tritt. Bei dem namen-
losen Elend, das er mit durchlebt hat, bleibt ihm die Schrift
und die Hoffnung unerschüttert. Seine Auslegung Daniels hand-
habt das ytyQajiTac mit einem absoluten Glaubensakt, der ihm
das Himmelreich dicht vor ihm zeigt. Er ist dabei überwiegend
von Daniel geleitet, der die jüdische Geschichte von Epiphanes bis
Hadrian mit doppelseitiger Wirkung beherrscht. Er hat der
Hoffnung den höchsten Ausdruck gegeben, so dass Jesu Ver-
heissung sich unmittelbar an sie anschliessen konnte, aber auch
die Gewaltsamkeit der jüdischen Erwartung und ihr selbstischer
1) Ob der Chronograph Basilides etc. genannt hat, steht dahin. Dass
auch Hegesipp mit Klemens in der Fabel von der reinen Kirche bis auf
Trajan sich berührt, ist beachtenswerth.
14. Schluss. 93
Trotz hat sich an ihm fixirt und ruinirt. Der Chronograph hat
dieses jüdische Element nicht ganz überwunden; er wusste,
wann der Herr kommen musste, wie man es in Jerusalem a. 66
und 131 gewusst hat. Nicht als Prophet weissagt er aus der
lebendigen Gegenwart des Geistes, sondern als gelehrter Exeget,
der mit Kaiser- und Ptolemäerlisten operirt, mit Josephus und
mit fremden Berichten über die Herodier. Auch darin steht er
der Synagoge nah; auch dort sprachen sie als die gelehrten
Exegeten kraft ihrer Wissenschaft Gottes Willen aus und setzten
das jus divinum fest.
Dieses jüdische Element hat sein Wort für die Kirche nutz-
Los gemacht. Sie wurde sofort über die Schwelle hinübergeführt,
an der es sich erwies, dass die Zahl Daniels nicht das Mass des
Weltlaufs sei. Die beträchtliche Schwächung der Hoffnung, die
nun in der Kirche hervortrat, hat der Chronograph nicht über-
wunden, wie er's doch gewünscht hatte. Denn er gab die Hoff-
nung in einer Form, wie man sie in der Kirche nicht pflegen
durfte und konnte. Ueberblickt man die Deutungen Daniels bei
den Vätern, so sieht es zunächst aus, als ob hier kein Zusammen-
hang walte, sondern jeder, Klemens, Tertullian, Origenes, Julius,
Hippoly't, wieder frisch auf eigne Entdeckungen ausgehe. Das
ist nur Schein; es vollzieht sich auch hier ein fester historischer
Konnex. Die Zersplitterung der Auslegung rührt daher, dass
ihnen durch den Chronographen das in Daniel liegende Problem
in einer Schärfe vorgehalten war, die sie nöthigte, irgendwie
einen Ausweg zu suchen. Sie finden ihn darin, dass sie Daniel
nach dem Evangelium deuten. Weil diess aber nur mechanisch
geschieht, nur dadurch, dass Daniels Zahl vom Himmelreich ins
erste Jahrhundert zurückgeschoben wird, ohne dass es zu einer
innerlichen Erneuerung des prophetischen Gedankens kommt,
liegt im Satz der Väter neben demjenigen des Chronographen
nicht bloss ein Gewinn, sondern auch ein Verlust.
Während seine Deutung Daniels sofort der Kritik des Ge-
schichtslaufs unterlag, gegen die es keine Einrede gab, fand sich
für das jüdische Element in seinen rückblickenden Betrachtungen
keine ähnliche Kontrolle, und hier hat er, falls die im Satz über
Adams Grab liegende Spur nicht täuscht, eine starke und blei-
bende Wirkung geübt. Derselbe ist meines Wissens das älteste
Wort, das dem Platz, wo Jesus starb und auferstand, religiöse
<j I Schlatter, Chronograph.
Wichtigkeit beimisst. Ich sage natürlich nicht, dass der Kultus
des heiligen Grabes Lediglich die jüdische V.erehrung der Gräber
der Propheten fortsetze; gleichwohl ist der historische Konnex
auch hier sehr eng.
Wenn ich hier auch für meine Konjekturen gesprochen habe,
so liegt es mir ebenso sehr daran, dass, was Beobachtung ist, und
was Konjektur ist, unterschieden bleibe. Schieben wir alles auf
die Seite, was Konjektur ist: Eusebs Juda habe a. 202 durch
irgend einen Unsinn herausgerechnet, dass die 490 Jahre noch
nicht abgelaufen seien, und der Verwandte Jesu bei Julius sei ein
anonymer Historiker gewesen, zu dem sich nur die Gelehrsamkeit
des Julius den Zugang verschafft habe: wir verlieren damit für den
Chronographen den Namen und die konkreten Angaben, die es
uns ermöglichen würden, uns vollständiger in ihn hineinzudenken;
er tritt in den Nebel der Anonymität; aber er bleibt. Die Stücke
bei Klemens sammt ihrer Erläuterung durch Tertullian und
Theophilus, die Reste bei Epiphanius und was bei Origenes von
ihm zum Vorschein kommt, geben ihm, wie mir scheint, auch dann
noch eine greifbare Existenz.
ZUR ÜBERLIEFERUNGSGESCHICHTE
DER
ALT CHRISTLICHEN LITTBRATUR
VON
ADOLF HARNACK.
Texte u. Untersuchungen XII, 1.
Auf den folgenden Blättern habe ich einige Nachträge zu
dem ersten Bande meiner Geschichte der altchristlichen Littera-
tur bis Eusebius (1893) zusammengestellt. Der grössere Theil
stammt aus den Arbeiten der Fachgenossen, die im letztver-
flossenen halben Jahre oder etwas früher erschienen sind; ein klei-
nerer Theil besteht in eigenen Zusätzen. Auch habe ich die Ge-
legenheit ergriffen, einige Berichtigungen zu geben. Alle Nach-
träge habe ich nach der Seitenzahl des Bandes (GL) verzeichnet,
so dass sie bequem eingetragen werden können. Für zweckmässig
hielt ich es, sofort auch die Register zu vervollständigen. 1s Acht
nur alle neuen Zusätze sind hier eingeordnet worden, sondern auch
die slavisch und koptisch erhaltene Litteratur, die bisher noch
nicht registrirt war, ferner die GL S. 1021 verzeichneten Nachträge.
Dies diem docet.
S. XXXII sq. Über die Urliste, die dem Kanon der 60 Bücher,
Xicephor., Athanas. Synops. und dem Verzeichniss des Mkhithar
zu Grunde liegt, sowie über letzteres Verzeichniss s. Zahn, For-
schungen V S. 109ff., 131 ff.
S. XL nr. 10. Im Cod. Paris, des Joh.-Commentars des Ori-
genes findet sich oft am Rande: ßZaOtpr/fisi, ßZaö<pr]fielg, oval öoi,
ävafrEfza ooi aiQsrixd.
S. LV oben. Orosius, Lib. apolog. 1: ,.Patres enim et qui
iam quierevunt martyres et confessores Cyprianus, Hilarius et
Ambrosius, et quibus etiam nunc permanere adhuc in carne
necessarium est, qui sunt columnae et firmamenta ecclesiae ca-
tholicae, Aurelius Augustinus et Hieronymus."
S. 3 Z. 15. Wahrscheinlich stammt aus diesem Brief das Stück
II. Cor. 6, 14 — 17, 1: Mi] yiveo&t ireQoC.vyovvreg — g>6ßa> &eov.
S. 5 Z. 1 v. u. Schlatter folgert in der vorstehenden Ab-
handlung aus Euseb., h. e. I, 7, 11 wohl mit Recht, dass Julius
Africanus ein Buch eines Verwandten Jesu gelesen hat.
4 Harnack, Zur ÜberlieferungsgeHchichte der altchristl. Litteratur.
S. 10 Z. 26. Das Stück lautet nach Academy 21. Octob. 1893:
„And he confirmed the writing of Matthew which was [dahvathj
amorig the Hebrews, declaring that the Christ was born of David
and Abraham according to the plighted promise [depositedj
with theni." Dies stammt wohl aus Ephraem. — Zum Hebräerev.
s. auch Zahn, Forsch. V S. 136. 141.
S. 12. Zum Petrusev. vergleicht Bernard (Academy 30. Sept.
1893) eine Stelle des Dionysius Alex. (Migne X p. 1599, s. GL
5. 421), Usener (bei Dieterich, Nexvia S. 231) meint eine Be-
zeugung im Cod. Vindob. bist. gr. 3 saec. XL fol. 268 zu sehen:
\4va2.oyrjödf/evog 6h o IHtqoc, ütBJiolrjxev rfjv lazoglav djcaoav
rrjq tvav&Qmjcqöscoq r. x. ?jfiSv 7. Xq. xad-cog ttjp exxXrjölav
öiexoöfirjGsv dji aQx^jg, ors 6 ayysXoq ro XalQS xixQayev rrj
jvccQfrevcp fts%Qig orov xal ävslrj<p&rj 6 xvqioq. Zu vgl. ist, was
GrL S. 122 Z. llff. abgedruckt ist, sowie Acta Pionii 13: „Dicunt
dominum J. Christum cum cruce ad superos facta umbrarum
excitatione remeasse." Z. Gesch. v d. Ehebrecherin s. die Note im
Cod. A (N. T.).
S. 15. Zum Thomasev. s. GL S. XXXIII.
S. 19. Zum Buch des Jakobus s. GL S. XXXIII u. 0.
Schade, Liber de infantia Mariae et Christi salvatoris. Halle 1869.
S. 22. Ein altes bisher nicht geprüftes Ms. des Ev. Nicodemi
Lat. ist Brit. Mus. Lat. 5 E XIII saec. VIII.
S. 28 oben. Vielleicht ist „Le Predicateur des Orthodoxes"
im Verzeichniss des Mkhithar (GL S. XXXIII) = K?]Qvyfia JJe-
tqov. Zu diesem vgl. Hilgenfeld, Ztschr. f. wiss. Theol. 1893 H. 4.
S. 33. Zur Petrusapok. s. GL S. XXXIII und die von Zahn,
Forsch. V S. 112 vorgetragene Hypothese einer Erwähnung der
Apok. bei Origenes, ferner die Nachahmungen der Apok. in der
Passio Felicis, Fortunati et Achillaei § 3 (Bolland. 23. April:
„Vidi locum siderei splendoris coruscatione micantem, ineffabilium
florum diversitate vernantem, fragrantibus quoque aromatibus
redolentem"), Passio Dorotheae et Theophili § 10. 12. 13 (Bolland.
6. Febr.), sowie in der jungen Apokalypse Mariae Virg. (James,
Texts and Studies II, 3 p. 112) und im Testam. Abrahae (James,
1. c II, 2). Vgl. Clemens, Quis dives 33 und Hippolyt, Philosoph, extr.
S. 37 oben. Arabische Version im Cod. Par. Arab. 80 (Bratke
ZwTh. 1894 S. 137 f.).
Harnack, Zur Überliefenmgsgeschichte der altchristl. Litteratur. 5
S. 38. S. auch GL S. XXXIII f.
S. 39 ff. Zum I. Clemensbrief s. GL S. XXXIII und Zahn,
Forsch. V S. 1*23 ff. Junius schreibt in der Editio princ. (1633)
p^3 der jzQOGrjfieiwöig (pag. M 5), Hieronymus habe den Brief
übersetzt, quam (welche Übersetzung) in bibliothecis alicubi latere
spem nobis facit catalogus fratrum Lobiensium, quem domi ha-
bemus, scriptum ante CCCC annos, ad calcem operum Fulgentii,
atque utinam id aliquando eveniat et spes nostrae non inanes de-
prehendantur." Was hier Junius von Hieronymus sagt, ist ein Irr-
thum. Er meint eine Stelle, die von Rufin herrührt und sich auf
dieRecognitionen bezieht (s. Orig. Opp. ed. Lommatzsch VII p. 460).
Das Richtige steht GL S. 223, wornach S. 40 Z. 16 ff. v. u. zu er-
gänzen resp. zu berichtigen ist. Eine lateinische Übersetzung des
1. Clemensbriefs ist jetzt nachgewiesen, aber noch nicht edirt, s. Re-
vue Benedictine 1893 Nr. 9 p.403; hier theilt G.Morin mit: „Ceux
qui s'interessent aux antiquites ecclesiastiques apprendront avec
plaisir qu'on vient de retrouver dans un ms. provenant de l'abbaye
benedictine de Florennes, dans la province Namur, une traduc-
tion latine de la premiere lettre de St. Clement aux Corinthiens.
Le codex semble avoir ete ecrit dans la premiere moitie du XL
siecle, et peut ainsi remonter aux origenes memes de l'abbaye.
Quant ä la version qu'il contient eile parait de beaucoup ante-
rieure ä cette epoque, et se rapproch e sensiblement, par les parti-
cularites du style, des anciennes traductions latines du texte bi-
blique anterieures a la Vulgate. Elle semble devoir etre d'un
grand secours pour preciser le sens qu'on a attache ä l'origine
a certaines expressions dont la portee doctrinale a donne lieu re-
cement encore ä des discussions interessantes. Ce precieux docu-
ment dans un etat parfait d'integrite, et demeure, on ne sait
comment, si longtemps dans l'oubli, sera prochainement l'objet
d'une publication soignee, et formera le I. fasc. du tome IL des
„Anecdota Maredsolana"."
S. 41 Z. 12 v. u. Irenaus zeigt sich auch sonst vom Briefe
abhängig, s. V, 1, 1 vgl. mit I. Clem. 49,6.
S. 47 Z. 24. Judas = Thomas, s. Zahn, Forsch. V S. 122f.
S. 52 Z. 6. Iren. I, 15, 6 mit Herrn. Mand. I (jtdvra ycoQOVvra
jtaxiQa, dxcoQijTöv de vjzaQyovra).
S. 52 Z. 30. In einer theodotianischen Schrift (Epiph. h. 55, 8)
war vielleicht Sim. V benutzt.
(> Harnack, Zur überlieferungsgeschichte der altchristl. Littemtur.
S. 55 Z. 13. Auf ein anderes Zeugniss bei Origenes, das aber
nicht sicher ist, hat Zahn, Forsch. V S. 112 hingewiesen.
S. 60 Z. 7 v. u. Stillschweigend ist von Origenes (Selecta in
Ps. 118 Lommatzsch XTII p. 102) Barn. 15, 8. 9 benutzt: Söxsq
rj oydorj avfißoXov toxi rov ftiXXovroc, aläjvog, övva(uiv dvaöxa-
otcoq jteQttxovöa , ovrco xal rj tßöofirj GvfißoZov Ion rov xoo-
(WV TOVTOV.
S. 62 Z. 11. S. GL S. XXXIII und Zahn, Forsch. V S. 130,
auch S. 112.
S. 62 Z. 22. De pascha comput, 10. 18. 20. 21. — Die Zu-
sammenstellung Tertull. (Novat.), de cibis Jud., Barnab. ep., Ja-
cobi ep. im Ms. Lat. Barn, ist schwerlich zufällig. Vielleicht waren
die kleinen Tractate Novatian's von dem Barnabasbrief abhängig.
S. 63 Z. 7. Die Erwähnung des Matth.-Ev. ist hier zu streichen.
S. 64 Z. 2. Lies tojv tov tcvqiov Xoyoov öirjyrJGEis und in Z. 4
vor Zeyovöiv die Worte: ol zov xvqlov fiadr/tai — Conybeare
(Aristion, the author of the last 12 verses of Mark, „Expositor"
1893 Octob. p. 241 ff.) hat entdeckt, dass in einem Cod. evv. membr.
Armen, anni 986 zu Etschmiadzin der längere, unechte Marcus-
schluss die Überschrift trägt „Von dem Presbyter Ariston." Der-
selbe bemerkt (p. 246), dass in einem Cod. Bodl. hist. eccl. Rufini
saec. Xll zu Euseb. h. e. 111, 39 bei Justus Barsabbas am Rande
„Aristion" steht; s. Theol. Lit.-Ztg. 1893 Nr. 23. Dass die 12
Verse (Incip.: 'Avaorag ös jcqgu) ursprünglich nichts mit dem
Marcusev. zu thun haben, sondern Theile eines anderen histo-
rischen Aufsatzes (eines Kerygmas bez. einer öir/yrjöig mit apolo-
getischer Tendenz gegenüber dem Vorwurf, die Auferstehung sei
von den Jüngern erfunden) sind, dafür spricht Vieles. Bemerke
auch, dass Hieronymus (c. Pelag. IT, 15) in einigen Codd. zwischen
v. 14 und 15 noch Folgendes gelesen hat, was jetzt kein einziger
Cod. mehr bietet: „Et illi satisfaciebant dicentes: Saeculum istud
iniquitatis et incredulitatis sub satana (die meisten Codd. irrtliüm-
lich: substantia), qui (Codd. quae) non sinit per immundos spiritus
veram dei apprehendi virtutem. idcirco iam nunc revela iustitiam
tuam." (Aus inneren Gründen lässt sich sehr wahrscheinlich machen,
dass der Vers ursprünglich wirklich dem Stück angehört). Hieron.
hat das also eingeleitet: „In quibusdam exemplaribus et maxime
in Graecis Codd. iuxta Marcum in tine eius evangelii scribitur."
S. 67 Z. 26. S. auch Hieron., Proleg. in quattuor evv: „Mar-
Harnock, Zur Oberlieferangsgeachichte der altchristl. Litteratur. 7
cus interpres apostoli Petri, qui dominum quidem salvatorem
ipse non vidit, sed ea quae magistrum audierat praedicantem iuxta
fidem magis gestoruin narravit, quam ordinem" (das ist ausPapias
geflossen).
S. 75 Z. 24. Der Brief ist vielleicht auch in der Rede des
Apollonius vor dem Senat benutzt (s. Sitzungsber. d. K. Preuss.
Akad. d. Wissensch. 27. Juli 1893).
S. 79 Z. 2. Katalog von Iwiron (Athos) nr. 1280 (Meyer,
Ztschr. f. KGesch. XI S. 155£): zov ay. 'iyvaziov IjiigtoUu.
S. 81 Z. 11 v. u. lies Jia.
S. 82 Z. 3. Socrates h. e. VI, 8 sagt, dass Ignatius die antipho-
nischen Hymnen in die Kirche von Antiochien eingeführt habe.
S. 91. Nach James, Texte and Studies II, 2 besteht zwischen
Testam. Isaaci und Didache eine Beziehung. — Ein Zeugniss des
Origenes über die Didache, aber ein unsicheres, s. bei Zahn,
Forsch. V S. 112.
S. 99. Grosse Ausgabe der Apologie des Aristides von See-
berg in Zahns Forsch. V S. 159 ff., kleinere Ausgabe auch der
unechten Stücke von demselben (Erlangen 1894). Seeberg hält
letztere für echt, ebenso Zahn (Forsch. V S. 415 ff.), aber für
interpolirt.
S. 105. Katalog von Iwiron (Athos) nr. 1280 (Meyer, a.a.O.):
'Iovözivov <piL xal [iciqt. ß'tßXoq vjieq Xgiöziav&v zi] övyxXvrco
jsic] öofrelöa. Izega 'Avzwvivoq [sie] xal zrjq avzov öiaÖoyoiq
[sie] zgizr} , ev rj jteQi zrjq cpvyrjq zmv 'lovöakov fioviov öia-
Xeyezcu. zexägtr], ?)v IjiiyQaxpsv sZeyxoi', xal tzega.
S. 109 Z. 9. Lies „Laod." für „Hierap."
S. 124. Die Thomas- und Andreas- Acten sollen in den Act.
Xanthipp. et Polyxenae benutzt sein, s. James, Texts and Stu-
dies II, 3 p. 47 sq.
S. 125 Z. 11. Griechisch ist der Hymnus erhalten und beginnt:
zfc'g« ooi, JtazsQ.
S. 126 nr. 10. Kater gian, Dormitio Johannis 1877 (nach dem
Armenischen;, cf. Apokryphen (Fseudepigraphen) bei den Arme-
niern, hrsg. v. Kalemkiar, 2. Stück.
S. 129. Zu den Paulusacten vgl. die Act. Xanthipp. et Pulyx.
(erhalten im Cod. Paris. 1458 saec. XL; älteste Anspielung auf
sie in dem Menolog. Basil. saec. X.); sie sollen nach James,
a. a. O. p. 43 sq. z. Th. aus jenen geflossen sein. James (p. 54 sq.)
§ Harnack, Zur Überlieferungsgeschichtc1, der altohristl. Literatur.
will auch Commodian, Carm. Apol. 618 — 624 aus den Paulusacten
ableiten, ebenso (p. 55) ein Stück aus den Acta Titi. Ferner
macht er auf das noch nicht untersuchte arabische (und äthiopische)
Leben des Paulus aufmerksam und verweist (p. 56) noch auf
anderes Material, namentlich auch auf den Policraticus des Jo-
hannes Sarisb.
S. 133. Nach Zahn, Forsch. V S. 60 sind die alten Petrus-
acten in der Vita Abercii benutzt, nach James, a. a. 0. p. 47 sq.
54 sq. auch in den Act. Xanthipp. und bei Commodian, Carm.
Apol. 618ff.
S. 134. Lambros, Uegl rcov JtaX^mp^Ozcov xojölxcov rcov
ayioQSirixcov ßißXio^rjxcov. Athen 1S8S theilt S. 11 f. mit, class
im Cod. 91 (Palimpsest) der Bibliothek des Klosters des Diony-
sius (Athos) die alte Schrift u. A. (sie enthält auch die slvaxerpak.
des Epiphanias) enthält l£qoöoZv(/itov ix rcov jisqloöow tojv
ayicov äjzoöroÄcov, d. h. Sophronius v. Jerus., de laborv certam.
et peregr. apostolorum. Die alte Schrift ist aber selbst nicht
älter als saec. X. und nur Weniges ist zu lesen.
S. 137. Die Theklaacten sind nach James, a. a. 0. p. 47 sq.
auch in den Act. Xanthipp. et Polyx. benutzt. — Rey, Etüde
sur les Acta Pauli et Theclae. Paris 1890. Ramsay, The church
in the Roman empire. 1893.
S. 138. Zu den Philippusacten s. James, Suppl. to the Acts
of Philip., a. a. 0. II, 3 p. 158ff.: „Translatio Philippi.« Syrisch
finden sich die Acten, die nach James, a.a.O. p. 47sq. in den Act.
Xanthipp. benutzt sind, im Cod. Berol. Syr. 9 (Sachau) v. J. 1695.
S. 153 Z. 16 v.u. Tilge die Worte: „Hier zuerst die Helena"
und füge „Helena" der vorhergehenden Zeile nach Apol. I, 26 ein.
S. 163 Z. 12 v. u. (auch zu S. 169 oben). Zu Zoroaster s.
Kuhn, Eine zoroastrische Prophezeiung in christlichem Gewände
(Schriften zum Jubil. von Roth S. 2 17 ff.); er zeigt, dass Zoroaster =
Seth (S. 219). Er führt auch eine Stelle aus der „Biene" des
Salomon von Basra an, die von Wichtigkeit ist.
S. 171 Z. 7. Über Borboriten s. den wichtigen Brief des
Bischofs Atticus von Konstantinopel an den armenischen Patri-
archen Sahak (Moses Choren. III, 57), vgl. Karapet, Paulikianer
(Leipzig 1893) S. 39 ff.
S. 172 unten. Vgl. Ryle and James, ipaZtuoL UoXoficovTog.
Cambridge 1891 p. XXIII sq. 155 sq.
Harnack, Zur Überlieferungsgeschichte der altchiistl. Lifcteratur. 9
S. 174. Vielleicht ist der GL S. 377. 511 genannte Bassus
unter den Schülern Valentin's aufzuführen. Nach Rede penn in g,
Origenes 11 S. 57 soll er auch bei Philaster vorkommen. Ich habe
ihn dort nicht gefunden.
S. 184 Z. 15 v. u. Die Worte lauten: BaQXaö(*vr/S ovo^a,
avijQ ro ytvoo, XafijrQOTaroq, TOP jtlovrov öicupoQOJTaTOg.
S. 191. Einen Schüler „Sokrates" (Isokrates) Marcion's, ferner
dessen Schüler Theopompus und eine Fraction „Sokratiten" unter
den Marcioniten nimmt Dräseke (Ges. patrist. Abhandl. 1889
S. 162 ff.) wohl irrthümlich an; s. unten zu S. 430.
S. 192 Z. 23. Lucanus hat wohl gegen die Auferstehung des
Fleisches geschrieben.
S. 193. In dem Ms. Syr. Mus. Brit. Add. 17215 (Academy
21. Oct. 1893) werden Marcion, Mani, Bardesanes genannt. Von
Marcion heisst es: „Marcion . . . said that our Lord was not born
of woman, but stole the place of the creator and came down
and appeared first between Jerusalem and Jericho, like a son of
man in form and in image and in likeness, yet without our body."
S. 194. 199. Über Marcioniten bei den Armeniern s. die lehr-
reichen Mittheilungen von Karapet, die Paulikianer S. 97.
104 ff. 148. S. 97: Paulus von Taron (Ende des 11. Jahrh.) schreibt:
„Ein gewisser Apelles, ein verworfener Mensch, dem Leibe nach
ein Greis, verbittert durch das (lange) Leben und stolz auf den
Beistand der bösen Geister, sagte von den Propheten, dass ihre
Prophezeiungen aus dem Widerspruch des h. Geistes zu Stande
kämen, und stellte Folgendes fest: die Messe sei von keinem
Nutzen, die man für die Todten darbringt. Gott verdamme ihn"
(s. Euseb., h. e. V, 13). Dann heisst es weiter: „Der greuliche
Kalestinos(?), der die Geburt und das Leiden (Christi) nicht Gott
zuschreibt, sondern dem einfachen Menschen. Die Marcioniten,
welche auch die Auferstehung der Verstorbenen nicht annehmen
und das h. Messopfer für nichts erklären, sowie sie das h. Kreuz,
welches den Gott getragen hat, für ein einfaches Holz halten;
denn sie sind verblendet, so dass sie dessen verborgene Kraft
nicht sehen, gleichwie die Thondrakier. Proteron(?) hat das h.
Kreuz Christi geschmäht und gelästert und von sich selbst, ge-
sagt, dass er die Kirche sei — das Kreuz und die Kirche aber
nannte er der Gottheit fremd, wie die Thondrakier, und liess nicht
Messopfer für die Verstorbenen in Christus darbringen; bei der
]() Harnack, Zur UtarUeferungegfetfChichte der altchristl. Litteratur.
Taufe, sagte er, giebt es keinen h. Geist; er selbst aber ergab
sich der Fleischeslust und trieb Grässliches."
S. 200 Z 20. Die Schrift des Hermogenes folgt aus Terbul.
adv. Hermog. 1. 2.
S. 202. Apotaktiker auch bei Julian, Orat. VII p. 224 BC.
8. 214. Ein sonst unbekanntes, zu der pseudoclementinischeu
Litteratur gehöriges, lateinisches Stück bringt Grabe (Spicil. 1
p. 299); es findet sich ad calcem lib. X. annex. im Cod. BodL 105
super I) 1. Art.Inc.:„Quibus cognitis Petrus", expl.: „sanitati restituit."
S. 219. Die hier abgedruckte Stelle ist nicht einem Citat des
Origenes entnommen, s. Robinson, Philocal. p. L. Der Text ist
nach 1. c. p. 210 sq. zu verbessern. Einleitung: THxqov xov ajto-
ÖZoZoV .... XCOV JISQL XOVXOV ZoyOJV (p7]ö\. S. 219 Z. 1. 9 CO ZU
tilgen, Z. 3 kue statt [iol, Z. 15 Igel 601, Z. 20 övvmv, Z. 22 r},
Z. 23 dovpöerog, S. 220 Z. 14 koxiv, Z. 19 jtQOOtptQofisv , Z. 34
6xi rjöe .... rote, xb (ivOxtiqlov, Z. 36 aus Rufin ist zu ergänzen
nach ZoycOfiov: evloxe övy/ojQrjOavxeg xf] sjvt&vfiia rjxxrjfiefra,
Z. 38 aoxQoloyoi, Z. 41 xZifriaxxrjQaq, Z. 45 xcu o jzaxrjQ, Z. 47 eijteq.
S. 238. Zu § 9 vgl. Zahn, Forsch. V S. 3 ff. Auf montani-
stische Schriften ist auch aus Fragm. Murat. extr. und Tertull., de
ieiun. 11 init. 12. 13 zu schliessen.
S. 240 Z. 20 setze ein Fragezeichen zu „Bischof". Z. 24. In
diesem Stück wird ein Presbyter Zoticus aus Otrus erwähnt, s.
Zahn V S. 64. Z. 7 v. u. Genannt werden (h. e. V, 16, 17) Zoticus
von Kumane (s. Zahn V S. 94) und Julian von Apamea, ferner
die Prophetin Ammia (h. e. V, 17, 2.3). Z. 5 v. u. Der Anonymus
war entweder Bischof oder Presbyter.
S. 241 Z. 22. Zoticus von Kumane h. e. V, 18, 13.
S. 243. Schalte als § 15b ein: Voten thracischer Bi-
schöfe im montanistischen Streit. Sie sind in dem Schrei-
ben des Apollinaris von Hierapolis enthalten gewesen; aus diesem
entnahm sie Serapion (Euseb., h. e. V, 19), aus diesem Eusebius
(1. c), s. Zahn, Forsch. V S. 4 ff.: *Ev xavxr} 61 x\i xov Saga-
jtiojvog ejiiöxoZy xal vjcoöt]fi£io)06ig cpioovxai öiacpoQOJV ijzi-
öxojtcov, cov o fitv xig coöe jrcog vjioöeoqfAzicyxcu' AvQrjZtoc
KvQrjvwg fiaQtvq tQQfoö&cci Vfiäg Ev^ofiat. O 6i xtg xovxov xov
xgonov AiZiog IlovjtZwg 'iovZiog djto AeßeZxov (s. Zahn S. 6)
xoZowtiag xyg 0Qaxfjg ejrlöxojiog' Cr/ 6 x)zog o lv xolg ovga-
votg, oxi JSwxag 6 f/axagtog 6 ev 'AyxiaZm /jVtZrjOe xov öaiflova
Harntick, Zur IJberlieferungsgeschichte der altchristl. Litterntur. ] \
tov IloiGxiXXrjg ixßaXelv, xal ol vjtoxoiTal ovx ayf/xav. Kai
r.XXrov de jtXewvoov top aQid-fiov ijrtöxojtatv ov[iif>7J<poH> TOVTOig
iv xolq ö)jXa>{reiüi yoaf/ftaöiv avToygacpoi (ptgovrai GypeicoGeiQ.
S. 243. Zu § 17 (Name „Apollinaris") s. Zahn, Forsch. V
S. 99 ff. Z. 14 v. u. lies „den Brief1 statt „die Schriften''. Z. 13
v. u. Die Stelle lautet: Qjtatg öe xal rovzo eldr/ze, ort rr/g
tpevöovq ravrf]g ra^ecog Ttjg ijciXtyofjivrjg viag jcQocpr/rdag
ißöiXvxtai >/ ivioyua jiaoä jtäot] rf/ iv xodficp aöeXcpoTrjTi
[das konnte man also aus dem Schreiben des Apollinaris ersehen,
mithin berichtete es über eine grössere Synode, s. die Unterschriften,,
jitjioiiqa vfitv xal KXavdlov 'AjioXXivaoiov tov fiaxaniov yevo-
fievov iv JepajzoXer, Tfjg Aoiag ijziöxojcov yQäfif/aza.
S. 244 Z. 5. S. Zahn V S.4. Z. 8 lies „Schreiben4' statt Werk.
S. 258. Den Athenagoras hat man mit Athenogenes, den
Märtyrer und Dichter eines Hymnus — nur Basilius nennt ihn;
s. über ihn unten z. S. 795 — identificiren wollen (s. Baronius
im Martyrol. z. 16. Juli und Tillemont, Mem. II p. 673).
S. 258 f. Zu Abercius = Avircius s. Zahn V S. 94; die
bischöfliche Würde des Abercius ist fraglich. Über die Über-
lieferung der Vita Abercii des Metaphrasten s. Zahn S. 58 f.
Unter den Addenda der 2. Aufl. (18S9) seiner Ausgabe des Ignatius
und Polykarp (II p. 726) soll Lightfoot bemerken: „I have heard
recently from Prof. R. Harris, that a Ms. of an earlier form
of the Acts of Abercius, before it was manipulated by the Meta-
phrast, has been discovered in the East and that it will shortly
be published in Greece." Aber nach Zahn V S. 57 ist das bis-
her nicht geschehen. Die Christlichkeit der Abercius -Inschrift
wird Ficker demnächst zu widerlegen versuchen.
S. 259 Z. 4 lies „gesetzt hat". Der Erzähler hat es selbst
gesehen (c. 41): tcc fiev Örj tov ijtiyQafc^aTog coöe jtwg ejtl
Xe$ewg dxw, otl fir/ 6 XQ^V0(i v<ptlXe xaT oXlyov T?jg dxQt-
ßriag xal 7j ftaQTrifiev wg exeiv ttjv yoacprjv jcaoeGxevaGev. Z. 15
Alexander, Sohn des Antonius. Z. 17 füge hinzu nach Juli:
p. 518. Z. 18 Bull, critique 1882. Z. 21 am Schluss 18S7 p. 468 f.
Z. 5 v. u. lies „on" statt „of". Vgl. zu dem ganzen Abschnitt:
Ramsay im Expositor 1888. 1889, De Rossi, . Inscr. Christ.
urbis Rom. II, 1 (1888) p. Xllsq., Zahn, Forsck V S. 57 ff.
S. 262. Ein besonderes Schreiben der Gemeinde an Eleu-
therus macht Zahn V S. 7 wahrscheinlich, s. Euseb., h. e. V, 3, 1 sq.
12 Hurnack, Zur Überlieferungsgenchichte der altchristl. Litteratur.
S. 263. Die lat. Übersetzung hat einen Prolog von Florus
diaconus Lugd. (bei Harvey, Iren. Opp. I p. CLXXVII). Inc.:
„Hyrenaeus episcopus civitatis Lugdunensis, instructus." Über
das Verhältniss der lat. Übersetzung zum Original s. Sitzungsber.
der K. Preuss. Akad. d. Wissensch. 9. Nov. 1S93.
S. 279. In jüngeren gallischen Märtyreracten kommt Irenäus
öfters als gallischer Oberbischof vor, s. z. B. die Acten des Felix,
Fortunatus usw. (Bolland. 23. April p. 99). Langen (Rom.
Kirche I S. 173) meint, Hugo Eterianus (um 1170) habe in der
Schrift de haer. Graec. III, 16 das berühmte Zeugniss des Irenäus
über die römische Kirche benutzt. Nach Malalas (p. 296) soll
Irenäus (Fabelhaftes) über das Ende des Ap. Johannes berichtet
haben.
S, 288. Cramer (Cat. in Matth. et Marc. p. 499) theilt mit,
dass im Cod. Harlei. 5647 saec. X (vier Ew., Schoben z. Matth.
u. Marc.) zu Marc. 16, 19 steht: ElQrjvaZog 6 rmv ajioöxolcov
jzXyjöiov, ev tw jrgog rag aiQedeig y Xoycp rovro ävfjveyxev ro
qtjtov cog Magxco eigr/fievov (Iren. III, 10, 6).
S. 291. Das Capitel „Christlich-ägyptische Litteratur" könnte
man mit der Notiz bei Justin, Apol. I, 29, beginnen: BißZidiov,
o avedmxev ng ^(.lexegcov ev ^AXe^avögeia ^rjXixi rjyef/ovavovzt
a§io)V Ejcirgeipcu iargco rovg fhövfiovg avrov ä<peZeiv . . . xal
(irjöoAcog ßovfojdevTog <Pr/hxog vjioyQarpai . . .
S. 297. Der S. XXXIV genannte Clemens ist vielleicht der
Alexandriner (Zahn, Forsch. V S. 154, der ausserdem erinnert,
dass Anastasius Sin. bei Pitra, Anal. II, 208, sagt, Clemens habe
Bibelhandschr. angefertigt und interpungirt
S. 299 Z. 14. Die Hdschr. ist nicht verschollen, sondern =
Monac. Gr. 479 (cf. Ottob. 94 und Neapol. II A 14).
S. 303. In der Bibliothek des Klosters S. Salvatore zu Messina
befanden sich nach einem Katalog v. J. 1563 (s. Batiffol,
Rossano p. 141) „Clementis Alexandrini onomata".
S. 327. Zu dem Chronographen Judas s. die vorstehende
Abhandlung von Schlatter.
S. 328 Z. 25. S. auch die griechische Uebersetzung, von der
Photius abhängig ist.
S. 329 unten. Auch Origenes' Werk über die Psalmen war
dem Ambrosius gewidmet, den Origenes als einen der eQyoöiwxrat
rov freov bezeichnet hat (in Joh. V p. 94 de la Rue).
Harnack, Zur Oberlieferungsgeschichte der altchristl. Litteratur. 13
S. 331. Ein Brief an Demetrius bei Euseb , h. e. VI, 19, 15:
Kaxa xovxov öh xov %qovov kx 'AXegavöoeLag avxqy (seil. Ori-
genes) rag öiaxgißäg jtoiovfisvqj hjtiöxäg xig xojv öxgaxicoxixwv
aveölöov ygdfifiaxa, A/j^xglm xe xm xrjg jtagoixiag Iüilöxotko
xal xüj xoxe xrjg Alyvjtxov tjtdgxco jiagd xov xrjg 'Agaßiag
fjyov/iBPOV, cog dv fiexä öjiovörjg anaörjg xov ÜQiyivtjv Jttfi-
xpoiev xotvcovrjoovxa Xoycov avxcp. Auf einen Brief des Deme-
trius, der in Cäsarea eintraf, als Origenes schon dort war, spielt
0. in Joh. VI, 1 (p. 101 De la Rue) an: inuxa xov Lx&gov
jzixgoxaxa rjficov xaxaöxgaxsvoafiavov öid xmv xaivwv avxov
yoafifiaxcov, xmv äZr)&o5g sx&gcov xeo svayyeXicp, xae navxag
xovg hv Alyvjixro dvdfiovg xrjg jtovqgiag xa&y rjfio3v eysigavxog.
Wahrscheinlich meldete der Brief den Beschluss der 2. alexan-
drinischen Synode.
S. 333. In seiner Jugend hat Origenes viele heidnische
Schriften abgeschrieben und dann verkauft, s. Euseb., h. e. VI, 18.
S. 337 Z. 23. öiog&woa.
S. 340. Zum N.T. hat Origenes keine Recension geliefert
(s. darüber Redepenning, Orig. II S. 182 f.); er sagt in Matth.
tom. XV, 14: vwl öh örjXovoxi JtoXXr) yeyovsv r] xeov dvxr/gd-
<pcov öiatpogd, eixe djtö gafrvftlag xivcov ygcupecov, dxe emo
xotyijg xivcov fiox&r/Qag xrjg öiogdojoscog xojv ygaq)0[itvcov, slxe
xal ajto xciov xd tavxolg öoxovvxa ev xy ötog&cQOei jtgoüxt-
divxcov rj dcpacgovvxojv. Nach der lateinischen Übersetzung
heisst es (nachdem Origenes angekündigt, er wolle den Text des
A.T. recensiren): „in exemplaribus autem N.T. hoc ipsum posse
facere sine periculo non putavi." Im Griechischen fehlen diese
Worte. S. auch, was zu S. 439. 544 über Codd. Origenis be-
merkt ist. Redepenning, a. a. 0. II S. 183 f. nach Griesbach,
Dissert. de codd. IV evv. Origenianis. Opusc. I p. 235 sq.
S. 358 Z. 34 lies statt „Proverbia" vielmehr „Prophetas11.
S. 366 Z. 27. S. Zahn, Forsch. II S. 275 ff. (Orig. u. Hieron.
zu Matth.).
S. 377 unten. S. Redepenning, a. a. 0. II S. 57.
S. 385 Z. 22. S. Redepenning, a. a. 0. I S. 458 ff.
S. 389. Zahn, Forsch. V S. 112 theilt mit: Barhebräus citirt
in seinem Nomokanon (Assemani bei Mai, Script, vet. nova
coli. X, 2 p. 54) in den Anmerkungen zum 81. (85.) apostolischen
Kanon über die h. Schriften unter anderen Autoritäten (Dionys.
14 Harnaek, Zur Übefflieferangegeschichte der altchristl. Litteratur.
Alex., Athanasius) auch den Origenes. Nachdem er dessen An-
sicht über den Hebräerbrief, wahrscheinlich nach Euseb. h. e.
VI, 25, referirt, fährt er fort oder lässt scheinbar den Origenes
fortfahren: „Recipiuntur autem in ecclesia et Revelatio Pauli
cum revelationibus aliis et Doctrina apostolorum et Epistolae
[sie] Barnabae et Thobia et Pastor et Bar Asira (= Jesus Sirach).
Sed librum Pastoris ac Revelationem Johannis multi non reci-
piunt." Wenn das von Origenes stammt, so muss, wie Zahn
mit Recht bemerkt, „Revelatio Petri" gelesen werden, und zwar
sowohl für „Pauli" wie für „Johannis". — S. 389 Z. 17 v. u.
S. auch den Abdruck bei Redepenning, a. a. 0. II S. 465 ff.
S. 393 Z. 19. Darnach W et stein. Cod. Venet. 45 hat einen
vollständigeren und besseren Text als die bisher verglichenen
[Dr. Koetschau, briefliche Mittheilung].
S. 394 Z. 18. Hdschr. der Philocalia bei Robinson (The
Philocalia of Origen. 1893): Venet. 47. 48. Vatic. 389. Berol.-
Phillipps. 19 (1423). Patm. 270. Paris. SuppL 615. Basil. A. III. 9.
Paris. 945. Monac. 523. Constantinop. 453. Ottob. 410. 67. Bodl.
Roe 8. Cantabrig. Trin. Coli. 0. 1. 10. Venet. 122. Monac. 52.
Taurin. B. I. 6. Vatic. 385. 388. 429. 1454. 1565. Athen. 191.
Paris. 456. 457. 458. 459. 940. 941. 942. 943. Mediol. A. 165. H.
101. Oxon. New College 147. Leidens. 61. 67. Florent. Laur.
KK. I. 39. Florent. Riccard. K. I. 13. Vatic. Regin. 3. Taurin.
B. VI. 25. Vindob. Gr. 53. Barberin. III. 84. Bodl. Savü. 11.
Mosq. 12 (und drei andere).
8. 396 Z. 18. S. Ziwsa, Optati Opp. p. XIV sq.
S. 405. In der Bibliothek des Klosters S. Salvat. zu Messina
befand sich nach einem Katalog v. J. 1563 (s. Batiffol, Rossano
p. 141): „Origenis commentaria philosophos gentiles [sie] aliaque
Philonis Judaei opp."
S. 409 oben. Gregor Nyss., Vita Gregor. Thaum. (Bd. 46
p. 905 Migne) erzählt, dass Gregor mit Firmilian (<PiQ[iiliavog
tcop svjtazQiödjv Kajzjiaöoxag, xoOfiog rrjg IxxXrjöiag rcov Kai-
oayeojv ysvofievog) befreundet gewesen ist.
S. 409 Z. 22 v u. Lies Jwvvocog.
S. 425 Z. 8. Turrianus schöpfte aus dem Vatic. 1431-
S. 429 Z. 6 v. u. Dräseke hat a. a. O. eine Ausgabe geliefert.
S. 430 ad 6). In dieser Schrift kommt ein Isokrates vor, den
Dräseke (Ges. patrist. Abh. 1889 S. 162ff.) = Sokrates fasst
Uarnack, Zur überlieferuiigsgeschichte der altchriatl. Litterafcar. \ ;>
und ihn mit den 2a>xQaxiccvoi im Dial. de recta in de um fiele l
sombinirt. Diese hält er für Anhänger eines damaligen Schülers
des Marcion, Sokrates. Das ist sehr fragwürdig; es ist hier wohl
ler alte Sokrates gemeint, ebenso wie bei Epiphan. Pariar. I t II
Einl. cap. 6: 2mxQaxtxai.
S. 431 ad 9). Nach Dräseke (a. a. 0. S. 87 ff.) stammt das
Stück von Vitalius von Antiochien.
S. 431 ad 11). Inc.: „Ich wundre mich sehr."
S. 431 Z. 2 v. u. Über das Stück in Brit. Syr. Add. 14577 s.
Lagarde, 1. c. und Ryssel, a. a. 0. S. 53f.
S. 432. Fabricius, Bibl. Gr. VII p. 258 bemerkt: „In Cod.
Media XXVI plut. 9 in expositione divinorum ^raeceptorum e
multis scriptoribus collectorum, tum in cod. VIII. nr. 20 plut. 86
inter excerpta de spiritu s. theologica, Gregorii Thaum. Ix xyc,
ajtoxaXvxpbcoq. ex xfjc xaxa fitgog Jtiorecog et Ix vov Xoyov, ov
?l o.Qxq' 'Eyßioxoi xal aXXbxQioi. Precatio et exorcismus ad
vexatos ab immundis spiritibus aut malis daemonibus (TlQOöevyr}
— Elg evoyXovfzevovc vjio jcvevfzdxcov axafraQxcov, nr. 71 aut
vjto öai{u6vooi> jzovtiqwv, in alio eiusdem exorcismo, er. 73) in
cod. regio Matrit. CV. (in quo plurium scriptorum eccles. exor-
cismi sunt collecti), fol. 73. v. Iriarte cat. codd. Gr. etc. p. 422 sq.
— Montfaucon in Bibl. mss. II p. 1398 D memorat Cod. Gr.
bibl. reg. Taurin. Gregorii Thaum. opusc. De angelis, cuius nullam
notitiam aut mentionem deprehendi in catal. Codd. Gr. illius biblio-
thecae. — In Cod. Gr. VIII nr. 22 Uffenbachiano inerat Gregorii
Thaum. Narratio de CCXII patribus Beryti congregatis. Inc.:
rQTf/oQioq ev xvqio? ya'iQow xal ygaxpaq Tjfilv xolq öiaxooloiq
Öccöexa ayicoxäxoiq ejtioxojtocq. v. Jo. H. Maii Biblioth. Uffen-
hach. ms. col. 432. In catal. Codd. Angliae et Hiberniae in cod.
VIII. Barocc. citatur Liturgia Gregorii Dialogi: ojioxav 6 leQevq,
et in indice tribuitur Gregorio Thaum"(!).
S. 432 ad e) Inc.: „Wahnwitzig und ohne Verstand."
S. 432 ad c) Inc.: „Ego in omnibus tria."
S. 436 Z. 16. Lies 1880.
S. 439 Z. 16 v. u. „Exemplaria Adamantii" auch bei Hieron.
im Comm. zu Gal. 3, 1.
S. 443 Z. 20. Über die NTliche Recension des Hesychius s.
jetzt Bousset i. d. Texten u. Unters. XI, 4 S. 75 ff.
K) Harnack, Zur QberlieferuagsgeBchichte der altchrutL Litteratur.
S. 459. Ira Cod. Vindob. bist. Gr. 7 fol. 12 steht zwischen
einem Abschnitt = Const. App. V11I, 42 — 40 und vor einem Ab-
schnitt = Const. App. VIII, 32 ein Stück, welches = Aegypt. KO
c. 47 und Hippol. Can. arab. 32. Überschrift: lIe(A PijOTEMOV. Inc.:
XrjQat xal jcayd-tvoi, expl. uzavTcaq ytvexat (s. Funk, Tüb. Quar-
talschr. 1893 S. 665).
S. 470 Z. 20. Lies Cod. 1280.
S. 471. Überschrift: Methodius.
S. 478 Z. 13. Zur Rede „in Hypapanten" s. Batiffol, Ros-
sano p. 145.
S. 480 Schluss: Nr. 38 In den Canones von Nicäa 2. 5. 6. 9.
10. 13. 15. 16. 18. (19.) wird auf ältere Canones (wohl hauptsäch-
lich alexandrinische) verwiesen; vgl. ausserdem agxala l&rj (ovv//-
&£ia) c. 6. 7. 18 (jtaQCcöoöig aQxala) und öoyfiaxa x. xa&oZix?JQ
x. djtoöz. IxxXrjöiac, c. 8.
S. 483. Über die alte jerusalemische Bischofsliste, nament-
lich über das Zeugniss bei Epiph. h. 66, 20, s. die vorstehende
Abhandlung von Seh latter.
S. 485. Vgl. zu Hegesipp das GL S. 926 Bemerkte sowie den
Katalog von Iwiron (Athos) nr. 1280 saec. XVII (Meyer, Ztschr.
f. KGesch. XI S. 155f.): 'ilyrjöljznov xov im xolg ygovotq xeov
cuzoöxoXgjv axfiaoavxog vüzo^ivijiiaxcov e. Zahn i. Theol. Lit.
Blatt 1893 Nr. 43, der auch auf die konstantinop. Kataloge saec.
XVI, die Förster herausgegeben hat (Rostock), verweist.
S. 494. Resch (Texte u. Unters. X; 2 S. 56) macht aufmerk-
sam, dass Hall im Journ. of Bibl. Litt. 1891 X p. 153 — 155 zwei
Citate aus dem Diatessaron bei Barhebräus und — durch
Vermittelung Ebed Jesu's — bei Jesudad nachgewiesen hat. Sie
bezeugen beide, dass Tatian Mtth. 3, 4 gelesen hat: ?} ös XQog)//
avxov ijv yaXa xal [i£li ajQtov. — In den Ew. Cureton's heisst
das Matth.-Ev. in der Überschrift: „Getrenntes Evangelium des
Matthäus."
S. 496 Z. 12. Lies Abdullah.
S. 496. Hill, The earliest life of Christ ... Diatessaron of
Tatian. Edinburgh 1894.
S. 504 Z. 22. Zahn hat mit Recht diese Voten dem Brief
des Apollinaris zugewiesen (Forsch. V S. 4 ff.).
S. 507 Z. 6 f. S. die Untersuchung dieses Stückes und ähn-
licher Angaben bei v. Dobschütz, K?]Qvy{ta IHxqov 1893.
Harnack, Zur Überlieferungsgeschichte der altchristl. Litteratur. 17
S.507 Z.21. Basilius citirt: tvxq3 e rijg xwv xQovmv ejiLxo^ijg.
S. 524 Z. 20 v. u. Dazu eine syrische Übersetzung und eine
Notiz im Liber Chalifarum (Land, Anecd. Sjr. I p. 19 des syr.
Texts, p. 118 der lat. Übersetzung).
S. 527. Martyr. Hieron.: „VII Id. Januar.: in Nicomedia Lu-
ciani presbyteri, qui in quattuor partes divisus est." Hieron.
Chron. z. ann. 330: „Drepanum Bithyniae civitatem in honorem
mart. Luciani ibi conditi Constantinus instaurans etc."
S. 529 Z. 20. Tilleinont und Batiffol haben sie beanstandet.
S. 543. Zu Pamphilus s. Bousset, Texte u. Unters. XI, 4
S. 45 ff.: „Der Codex Pamphili."
S. 543 Z. 3 v. u. Lies xoiavxrj.
ß. 544 Z. 1 xo tevxoq, Z. 2 [irj ßaov, Z. 3 svoeiv {avxijQa-
(pov) ov oadiov, öiecpcovrj de xo avxo ütaXaicoxaxov ßtßZtov jiqoq,
xoöe xo xevyoo, etq xa (xiva) xvoia ovofiaxa, Z. 6 ytyyafifievov
avxov , Z. 8 (ejiLöxokwv), Z. 9 statt xai lies rov. S. Zacagni.
Collect, monum. vet. Rom. 1698 p. 513. Z. 15 lies Patm. 270, cf.
Robinson, Philocalia p. XVII. Z. 17 f. lies dioQ&coöavxo. — Der
Cod. Bibl. Neapol. II Aa 7 (XII. saec. ?) enthält Acta bis Apocal.
Gregory (p. 627 minusc. 83) schreibt: „Textum olim cum codice
Pamphili Caesareae conlatum esse profitetur. Evagrius scripsit."
S. 545 oben. Hieron., Praef. in Paralip.: „Mediae inter has
provinciae Palaestinos Codices legunt, quos ab Origene elaboratos
Eusebius et Pamphilus vulgaverunt."
S. 545 Z. 20. Dass die Bibliothek noch im 6. Jahrhundert be-
standen hat, ist wahrscheinlich; damals ist der Cod. H geschrieben.
S. 565 Z. 24. Die Schrift ist einem Bischof Theodotus gewidmet.
S. 570 f. Die Stücke S IV, 6 u. V, 38 auch im Cod. Vindob.
theol. Gr. (Lambec. 42, Nessel 71).
S. 573 Z. 21. Syrisch giebt den Brief Gwilliam (Stud. Bibl.
Oxf. II p. 254ff.) nach Tetraev. Florent. I u. II Plut. I nr. 56. 58.
Mus. Brit. Add. 17213. 17224. Par. Syr. 33 (auch im jüngeren Cod.
Ridl. Oxf. New College; einst hat er wohl auch im Syr. Vatic.
v. J. 548 gestanden). Lateinisch in Vulg.-Codd., s. auch Hieron.
ep. ad Damas.
S. 576 oben. Im Cod. A sind dem Psalter vorangestellt Eu-
sebii in psalmos hypotheses.
S. 584. Katalog von Iwiron (Athos) nr. 12S0 (Meyer, Ztschr.
f. KGesch. XI S. 155 f.): Evöeßiov zrjq y.iöaQuaq ßißXoc JttQi xjjq
Texte u. DntersuchuDgen XII, 1. 9
lg llamack, Zur OberlieferungH^csclucJite der altchriltL Litteratur.
T(ßv tvuyyiXiov diacpcc . . (?) dg rov jiQO(p?'/Tr/v rjoalav Xöyoi r.
xovrd. Jco(t(pv()iov Xoyoi X' . tojilxov Xoyog a. ajioXoyla vxiq
coQiyivovg. X£(>1 fiiov jiaiiqAXov rov {taprvQog Xoyoi y . jeeoi
(laQTVQiov (?). dg rovg qv tyaXfiovc vjiofivr/fiaza.
S. 585 Z. 22 v. u. Cf. Batiffol, Rossano p. 137. 144.
S. 590. Zu Apollonius' neuentdeckter Rede, die vielleicht
schon Tertullian und das Mart. Ignat. Vatic. benutzt haben, s.
Sitzungsber. der K. Preuss. Akad. d. Wissensch. 27. Juli 1893 und
Seeberg i. d. Neuen kirchl. Ztschr. 1893 H. 10 S. 836ff.
S. 591 Z. 7 v. u. Auch die lugdunensische Gemeinde hat sich
nach Zahn, Forsch. V, S. 7, an Eleutherus brieflich gewendet.
— Z. 5 v. u. Nach Zahn V S. 56 soll Victor der Verfasser sein.
S. 592 Z. 1 7. Epiph. h. 55, 8 findet sich eine wichtige theodo-
tianische Satzgruppe wörtlich, s. besonders den Abschnitt: Kai
Xqiotoq [itv tgsXtyr] — rijg evXoyiag.
S. 592 Z. 11 v. u. Zu Theodotus bemerke: Iv naiöeia ^EXXrj-
vtxjj axQog, jioXvfiafrrjg rov Xoyov.
S. 598 Z. 3. Ein Chirographen des Praxeas wird von Ter-
tullian adv. Prax. 1 erwähnt.
S. 605. Zu Kaliist: Im Lib. Pontif. (Duchesne I p. 141) wird
dem Kallist ein Fastenedict beigelegt: „Hie constituit ieiunium
die sabbati ter in anno fieri, frumenti, vini et olei, seeundum
prophetiam." Zu Kallist s. auch Theodoret, h. f. III, 3.
S. 605 Z. 20 v. u. Schiebe nach 39 ein: 39b) Aoyog eig rovg
ovo Xrjöxdg
S. 626 zu 21). Wohl schon benutzt in Pseudocypriaii's Schrift
de pascha computus.
S. 629. Katalog von Iwiron (Athos) nr. 1280 (Meyer, Ztschr.
f. KGesch. XI S. 155 f.): rov ay. 'IjijzoXvtov Xoyoi diäyoQoi xal
LütiGToXal dg zf/v ddav yQa<pr\v.
S. 639 zu 36). Ein neues Stück des Danielcommentars hat
Achelis in Paris gefunden.
S. 640. Zahn, Forsch. V S. 120 hält den „kleinen Daniel",
den Hippolyt nach Ebed Jesu commentirt haben soll, für ein
altes Apocr. Danielis. Lightfoot (Clement II p. 350 f. 390) weist
auf eine syrische Hdschr. bei Wright, Cat. of syr. mss. I, 19,
cod. miscell. saec. XII., die hinter den deuterokanonischen Zuthaten
zu Daniel ein Fragment enthält „aus dem kleinen Daniel über
unsern Herrn und das Ende (der Welt)."
Harnaok, Zur tberlieierungsgeschichte der altchristl. Litteratur. ]Q
S. 642 Z. 8 v. u. S. Zahn, Kanonsgesch. I S. 320 n. 2.
S. 640 Z. 12 v. u. Lies 1893 II, 2.
S. 653 Z. 14. 15. Erwähnt in der Schrift de cibis Jud. 1.
S. 653 Z. 29. De trinitate ist wohl noch vor dem Schisma
geschrieben, de cibis Jud. von einem secessus aus an die römische
novatianische Gemeinde, ebenso wie de sabbato und de circumcis.
S. 053 Z. 15 v. u. Tilge den ersten Satz. Die Schrift existirt
noch im Cod. Petropol. Q. v. I. 39 (unmittelbar vor der lat. Über-
setzung der ep. Barnabae). Diese Zusammenstellung giebt um-
somehr zu denken (s. auch Zahn, Kanonsgesch. I S. 324 n. 1), als
die Titel der kleinen Schriften Novatian's z. Th. auf die Leetüre des
Bamabasbriefs hinweisen. Über den Codex s. 13 eis heim, Ep.
Jacobi 1883 und Wordsworth, Stud. Bibl. Oxf. 1885 I p. 113f.
Unter dem Attalus („de Attalo") ist wohl der bekannte lugdunen-
sische Märtyrer zu verstehen, der gegen die enkratitische Lebens-
weise eine Offenbarung empfangen hat.
S. 656 zu § 33. Die römische novatianische Partei hat auch
an ihr Haupt, Novatian, geschrieben, während er sich in secessu
befand (s. Novat, de cibis Jud. 1 init., welcher Tractat die Ant-
wort ist). Novatian spricht 1. c. von „litterae et scripta", resp.
von mehreren Briefen („frequentiores litterae").
S. 669 Z. 1 v. u. Hier c. 1 ein Zeugniss für die ältere apolo-
getische Litteratur der Kirche.
S. 671 Z. 10. Möglich ist, dass eine „psychische" Schrift zu
Grunde liegt, die Tert. widerlegt; ich zweifle aber, dass sie be-
stimmt werden kann. Mit den letzten montanistischen Schriften
Tert. 's ist Epiphan. h. 48, 2 — 13 zu vergleichen.
S. 672 Z. 12 v. u. Setze nach „repertus" hinzu: „Si a vobis
propter celebritatem urbis fuerit inventus, quaeso ne meam stillam
illius flumini coinparetis; non enim magnorum virorum ingeniis,
sed meis sum viribus aestimandus."
S. 674 Z. 10. Oehler, Tertull. Opp. 1 praef. p. XXI schreibt:
y, Graecum Tertulliani exemplar ex bibliotheca regis Hispaniae
exspeetasse Pamelium diseimus ex huius dedicatione ad Philip-
pum IL Hispaniae regem." Oehler selbst spricht 11 p. 748 von
einer „fama mendax". Bei Graux habe ich nichts gefunden.
S. 679 Z. 15 v. u. Auch in einem Leidener Cod. sind „ Ter-
tulliani declamationes" enthalten; sie sind, wie in derMnemos. 1891
gezeigt worden ist, ein quintilianisches Werk (Pseudo-Quintilian).
9*
20 Harnack, Zur Oberlieferungsgeschichte der altchristl. Litteratur.
S. G80 Z. 3. Novatian zeigt sich in dein Werk de Trinit.
abhängig von Tertull. Apol., adv. Marc, de carne und adv. Prax.
S. 681 Z. 16 v. u. Hieron. spricht von einem „index Septimii
Tertulliani" ep. 65, 23 ad Fabiolam, hatte also wohl einen voll-
ständigen Katalog der Werke Tertullian's, aber diese selbst nicht
vollständig.
S. 683. Über das Verhältnis des Prudentius zu Tertullian s.
Brockhaus, Prudentius S. 203 — 217, der es sehr eng fasst; da-
gegen Rösler, Prudentius (1886) S. 243ff.
S. 685. Stillschweigend hat Leo I. in seinem Lehrbrief an
Flavian den Tertullian ausgeschrieben, nämlich adv. Prax.
S. 703. Über das Verhältniss v. Prudentius und Cyprian s.
Rösler, Prudentius passim.
S. 716. Basilius ep. 188 ad Amphilochium erwähnt, dass Fir-
milian und Cyprian im Ketzertaufstreit übereingestimmt hätten.
S. 724. Erwähnt seien die zahlreichen von den Confessoren
ausgestellten libelli, die die Worte enthielten: „communicet ille
cum suis," s. Cypr. ep. 15, 4; 18, 1; 19, 2; 20, 2; 22, 2; 33, 2.
S. 726 zu nr. 30. Auch die Gemeinden selbst haben geschrieben.
S. 729 zu nr. 39. Die Überlieferung ist merkwürdig; nicht
nur giebt es eine griechische und syrische Übersetzung (s. S. 716),
sondern einige lat. Handschriften bemerken auch zu einigen
Bischöfen „Märtyrer" „Confessor" oder Ähnliches, haben also
locale Nachrichten aufgenommen.
S. 743 Z. 6. Contra Ruf. II, 8. 10.
S. 745. S. jetzt auch die Ausgabe von Ziwsa, Optati Opp.
Appendix (1893) nach neuer Vergleichung des Parisinus 1711.
S. 755 zu § 2. S. die vorstehende Abhandlung Schlatter's.
S. 761 Z. 9. Siehe die Glossen z. d. St. im Cod. Mazarin. und
Venet. 338. Vielleicht sind manche KV VCitate auf die Dialoge (nicht
auf die Homilien) zu beziehen; s. Bigg, Stud. bibl. Oxf. II p. 157 ff.
S. 768. Vielleicht sind unter „Les Paroles de Juste" bei
Mkhithar (s. GL S. XXXIII) die Sixtussprüche zu verstehen.
S. 775. Man könnte hier das Gedicht des Antonius adv.
gentes einschieben (nur überliefert im Ambros. Cod. der Ge-
dichte des Paulin v. Nola, Edit. princeps v. Muratori, Anecdot.
1697, Gallandi III p. 653 sq., Oehler in seiner Ausgabe des
Minucius, etc.), weil noch Manche an einen Dichter Antonius
um 280 glauben (s. Wetzer u. Weite 2. Aufl. sub „Antonius"
Harnack, Zur Überlieferungsgeschichte der altchristl. Litteratur. 21
u. A.); allein das Gedicht gehört höchst wahrscheinlich dem
Paulus v. Nola (s. Bursian, Sitzungsber. d. Münchener Akad.
1880 I, 1, Ebert, Christl.-Lat, LittGesch. I2 S. 307, Teuffei5
S. 1123). Inc. „Discussi fateor sectas", expl. „aeterna manebit".
S. 779 zu § 31. S. James, Texts and Studies II, 3 p. 151 f.
S. 7S1 Z. 10 lies 513 statt 533.
S. 781 zu § 40. Eine koptische Erzählung „Assumptio Vir-
ginis" ist dem Euodius beigelegt, s. James, Texts and Studies
II, 2 p. 58, Revillout, Apocr. copt. de N.T. p. 75—112.
S. 787 zu § 61. Ein verlorener Brief des Paulus von Athen
an Silas und Timotheus wäre anzunehmen, wenn Act. 17, 15 mit
einigen Codd. zu lesen wäre: xal Zaßovzeg eniözoZrjv an avzov
noog zov SiXav xal zov Tituo&eov.
S. 788 zu § 63. Eine lat. Übersetzung nach Cod. Paris. Nat.
1631 (Nov. acq.) saec. VIII. bei James, Texts and Studies II, 3,
s. auch seine Untersuchung II, 2 p. 20 sq.
S. 790. Vom römischen Bischof Telesphorus schreibt das
Papstbuch (Duchesne I p. 129 sq.): „Telesphorus constituit, ut
ante sacrificium hymnus diceretur angelicus, h. e. Gloria in ex-
celsis."
S. 795. Als poetische Stücke sind weiter noch zu betrachten
1 Tim. 3, 16 (og e<paveoco&r] ev öaoxi); II Tim. 2, 11 — 13 (ei ydg
ovvane&dvofiev); Ignat. ad Ephes. 4, 7, ferner ein Theil der GL
S. 251 aufgeführten melitonischen Stücke; Hippol. c. Noet. 18,
namentlich aber Diognet 9 (ovx efiiörjOev rjfiäq — ftvrjzwv),
Diogn. 7 (dg ßaOiXevg nefinwv — vnoozrjöezai), Diogn. 71 (og
vno Xaov äzLfiao&elg — X&Qiq axigra); Theoph. ad Autol. III, 15
(eyxgareia doxeltai — ßaotZevei); Const. App. VIII, 12 (ro ovofid
öov — naxgog avrov und xal öeöwxag avzcp — enrjyyeiZoj)\
Novat., de trinit. 29 („Hie est qui inexplebilis — evangelia custo-
dit" und „Hie in apostolis — sanetitate custodit"). Zu Clem.
Alex, füge hinzu: Paedag. II, 4 (Gesänge bei Tisch), Strom. I, 1.
VI, 2 u. 11 und das ihm beigelegte Lied auf den Pädagogen.
Zu Tertull. füge de orat. 28. Zu Orig. füge Orig. in Judic. hom.
6 c. 3 u. Selecta in Ps. 118 (Lomm. XIII p. 106): coöneQ xdJv
ev&vftovvTaiv eorl ro ipaZleii> — evß-v/iel ydo zig, <pr]6iv, ev
vfilv, tyaXXezw — ovzco zb vfivelv zcov &ewoovvza)v zovg Xo-
yovg zwv dixaiwiidzaiv lozlv. aXXc zo (iev tydlleiv av&gmnoig
aoku6Cei, zo öe v\ivelv dyyeXoig ?) zolg dyyelixov e%ovGi ßiov.
22 Harnack, Zur Oberliefeningsgeschichte der altchristl. Litteratur.
öio xal ol ayoavXovvxig xoifiivsc ovx qxovöav dyyiXoov tpaX-
Xovxwv, äXX3 avv/ivovvTCOv xal Xsyovtwv' öo§a iv viploxoig
&ecp xal xa e§fjg. loxi xolvvv ev&vula äjtäfrtia ywyr/c, ano
xwv tvxoXo~)V xov &eov xal xojv aXrfiivvjv öoy/jaxajv jiqoo-
jLVO[i£vr}, vfii'og 6i toxi öo^oXoyia. Wichtig ist auch für die
altchristlichen Gesänge der Cod. A, in dem u. A. der Hymnus
(Abendlied) <Po5g IXaoov ayiag steht (s. Routh, Reliq.2 III p.
515 sq. u. Usser, Diatr. de symbol., der noch zwei Psalteria mss.
benutzt hat, eines Colleg. S. Benedicti Cantabrig. und ein Bodlej.).
Diesen Hymnus hat auch Basilius de spiritu s. 29 erwähnt und
sein hohes Alter hervorgehoben. Basilius erwähnt auch 1. c. einen
Märtyrer Athenogenes, der auf dem Wege zum Feuertod einen
Hymnus gesungen habe, den er seinen Gefährten hinterliess. Auf
den Hymnus, der uns nicht erhalten ist (auch von Athenogenes
wissen wir sonst nichts; doch s. Vita Euthymii VII, 21 ed. de Boor),
berief sich Basilius (wie auf den hymnus vespertinus) für die Lehre
vom h. Geist: sl dt xtg xal xov vpvov 'A&rjvoyivovg tyvw, ov
coöjisq xl aXe^rjxrjQiov (?) xolg Gvvovöiv avxcß xaxaXtXoLJtev,
OQfimv ?/Öt] jtQog xrjv öta Jivoog xtXucoöiv, oiöe xal xrjv xcov
{/aoxvocov yva>[i?]v ojiwg etyov jisqI xov jcvevf/axog.
S. 807. Zu den Märtyreracten vgl. die Arbeiten von Le Blant
und Egli, Altchristliche Studien. Martyrien und Martyrologien
ältester Zeit 1887. Ders., Zu den altchristlichen Martyrien i. d.
Ztschr. f. wiss. Theol. 1888 S. 385 ff.
S. 808. Über Verfolgungen der Christen durch die Juden
s. N.T., Martyr. Polyc. und Pionii, Justin, Apol. I, 31. 36. Dial.
16. 95. 110. 131—134. Diogn. 5 etc.
S. 809 Z. 33. Martyrium des Aurelius Quirinus bei Euseb.,
h. e. V, 19.
S. 812 f. Verleugnung des älteren Theodotus Epiphan. h. 54, 1.
Nicht bekannt ist das Zeitalter des Märtyrers Athenogenes (s. o.).
Das Martyrium des Telesphorus ist wohl Tertull. adv. Valent. 4
gemeint. Das Martyrium des Praxeas bei Tertull. adv. Prax. 1.
Wichtig ist Scorp. 15: „Et si fidem commentarii (d.h. der Process-
acten) voluerit haereticus, instrumenta imperii loquentur, ut lapides
Hierusalem. Vitas Caesarum (was für Biographieen sind das?)
legimus: orientem fidem Romae primus Nero cruentavit etc.", s,
auch ad Scapul. 5 (Arrius Antoninus), 4 (Protocoll über einen an-
geklagten Christen, das dann der Richter Pudens zerriss). Acta
Harnack, Zur Überlieferungsgeschichte der altchristl. Litteratur. 23
Perpet, praef.: „Si vetera fidei exeinpla et dei gratiam testificantia
et aedih'eationeni hominis operantia propterea in litteris sunt
digesta, ut lectione eorum quasi repensitatione rerum et deus
bonoretur et homo confortetur, cur non et nova documenta aeque
utrique causae convenientia et digerantur? etc.". Pontius, Vita
Cypr. 1: „Durum erat, ut cum maiores nostri plebeiis et catecu-
minis martyrium consecutis tantum honoris pro martyrii ipsius
veneratione tribuerint, ut de passionibus eorum multa aut ut prope
dixerim paene cuncta conscripserint, utique ut ad nostram quo-
que notitiam, qui nondum nati fuimus, pervenirent, Cypriani tanti
sacerdotis et tanti martyris passio praeteriretur." Dass Cyprian
der erste Bischof unter den Märtyrern von Karthago gewesen
sei. sagt Pontius c. 19. — Cypr. ep. 21, 4 Statius, Severianus,
Numeria, Candida (s. auch ep. 22, 2). ep. 22, 2: Bassus. Fortunata
(darnach ist Fortunatus S. 813 Z. 22 zu corrigiren). Zu Aurelius
S. 813 Z. 27 füge ep. 38 hinzu. De lapsis 13: Castus u. Aemilius.
S 8 16 f. Die 2. (römische) Form der Acta Ignat. beginnt:
3Ev stet bvvaxcp rrjq ßaöiZeiag TQaiavov. Die 1. (antioch.) zu-
erst edirt von Ruinart. Erste Form lat. zuerst von Usser,
zweite lat. unvollst, von demselben (Cotton. Ms. Otho D VIII),
dann v. d. Bollandisten. Koptisch im Vatic. copt. 66 u. Turin.
Papyr. 1.
S. 819 (A.chatius) 820 (Cyprian), 821 (Claudius, Asterius). Zu
diesen Martyrien hat Aube, L'eglise et l'etat T. III (1885) den
Cod. Paris. Lat. nouv. acq. 2179 (saec. IX. vol X.) eingesehen, zu
Cyprian auch den cod. 5299.
S. 820. Zu der Passio Jacobi, Mariani etc. s. Aube a. a. 0.
p. 400 f. u. die wichtige, dort angeführte Inschrift p. 406 f.
S. 824 oben. Füge Passio S. Sabini ein, B a 1 u z e , Miscell II p.47.
S. 826 Z. 30. Verworfen im Decret. Gelas. und von Nice-
phorus v. Konstantinop., s. Fabricius, Cod. apocr. N.T. I. II
p. 951, Zahn, Forsch. V S. 111.
S. 827 Z. 2. S. auch Aube, L'eglise et l'etat T. III (1885)
p. 507 f., der eine Pariser Hdschr. eingesehen hat.
S. 827 Z. 14. Lies Parthenius und Aube, 1. c. T. 111, der die
Codd. Paris. Lat. 12 611 und 14 651 benutzt hat,
S. 828 Z. 11. S. die Acta S. Stephani papae et mart. ex
Arm. Lat. edita a Paulino Martino. Anal. Bolland. I p. 470 ff.
S. 828 Z. 25. Lies Marius, s. Cod. Paris. Lat. 5299.
24 Harnack, Zur Überliefern n^sjreRchichte der altchristl. Litter atur.
S. 830 Z. 12. Verworfen im Decret. Gelas und von Nicephorus
v. Konstantinop., s. Fabricius, Cod. apocr. N.T. I. II p. 951,
Zahn, Forsch. V S. 111.
S. 830 Z. 16 v. n. Lies Theodotus . . . Alexandra; füge hinzu
Phaine, Claudia, Euphrasia, Matrona, Julitta, Victor, Sosander.
S. 833. Der Märtyrer Varus unter Maximin, Bolland.
19. Octob. p. 428.
S. 836 Z. 5 v. u. Nicht nach einem alten Uncialcodex (aus
ihm, nämlich dem Alexandr., ist nur der Text genommen), son-
dern aus zwei Codd. Bodlej.
S. 841 Z. 2 ist Cod. Gr. Vatic. 792 hinzuzufügen.
S. 851 zu 46). Eine apokr. junge Apoc.Daniel's bei Tisch en-
dorf, Apocal. apocr. p. XXX. Über Zahn's Annahme eines alten
Apokryphon Daniel's s. o. z. S. 640.
S. 851 zu 51). S.dasVerzeichnissdesMkhithar,GL S. XXXIII.
S. 851 zu 52). S. Berger, Notice sur quelques textes latins
inedits de l'Ancien Testament. Paris 1893. Etwas für den grie-
chischen Urtext soll man nach James, Texts and Studies II, 3
p. 127 f. aus der jungen Apoc. Sedrach gewinnen können, s. auch
1. c. II, 2 p. 31 ff. 66.
S. 852 za 55). S. Charles, The book of Enoch 1893 und
die armenischen Verzeichnisse GL S. XXXIII. XXXIV. Die Exi-
stenz eines lateinischen Henochs ist durch Zahn (s. auch Forsch. V
S. 158) und James, a.a.O. p. 146 ff. (Cod. Mus. Brit. Lat. 5 E
XIII saec. VIII.) erwiesen, s. auch Charles a. a. 0. p. 372 ff.
S. 852 zu 56). S. GL S. XXXIII. James (a. a. 0. p. 164 ff )
berichtet über ein Stück aus dem lat. Cod. Cheltenham. 391
saec. XI. „Oratio Mosis" und leitet es aus der Assumptio ab.
S. 852 zu 57). S. R. Harris, The rest of words of Baruch,
a Christian apocalypse of the year 136 (1889). Es soll benutzt
sein in der äthiopischen Apokalypse des Zosimus (James,
a. a. 0. p. 90).
S. 852 zu 58). S. GL. S. XXXHI f.
S. 853 za 60). Euseb., Praepar. VI, 64, ine: aviyvcDV yag hv
raiq, vgl. auch GL S. XXXIII f. Oppenheim, Fabula Josephi
et Asenethae apoerypha. Berlin 1886.
S. 853 zu 61). S. das zu S. 857 über die Apocr. Zosimi Be-
merkte. James (a. a. 0. p. 174 ff.) ist geneigt, das aus dem Cod.
Cheltenham. 391 entnommene Stück „Vision des Kenaz" hierher
Harnack, Zur Überlieferung3geschichte der altchristl. Litfceratur. 25
zu ziehen. Aber er verwirft dann diese Hypothese und sieht in
diesem Stück und in den zwei folgenden des Cod. Cheltenhatn.
(Klage der Tochter Jephtha's und Citharismus David's vor Saul)
hagiographische Zusätze zürn A.T.
S. 853 zu 62). S. GL S. XXXIII.
S. 856 zu 65). Beschreibung des Antichrists in einem alten
lateinischen apokr. Fragment, Cod. Trevir. 36 (datirt ann. 719)
fol. 113, s.James, a.a.O. p. 151 f. Inc.: „Haec sunt signa anti-
christi. caput". Verwandtschaft mit der Schilderung im Cod.
Sangerm. Syr. 36 (Lagarde, Reliq. Gr. p. 80), auch mit dem
Antichrist in der Apoc. des Sophonias.
S. 856 zu 66). S. GL S. XXXIII. James, a. a. 0. p. 138 ff.
(s. Texts and Stud. II, 2 p. 127) nach dem Cod. Paris. Gr. 2419
saec. XVI. Hort „Adambücher" im Dict. of Christ. Biogr.
S. 857 Z. 24. Vgl. dazu Iren. IV, 17, 3 u. Clem., Paedag. III,
12, Strom. II, 18, s. James, II, 3 p. 145.
S. 857. Füge hinzu: James, Texts and Stud. II, 3 p. 86 ff. :
Apokalypse des Zosimus nach Cod. Par. Gr. 1217 saec. XII. und
Bodl. Canonic. Gr. 19 saec. XV. vel XVI. (es giebt auch noch
einen Cod. Mosq. Synod. 290). Das Buch existirt auch slavisch,
syrisch, äthiopisch und arabisch. Benutzt soll ein ähnlicher Stoff
sein in dem äthiopischen Conflict ofMatth. (Malan, Conflicts of
the Holy Apost. p. 44) und bei Commodian, Instruct. II, 1 und
Carm. apoiog. 941 ff. Also liegt eine ältere (verlorene) jüdische
Apokalypse zu Grunde, vielleicht die Eldad's und Modad's, wie
James p. 93 vermuthet. Vgl. über die Zosimus- Apoc. auch die
Liste des Nicephorus v. Konstantinop. (Fabricius, Cod. apocr.
N.T. I. II p. 951 f.): rrjv ajzoxälwpiv "Eödga xal Zcooifiä. Also
war sie im 9. Jahrh. bekannt.
S. 858 zu 69). Füge Hiob hinzu (Mai, Script. Vet. nova coli.
VII p. 180 sq.).
S. 858 zu 74) u. S. 861 zu 80) S. GL S. XXXIV u. XXXIII.
S. 863 zu 81). Justin, Apol. I, 44, Agathias VI, 24.
S. 865. Positiv unrichtig sagt Julian (adv. Christ, p. 206 B.):
„Wenn man mir einen einzigen namhaften (Schriftsteller) jener
Zeit aufweist, der diese Leute (die Christen) erwähnt hat so haltet
mich in allen Stücken für einen Lügner."
S. S65 Z. 6 v. u. Nerva's Edict gegen die Delatoren Dio
Cassius 68, 1.
20 Harnack, Zur Oberlieferungsgeechichte der altchristL Lifetorator.
S. 866. Hier ist auch des T. Flavius Clemens und der Üomitilla
(Dio Cassius 67, 14; Saeton, Domit. 15) zu gedenken sowie des
Schriftstellers Bruttius (Christ?), s. Euseb., Chron. ad ann. 2110;
h. e. III, 18; Malalas p. 34. 193. 262. Chron. pasch. I p. 467 sq.
S. 868 oben. Euseb., Praepar. IX, 10, 3: (iexa de ra o rr/q
aixftccXcvölaq errj KvQoq IIsqOcov eßaöiXevoev, cp exet 'OX.vfijiiäq
r)X&ri ve ' > °^ &x r<^v ßißAiofrrpceov Aloöo')Qov xal xoZv OaXXov
xal KaoroQoq Iöxoqhdv, ext de üoXvßiov xäl <t>Xeyovxoq eoxcv
evQeiv, aXXd xal exeqaiv, olq efieX?]öev 'OXvfijttdöcov.
S. 868 Z. 17. Inc., seil, bei Eusebius.
S. 871 Z. 25. S. zu Septimius Severus und Caracalla auch
Tertull. ad Scapul. 4 (Proculus) und Spartian, Carac. 1.
S. 872. Zur Verfolgung des Decius s. den Papyrus Berol.
7297, einen libellus des libellaticus Aurelius Diogenes, Sohn des
Satabus (Sitzungsber. d. K. Preuss. Akad. d. Wissensch. 30. Nov.
1893); ine: Tolq sju xwv ftvöicov. Eine Gerichtsformel Cypr.
ep. 66, 4. Eine Äusserung des Decius liegt wohl der Mittheilung
Cypr. ep. 55, 9 zu Grunde. Das Edict des Decius, welches im
5. Edict der letzten grossen Verfolgung copirt erscheint, kann
jetzt mindestens theilweise wieder hergestellt werden, s. Theol.
Lit.-Ztg. 1894 Nr. 2. Zur Verfolgung s. Gregor Nyss., Vita Gregorii
Thaum. bei Migne T. 46 p. 944.
S. 874 Z. 11 v. u. Füge das (5.) Edict Maximin's ein, Euseb.,
de mart. Palaest. 9, 2 und dazu Mason, Persec. of Dioclet. p. 285.
S. 875 Z. 9 v. u. Mason, a. a. 0. p. 217 f.
S. 878 Z. 6 v. u. Dieser Vorwurf ist bis in's 5. Jahrh. erhoben
worden (Christus habe aus Plato geschöpft). Gegen ihn hat
Ambrosius (nach Augustin ep. 31, 8) eine verlorene Schrift verfasst.
S. 873 Z. 27 u. 28 lies 1876 statt 1879.
S. 879 Z. 17. Monotheismus.
S. 883 Z. 13. Das Fragezeichen ist zu tilgen.
S. 917 Z. 10. Sibyllen.
S. 917 Schluss. Füge hinzu: Apokalypse des Zosimus (s.
Kozak i. d. Jahrbb. f. protest. Theol. XVII S. 158 f., James,
Texts and Stud. II, 3 p. 87).
S. 925 Z. 15 v. u. Lies Z. 19 v. u.
Harnack, Zur Lberlieferungsgeachichte der altchristl. Litterafcur. 27
Register.
S. 937. Abgar 909. 919 — Ad omnes philosophos des Ari-
stides 99 — Adambücher 913 — Advers. gentes des Antonius 775.
S. 938. Aelius Publius Julius, Bischof v. Debeltus 243 —
Africanus 893 — Alexander, Sohn des Antonius 259 — Ammia
240 — Aminonius Sakkas 406 — Arnos, angebl. Auslegung des
Clemens Alex. 303 — Ampullianus 928 — Ananias Mart. 907 —
Andreasacten 905. 920.
S. 939. Antonius, Carmen adv. gentes 775.
S. 940. Aristides 892 — Arrius Antoninus 812 — Aseneth
915 — Askewianus Cod. 918 — Assumptio virginis des Euodius
781 — Athenagoras lies 256 — Athenogenes 258. 795. 812 —
Aurelius Diogenes 872 — Aurelius Quirinius Martyr 243.
S. 941. Barnabasacten 905 — Barnabasbrief 891 — Bartholo-
mäus-Apok. 919, -Fragen 912, -Acten 920 — Baruchapokal. 916 —
Bileam-Prophetie914 — Brucianus Papyrus 918 — Bruttius 866 —
Caracalla 871.
S. 942. Christi Streit mit dem Teufel 910.
S. 943. Daniel 916 — David-Apokryphen 914.
S. 945. Declamationes Tertull. 679.
S. 947. Dionysius Alex. 897 — Domitilla 866.
S. 948. Elg ivoyZovfievovg xrX. des Gregor Thaum. 432 —
Elias-Apok. 918 — Esra jüngere Apok. 917.
S. 949. Euodius fuge hinzu: „Assumptio virginis."
S. 950. Fabius, Adressat der Schrift de fuga Tertull.'s 670 —
Felix, Statthalter von Alex. 291 — Florilegien 842.
S. 951. Zu Gregor Thaum. füge hinzu: ix xr/g äjzoxaZvipeoyg,
ein Xoyog, jtQoöevyj], exorcismus, jteQt ayytXwv, narratio de CCXII
patribus Beryti congreg., Liturgia 432 — Helena Simon's 153 —
Henoch-Apok. 913 f. — Herraas 891.
S. 952. Hiobbuch, apokr. 915 — Hippolyt, Xoyoi öidcpo-
qol Tcal ejtioroZal elg xip &dav ygcupf/v 629; 893 ff. — Hypomne-
mata des Ambrosius 757 — Jacobsleiter 915.
S. 953. Jacobus, Herrabruder, Mart. u. Acten 905. 921. 922 —
Jacobusev. 909 — Jeremias, Apokr. 916 — Jesajas Ascensio 916 —
Jesus, Apokr. Koptisches 923 — Ignatius 891. 919, Martyrium
919 — Johannesacten und Dormitio 903. 922. XXXIII — Johannes
28 Harnack, Zur Überlieferungsgeschichte der altchristl. Litteratur.
der Theol., Fragen 911 f., Auf den Hingang der Gottesmutter
912 — Joseph, Tod des 924 — Joseph v. Arimathia, Narratio 910 —
Josephus, Geschichtsschreiber 917.
S. 954. Isokrates 430 — Judas -Thaddäus, Acten 921 —
Julianus v. Apamea 240 — Justin 892.
S. 955. Lamechbuch 914 — Laodicenerbrief 4. 33. 907. 924.
S. 956. Aoyoq xe<paL jisqI yvx?js des Gregor Thaum. 431 —
Lot, Buch 914 — Macedonier, angebl. Brief des Paulus an sie
787 f. — Makkabäerbuch 917 — Marcus, Mari 906.
S. 957. Maria, Transitus 912. 923 — Matthäus, Acten 905.
906. 920 — Matthias, Acten 922 — Melchisedek- Schrift 914 —
Metastasis Johannis 126. 903. 922 — Methodius 898.
S. 958. Moses, Assumptio 915 — Narratio de CCXII patribus
Beryti congreg. des Gregor Thaum. 432 — Nathanael 906 —
Nerva 127 — Nikodemus, Ev. 907. 922 — Noahbücher 914 —
Novatianer] füge hinzu: Briefe an Novatian —
S. 959. Origenes 897 — Pamphilus 901.
S. 960. Papias, Presbyter v. Achaja 892 — Parallela Sacra
842 — Paulus, angebl. Laodicenerbrief 907 — Paulusacten 903.920.
921 — Paulus Apok. 910 — Paulus- und Thekla, Acten 904 —
liegt äyysXcov des Gregorius Thaum. 432.
' S. 962. Petrus- Acten und Mart. 903. 905. 921.
S. 963. Petrusev., ein anderes 921 — Petrus v. Alex. 898 —
Philippusacten 906. 921 — Philocalia 394 — Philumene 197 f. —
Phlegon] lies 867 f. — Pionius, Mart. 901.
S. 964. Polykarp, Mart. 74. 892. 919. — Praxeas, Chiro-
graphen 598 — Proculus alter 871 — Uqoq pvZaxzrjQiov ipvx?j$
x. owftarog des Gregorius Thaum. 431 — IjQOösvxrj des Gregorius
Thaum. 432 — Proteron 199.
S. 965. nQOTQEJirixdg Jigoq 2eßt}Q£lvav Hippolyt 607 —
Quadratus, Apologie 901.
S. 966. Salomo, Testament 914 — Saul, Buch 914 — Sebaste,
XL martt. 901 — Sententiae episcoporum LXXXVII 716 — Seve-
rina, Adressatin Hipp.'s 621 — Sibyllen 917 — Simonacten 921.
922 — Smyrna, Gemeinde, Brief 817. 892. 919 — Socrates, Mar-
cionit, und Socratiten (??) 191. 430 — Sophonias, Apok. 918 —
Sotas v. Anchialus 243 — Stephanusacten 920.
S. 967. Tertullian, Declamationes — Testamente der 12 Pa-
triarchen 915.
Harnack, Zur Überlieferungsgeschichte der altchristl. Litteratur. 29
S. 968. Theodotus, Adressat des Eusebius 565 — Theodotus,
Bischof v. Pergamuin] lies 791 — Thomasacten 902 — Thomas-
ev. 910.
S. 969. Zosimusapok. 857. 917 — Zoticus, Bischof v. Kumane
241 — Zoticus, Presbyter von Otrus 240 — Zum Ruf des Räubers,
Predigt des Aristides 99 — Zwölf-Apostel-Evangelium 205 ff.
Zum Märtyrerverzeichniss: Aemilius 813 — Alexander]
tilge den Stern bei 830 und füge ein Alexandra 830 — Atheno-
genes 795 — Aurelius Quirinius 809 — Bassus alius 813 —
Castus 813 — Claudia 830 — Zu Cyricus 901 — Euphrasia 830
— Fortunata alia 813 — Tilge bei Fortunatus 813 — Zu Julitta
901 — Julitta alia 830 — Tilge bei Maria 813 — Marius 828
— Lies Parthenius — Phaine 830 — Sabinus 824 — Zu Seve-
rianus 813 — Sosander 830 — Statius 813 — Theodotus alius
830 — Tilge Theotocus 830 — Varus 833 — Victor] zu 830
setze einen Stern.
Bibelhandschriften: S. 973 Cod. A (Alex.) S. 39. 45. 48 —
Cod. A S. 12. — Cod. Syr. Curet. S. 12. 494 — Neapel II. Aa. 7 S.
544. — Harlei. 5647 S.288 — Tetraev.Florent.il! Plut. Inr. 56.58,
Mus. Brit. Add. 17213 u. 17224, Paris. Syr. 33, Cod. Syr. Vat.
(nr.?) v. J. 548, Cod. Ridlei. Oxf. New Coli. S. 573.
Griechische Handschriften: Athen 191 S. 394 — Athos,
Dionysii 91 S. 134. 149 — Tilge Iwiron 1182 S. 470 — Iwiron
1280 S. 81. 105. 265. 470. 485. 584. 629 — Zu Basel A. III. 9
füge S. 394 — Berlin Phillipps 1423 S. 394 — Zu Berlin Phil-
lipps 1450 füge S. 229. 415 — Berlin Phillipps 1491 S. 387 —
Berlin K. Museum, Papyrus 7297 S. 872 — Cambridge, Trinit.
Coli. O. 1. 10 S. 394 — Constantinopel 523 S. 394 — Florenz
V. 3 S. 181. 299 — Florenz Laurent. KK. I. 39 S. 394 — Florenz
LXXXVI füge S. 432 hinzu — Florenz, Medic. XXVI plut. 9
S. 432 — Florenz Riccard. K. I. 13 S. 394 — Jerusalem 15 S.
415 — Lauban S. 257 — Leiden 61. 67. S. 394 — London Harl.
5647 S. 288 — Madrid 105 S. 432 — Mailand Ambros. A. 165
S. 394 — Mailand H. 101 S. 394 — Moskau Bibl. Synod. 12
S. 394 — Moskau 149 S. 45. 49 — Moskau 290 S. 857 —
München 52 S. 394 — München 68 S. 332 — München 523 S.
394 — Oxford Barocc. 8 füge S. 432 zu — Oxford Barocc. 26
füge S. 416 zu — Oxford Barocc. 142 lies 258 statt 257 —
Oxford Bodl. Canonic. 19 S. 857 — Oxford Bodl. Savil. 11 S.
30 Haniack, Zur Uberlieferungsgeechichte der ultchristl. I- tteratur.
394 - Oxford Hol- H 8. 394 — Oxford New Coli 147 8. 394 -
Paris 456. 457. 458. 459. 940. 941. 942. 943 S. 394 - Paris 945
füge S. 394 zu — Paria 1038 (?) S. 4 IG — Paris 1217 8. S57 —
Paris 1458 S. 129 — Paris 2419 8. 856 — Paris Suppl. Grec.
615 S. 394 — Paris Suppl. Grec? S. 827 — Patmos 263 füge
S. 114 hinzu — Patmos 270 S. 394. 544 - Rheims 78 füge 8.
386 hinzu — Rheims (?) S. 367 — Rom Barber. III. 84 8. 394 —
Rom Vatic. 385. 388. 429. 1454. 1565 S. 394 — Rom Vatic. 389
füge S. 394 zu — Rom Vatic. 1431 füge S. 425 zu — Rom
Vatic. 1553 füge S. 45 zu — Rom Ottob. 67. 410 S. 394 —
Rom Palat. 203 tilge S. 385 — Rom Palat. 205 S. 385 — Rom
Reg. Sueciae 3 füge S. 394 zu — Rom Reg. Sueciae 18 lies S.
331 — Turin B. I. 6 und B. VI. 25 S. 394 — Turin? S. 541 —
Turin? S. 432 — Venedig 45 füge S. 393 zu — Venedig 47. 4%.
122 S. 394 — Venedig 338 S. 221. 761 — Venedig Mitarelli 168
S. 929 — Wien 302 füge S. 385 zu — Wien bist. Gr. 3 füge
S. 12 zu — Wien hist. Gr. 7 füge 459 zu — Wien theol. Gr. 53
S. 394 — Wien theol. Gr. Lambec. 42, Nessel 71 S. 570.
Lateinische Handschriften. Statt Augsburg ? lies Augs-
burg 65 — Cheltenham 391 S. 852. 853 — Florennes S. 40 —
Leiden? 679 — London 5 E. XIII S. 22. 852 — London Otho
D VIII S. 817 — Oxford Bodl.? S. 64 — Oxford Bodl. 105 super
D. 1. Art. S. 214 — Paris 1711 füge S. vor 745ff. ein — Paris
5299 S. 820. 82S — Paris 12611 füge S. 827 zu — Paris 14651
S. 827 — Paris Nouv. acq. 1631 S. 788 — Paris Nouv. acq. 2179
füge S. 819. 820. 821 zu — Petersburg Q. v. I. 39 füge S. 653.
675 zu — Rom Regin. 118 füge S. 93 zu — Trier 36 S. 856 —
Wien 133 S. 405.
Arabische Handschriften. Paris 80 S. 37.
Äthiopische Handschriften. Brit. Mus. Orient. 501. 503
S. 855.
Armenische Handschriften. Etschmiadzin S. 64 — Zu
Paris 85 füge S. 387.
Koptische Handschriften. Vatic. 66 S. 816f. — Turin
Papyr. 1 S. 816 f.
Syrische Handschriften. Berlin Sachau 9 füge S. 138
zu — Streiche London Brit. Mus. Orient. 501 S. 855, 503 S. 855
— Brit. Mus. Syr. Add. 17215 füge S. 193 hinzu — Rom Vatic.
180 S. 788. Auf S. 985 Z. 2 statt 576 lies 572.
Harnack, Zur Überlieferungsgeschichte der altchristl. Litteratur. 31
Verschollene griechische Handschriften. Messina.
S. 303. 405 — Uffenbach. VIII nr. 22 S. 432.
Initien:
a txwQrjoajjev, eyQaxpafiev 132.
AiXioq üovjtXiog 'lovZiog 243.
avaßaivovzog HavXov elg 136.
avaözag de jcqqA (34.
aveyvwv yaQ ev zalg 853.
avojdsv fieXXoj ozavQOj{)?jvac
128.
djtexaXvipi fioi o xvQiog 14.
ItyjyoQioq tv xvqIcd xaiQG>v 432.
diath'jxT] zojv aylcov zov Xqc-
gzov 834.
öia zag altpviöiovq 39 (tilge öia
zovg alcpviöiovg 39).
eäv ft?) Jioirjurjze 13.
tyxQazsia döxelzai 795.
iL yag üvvajiE&avofsev 795.
tXaßsv Jtaga zov xvqlov 49.
ifie 6 tflzatv 15.
evezei Evvazcp zrjg ßaöiXeiagSlQ.
tozco zoivvv Jtiözog 42.
EvxaQiozovfiev 001 jiccteq 91.
exfriözoi xal aXXozQioi 432.
Cij 6 freog 6 ev zolg ovgavolg 243.
■ÜSQeia lözl zolg 49.
xal ötöojxaq avzcp 795.
xal 6 xvgiog XeyEi zov ofioXo-
yqoavza 49.
xal Xqlözoq fitv egeZeyr} 592.
xav zi jilavrjd-äjöi 517.
kaßeze xal zag 'EXti/vwv 129.
Mtliz log xal *Aezioq 834.
//// yiveode tzeQo^vyovvzeg 3.
0 xaxmv tavTov zi]V 517.
oXog 6h o xodfiog 129.
ojtozav 6 hgevg 432.
og ecpaveQQjfrr] ev öagxi 795.
ozav exeIvoi Evwxcovzai 517.
ov yctQ vjtoozaoeig 275.
ovx ifiiOTjösv yftctg 795.
ovx et-co&tv eöziv 438.
jtäv yaQ zo yEvofiEvov 109.
jtavza za EJiEQXOfiEvcc 001 91.
jtolog de xQv°og rj 247.
noXXol eg ai;ro5^ loovzai 33.
jioXXmv zoivvv ävscpyjisvwv 41.
t/ /«(> £ör^^ X(uoros 128.
r/g /«(> JtaQSJccÖrjfttjoag 42.
rofs £jrl tö5j> dvöimv 872.
to ovo[ia öov 795-
<Pg5<; iXaQov aylag 795.
yJlQai xal jzaQfrtvot 459.
<'>xfc'a^og ajiiQavzog 42.
ft)<; ßaöcXevg Jtt^ijiwv 795.
wöjtEQ zolg fir]dijta> 438.
communicet ille cum suis 724.
discussi fateor sectas 775.
ego in omnibus tria 432.
et factum est anno XXVI. in 855.
et illi satisfaciebant 64.
filios voci Micheae 855.
haec sunt signa antichristi 856.
hie est qui inexplicabiles 795.
hie est verbum 128.
hie in apostolis 795.
hyrenaeus episc. civitatis Lugd.
instruetus 262.
ich, o Fürst, bin 97.
ich wundre mich sehr 431.
32 Harnack, Zur Überlieferungsgeschichte der altchristl. Litteratur.
nuntiandum vobis (nicht nobis) quia est arbor quaedam 54.
690. quibus cognitis Petrus 214.
oceanus intransmeabilis est 42. si enim deus nos genuit 306.
post finem 446. si qui seminat 491.
praecepit non (nicht nos) amicos wahnwitzig und ohne Verstand
73. 432.
profetas dei et cum 855.
Druck von August Pries in Leipzig.
Verlag der J. C. HINRICHS'schen Buchhandlung in Leipzig.
Band I— IV auf Seite II des Umschlags.
V, 1. Der pseudoeyprianische Tractat de aleatoribus, die älteste lateinische christ-
liche Schrift, ein Werk des römischen Bischofs Victor I. (saec. II.), von
Adolf Harnack. V, 135 S. 1888. M. 4.50
V, 2. Die Abfassungszeit der Schriften Tertullians von Ernst Noeldechen.
Neue Fragmente des Papias, Hegesippus u. Pierius in bisher unbekannten
Excerpten aus der Kirchengeschichte des Philippus Sidetes von C. de Boor.
184 S. 1888. M. 6 —
V, 3. Das Hebräerevangelium, ein Beitrag zur Geschichte und Kritik des hebräischen
Matthäus von Rud. Handmann. III. 142 S. 1888. M. 4.50
V, 4. Agrapha. Aussercanonische Evangelienfragmente, gesammelt u. untersucht
von Alfred Resch. — Anhang: Das Evangelienfragment von Fajjum von
Adolf Harnack. XII, 520 S. 1889. M. 17 —
VI, l. Die Textüberlieferung der Bücher des Origenes gegen Celsus in den Hand-
schriften dieses Werkes und der Philokalia. Prolegomena zu einer
kritischen Ausgabe von Paul Kötschau. VII, 157 S. u. 1 Tafel. 1889. M. 5.50
VI, 2. Der Paulinismus des Irenaeus. Eine kirchen- und dogmengeschichtliche Unter-
suchung über das Verhältnis des Irenaeus zu der Paulinischen Briefsammlung
und Theologie von Johs. Werner. V, 218 S. 1889. M. 7 —
VI, 3. Die gnostischen Quellen Hippolyts in seiner Hauptschrift gegen die Häretiker
von Hans Staehelin.
Sieben neue Bruchstücke der Syllogismen des Apelles. — Die Gwynn'schen
Ca.jus- und Hippolytus-Fragmente. Zwei Abhandlungen von Adolf Harnack.
III, 133 S. 1890. M. 4.50
VI, 4. Die ältesten Quellen des orientalischen Kirchenrechts. 1. Buch:
Die Canones Hippolyti von Hans Achelis. VIII, 295 S. 1891. M. 9.50
VH, l. Die Johannes-Apokalypse. Textkritische Untersuchungen u. Textherstellung
von Bernh. Weiss. VI, 225 S. 1891. M. 7 —
VII, 2. U eber das gnostische Buch Pistis-Sophia. — Brodu. Wasser: die eucharistischen
Elemente bei Justin. 2üntersuchgn von Adolf Harnack. IV, 144 S. 1890. M. 4.50
VII, 3/4. Apollinarios von Laodicea. Sein Leben u. seine Schriften. Nebst e. An-
hang: Apollinarii Laodiceni quae supersunt dogmatica. Von Johs. Dräseke.
XIV, 494 S. 1892. M. 16 —
VIII, 1/2. Gnostische Schriften in koptischer Sprache aus dem Codex Brucianus heraus-
gegeben, übersetzt u. bearbeitet von Carl Schmidt. XII, 692 S. 1893. M. 22 —
VIII, 3. Die katholischen Briefe. Textkritische Untersuchungen und Textherstellung
von Bernh. Weiss. VI, 230 S. 1892. M. 7.50
VIII, 4. Die griechische Übersetzung des Apologeticus Tertullians. — Medicinisches
aus der ältesten Kirchengeschichte. — Zwei Abhandlungen von Adolf
Harnack. III, 152 S. 1892. M. 5 —
IX, l. Untersuchungen über die Edessenische Chronik. Mit dem syrischen Text
und einer Übersetzung herausgegeben von Ludwig Hallier. VI, 170 S.
Die Apologie des Aristides. Aus dem Syrischen übersetzt und mit Beiträgen
zur Textvergleichung und Anmerkungen herausgegeben von Richard Raabs.
IV, 97 S. 1892. M. 8.50
IX, 2. Bruchstücke des Evangeliums und der Apokalypse des Petrus von Adolf
Harnack. Zweite verbesserte u. erweiterte Aufl. VIII u. 98 S. 1893. M. 2 —
IX, 3/4. Die Apostelgeschichte. Textkritische Untersuchungen und Textherstellung
von Bernh. Weiss. 313 S. 1893. M. 10 —
X. Aussercanonische Paralleltexte zu den Evangelien gesammelt u. untersucht
von Alfred Resch.
1. Textkritische u. quellenkritische Grundlegungen. VII, 160 S. 1893. M.5 —
2. Paralleltexte zu Matthäus und Marcus. Beündet sich im Druck.
XI, l. Das Kerygma Petri. Kritisch untersucht von Ernst von Dobschütz. VII, 162 S.
1893. M. 5 —
XI, 2. Acta SS. Nerei et Achillei. Text u. Untersuchung von Hans Achelis. IV, 70 S.
1893. M. 3 —
XI, 3. Das Indulgenz-Edict des römischen Bischofs Kailist kritisch untersucht und
reconstruiert von Ernst RolfFs. VIII, 139 S 1893. M. 4.50
XI, 4. Textkritische Studien zum Neuen Testament von Wilhelm Bousset. VIII,
144 S. 1894. M. 4.50
XII, l. Der Chronograph aus dem zehnten Jahre Antonins. Von Adolf Schlatter.
IV, 94 S.
Zur Überlieferungsgeschichte der altchristlichen Litteratur. Von Adolf
Harnack. 32 S. 1894. M. 4 —
TEXTE UND UNTERSUCHUNGEN
ZUR GESCHICHTE DER
ALTCHRISTLICHEN LITERATUR
HERAUSGEGEBEN VON
OSCAR von &EBHARDT und ADOLF HAMACK
XII. BAND HEFT 1
DER
CHRONOGRAPH
AUS DEM ZEHNTEN JAHRE ANTONIOS
VON
ADOLF SCHLATTER
ZUR ÜBERLIEFERÜMSGESCHICHTE
DER
ALTCHRISTLICHEN LITTERATUR
VON
ADOLF HARNACK
LEIPZIG
J. C. HINRICHS'SCHE BUCHHANDLUNG
1894
TERTULLIAN'8
GEGEN DIE JUDEN
All-
EINHEIT, ECHTHEIT. ENTSTEHUNG
ÖEPRÜFt
VON
E. NOELDECHEN.
DIE
PREDIGT UND DAS BBIBFFRAGMBNT
DES
ARISTIDES
AUF IHRE ECHTHEIT UNTERSUCHT
VON
PAUL PAPE.
LEIPZIG
J. C. HINRICHS'SCHE BUCHHANDLUNG
1894.
Verlag der .7. C. HINRICHS'schen Buchhandlung in Leipzig.
Texte und Untersuchungen zur Geschichte der
Altchristlichen Literatur
herausgegeben von Oscar von Gebhardt und Adolf Harnack.
I— III. IV 1/3. V— IX. X 1/2. XI XII 1/2. M. 265.50
I, 1/2. Die Überlieferung der griechischen Apologeten des zweiten Jahrhunderts in
der alten Kirche und im Mittelalter, von Adolf Harnack. VIII, 300 S. 1882.
M. 9 —
I, 3. Die Altercatio Simonis Iudaei et Theophili Christiani nebst Untersuchungen
über die antijüdische Polemik in der alten Kirche, von Adolf Harnack.
Die Acta Archelai und das Diatessaron Tatians, von Adolf Harnack.
Zur handschriftlichen Überlieferung der griechischen Apologeten. I. Der
Arethascodex, Paris. Gr. 451, von Oscar v. Gebhardt. III, 196 S. 1883. M. 6 —
I, 4. Die Evangelien des Matthäus und des Marcus aus dem Codex purpureus
Rossanensis, herausgegeben von Oscar v. Gebhardt.
Der angebliche Evangeliencommentar des Theophilus von Antiochien, von
Adolf Harnack. LIV, 176 S. 1883. M. 7.50
II, 1/2. Lehre der zwölf Apostel, nebst Untersuchungen zur ältesten Geschichte
der Kirchenverfassung und des Kirchenrechts von Adolf Harnack. Nebst
einem Anhang: Ein übersehenes Fragment der Jid'axn in alter lateinischer
Übersetzung. Mitgetheilt von Oscar v. Gebhardt. 70 u. 294 S. 1884. M. 10 —
(II, 1/2. einzeln nur in anastatischem Druck (1893) käuflich.)
II, 3. Die Offenbarung Johannis, eine jüdische Apokalypse in christlicher Be-
arbeitung, von Eberh. Vischer. Mit Nachwort von Adolf Harnack. 137 S. 1886.
[Nicht mehr einzeln] M. 5 —
II, 4. Des heil. Eustathius, Erzbischofs von Antiochien, Beurtheilung des Origenes
betr. die Auffassung der Wahrsagerin l. Könige [Sam.] 28 und die dies-
bezügliche Homilie des Origenes, aus der Münchener Hds. 331 ergänzt
und verbessert, mit kritischen und exegetischen Anmerkungen von Alb.
Jahn. XXVII, 75 S. 1886. (Einzelpreis M. 4.50); M. 3.50
11,5. Die Quellen der sogenannten apostolischen Kirchenordnung, nebst einer
Untersuchung über den Ursprung des Lectorats und der anderen niederen
Weihen, von Adolf Harnack. 106 S. 1886. [Nicht mehr einzeln.] M. 4 —
III, 1/2. Leontius v. Byzanz und die gleichnamigen Schriftsteller der griechischen
Kirche von Friedr. Loofs. 1. Buch: Das Leben und die polem. Werke des
Leontius v. Byzanz. VIII, 317 S. 1887. M. 10 —
III, 3/4. Aphrahat's des persischen Weisen Homilien, aus dem Syrischen übersetzt
und erläutert von Georg Bert.
Die Akten des Karpus, des Papylus und der Agathonike. Eine Urkunde aus
der Zeit Marc Aureis, von Adolf Harnack. LH, 466 S. 1888. M. 16 —
IV. Die griechischen Apologeten.
1. Tatiani oratio ad Graecos. Recens. Ed. Schwartz. X, 105 S. 1888. M. 2.40
2. Athenagorae libellus pro Christianis. Oratio de resurrectione cadaverum.
Recens. Ed. Schwartz. XXX, 143 S. 1891. M. 3.60
3. Die Apologie des Aristides. Recension und Reconstruction des Textes von
Lic. Edgar Hennecke. XX, 64 S. 1893. M. 3 —
Partiepreis M. 2 —
4. Theophili libri tres ad Autolycum. Recens. Ed. Schwartz. \ InVorbe-
5. Iustini martyris apologia et dialogus cum Tryphone Iudaeo. ( rpi+nn„
Recens. 0. de Gebhardt et A. Harnack. ) ieituu&-
Diese Ausgaben der Griechischen Apologeten sind nur mit kurzem
sprachlichen Commentar und Registern versehen und sollen zum Gebrauch
bei Vorlesungen oder in Seminaren dienen, weshalb auch deren Preise
möglichst niedrig gestellt wurden.
Fortsetzung auf Seite III des Umschlags.
TEKTULLIAFS
GEGEN DIE JUDEN
AUF
EINHEIT, ECHTHEIT, ENTSTEHUNG
GEPRÜFT
VON
E. NOELDECHEN.
LEIPZIG
J. C. HINRICHS'SCHE BUCHHANDLUNG
1S94
Tertullian wird stets citiert in der grösseren Ausgabe Oebler's, Justin's
Dialog in der Ausgabe von Otto.
Druck von August Pries in Leipzig.
Inhaltsübersicht.
Seite
Minleitung.
1. Altert' Polemik gegen das Judentum. Bekanntschaft Tert.'a
mit derselben. Ariston von Pella. Testam. XII patriarch.
Barnabasbrief 1—3
2. Justin's Dialog in Afrika ' 3—14
Justin und Tertullian S. 3 — 6. Bekanntschaft Tert.'s mit
Justin's Dialog im allgemeinen S. 6 — 9. Spuren des
Dialogs in Adv. Jnd. a. im „echten" Hauptteil S. 9 — 10.
b. in den dem Antimarcion und den „Juden" gemein-
samen Abschnitten S. 10—13. c. in den angeblich un-
echten Stücken S. 13 — 14.
Abhandlung.
1. Die Geschichte des Streites über Adv. Jud 14 — 24
Semler S. 14 — 15. Neander S. 15. Laufköther, Böhringer,
lfauck, Krüger S. 15 — 16. Kaye S. 16 — 17. Grotemeyer
S. 17—18. Corssen S. 18—24. (Verwickelung des Pro-
blems S. 19. Scripturae divinae, creator S. 20 — 21. Der
faselnde Ausschreiber S. 21. Original und Copie S. 22 — 24.)
_!. Die Bekanntschaft Tert.'s mit dem Judentum im allge-
meinen 24 — 27
3. Die Einheit von Adv. Jud 27—46
a. Klammern 27 — 42
Der scheinbare Blödsinn des Compilators S. 27 — 29. Lö-
sung%des Problems : der zweite Teil ein Entwurf S. 29 — 30.
Der Judengenosse und die Corona S. 30 — 35. populus gens
S. 35 — 40. Christus qui venit S. 40 — 42. Der Kurs durch
die Weltgeschichte S. 42.
b. Bänder 42—46
Christen keine Götzendiener S. 42 — 43. Tempus medium
S. 43. Danielische Jahrwochen S. 44. Die Wieder-
holungen S. 45—46.
IV
[nhalteübersicht.
4. Das Verhältnis zum Antiinarcion
Tert.'s Programm: er will entleihen
a. Sachliche Änderungen S. 48 — 67. nationes nos, nos nati
in saeculi desertis; gentes nos, genus humanum 8. 48 — 51
Die Qualifizierung des „Venit" S. 51 — 52. Getilgter Ru
tionalismus. Erstes diftero S. 53 — 55. Ein zweites differo
S. 55 — 57. Der Ketzer kennt das Kreuz S. 57 — 58. und
die Demutsgestalt Iesu. Credantur, maneant (magi) S.
58 — 59. Antimarcionitischer Einschlag: homo, vivere
S. 59—61. Die Butterbrotknaben 8. 62—63. Monta-
nistischer Einschlag: der „Prophet". S. 63 — 64. ne cursum
demorer (ipse) S. 64 — 65. Judaea, gens Judaeorum S.
65—66. Veränderte Zeitlage S. 66—67. Bethesda, Haeresis
S. 66—67. Anm.
b. Stilistische Änderungen. S. 67 — 74. Citate verbessert S.
67—68. Promittat, praemittat S. 68 — 69. Verkürzungen
S. 69 — 70. Steigerung der poetischen Prosa S. 70 — 72.
Wirkung von Philosophemen S. 72 — 73. Signum dignum.
Subnervare, rideo. S. 73—74.
5. Die Zeit
Methodisches S. 74—75. Verhältnis zur „Keuschheit" S.
75. zu dem „Fasten" S. 76. zu de res. carnis S. 76 — 77. zu
adv. Marc. V. S. 77. zu den Einreden S. 77—80. zur
Schutzschrift S 80 — 83. zu ad nationes S. 83. zu de ido-
lolatria S. 83 — 85. zu de spectaculis S. 85. zu de baptismo
S. 85 — 87. zu einer Nachricht Spartians: Caracalla der
Judenfreund S. 87 — 89.
Schluss. Einheit und Echtheit. Rhetorische Anlage der Schrift
gegen die Juden S. 89 — 91. Wichtigkeit des Ergebnisses
S. 91—92.
Seite
46—74
-16- is
48—67
67-74
74-89
)-92
Einleitung.
1. Altere Polemik gegen das Judentum.
Als am Ende des zweiten Jahrhunderts Tertullian als Schrift-
steller auftrat, war das jüdische Wesen teils schon von Heiden
studiert, teils zum Gegenstand der Polemik seitens der Christen
gemacht worden. Es war ein syrischer Grieche, aus Apamea ge-
bürtig, seines Xamens Numenios *) , der nach Mitte des zweiten
Jahrhunderts so ziemlich der erste der Heiden war, der, mit
Kabbinen verkehrend, das Judentum fleissig erforschte: ein Gegen-
bild jenes Celsus, der nur um weniges später die christliche
Literatur mit so grossem Eifer verfolgte. Allerdings, mit Celsus
verglichen, mit umgekehrtem Erfolge, denn Plato war ihm, phi-
lonisch, ein attisierender Moses. Auch Celsus selber, wiewohl das
jüdische Wesen ihm Nebensache, wusste genugsam Bescheid in
den alten heiligen Büchern, um der alten Sagen geschienten in
seiner Art spotten zu können. Auch ist er selber schon Zeuge
des Kampfes der Juden und Christen und wundert sich bekannt-
lich nicht wenig, wie auf gut abderitisch die beiden um des Esels
Schatten sich zanken, d. i. die Frage erörtern, ob oder ob nicht
der Messias bereits erschienen sei. Schon um die Zeit Hadrian's
war ein Werkchen ans Licht getreten, das in dialogischer Form
den grossen Gegensatz durchsprach, sein Verfasser Ariston von
Pella.2) Die Colloquenten sind Jason, ein Christ gewordener
Jude, und Papiscus, der Jude geblieben ist, ein Alexandriner der
letztere. Die Waffen waren Texte der Bibel, der Sieg verblieb
bei dem Christen, denn Papiscus lässt schliesslich sich taufen.
1) Nicolai Griech. Literaturgesch. l S. 501. Euseb. Praepar. evang. ed.
Dindorf IT, 38 sq. 372 sq. 47. 41. Mein Tertullian S. 2' 3.
2) Renan Origines VI, S. 267. Harnack Texte u. Untersuch. I, 3
S. 115—129.
Texte u. Untersuchungen XII, 2. \
2 Noelclechen, Tertullinn □ die Juden.
Ob das kleine literarische Machwerk eine geschichtliche Grund-
lage hatte, d. i. ob eine ähnliche Verhandlung je mündlich in
jenen Tagen gepflogen war, muss freilich um so dunkeler bleiben,
als jener erbauliche Schlussakt die didaktische Absicht kundgibt.
Die Schrift erntete Beifall, freilich keineswegs einhelligen. Von
Celsus könnte man absehn. Er hat die Streitschrift vielmehr
seines Hasses und Mitleids, als seines Gelächters für wert ge-
halten.1) Aber auch Origenes später, der einigen Beifall nicht
vorenthält, muss doch schliesslich gestehn, dass die Schrift nicht
von grossem Belang ist. Asien wird bald auch die Heimat eines
anderen polemischen Schriftchens, das etwa zur selbigen Zeit in
Judaea verfasst ward, und das sich mit dem seltsamen Titel von
Testamenten ankündigt, die die zwölf Patriarchen 2) verfasst hätten.
Judenfeindlich aufs äusserste und von ganzem Herzen paulinisch,
hatte der Verfasser den Wolf, der zum Arbeiter des Herrn ward,
um den Frommen Speise zu reichen, in dem Heidenapostel er-
kannt, der als ein Geliebter des Höchsten, als alle Völker er-
leuchtend mit neuer Erkenntnis, gepriesen wird. Auch das war
der Schrift eigentümlich, dass das Henochbuch oftmals gerühmt
ward, ein vorchristliches Werk, das ein jüdisches Weltreich er-
warten lehrt, welches letztere, aufs höchste verklärt, ein wirklich
himmlisches Reich wird.3) Nicht zurück steht an bitterer Feind-
schaft der sogenannte Barnabasbrief, auch er aus den Hadria-
nischen Tagen. Der Abstand der alten Typen von der neuerdings
erschlossenen Idee, der grossen Idee des Christentums, wird
ziemlich hämisch vergrössert. Die Gottesherrschaft in Israel ist
Missverstand des göttlichen Willens. Gehässig wird hier ein
Brauch des Versöhnungsfestes entstellt, und besonders die Ge-
schichte vom Sündenbock dahin verzerrt und verdorben, als ver-
langte die jüdische Thorah, ihn zu treten und zu bespeien 4), wo-
durch dann der Verfasser ein Vorbild des leidenden Lammes
herausbringt.
1) Origenes Contra Celsum IV, 52. Gieseler K. Gesch. 4A. I, 1, 209.
Keim Celsus' Wahres Wort S. 55.
2) Testamente der zwölf Patriarchen s. Grabe Spicil. Patrum Saec. I
Tom. I. (Oxoniae 1714) S. 251. Renan Origines VI, S. 269. Baur K. G.
der 3 ersten J. S. 174. Anm. 1.
3) Dillmann Das Buch Henoch S. XXI. — Henoch im Testam. XII
Patr. s. Grabe S. 155.
4) Vgl. Hausrath Kleine Schriften S. 15.
Einleitung. 3
Die genannten drei älteren Schriften sind in Afrika keine
Fremdlinge. Tertullian hat sie sicher gekannt, wenn auch die
Spuren von zweien erst irn ganzen spät bei ihm auftauchen.
Nicht früher als in „Scorpiace" und danach im Antimarcion
kommt er auf die Genesisstelle l), die die „Zwölf Patriarchen"
erörterten und zwar in einer Weise, die deutlich auf jenes judae-
ische Buch weist; ist doch sein Liebling „Henoch* ebenfalls
ein Liebling des letzteren. Auch laut ihm hat die Genesisstelle
den ..Benjaminiten- vorausgeschaut. Auch „Papiscus und Jason"
kennt er. Wenn im späten Buch „Gegen Praxeas" 2) die Meinung
etlicher auftritt, dass das alte Genesisbuch mit der Schöpfung
des Sohnes begonnen habe, so ist das nach Lage der Dinge ein
unverwerflicher Hinweis auf den alten „Papiscus und Jason",
in welchem nach verlässlicher Nachricht die gleiche Ansicht er-
örtert ward. Nun gar mit dem Barnabasbriefe ist er sicher schon
zeitig vertraut gewesen. Eine Quelle Tertullians, abseits von dem
Barnabasbriefe :5J , erörtert ja auch jenen Sündenbock, und man
konnte mutmassen wollen, dass er auch dies Stück dort her-
nehme; aber genauer besehen, fehlen doch etliche Züge, die dem
„Barnabas" zugehören, und die der Karthager sich zueignet.
Alles das sind Einzelbezüge. Wesentlich anders steht es mit
dem Dialoge Justins, der ebenso früh wie nachhaltig auf diesen
Schriftsteller einwirkt.
2. Justins Dialog in Afrika.
a. Im allgemeinen.
Tertullian hat Justinus citiert als den „Philosophen und Mär-
tyrer"4), und, prägnant wie er zu schreiben pflegt, und deutlich
wie er Stellung genommen hat zu „Philosophie" und „Marty-
rium", ist die Doppelbezeichnung vielsagend. Die Philosophie
galt ihm wenig, für das Martyrium schwärmt er. Wie der Zwil-
1) Scorpiace 13 (I, 530, 0.). Adv. Marcionem V, 1 (II, 275, m.).
2) Adv. Prax. 5 Anfang (II, 658). Vgl. Hieronymus Quaest. in Genes.
(Pariser Ausgabe von 1578 Tom. III fol. 317); Keim Celsus S. 55. Anm. 2.
Corssen, Die Altercatio Simonis Judaei etc. S. 31.
3) Nämlich Justins Dialogus c. 40 (132). Vgl. Epist. Barnab. cap. 7.
Adversus Judaeos 14 (II, 74o, u.).
4) advers. Valentin. 5 Anfang (II, 3S7, u.).
1*
4 Noeldechen, Tertullian'i Gegen die Juden.
lingsname verheisst, so finden sich auch im einzelnen neben sehr
erheblicher Schätzung doch Spuren einer Kritik, wie mittelbar
sie auch sein mag. Uie Naivität jenes Alteren, mit der er die
Kaiser bekehren will, ist so wenig tertullianisch , dass vielmehr
der letztere weiss, nie könne ein Kaiser ein Christ sein. So kann
er auch die Kaiser nicht schulmeistern, wie es Justinus gethan
hatte. Als Philosoph, welchem Sokrates und Musonius Christen
sind, ist Justin sein Geschmack nicht. Auch als ein dichtender
Schöngeist, denn Justin hat davon einen Anflug, als ein halb
romantischer Autor, der behaglich Dialoge zusammenschreibt mit
etwas platonischem Aufputz, kann er nicht füglich sein Mann
sein: denn gegen Fiktion aller Art hat er zu deutlich sich aus-
gesprochen.1) Aber als derber Polemiker, denn das ist Justinus
trotz alledem, als kundiger Fechter mit Schriftworten und, vor
allem andern, als Blutzeuge hat er seinen innigen Beifall.
Ein novellistisches Kleid trug namentlich der Dialog des
Justinus. Ein Hebraeer aus der Beschneidung, aus dem heiligen
Lande flüchtig seit dem hadrianischen Kriege, meist in Korinth
sich aufhaltend, begegnet dem Manne von Sichern und bemerkt
ihm, er sei zu Argos von einem „Korinthos" belehrt worden, man
müsse an Palliumträgern nie gleichgiltig vorbeigehn. tig de öv
hööc, (ptQLGxe ßgozwv', ist die Gegenrede. Der Hebraeer, Try-
phon geheissen, beliebt darauf, sich bekannt zu geben.2) Der
romanhafte Rock sitzt freilich nun auffallend lose; für die Frist
des sehr langen Gesprächs entschwindet er dem Auge des Lesers;
erst als das Gespräch sich zum Ende neigt, wird ein Zipfel der
poetischen Hülle schliesslich wieder ergriffen. Die beiden ver-
abschieden sich, indem der Jude erklärt, die Begegnung sei er-
freulich gewesen, ja, indem er den Wunsch ausdrückt, eine
solche möge bald sich erneuern; da Justin aber einmal zur See
gehe, so möge er ihn nicht vergessen. Justin will nun für ihn
beten, dass er Jesus Christus erkennen möge.3) Man sieht, eine
1) Vgl. die Äusserungen über die Acta Pauli et Theclae, de baptismo
c. 17 (I, 636, u.). Vgl. auch seine Schätzung der „Poeten" im allgemeinen,
sowie auch die besonderen Äusserungen in De praescr. 39 (II, 37), nament-
lich aber auch einen Satz aus Adversus Valentin, (c. 5. Schluss, II, 388, o.):
Nemo tarn otiosus fertur stilo ut materias habens n'ngat.
2) Dial. cum. Tryph. cap« 1.
3) Dial. c. Tr. cap. 142 (462).
Einleitung. 5
harmlose Anmut, die dem weitherzigen Autor nicht so übel zu
stehn scheint, ist über diese Kundgebung ausgegossen. Nur für
Tertullian war das nichts. Korinth und Argos freilich konnten
ihn allenfalls anheimeln, da er diese Orte früh aufsuchte.1) Auf
den „Juden aus der Beschneidung" dürfte er sein Augenmerk
richten, und namentlich seinen „Judengenossen", seinen „Prose-
lyten" dagegen halten, mit welchem er selbst colloquiert hat.
Doch sofern er die novellistische Tünche hier wirklich als solche
durchschaut hat, war sie seiner Art nicht gemäss, die gemessener,
strenger und allenfalls prosaischer heissen kann.
Der Dialog bietet auch sonst viel, was dem Tertullian völlig
fremd bleibt. Wird er Entleiher zu nennen sein, so treibt er
doch freieste Auswahl. Von der Höhle, wo Christus geboren sei2),
von dem Heiland als schlichtestem Handwerker, von der häufigen
Bezichtigung Israels, es beschneide und verändere das Schriftwort,
von Klagen über „Mikrologie", von Verhöhnung der jüdischen
Ohnmacht, die verfolgte, wenn sie nur könnte, vom Verbot zu
colloquieren mit Christen, welches die Oberen ausgegeben, von
Vielweiberei bei den Juden findet sich bei ihm keine Silbe.
Auch der unpolemische Einzelzug, dass der colloquierende Jude
die Lehre Jesu studiert hätte, findet keine Entsprechung beim
Späteren. Wenn schliesslich Justin dem Tryphon die Absicht
vermeldet, ein Buch zu schreiben, in dem die gepflogenen De-
batten getreulich sollten berichtet werden, so ähnelt das äusser-
lich freilich dem Eingang der karthagischen Streitschrift, nur
dass doch der Unterschied grösser ist als der flüchtige Anklang.
Ein wirkliches mündliches Zwiegespräch, trotz des scheinbar ge-
schichtlichen Rahmens, konnte kaum in den gröbsten Zügen dem
justinischen Buche entsprochen haben. Bei Tertullian fehlt der
Rahmen oder mindestens die Hälfte desselben, aber das Gemälde
ist glaubhafter. Nach dem einfach erzählenden Eingang folgen
blosse Debatten, und diese von massigem Umfang; da ist keinerlei
1) Vgl. meinen Aufsatz: Tertullian in Griechenland in der Zeitschr.
für wiss. Theol. XXX, 4, 385 ff; auch meinen „Tertullian" S. 70.
2) Die Stellen im „Dialog" sind folgende: Höhle cap. 78 (204); Hand-
werker cap. 88 (306); Schriftverstümmelung cap. 71 (240) cap. 73 (246); Mi-
krologie cap. 115 (384); Ohnmacht cap. IG (58); Verbot zu colloquieren cap. 38
(124, o.); Vielweiberei cap. 134 (442). cap. 141 (160); Jude des Ev. kundig
cap. 10 (38, O.), cap. 18 Anfang (02); Buch in Aussicht cap. 80 (274).
(; Noeklechen, Tertallian'e Gegen die .luden.
behaglicher Abschied, freilich auch keine Bekehrung, wie weiland
in „Papiscus und Jason". Aber die geschichtliche Unterlage ist
unvergleichlich solider. Die Gesprächsgrundlage der Schrift lässt
sich gar nicht vernünftig bezweifeln, ja selbst die geographischen
Data sind echter, wahrer, verlässlicher. „Korinth und Argos"
Justins schweben fast in der Luft, während in den „Juden" die
„Gaetuler" Y) den Horizont des Verfassers verbürgen.
Bekannt mit Justin's Dialog zeigt Tertullian sich schon früh-
zeitig. Die Ähnlichkeit seiner Ausführungen mit denen des justi-
nischen Buches ist teils eine allgemeine, wo, die Fälle vereinzelt
genommen, Zweifel allerdings übrig bleiben, teils eine so be-
sondre, dass die Entlehnung gewiss ist. Schon der Verfasser der
Schutzschrift hat den „Doppeladvent" 2) wie Justinus, und, ist der
Gedanke zweifellos ein Gemeingut der Christen, die bestimmte
Formulierung desselben wird auf den Alteren hinweisen. Auch
das Bild des wüsten Judaea: die Juden verbannt von Jerusalem,
die ganze Gegend entvölkert, die Wohnstätten verbrannt, wie es
Justin gezeichnet hatte, malt die Schutzschrift ihm nach3): das
zerstreute, wandernde Volk, ohne irdischen und himmlischen
König, darf die Scholle des Vaterlands selbst nicht als Pilgrim
betreten. Die „Pflanzschule unserer Verlasterung", jener empha-
tische Ausdruck, mit welchem die Schrift „An die Völker" die
Verunglimpfungen der Christen auf die Juden zurückführt, hat
offenbar seinen Hintergrund an mehreren justinischen Stellen,
laut denen die jüdischen Priester Verleumder der Christengemeinde
in alle Winde hinaussandten.4) Auch jenes seminare mendacia
in dem Buch „An die Völker"5) wird, auf die Juden gemünzt,
auf den alten Justin mit zurückweisen.
Um so mehr wird man dies so beurteilen, als auch im ein-
zelnen Ausdruck der Sichemite oft durchscheint. So in einer
1) Advers. Jud. 7 (714, u.).
2) apolog. 21 (I, 200) dial. 121 (404) und öfters.
3) apolog. 21 (I, 196) dial. 16 (56). Vgl. Jesaias I, 7.
4) ad natt. I, 14 (I, 335, m.) dial. 17 (60, o.) 108 (363, o.) 117 (388, u.).
— Vergleiche beiläufig auch Scorpiace 10 (I, 523, m.): synagogae Judaeorum
fontes persecutionum mit dial. 133 (410, u.) rjfxäg . . (povtvsze, ooüxiq av
Xdßrjze e^ovalav.
5) ad. natt. I, 6 (1, 315, u.). Dass der Ausdruck auf die Juden ge-
münzt ist, zeigt die Vergleichung dieser Stelle (seminare mendacia aemu-
lationis ingenio) mit apol. 7 (I, 137, m.) ex aemulatione Judaei.
Einleitung. 7
Stelle der Schutzschrift. Der ruassvolle Tryphon Justin's will
die Schandgerüchte nicht glauben, wie zumal das Verzehren von
Menschenfleisch: ov jciorsvöai a^iov, jz6(>()oj yaQ 7C£%mQ?]xs r^g
avdQconivr^ (/ roccoc. Auffallend ähnlich der Spätere: Qui ista
credis de nomine, potes et facere. Homo es et ipse, quod et Chri-
stianus. Qui non potes facere, non debes credere. Homo est
enim et Christianus, quod et tu. J) Bei den „Karern und Phry-
gern"' Justins wird etwas Ahnliches vorliegen: „wir sind kein
barbarisches Volk, wir sind keine Karer und Phryger". Tertul-
lian: ..wir sind keine Brahmanen, keine indischen Gymnosophisten.
keine Schattenfüssler und Hundsköpfe".2) Das ist nicht Über-
setzung, das Verglichene ist ja verschieden. Augenfällig jedoch ist
die formelle Verwandtschaft und die wesentliche Gleichheit des
Grundgedankens. Erwägt man inzwischen Geschehenes, die
geschichtliche Rolle der „Phryger" innerhalb der letzten Jahr-
zehnte, andrerseits die literarische von „Brahmanen und Gymno-
sophisten" bei zeitgenössischen Schriftstellern3), so wird man
sich darauf geführt sehen, eine Modernisierung des Alteren bei
dem Späteren anzunehmen.
Die Früchte früher Lektüre und auch wohl erneuertes Studium
Justins begleiten ihn weiterhin. Dies zeigt sich im Antimarcion.
Das Verstummen des Herrn vor Pilatus wird durchaus justinisch
verknüpft mit einer Jesaiasstelle; nur freilich noch treuer den
Siebzig hören wir den Späteren reden.4) Wenn ferner Justin
den Pilatus bei der Sendung Jesu zum Antipas den Propheten
Hosea erfüllen lässt, so erborgt sich sein Jünger auch dieses.5)
Im fünften Buch häufen sich Lehnsätze. Justinus hatte bestritten,
dass Psalm 110, 1 auf den König Hiskia zu deuten sei, eine
Meinung, die Tryphon verfochten. Auch Tertullian bestreitet es,
und, obwohl es den Anschein gewinnen könnte, als ob erst seine
1) apolog. 8 (I, 141, u.) dial. 10 (53, o.).
2) Karer etc. dial. 119 (394, u.); Brahmanen etc. apolog. 42 (I, 273);
Hundsköpfe etc. apolog. 8 (I, 141, m)
3) Vgl. z. B. die Gymnosophisten in Apulejus1 Florida, ed. Elnien-
horst S. 343, Zeile 17 ff, die Brahmanen ebendaselbst S. 351 Zeile 32. —
Vgl. auch zu den Brahmanen : Friedländer, Sittengesch.5 1,458. Graul
Die christl. K. an der Schwelle des Iren. Zeitalt.'s S. 15.
4) adv. Marc. IV, 42 (II, 270, m.), dial. 102 (342, u.).
5) adv. Marc. IV, 42 (II, 270), dial. 103 (346. 348).
g Noeldechen, Tertullian'B Qegen die Jaden«
jüdischen Zeitgenossen diese Stelle „entwendeten", bleibt ent-
schieden die Entlehnung hier sicher. Nicht nur das jüdische
„Wagnis" ist beiden Autoren gemeinsam, sondern auch die
Motivierung der Juden, die sie für jene Deutung des Psalms
bringen: Hiskia hat, wenn nicht zu Gottes, doch zur Rechten
des Tempels gesessen. Dass die Gleichung tadellos werde, ist
auch der Gegengrund gleich, mit welchem die jüdische Ansicht
über den Haufen geworfen wird: Hiskia war eben kein Priester,
wie ihn doch die Psalmstelle fordert. 1) Wörtlich stimmt ferner
die Stelle, an der vom Abschluss des Sehertums durch den Heiland
geredet wird. 2) Zu einer Stelle Justins bringt freilich der spätere
Schriftsteller eine „evangelische" Zuthat, d. i. bei dem psalmi-
stischen „Morgenstern". Justin behauptete lediglich, dass der
Sohn von jenem Sterne erschaffen sei. Dem Späteren bedeutet
das Psalmwort, dass Jesus zur Nachtzeit geboren ward. 3) Aber
die Anregung gibt auch hier der Sichemite Justinus. Dem
Karthager ist ja nichts mehr eigen als die Neigung ältere Texte in
seiner Weise herauszuputzen, sie in seinem Sinn zu verschönern. 4)
Justinisch wie tertullianisch ist die Parallele „Eva,. Maria".
Wie die „Jungfrau Eva", so sagen sie, dem Bösen Einlass ge-
stattet hat, so die Jungfrau Maria dem Lebenswort; auch Gabriel
und die Schlange, bei beiden gleichmässig auftretend, verbürgen
hier den Zusammenhang. 5) Auch die Parallelisierung von jüdi-
schen mit gewissen christlichen Sekten scheint Tertullian von
Justin zu haben, mag auch das jüdische Sektentum dem Späteren
minder bekannt sein und die Gleichung infolge dessen unter
seinen Händen verkrüppeln. 6) Selbst in den spätesten Schriften
1) dial. 83 Anfang (282, m. 284, o.), adv. Marc. V, 9 (II, 300, u.). —
Vgl. auch dial. 33 Anfang (106).
2) adv. Marc. V, 8 (II, 297, o.), dial. 87 (300, o.).
3) dial. 83 Ende (284), adv. Marc. V, 9 (II, 300, u.).
4) Vgl. meinen Aufsatz im Philologus Suppl.-Bd. VI, zweite Hälfte
S. 762, u. 75S, auch ebendas. Anm. 168. 82. 192.
5) de carne Christi 17 (II, 454), dial. 100 (336. 338).
6) dial. 80 (274. 276): Sadducaeer, Genisten, Meristen, Galilaeer, Helle-
nianer, Pharisaeer, Baptisten werden mit christlichen Sektierern (diesen in
Bausch und Bogen) verglichen. Bei Tertullian (de res. carnis 36 Ende; vgl.
de carne Christi cap. 1 Anfang) finden wir nur „Sadducaei Christi an orum".
Die ihm sachlich nicht geläufigen andern will er wohl nicht unverstanden
herübernehmen.
Einleitung. 9
wird der alte Jnstinus noch mitsprechen, so namentlich im Anti-
praxeas. Von den drei Engeln bei Abraham ist beiden der eine
der Herrgott '), wie auch manches Trinitarische sonst von dem
Sichernden geholt ist.2) Die Entlehnung recht stark zu be-
kräftigen , sehen wir Tertullian auch entschiedene Fehler mit-
machen 3), während er gelegentlich freilich auch Irrungen still-
schweigend bessert. 4) Bewusste Kritik wird nicht fehlen, wenn
der eine die Hexe von Endor als Bürgin der Unsterblichkeit
anruft, während sein Schüler in Afrika bei dieser Hexe nur
Lüge sieht. 5)
b. In Adversus Judaeos.
Nachdem wir im vorigen dargelegt, wie klar, wie früh und
wie nachhaltig der Einfluss des Dialogs auf Tertullian im ganzen
war, erörtern wir hier speziell, wie gross die justinische Ein-
wirkung auf die angefochtene Schrift ist, auf die es uns letzt-
lich hier ankommt. Bei dem heutigen Stand der Kritik sind
zunächst drei Teile zu sondern, ein meist als echt anerkannter,
ein angeblich von einem Fälscher aus „Marcion III." ausgeklaubter
und ein angeblich von diesem Fälscher aus seinem Eigenen be-
strittener. 6) Versparen wir nun auch die Erörterung der Ein-
1) adv. Prax. 16 (II, 664) : Ipse enim ad humana colloquia semper de-
scendit etc.; cf. dial. 56 (180, u.).
2) dial. 129 Ende: xo yevvcu/uEvov zov yevvwvzoq dpid-fito bXSQOv iori.
Cf. adv. Prax. 13 (II, 669, m.): Christus . . . qui nurnerum retro fecerat,
factus secundus a patre. Vgl. adv. Marc. I, 5: post unum enim numerus,
exhort. cap. 7 Anfang: quod non unum est, numerus est. Denique post
unum incipit numerus; apolog. 21: ita et de spiritu spiritus et de deo deus
modulo alternum nurnerum fecit.
3) S. Justin, dial. ed. Otto S. 108 Anm. 7.
4) Ebendas. S. 135 Anm. 1.
5) Ebendas. S. 353; cf. Tert. de anima 57 (II, 647).
6) Unbestritten — im ganzen — ist cap. 1 — 8; das übrige constituiert
das y.otvov. gehört nämlich auch „Marcion" III zu; ausgenommen sind
Abschnitte Ton cap. 9 (II, 725: sicuti et praecursorem Christi bis passu-
rum nuntiabat; II, 726, u. : Virtutes autem a patre bis sabbatis faciebat);
yoii cap. 10 (II, 727: dicit enim in Deuteronomio bis de ore prophetarum,
II. 730: nam quod in passione ejus bis Schluss), von cap. 11 alles ausser
dem Schluss: sufficit hucusque etc., von cap. 13 alles ausser dem Schluss :
Igitur quoniam adhuc II, 737. — Über eine weitere Complicierung der Sach-
lage durch Geschmacksurteile von Corssen s. hier S. 19 unten.
IQ Noeldechen, Tertullian's Gegen die Juden.
heit und Echtheit für später, so werden wir doch hier kaum
umhin können, zunächst ein massiges Vorurteil für die Einheit
der Schrift zu erwecken, indem wir in sämtlichen Abschnitten
die justinischen Spuren hervorheben. Zuerst die „Homologumena".
Beschneidung, Sabbate, Feste mögen freilich für Themata
gelten, die mehr oder minder notwendig beim Kampfe mit den
Juden zur Sprache kamen. Aber schon, wenn Adam und Abel.
Henoch, Lot und Noah, dazu Melchisedek als Zeugen in diesen
Fragen citiert werden, wenn genau dieselben Gewährsmänner
bei beiden Polemikern aufstehen, so ist die geschlossene Phalanx
ein sicherer Beweis der Entlehnung. *) Wenn dann weiter recht
bitter und bissig bei dem sonst so milden Justin die Beschnei-
dung als Zeichen erscheint, an welchem man Israel kennen
sollte, jenes schwer bedrängte Geschlecht, das sich nicht mehr
am Kidron darf sehn lassen, wenn dann dieser schreckliche
Steckbrief beim Späteren ebenso aussieht, so wird man den ge-
lehrigen Schüler des Alteren schwerlich verkennen, zumal da
ganz homolog dasselbe Bibelcitat folgt. 2) Beide betonen auch
gleichmässig das Aufhören der Weissagung mit den Tagen des
Täufers. 3) Redet allerdings nebenbei hier auch tertullianischer
Sondergeist, demzufolge durch die Taufe des Herrn eine „Weihe
der Wasser" vollzogen wird, so ist doch im ganzen die Ähn-
lichkeit dermassen stark und erheblich, dass bewusste Beziehung
gewiss wird.
Dass sich diese Ähnlichkeit fortsetzt bei dem angeblich Ge-
raubten, in den Partien des „Freibeuters", ist freilich nicht zu
verwundern, da die Stücke ja dem Presbyter zugehören zum
mindesten in jener Gestalt, die der Antimarcion aufweist. Dass
zunächst die Jungfraugeburt uns früher wie später begegnet,
bei Justin wie bei seinem Jünger, mag als christliches Erbgut
zu gelten haben und an sich gar nichts beweisen. Wenn die-
selbe prophetische Stelle für diesen Lehrstoff verwandt wird4),
so wäre auch das wohl begreiflich ohne wissentliche Fühlung
des Späteren mit seinem älteren Vorbild. Ja wenn tertullianische
Eigenart hier in breitem Mass sich entwickelt, seine Witze von
1) dial. 19 Anfang (64. 66), adv. Jud. 2 Ende (II, 704. 705).
2) dial. 16 Anfang (56, o.), adv. Jud. 3 Anfang (II, 705, u. 706).
3) dial. 51 Ende (166, o.), adv. Jud. 8 (II, 718, u.).
4) nämlich Jesaias 7, 10 ff; s. dial. 66 (222), adv. Jud. 9 Anfang (720).
Einleitung. \ \
„Butterbroden" l) ihm allein auf Rechnung zu stellen sind, so
ist man versucht, das Verwandte auf blossen Zufall zurückzu-
führen. Die Besprechung der vsävig indessen2), jener neuen
Übertragung des Aquila, wird, den beiden Autoren gemein, auch
hier den Zusammenhang feststellen. Dieses letztere um so ge-
wisser, als dem obigen gleich auf der Ferse ein besonders starker
Beweis folgt, dass der Spätere den Früheren ausschreibt. Wissen
sie doch einhellig beide, dass sowohl die „Kraft von Damaskus"
als auch die „Beute Samariens" dem Heiland dadurch zuteil
wird, dass die morgenländischen Weisen dem Kinde Geschenke
entgegenbringen. 3) Ja die kühne Deutung zu stützen nehmen
beide ein anderes Bibelwort und zwar völlig dasselbe in gleich-
sam stilistische Dienste: wenn die Schrift einen amoritischen
Vater und eine hethitische Mutter als Israels Eltern bezeichne,
sei auch dieses doch bildlich zu nehmen wie jene „Beute Saina-
riens".4) Ja schliesslich wimmelt es hier von mikroskopischen
Einzelzügen, denn selbst die geographische Anmerkung über
Damaskus ist gleichlautend. 5)
In den Grundlinien gleichlautend ist auch die Besprechung
des Jesusnamens. Wer hat, fragte Justin, in das Land der Ver-
heissung geführt? Doch Auses, dann Jesus geheissen. Genau
so Tertullian.0) Auch wenn Josua- Jesus das Volk mit steinernen
Messern beschneidet und Justin unter dem „ Stein" den Felsen
Jesus sich denken will, so hat sich dies Tertullian in verkürzter
Gestalt zugeeignet.7) Die Zusatzbemerkung Justins s), dass an
Jesu Worte zu denken sei, die von der Vorhaut des Irrtums
die Menschen gnädig befreien, hat ja Tertullian übergangen, hin-
gegen die Notiz seines Lehrmeisters, dass der Herr bei Propheten
gar oftmals bildlich als Felsen bezeichnet werde9), mit sicht-
1 adv. Jud. 9 (721, m.).
2) dial. 07 Anfang (222), adv. Jud. 9 (721, u.).
3) dial. 77 (263 o.), adv. Jud. 9 (II, 722, o.).
4) dial. 77 Ende, adv. Jud. 9 (723, o.).
5) dial. 78 (268, o.), adv. Jud. 9 (II, 722, u.). Man sieht, wir haben hier
ein zusammenhängendes, Verwandtes keineswegs ungeschickt concen-
trierendes und zusammendrängendes Excerpt aus Justin.
6 adv. Jud. 9 (II, 724, m.), dial. 75 (254, m.).
7) adv. Jud. 9 (II, 724, u.), dial. 113 (376, u.).
8) dial. 113 (378, o.).
9) petra enim Christus multis modis et tiguris praedicatus est II, 724 u.
\2 Noeldechen, Tertullian's Gegen die Juden.
barem Anteil aufgenommen. Weitere Spielereien Justin's, die
den Ausdruck eben zu Tode hetzen und die Concinnitiit der An-
schauung allzu entschieden gefährden — man werde durch diese
Beschneidung mit besagten steinernen Messern den steinernen
Götzen entzogen 1) — hat sein Nachfolger abgelehnt.
Auch was als besondere Feinheit Tertullian's erscheinen
könnte, die Bezeichnung des Golgathatodes als eines beinahe
unglaublichen, schlechthin „mysteriösen" findet sich — embryo-
nisch — schon bei dem Philosophen von Sichern. Tertullian
ist ausführlicher, deutlicher; da der Tod, deutlich geweissagt,
wirklich unglaublich gewesen wäre, mussten die prophetischen
Männer den Golgathavorgang „beschatten", damit schwer, wie
er zu verstehn war, die erleuchtende Gnade gesucht werde. Bei
Justin keimt der Gedanke, erst der Nachfolger hat ihn entwickelt,
doch verbürgen die gleichen Citate die bündige Beziehung zum
Vorgänger. 2) Es gehört noch in diesen Zusammenhang, wenn
auch beide einstimmig betonen, dass keiner der Könige Israels,
auf welche doch die Juden so gern messianische Stellen beziehen
möchten, jemals irgend ein Kreuz trug.3)
Geschmückt wie das Wort des Jesaias mit Butterbrödchen
der Kinder wird, so ist auch der Segen des Joseph vom Kar-
thager mit WTitz wort verbrämt worden: das „Einhorn" in jenem
Segen, sagt der Römer der Kaiserzeit, dem die Arena so viele
Tiere der Fremde gezeigt hatte, werde kein Rhinoceros sein
sollen; auch ist es in seiner Manier, dass sogar Vergil ihm mit
herhält. Justin ist .an alledem unschuldig. Dennoch ist wieder
Justin der eigentliche erste Erreger, insofern er im „Einhorn"
bereits das Zeichen des Kreuzes gewittert hat. 4)
Das multi ist freilich eigentlich tertullianischer Zusatz. Justin nur: iv
naQaßoXaXq cap. 113 Ende (378, o.).
1) ed. Otto 376, u.
2) dial. 97 (328, u.): David spreche von ndQ-oq und azavQoq — iv
TiccQaßoXy ßvozriQiwÖEi; vgl. damit den Schluss von cap. 97: Xqigtoq, öid
xovrov zov fivarrjQLOv cazo&avajv, tovtsgti tov azavQcod-rjvai. Tertullian
destilliert sozusagen daraus eine Doctrin adv. Jud. 10 (II, 227, u.). — Die
Citate sind Psalm 22, 17—19 (adv. Jud. 10, II, 727, dial. 97, 328, u.) und
Jesaias 53, 9 (adv. Jud. 10, II, 730, m., dial. 97, 328, u.).
3) adv. Jud. 10 (II, 730, o.), dial. 97 Ende.
4) „Einhorn" bei Justin: dial. 91 Anfang; bei Tert. adv. Jud. 10
(II, 728, o.); über das Citat aus Vergil s. Oehler's Note ibid. (Aen. III, 549).
Dazu vgl. hier S. 32 Anm. 4.
Einleitung. 13
Auch der Kampf wider Anialek fesselt wiederum Meister
wie Jünger. Josua kämpft, Moses betet, und beides wird von
beiden gedeutet, und die Deutung ist völlig die gleiche. Die
betenden Hände besagen beiden die heilige Kreuzform; auch der
Josua- Jesus-Name wird von beiden aufs neue verwertet. ') Auch
die Unsitte, zu wiederholen, ist auf beider Kerbholz zu schreiben;
wir werden sie für später uns merken müssen.
Ein ganz besondres Genüge aber thun sich Lehrer und
Schüler in dem berühmten mystischen Satze: Gott herrschte vom
Holz her. Eine frühzeitige Einschwärzung in den Text eines
Psalmes ergab die erhabene Vorstellung, dass der grosse Kö-
nig Jesus, schmachvoll zum Galgen erniedrigt, doch glorreich
vom Schandholze her sein ewiges Königtum ausübe. Dem Zauber
dieser gläubigen Anschauung, die ja der Sache nach wahr ist,
hatte die Folgezeit nachgegeben, nicht ohne dass freilich die
Einrede gegen die „Lesart" lebendig blieb. Beides erhellt auch
bei beiden. Justin klagt, seltsam genug, über die unredlichen
Juden, die jenes „vom Holz her" gestrichen hätten, und sein
afrikanischer Jünger interpelliert seinen Colloquenten bedeutsam,
ob er nicht jene Stelle gelesen habe.2) Das folgende Scherzwort
von „Holzkönig" gehört ja dem späteren Witzbold, der hier
wieder ganz er selber ist. Aber Jeremias 11 ist beiden wieder
völlig gemeinsam, nicht nur überhaupt als Citat, auch mit der
messianischen Deutung. Das erstere lautet wie folgt: „Werfen
wir Holz in sein Brod, und tilgen wir ihn aus den Lebenden.*
Die Deutung Tertullian's ist ja kühner als die des Gewährs-
manns: er denkt hier des heiligen Mahls, indem er ein Quid-
proquo von „Leib" und „Brod" sich zu gut hält. So kommt
denn das Wunder heraus: „sie warfen Holz in sein Brod" heisst:
sie trieben hölzerne Pflöcke in seinen heiligen Leichnam.3) Auch
hier wieder der Trieb, oder sage man selber die Unart, seine
Vorlage zu steigern, zu verschönern, auszubessern.
Schliesslich die Antilegomena im Buch gegen die Juden.
Auch in diesen wenigen Abschnitten gibt der Sichemite sich
1) dial. 90 (310, m), adv. Jud. 10 (728, u. 729, o.).
2) dial. 73 Anfang (240), adv. Jud. 10 (II, 729, m.): Age nunc, si legisti
penes prouhetain in psalmis: Deus regnavit a ligno.
3) dial. 72 (211, m.), adv. Jud. 10 (II, 729, u ). Die Stelle ist Jeremias
11, 19: LXX ed van Ess S. 820
14 Noeldechen, Tertullian'a Gegen die Juden.
kund mit der gleichen vollkommenen Deutlichkeit wie in den
übrigen Stücken. Auch ist es noch einmal das „Holz", das er
von Justinus erborgt hat. Christus, so schrieb Justin, ist der
Anfang eines neuen Geschlechtes, das durch „Wasser und Glauben
und Holz" von dem Heiland wiedergeboren wird. Auch mit
dieser justinischen Trinitas stimmt der Karthager auf's völligste.
Die Christen, sagt er, trinken im Glauben das Taufwasser des
Leidensholzes. Mag das selber auch noch geschraubter sein als
der planere Ausdruck des Vorläufers, die Gleichung ist äusserst
frappant und würde für sich fast verbürgen, dass der Mann bei
Justinus zu Gast ging. *) Dazu kommt die Elisageschichte,
in welcher noch einmal das Holz eine messianische Rolle zu
spielen hat. 2)
Das Vorurteil wird somit da sein, dass Abschnitte, die so
entschieden, so gleichmässig beflissen sind, aus dem Dialog des
Justin die Schriftbeweise zu holen, wirklich aus einem Guss,
und aus einer Feder geflossen sind. Sollte, wie man ja vermutet,
ein späterer Anonymus mitspielen, Eigenes mit Tertullianischem
dumm oder schlau zusammenschweissend, er hätte den Kunst-
griff verstanden, auch seine eigene Zuthat aus einem Magazin
zu bereichern, aus dem vor ihm Tertullian so starke Bezüge ge-
macht hatte. Doch es gilt nun weiter zurückgreifen und die
neuere Geschichte des Streites über die „Juden" sich ansehn.
Abhandlung.
1. Die Geschichte des Streites über Adversus Judaeos.
Das Buch gegen die Juden hat krause Geschicke erfahren.
Die neueren beginnen mit Semler, der dem Buche sehr wenig
hold ist und die mittelmässige Art des kleinen Machwerks
bespöttelt. 3) Diese Überkritik eines Semler hatte freilich
1) dial. 138 Anfang (452), adv. Jud. 13 (II, 735, u.).
2) dial. 86 (296, m.), adv. Jud. 13 (II, 736, u.).
o) Dissertatio de varia et incerta indole librorum Q. Sept. Flor. Ter-
tulliani, abgedruckt in Oehler III, 620ff. Der Abschnitt über die „Juden",
der auch die synoptische Zusammenstellung mit den betreffenden Ab-
schnitten von adv. Marc. III enthält, ebendas. S. 639—657.
1. Die Geschichte des Streites über Adversus Judaeos. |5
Methode. Sein unbarmherziger Kehrbesen ist für halbe Arbeit
zu schade. Dieser Kritiker fegte die Juden samt Antimarcion
aus, zerrieb eine andre Schrift an Irenaeus' Ketzerbestreitung,
eine dritte — immer Tertullian's — an einem Buch des Hippolytus,
überall SchwindkT ertappend, welche Schriften des christlichen
Altertums mit geschäftiger Hand vervielfältigten. Nur den
„Ketzern" ist er allenfalls holder, die bei Semler die Ehre ge-
messen, mit gebildeten Geistern von heute auf gleichen Boden
zu treten. „Was in aller Welt konnte Marcion, was können
gebildete Geister aus solchem Gesudel nur lernen!"
Der grosse Grundfehler ist ein gleichsam klassisches Unver-
mögen, den Massstab heutiger Bildung eine Weile beiseite zu
legen und zunächst sich mit innerer Teilnahme in die ältere Welt
zu versetzen. Semler's Verfahren ist ehrlich: er weigert die
Sympathie für jenes alte Geschreibsel: die allzu pietätvolle Vor-
sicht von Früheren sei hier verschwendet: die Einfalt und Klein-
meisterei dieser Schriften verdient keine Schonung. Bei allem
Radicalismus ist die Schrift Gegen die Juden allerdings doch
Semler verbunden für die fleissige und scharfe Synopse, die, das
Buch am Antimarcion messend, Späteren sehr zu statten kam.
Wie völlig verschieden Neander1). Jene radikale Kritik, die
das Kind mit dem Bade ausschüttet, liegt ihm in äusserster
Ferne. Die Bücher gegen den Pontiker haben sein vollstes In-
teresse, das in einem besonderen Buche sich ein schönes Denk-
mal gesetzt hat. Dagegen der Schwesterschrift, dem Zwilling
gleichsam des „Pontus", brachte er grössere Nöte als selbst sein
schneidiger Vorgänger. Die an sich sehr richtige Einsicht, dass
die zweite Hälfte der „Juden" von der ersten merklich ver-
schieden ist, verführte ihn zu der Annahme, die letzte Hälfte
des Buches sei die Compilation eines Stümpers, der, das unvoll-
endete Werk mit dem dritten Buch gegen Marcion in seiner
Weise zusammenhaltend, die Beweisführung in diesem letzteren
zur Ergänzung des Brachstücks benutzt habe.
Der grosse Kirchenhistoriker hatte zahlreiche Nachfolger.
Selbst die katholische Kirche stellte ihm einen Gefolgsmann.
1) Antignosticus, Geist des Tertullianus 1825, 2. Ausgabe 1849 S. 458
u. 403 ff. (bezw. 1. Excurs S. 511 ff. .
16 Noeklechen, TertuUian's (jegen die Juden.
Laufköther J), Böhringer2), Hauck3), Corssen4) und endlich auch
Krüger 5) wandeln mit völliger Zuversicht in den Spuren Nean-
ders, vielleicht um so mehr unbeirrt und um so weniger ange-
zweifelt, als keinerlei Scheu vor dem „Kanon" hier die kritischen
Schritte zu hemmen braucht, ja als es allem Anschein nach um
eine res vilis sich handelt. Auch Corssen als neuester Kritiker
bekräftigt das Urteil Neander's, und Krüger, der sich freilich
kaum tiefer mit diesen Sachen befasst hat, findet die Ansicht
absurd, dass die zweite der Hälften echt sei.
Trotzdem, so ganz ohne Fürsprache ist der zweite Teil nicht
geblieben. Schon Kaye G) hat solche geleistet. Er bemerkt, dass
die Schwierigkeiten, die sich bei der Vergleichung der „Juden"
mit Antimarcion darbieten, keineswegs grösser werden, wenn man
Tertullian als den Urheber beider Werke betrachte — auch des
ganzen Buchs an die Juden — als wenn man die letztere Schrift
von einem Falsarius ableite. Er hält es für unverständig, einem
Schriftsteller zu untersagen, seine Gedanken mit gleichen Worten
zum zweiten Male zu geben, wo es um dasselbe sich handle:
1) Im Artikel Tertullian s. Freiburger Kirchen - Lexicon. Er berück-
sichtigt nur die ersten 8 Kapitel der Sehr. adv. Jud., ohne Kap. 9—14 auch
nur mit einem Wort zu erwähnen, als ob die Unechtheit desselben durch
Neander ein für allemal entschieden sei.
2) Die Kirchengesch. der ersten Jahrhh. in Biographien 2. Hälfte
2. Ausg. Zürich 1864. Er spricht sehr wegwerfend von dem ganzen
Buche.
3) TertuUian's Leben und Schriften. Erlangen 1877. S. 88. Er findet
es unwiderleglich (cap. 8), dass der Verf. zur Zeit noch in keiner Weise
montanisierte. Über alle Zweifel an der Echtheit scheint er selbst in Be-
zug auf den ersten Teil nicht hinauszukommen.
4) Die Altercatio Simonis Judaei et Theophili Christiani auf ihre
Quellen geprüft. Berlin, Weidmann 1890.
5) S. seine Anzeige der Corssen'schen Schrift im Centralblatt 1890
No. 45. Wenn Krüger die der seinigen entgegengesetzte Ansicht absurd
nennt und zugleich behauptet, dass Corssen diese Ansicht habe „ausführ-
licher widerlegen müssen'1 , so widerspricht er sich selber. Absurde Be-
hauptungen sind nicht ausführlicher Widerlegung bedürftig; sie fallen
durch ihre Ohnmacht.
6) De Tertulliano et ejus scriptis. So lautet die Überschrift eines
Abschnittes in der Historia Ecclesiastica saeculor. II et III ex Tertulliani
scriptis illustrata ed. III Lond. 1845. Dieser Abschnitt ist abgedruckt bei
Oehl. III, 697 — 729. Die uns hier angehenden nicht eben zahlreichen Sätze
s. ebendas. S. 727. 728.
1. Die Geschichte des Streites über Adversus Judaeos. 17
und dieser Fall sei hier vorliegend. Marcion und die Juden,
von verschiedenen Gründen geleitet, stellten ja beide in Abrede,
dass Jesus als der Messias im alten Bunde verkündet sei. Hätte
Tertullian sich um neue Worte bemühen wollen, blos um das
früher Erledigte in neuem Aufputz zu zeigen, so hätte er seine
Müsse in vorzüglicher Weise verschwendet; um so mehr als es
hier sich vor allem um kanonische Schrift stellen handelte.
Nichtsdestoweniger ändert er, was die völlig veränderte Front
zu verändern irgend empfehlen konnte.
Auch deutsche Verteidiger gibt es. In einem Programm
von Kempen hat Grotemeyer *) sich ausgesprochen, mit unver-
werflichen Gründen die Grundlosigkeit der Verwerfung des
zweiten Teiles erhärtend. Er erörtert die historischen Zeugnisse,
bezeichnet den Stil des Ganzen mit Recht als tertullianisch, will
Nachlässigkeiten gern einräumen, betont aber mit Nachdruck,
dass es ein und derselbe Wurf ist, der diese Arbeit gestaltet
hat. Einzelne wichtige Bänder, die die beiden Teile verknüpfen
und trotz kritischer Keile zusammenhalten, hat er richtig gesehen.
Nicht ohne Geschick legt er dar, wie der zweite Teil disponiert
ist: die Gedankenordnung desselben erhelle schon im sechsten
Kapitel: Jesus, der geweissagte Christus, sei eben das Thema
des folgenden. Die Einzelgesichtspunkte sieht man im achten
Kapitel hervortreten, also noch in einem Abschnitt, gegen dessen
Echtheit nichts vorliegt. Untersucht sollen werden die Zeiten
erstens der Geburt Jesu Christi, zweitens des Leidens desselben,
drittens der Zerstörung Jerusalems. Diese Dreiteilung werde so
durchgeführt, dass, nachdem im achten Kapitel als grundlegende
Weissagung eine Danielstelle besprochen ist, welche die ge-
nannten Gesichtspunkte zusammenfassend behandelt, in den weiter
folgenden Abschnitten (9 — 13) die Gesichtspunkte einzeln zu
Worte kommen. Das neunte Capitel erörtert zunächst die nati-
vitas Christi, das zehnte sein Leiden und Sterben. Am Ende
des zehnten Capitels erfolge dann endlich der Übergang zu dem
letzten Punkte der Arbeit: Jerusalems endlicher Untergang und
1) Jahresbericht des Gymnasium Thomaeum zu Kempen. 1865. Der
..Excurs über die Echtheit der Sehr. adv. Jud. und die Zeit ihrer Ab-
fassung'4 S. 16 — 26. Die Erörterungen dieses — katholischen — Gelehrten
sind durchaus leidenschaftslos und sachlich, selbst dem „protestantischen
Bibelkritiker Semler" gegenüber.
Texte u. Untersuchungen XII, 8. 2
lg Noeldechen, Tertullian'e Gegen die Joden.
die Zerstreuung des Judenvolks. Den Schluss bildet „zum Über-
fluss" eine Geisselung des jüdischen Grundfehlers, dass Israel,
den Doppeladvent, von Propheten geweissagt, verkennend, den
ersten Advent in der Niedrigkeit irriger Weise beanstande.
Trotz mancher Digressionen sei im ganzen hier Klarheit vor-
handen, und schliesslich die Einheit des Ganzen bündiger selbst
erweisbar, als bei mancher Schrift des Karthagers, deren Einheit
niemand bemängelt. Auch das leistet der Kritiker, dass er sämt-
liche Neandersche Gründe, die nur irgendwie ins Gewicht fallen,
in der Hauptsache gut widerlegt hat.
Dies etwa der Stand der Debatte. Es erübrigt nur noch
hinzuzufügen, dass ich selber vor einigen Jahren mich zu dieser
Frage geäussert habe. *) Die Einheits- und Echtheitsfragen sind
freilich fast nur gestreift worden. Auch sind manche wichtige
Punkte mir erst später zur Klarheit gediehen. Dass zu thun
bleibt, ist sicher. Kaye sah vieles richtig, aber er übersah doch
zu sehr, dass die zweite Hälfte der „Juden" von der ersten wirk-
lich verschieden ist: den Wahrheitskern bei Neander. Zudem
balancierte bei Kaye, formell, das Für und das Wider. Dass die
Schale der Einheitsgründe wirklich zum Sinken gebracht werde,
wäre wohl schliesslich zu fordern, soll die Sache nicht in der
Schwebe, ein Non liquet das Resultat bleiben. Aller Einzeler-
weis zudem mangelt. Grotemeyer's Verdienst hatte doch auch
seine Schranken. Die Einheit meist trefflich vertretend, verwirrt
er die Zeitfrage völlig, so dass sein Gesamtbild der Dinge doch
zuletzt als unglaublich sich darstellt. Die „Juden" sollen vom
Autor aus Marcion excerpiert sein. Sie sollen in die „phrygische"
Zeit des karthagischen Schriftstellers fallen, während montani-
stische Spuren mit keiner Silbe erwähnt werden. Auch das
teilweise riecht bei Neander ist ihm, wie Kaye, entgangen.
Mit Corssen kann man in Kürze sich füglich nicht abfinden
wollen. Sein Verfahren zeugt von Scharfsinn, seine Darstellung
wirkt fast bestechend. Auch ist er der neueste Kämpe, mit dem
man sich gründlich wird schlagen müssen. Da wir aber auf
Corssen'sche Gründe vielfach zurückkommen müssen, so be-
schränken wir uns hier auf das Nötigste. Zunächst mangelt die
1) Im 2. Heft des 5. Bandes der Texte u. Untersuchungen zur Gesch.
der altchristl. Lit von 0. von Gebhardt u. A. Harnack.
1. Die Geschichte des Streites über Ad versus Judaeos. 19
Gründlichkeit, ein Mangel, der damit zusammenhängt, dass ihm
die Behandlung der Frage doch nur die Wege bereiten soll, eine
andere Frage zu lösen. Um die Sache aber beiläufig abzuthun,
ist sie, jetzt zumal, viel zu verwickelt. *) Mit Behandlung ein-
zelner Stellen wird man überhaupt nicht mehr auskommen. Auch
die letztere ist mehrfältig unbillig.2) Gelegentlich stösst man
auf Unkunde des tertullianischen Ausdrucks. 3) Das Gesamtbild,
das Corssen gewinnt, leidet entschieden an Künstlichkeit. „Ge-
danken- und Geistlosigkeit bezeichnen die Spuren des Frei-
beuters." Ist dies Portrait von ihm fertig, so sollte man wenig-
stens meinen, überall, wo, er nicht plündert und mit den erborgten
Federn eigene Blossen verdeckt, demselben geistlosen Antlitz
dauernd ins Auge zu schauen. Aber diese Erwartung ist trüge-
risch. Auch da, wo der Antimarcion ihm seine Scheuern nicht
öffnet, finden nach Corssen sich Abschnitte, die für dem Coni-
pilator zu gut sind: sie werden, meint Corssen, dem Presbyter
und nicht seinem Plünderer, zugehören.4) Gleicht schon nach
Xeander'scher Ansicht das Ganze einer Harlekinsjacke: acht
Kapitel untadelig, sechs teils echt, weil aus „Marcion", teils un-
echt, weil Zuthat des Freibeuters, so beschert uns Corssen ein
Viertes, nicht zum grossen Continuum der Anfangskapitel gehörig,
nicht aus Antimarcion ausgeklaubt, auch nicht freie Zuthat des
Plünderers, sondern echter Schriftsatz des Presbyters. Zu solchem
Ergebnis zu kommen werden einzelne Abschnitte ausgekerbt,
1) Er behandelt die Echtheitsfrage auf S. 2 — 10 der angeführten
Schrift, und bei der schönen Knappheit des Ausdrucks, über die er zu ver-
fügen weiss, kommen recht zahlreiche Gesichtspuncte zur Sprache. Trotz-
dem liess sich die Sache so einfach gar nicht erledigen.
2) S. z. B. S. 4 Anm. 1. „Was hat es den Juden gegenüber für einen
Sinn" etc. Wir werden sehen (s. hier S. 23. S. 29 Anm. 3) dass es sich von
cap. 9 an um einen „Entwurf* aus der Hand Tert.'s handelt. Diese Art
von loserem Ausdruck ist in einem Entwürfe verzeihlich. Eine „Über-
M-hriftenmanier" macht sich eben mehrfach bemerklich.
3) S. Corssen S. 8 Mitte über ducatus. Der Ausdruck ist eminent
tertullianisch. Deutsch: „den Kernpunkt eures Irrtums". Nach 17 s poeti-
sierendem Stil eigentlich: euren prinzlichen Irrtum. Vgl. de pud. 5 (I, 799) :
Est et mali dignitas .... Pompam quandam aspicio moechiae, hinc du-
im etc. Dies erläutert sachlich und sprachlich. Zum Wort ducatus s.
auch Oehl. I, 3G0, u.
4) S. namentlich S. 9 oben.
20 Noeldechen, Tertullian's Gegen die Juden.
ein echter Zusammenhang hergestellt nach dem Geschinacke des
Kritikers, statt des schlechten, der vorliegt. ]) Nun weiss man.
dass nicht nur bei Anfangern, nein selbst zuweilen bei Meistern,
durch Tilgung gewisser Passagen das Ganze an Klarheit ge-
winnen kann. Das Störende hurtig zu streichen und dasselbe
als unecht zu brandmarken ist aber oft gar nicht der Weg, den
authentischen Text zu ermitteln, die geschichtliche Wahrheit
klar zu legen. Kann ein Autor denn selber nicht fehlen? Steht
dieser über jedem Verdacht, je der vollen Praecision zu er-
mangeln? Will man so ohne Ende zerschneiden, den einen
Fetzen aichend als echt, den andern als unecht stempelnd, wo
bleibt die verlässliche Schranke gegen kritische Willkür und reine
Geschmacksurteile mit ihrer biegsamen Unart? Trotz allem ver-
wendeten Scharfsinn hat Corssen auch sonst Erstaunliches. Wenn
die „Juden" scripturae divinae statt des „creator" einsetzen, den
der Antimarcion vorzog, so soll dieser Ausdruck „farblos"2) sein.
Hat der strenge Censor vergessen, dass grade die „heiligen
Schriften" in den „Juden" der Kampf boden sind, auf dem beide
Streitenden fussen können, und dass dies ebenso sicher im Anti-
marcion anders steht? Dass also beide Termini ganz vortrefflich
gewählt sind? Andererseits soll ein „creator" aus Versehen stehen
geblieben sein. 3) „Siehe, wie sämtliche Völker aus dem Strudel
menschlichen Irrtums zu dem Herrn und Schöpf er gott auf-
tauchen!" Die unglücklichen „Juden"! Sie können es Corssen
nie recht machen. Und doch wird er schliesslich hier nach-
geben. Er versuche hier „scripturae divinae" und lasse die
Volker der Erde zu den „heiligen Schriften" emportauchen.
Corssen schreibt viel zu gut, als dass er solche Albernheit gut
hiesse. Er bedrängt den vortrefflichen Text mit der Scylla und mit
der Charybdis und kann ihn doch nicht zerscheitern. Wie un-
billig ist auch das andre, den „Juden" zu mehreren Malen die
schlechteste aller Lesarten ohne Erbarmen aufzudrängen und
an viel besser bezeugten und verständigen stille vorbeizu-
1) So vor allem S. 4 Anm. 1.
2) S. 4 oben.
3) S. 8 Mitte. Auch sieht dies gerade so aus, als ob der Ausdruck
creator schlechterdings nur im Antimarcion stehen dürfte. Man vgl. aber
z. B. adv. Hermog. 10 (II, 348, o.). Eine rhetorische Erweiterung s. hier
S. 31 Anm. 2.
1. Die Geschichte des Streites über Adversus Judaeos. 21
gehn '); wie inconsequent auch das dritte, dass die „ Juden" wieder
neben dem Zwilling den besseren Text überliefern sollen. 2)
Allerdings das vertauschte „Creator" bahnt Corssen haupt-
sächlich den Weg zu einem noch schlimmeren Vorwurf gegen
den faselnden Ausschreiber. Vergessend dass er „heilige Schriften"
statt des „Schöpfers" gesetzt hat, lasse er appellat und vocat,
den Praedikatssingular folgen.'') Ein starkes Stück, wie es scheint.
Aber, wie gewöhnlich ist's hier ein Tertullian wie er sein sollte,
nicht ein Tertullian, wTie er war, den sich Corssen vors Auge
gestellt hat. Der letztere wenigstens macht solche schnöden
„Fehler" nicht selten. So hat er das subjektlose „inquit". Er
schreibt ja auch inquit dominus, er schreibt auch inquit apo-
stolus, aber, man zähle nach, er hat inquit allein gar nicht
seltener, wo gar kein bestimmtes Subjekt in näherer Nach-
barschaft vorliegt.4) Ist das nun gar Cicero eigen, und heisst
speziell bei den Vätern dies inquit häufig: Gott sagt, so kann
man allerdings einwenden: inquit ist nicht appellat. Doch zu-
nächst steht auch ait ganz ähnlich 5) und zudem sogar jubet 6),
praecepit.7) Dass Gott oder dass der Apostel in jubet, prae-
1) S. Corssen S. 4 o. : „beiläufig gesagt, ist aus dem nominum hominurD
geworden!" Aber s. Oehl. II, 723 Anm. 43. Der Fuldensis las ja nomi-
num; Rigault und Oehl er drucken getrost nominum. Warum hier den Un-
sinn beibehalten, der nicht einmal gut bezeugt ist? Ähnlich steht es mit
dem Citate bei Corssen S. 7 o.: et hoc enim infantiae est. Vgl. damit den
Oehler'schen Text S. 722 o. Hier fehlt durchaus und mit Grund jenes
„sinnlose et" (Corssen S. 8 Mitte). — Auch bei Oehler II, 734 Anm. 6 gibt
der Fuldensis nunc statt des Corssen S. 9 oben so anstössigen tunc. In der
That heisst dies nichts andres, als sich die Windmühlen aufrichten^ gegen
welche man kämpfen kann. — Über ein andres et s. Corssen 25 u. und
Oehl. II, 727.
2) S. Corssen S. 8 Anm. 2. S. 6 Anm. 1.
3) S. Corssen S. 4.
4) de spect. 28 (I, GO, o.) saeculum, inquit, gaudebit, vos tristes eritis;
de idolol. 12 (I, 86, o.) sed Nolite, inquit, cogitare de victu.
5) de idolol. 20 (I, 102, u.) Sed ait: Nomen aliorum deorum ne com-
memoremini.
6) de idolol. 14 (I, 91, o.) Si hominibus, inquit, vellem placere, servus
Christi non essem. Sed idem alibi jubet, Omnibus placere curemus. Dass
der Apostel redet (Gal. I, 10), muss der Leser hier raten.
7) de idolol. 20 (I, 103, o.) Hoc praecepit, ne deos vocemus illos.
Dass Gott der praecipiens, muss der Leser hineindeuten! — Ein inter-
22 Noeldechen, Tertullian'g Gegen die Juden.
cepit Subjekt sind, dies zu ahnen bleibt Sache des Lesers. Ich
meine, wenn jubet, praecepit so völlig subjektlos zu stehen
kommen, so mögen appellat und vocat das gleiche Schicksal
wohl leiden dürfen, selbst wenn scripturae divinae, um so mehr
wenn scripturae divinae ganz dicht vorhergehen sollte. Da ähn-
liche Beispiele zahlreich ausserdem zu erbringen sind, so muss der
verblüffende Glanz dieses starken Beweisgrundes stumpf werden.
Das Verhältnis der Texte anlangend — der „Juden" und
Antimarcion's — hat Corssen ein Schema verwendet, das „Ori-
ginal und Copie" heisst. l) Ist „Marcion" Original, dann sind die
„Juden" Copie, und umgekehrt stände es umgekehrt. Aber es
fragt sich doch sehr, ob dieser Gegensatz zutrifft oder ob diese
Formel hier ausreicht. Zunächst ist es sicher ein Bild, das auf
diese Weise verwandt wird. Ganz eigentlich nimmt man den
Ausdruck bei den Künsten des Meisseis und Pinsels. Bei Copien
der Maler und Bildhauer ist der Nachahmer aber beflissen, mit
möglichst täuschender Ähnlichkeit seinem Original sich zu nähern.
Nur weil das „Räuspern" ja leichter als der „feine Blick"
zu copieren ist, und bei Wiedergabe des letzteren ein Un-
vermögen sich geltend macht , pflegt der Copist allerdings das
Original nicht zu erreichen. Wiche er bewusst davon ab, so
würde das Caricatur geben. Von all dem ist hier nicht zu reden.
Der „Copist" verändert mit Absicht; dies wird auch Corssen
nicht leugnen; dass er absichtlich Zerrbilder gebe, hat Corssen
nirgend behauptet. Auch anderwärts hinkt ja dies Gleichnis.
Ist das Original des Porträts, der Büste der Copie überlegen
und natürlich zeitlich das Frühere, so hat mancher Anwalt der
„Juden", der die Echtheit und Priorität der letzteren gleich-
massig aussagt, keinesweges behauptet, dass die „Juden" das voll-
kommenere Werk seien. Es steht bei den Werken der Feder
eben anders als bei Werken des Zeichners. Sollte zumal der-
selbe, der früher eine Arbeit nur hinwarf, sie durch irgend eine
Ursach bewogen zum zweiten Mal in die Hand nehmen, so wird
zehn gegen eins wohl zu wetten sein, dass, es sei denn, er wäre
altersschwach, das Neue das Ältere aussticht. Wenn hier von
essantes Beispiel s. de praescr. 16 (II, 17 ganz oben) wo der Anschein ent-
steht, als führe Tert. ein Herrnwort auf den Apostel zurück. „Interdixit"
vscil. dominus.
1) Corssen S. 7 oben.
1. Die Geschichte des Streites über Adversus Judaeos. 23
den ..Juden" ein Teil in den späteren Antimarcion einfliesst —
ein tributärer Nebenfluss gleichsam — so bleibt der Antimarcion
Hauptstrom; man wird ihn als reicher vermuten und vielleicht
von geklärteren Wassern; besteht man auf dem Corssen'schen
Schema, so wäre in der That die „Copie" hier die wirklich voll-
kommenere Leistung. "Will man andere Schemata durchproben,
so bieten sich ..verschiedene Auflagen", oder „Concept und Rein-
schrift", oder „Entwurf und Ausführung" oder „Vorlesung, Ab-
handlung". Von verschiedenen Auflagen weiss man beim Anti-
marcion selber; auch meldet der Schriftsteller Gründe, die zur
zweiten und dritten geführt haben.1) Hier besteht ja der
Unterschied, dass wir Tertullian nicht selber als Zeugen des Vor-
gangs verhören können. Auch kann von verbesserter Auflage
in der That hier kaum irgend die Rede sein, weil der vielfach
ähnliche Stoff eine veränderte Wendung erhält und ganz ver-
schiedenen Dienst thut. Mit Concept und Reinschrift steht's
ähnlich, nur dass das Concept überhaupt nur privaten Brauches
zu sein pflegt, und die Schrift gegen die Juden — im Unter-
schied von einer Auflage der Schrift wider den Pontiker —
schliesslich doch wohl als Ganzes, mit des Autors Gutheissung
ausgeht. Das Schema „Entwurf und Ausführung" dürfte ein
hier brauchbares heissen, doch weniger im Verhältnis der „Juden"
zum dritten Buch wider Marcion, als vielmehr des ersten zum
zweiten Teil. Denn das wird der Wahrheitsbestandteil der Ne-
ander'schen Hypothese sein, dass die zweite Hälfte der „Juden"
allerdings nur Entwurf geblieben ist, eine rasche Fixierung des
Inhalts der eben gepflogenen Debatten, während nur die frühere
Hälfte eine straffere Form erhalten hat. Im zweiten Teil reflek-
tiert sich — und das macht ihn grade so lehrreich, das Hin
und Her der Debatte, die „judengenössische" Gegenrede, das
Dreinsprechen der Zuhörer.
Auf das objektive „Judaei", das im Ton an den ersten Teil
anklingt und doch noch besonders zu werten ist, müssen wir
später noch eingehn. 2) Der vierte Gegensatz endlich wird
gleicherweise ergiebig sein, nämlich „Vorlesungen und Abhand-
lung". Dass Corssen die „lectiones" durch „Abhandlung" wieder-
1) adv. Marc. I, 1.
2) S. hier S. 32 unten.
24 Noeklechen, Tertullian1 die Juden.
gegeben hat, wird sicher ein sprachlicher Fehler sein. *) Die
Buchform im strengeren Sinn liegt im Antimarcion vor und
zwar lediglich hier. Auch heute pflegt man wohl Vorlesun-
gen zu „literarischen" Arbeiten umzugiessen, wie dies ohne
Zweifel im Altertum gar nicht selten geschehen ist. Nur ist
doch unser Fall ein besondrer. Der Umguss erfolgt nämlich
hier unter neuem literarischen Leitmotiv und erstreckt sich keines-
wegs blos auf leise formelle Veränderungen. Jenes Leitmotiv
ist die Einsicht, dass die „Juden" neu zu verwerten waren als
Vorratshaus oder Scheuer, aus der für das grössere Werk die
Kosten zum Teil zu bestreiten waren. Auch wirkt hier eine
Art von Caprice. „Antimarcion" ist nämlich beflissen, eine denk-
bar grosseste Nähe zu dem Buchstaben der „Juden" fast um
jeden Preis zu behaupten, offenbar um dem Pontiker darzu-
thun, in welchem Grade sein Denken dem verachteten jüdi-
schen nahe kommt. Dass hier blos Bequemlichkeit obwalte
oder Denkfaulheit an den Tag komme, ist in jeder Beziehung
unzutreffend. In den kleinen Abänderungen liegt zweifelsohne
System, und sie sind zum guten Teil geistreich. In diesem be-
sonderen Sinne hätten wir selbst hier ja drei Auflagen: Entwurf,
Lektionen und Abhandlung, nur dass es sich meist so gefügt hat,
dass nur der Stoff des Entwurfes in die literarische Abhandlung
einströmt, während die „Lektionen" nur selten in das eigent-
liche „Buch" sich ergossen haben. Den Erweis dieser Anschau-
ung freilich muss erst das folgende führen.
2. Die Bekanntschaft Tertullian's mit dem Judentum
im allgemeinen.
Die blosse Lektüre Justins, wie reichlich sie der Schrift-
steller ausnutzt, hätte schwerlich genügt, einen einigermassen
tauglichen Bekämpfer der Juden zu stellen. Die antijüdische
1) Corssen S. 4 oben. Ich habe in Forcellini und sonst mich nach
„lectio" umgethan, aber Corssen's Bedeutung „Abhandlung" nirgendwo ent-
decken können. Vgl. dagegen meinen Aufsatz im Philologus Supplement-
band VI, 2. Hälfte: Die Quellen TertuÜVs etc. S. 736 Anm. 44. Der Aus-
druck lectiones steht — varronisch — für recitationes. Über den Einüuss
Varro's auf Tertullian habe ich am angef. Ort S. 734 — 737 gehandelt. Ich
kann hier noch Oehl. I, 189 (origines) u. Oehl. II, 604 hinzufügen. — Vgl.
hier S. 81 Anm. 1.
2. Die Bekanntschaft Tertullian's mit dem Judentum im allgemeinen. 25
Kundgebung, so, wie dieselbe uns vorliegt, zeigt deutlich auch
etliche Kenntnisse, die aus jener einzigen Quelle eben gar nicht
zu schöpfen waren. Es ist darum hier von Wichtigkeit, die
Kunde von dem jüdischen Wesen, die die „echten" Schriften des
Autors im übrigen uns zu sehn geben, gleich hier kurz zu be-
sprechen.
Tertullian zeigt gute Bekanntschaft mit seinen jüdischen
Mitbürgern, mit ihren Lebensgewohnheiten, mit der Schriftaus-
lecruns derselben, mit den zahlreichen Licht- und Schattenseiten
des merkwürdigen Volkes. Von seiner geschichtlichen Würde ur-
teilt er im allgemeinen so hoch, wie man es von einem Christen,
auch jener Tage, erwartet. Den Gewalthabern Roms gegenüber
macht er daraus kein Hehl, wenig hold wie der Römer dem un-
verstandenen Volk ist. Er nennt sie die Hausfreunde Gottes
wegen jener besonderen Huld, die der Herr ihren Vorfahren zu-
wandte. ]) Allerdings mit der letztlichen Absicht, die christliche
Sekte zu schildern, belehrt er die römischen Herren über alte
Bibelgeschichten, auch über den ptolemaeischen König, unter dem
die hebräischen Schriften übersetzt und nutzbar gemacht wurden.2)
Er kennt die römische Duldsamkeit gegen das Volk in der Fremde,
weiss, Ylass sie ihre heiligen Schriften an Sabbaten öffentlich vor-
lesen, er erwähnt die übliche Kopfsteuer, schmachvoll wie immer
die letztere dem gebildeten Römer erscheinen mag, er wagt,
grosse Dinge zu hoffen für Heiden, die an Sabbaten zuhören:
wer den Lesungen beiwohnt, wird Gott finden, wer verstehn
will, der wird auch glauben. 3) Er kennt mehrere Sekten, welche
— im allgemeinen — bei Gott sind, und die Juden sind ihnen
beigezählt. Gegenüber den Marcioniten, und dies letztere ist
freilich nicht gleichgültig, nimmt er selbst keinen Anstand zu
sagen: der jüdische Gott ist der Christengott.4) Andrerseits
freilich betont er, und dies wieder vor den römischen Staats-
männern, den Unterschied zwischen Juden und Christen. Die
letzteren nämlich verschmähen, obwohl Verwandte des Juden-
1) domesticam dei gentem ex patrum gratia apolog. 18 (I, 18G).
2) apolog. 18 (I, 185).
3) apolog. 18 Schluss. S. hier S. 32 Anm. 2.
4) deo Israelis et nostro de anima 23 (II, 591, u.). Im Znsammenhang
ist von Apelles die Rede.
26 Noeldechen, Tertullian' die Ju'
glaubens *), im Schatten der berühmten Gemeinschaft2) ein ver-
stohlenes Dasein zu fristen; sie haben den Mut ihrer Meinung
und verkriechen sich nicht hinter Juden. Hier gelangt er zum
scheinbaren Gegenteil jener eben erwähnten Aussage: man diene
einer anderen Gottheit3), wie dies schon daraus erhelle, dass
der Christenglaube noch jung ist, dass Speisesatzungen und Fest-
tage die Juden von den Christen abtrennen, und zudem „das
Zeichen am Körper" nicht bei den Christen zu finden sei. Wie
tief die einst reich Bevorzugten von ihrer Höhe gefallen sind,
bekundet ihr jetziger Zustand. 4) Nicht ohne sichtbare Teilnahme
erwähnt oder schildert er mehrmals den grossen Trauertag Israels,
wie das Volk am Strande entlang zieht, bis zum Aufgang des
Abendsterns fastend und in der Symbolik der Trübsal eine Art
von Grösse entfaltend. 5) Die täglichen Waschungen Israels —
statt der einen heilsamen Taufe — die allezeit koschere Mahl-
zeit, die Feier des heiligen Ruhetags, die Formel des täglichen
Grusses, der Schleier der Frauen und Jungfrauen — letzterer mit
deutlichstem Beifall — alles das kommt zur Sprache. Er kennt
die jüdischen Grundsätze über Mannbarkeit der jüdischen Bräute6)
und ist im allgemeinen gewohnt, überall die Sitten von Israel
teils beifällig, teils ablehnend in seine Erörterung einzuflechten.
Er kennt den jüdischen „Schrank" mit seinen heiligen Schriften
und tadelt es, dass man den „Henoch" aus diesem Schranke ver-
bannt hat. Er kennt auch das Judaisieren von zeitgenössischen
Römern, zumal ihre Feier der Sabbate, auch Israels Strauss mit
Marcion über den „Diebstahl" der Vorfahren. Und er kennt
nicht zum letzten den Hass Israels gegen die Christen und notiert,
dass die Schauergerüchte jüdischen Quellen entstammen. Er hat
einen Fall mit erlebt, wo ein einzelner jüdischer Lotterbube, ein
heruntergekommener Bursche, bis zum Tierkämpfer herabge-
1) nos quoque ut Iudaicae religionis propinquos apolog. 16 (I, 176 .
2) sub umbraculo insignissiniae religionis apolog. 21 (1, 195).
3) Er leugnet das eidem deo mancipari der Christen. A. a. 0.
4) Dispersi, palabandi etc. I, 196.
5) de jejun. 16 (I, 877); ad natt. I, 13 (I, 334) orationes littorales.
6) Waschungen de orat. 14 (I, 566) de bapt, 15 (I, 634); sabbata et
coena pura ad natt. I, 13 (I, 334); Gruss adv. Marc. Y, 5 (II, 287, o.); Schleier
de orat. 22 (I, 576, o.) de cor. 4 (I, 424); Mannbarkeit de virg. vel. 11
(I, 899).
3. Die Einheit von Ad versus Judaeos. 27
sunken, die Person des Mannes von Golgatha mit dummem Spott-
bild verhöhnt hat. Bei solchen Lebenserfahrungen nimmt es
später beinahe Wunder, wenn endlich der gealterte Mann jene
cli ristlich tr mitarische Lehre, wie dieselbe ihm selber sich aus-
bautet, als den einzigen Unterschied hinstellt, der ihn von
Israel abtrenne. *)
Mit solchem Vorrat von Kenntnissen, offenbar auch aus Um-
gang geschöpften und teilweise frühe erworbenen, zudem mit
biblischem Wissen, um das er sich zeitig bemüht hat, mit schlag-
fertiger Rede, wie wir sie dem rhetorisch Geschulten, dem Advo-
katen gern zutrauen, musste wohl der Autor der Mann sein, der,
wenn die Gewohnheit der Zeit zu Streitunterredungen führte,
für solche Debatten mehr wie mancher andre geschaffen schien.
An diese Gedanken anzuknüpfen wird sich später der Ort
finden. Da wir nach Lage der Sache auf den Nachweis ver-
zichten dürfen, dass der erste Teil unserer „Juden" aus Tertul-
lian's Feder ist, und die Glaubwürdigkeit seiner Angabe, dass
ein Streitgespräch die Grundlage bildete, ohnehin sich erhärten
wird, so wenden wir uns nunmehr sofort zur Frage nach der
Einheit des Schriftchens und erörtern unter diesem Gesichtspunkt
gewisse Klammern und Bänder, welche, den Keilen zum Trotz,
die die neuere Kritik hier eingetrieben, die beiden Teile der
Schrift unzertrennlich zusammenhalten. Wir verstehn hier unter
den „Klammern" eine Reihe allgemeinerer Gründe, welche jene
Einheit verbürgen, unter „Bändern" besondere und einzelne,
welche die Wirkung der ersteren zu verstärken geeignet sind.
3. Die Einheit von Adversus Judaeos.
a. Klammern.
Wohl mit Bedacht stellt Corssen in den Vordergrund einen
Umstand, der, auf den ersten Blick, allerdings aufs höchste be-
fremdlich ist. Der Ausschreiber des „Marcion" soll so hoch-
gradig fahrlässig sein, auch selbst die äussere Form des zusam-
1) Schrank de eult. fem. I, 3 (I, 705); judaisierende Römer apolog. 16
(1, 180); „Diebstahl" der Juden in Aegypten adv. Marc. II, 20 (II, 109);
Christenhass adv. Marc. III, 23 (II, 154) : ab illis enim coepit infamia, cf. apo-
log. 7 (I, 137): hostes et aemulatione Judaei; Spottbild ad natt. I, 14 (I, 335),
apol. 16 (I, 181); trinitar. Lehre trennend adv. Prax. 31 (II, 697): Quid enim
erit inter nos et illos nisi differentia ista?
28 Noeklechen, Tertullian's Gegen die Juden.
mengeraublen Textes in so schnöder Art zu verhunzen, dass,
während er Anfangs doch dem Abhandlungstone sich anschliesst,
welchen sein Vorgänger angeschlagen, er sich rasch wieder ver-
gisst, die Form der Abhandlung aufgibt und „Marcion" wörtlich
abschreibend, ein spectes, quaere, negabis gedankenlos mit her-
übernimmt. ]) Der Karthager hat mit dem Pontiker „Brust an
Brust gerungen und liebte es seinen Gegner in direkter Rede
herauszufordern." Die „Juden", die doch objektiv und abhandelnd
begonnen haben, sollen ihren Standpunkt vergessend in die
andere Weise zurückgleiten. In der That eine seltsame Faselei!
Aber prüfen wir etwas genauer. Dass lectio schwerlich je „Ab-
handlung" in der römischen Sprache bedeutet, bleibe hier ganz
beiseite. Nicht aber, dass das Ganze des Thatbestands so wenig
gründlich gegeben wird. Der Sündenbock von Plagiator thut
nämlich wirklich noch mehr, er leistet eine Summe von Unver-
stand, die an das Unglaubliche grenzen wird, indem aus der Ein-
zahl der Anrede auch wieder im Umsehn die Mehrzahl, aus
spectes, negabis und quaere ein legitis, ambigitis2) wird, eine
Mehrzahl, die er zum wenigsten aus „Marcion" sicher nicht aus-
schreibt. Ja, auch das nicht genug. Wir lesen des weiteren
einmal: ne cursum demorer ipse3), „dass ich selber die Sache
nicht aufhalte", als sähe der Mann Gespenster, denn jenes ipse
verlangt doch, dass man ein Nicht — ich daneben denkt. Ein-
mal redet er befremdlich historisch: At nos e contrario admo-
nendos eos existimavimus 4), als tauche als ein anderer Popanz
ihm eine Vergangenheit auf, die doch scheinbar den Leser nichts
angeht. Das will an den Ton mit erinnern, den der „Echte" im
Eingange angeschlagen, wenn er habuit praerogativam 5) , ge-
1) Corssen S. 4. oben.
2) vgl. et ipsi legitis II, 725, m. ambigitis 727, o. quod essetis dicturi
729, u. duritia cordis vestri 730. facturos vos prophetavit 731, o. cladem
vestram 731, m. quem respuitis 731, u. discite nunc 739, o. nee poteritis
740, m. (Vgl. hier S. 33 Anm. 2.)
3) 728, o. Diesen sehr bemerkenswerten Punkt habe ich bereits in
„Texte u. Untersuchungen" a. a. 0. hervorgehoben.
4) 720, u. — Adv. Marcionem III, 12, die parallele Stelle hat dies
existimavimus sehr wohl vermieden. Vgl. die Semler 'sehe Synopse Oehler
III, 643, in. Der Antimarcion hat eine analoge Vergangenheit, dem Collo-
quium mit dem Juden entsprechend, nicht hinter sich.
5) Vgl. überhaupt die Praeterita des Eingangs (II, 701): proxime acci-
dit, traxerunt, placuit, habuit.
3. Die Einheit von Adversus Judaeos. 29
scliichtlicli berichtend, niederschrieb. So mag es uns wirklich
bedünken, dass alle jene Schineichel- und Koseworte, welche
den Freibeuter zieren mussten: „borniert, ungeschickt, geistlos,
plump, gedankenlos" 1) matt sind, und wir eigentlich „blödsinnig"
sagen müssten. Ein so unerhörtes Verfahren lässt sich kaum
glimpflicher kennzeichnen.
Grade hier aber mag man wohl stutzig werden. Freilich,
wer will die Möglichkeit ausmessen, bis zu welchem Grade von
Unsinn, von Verhöhnung vernünftiger Schreibweise irgend ein
beliebiger Buchräuber im Altertum sich versteigen konnte! Nur
das wird man billig verlangen, dass die Wahrscheinlichkeit eines
solchen auch psychologisch erwogen werde, dass man das Rätsel
als solches möglichst genau überdenke und geeignete Wege ver-
suche, dies Stilproblem wirklich zu lösen. Neander „nahm" den
Freibeuter „an".2) Wenn ein solcher Freibeuter nun zu den
schwer begreiflichen Dingen zählt, sollte es dann nicht geraten
sein, nach einer besseren Deutung der Textthatsachen sich um-
zuthun ?
Wir sagen ungefähr mit Neander, dass Tertullian, der ge-
willt war, den Rohstoff seiner Notizen über das gepflogene Zwie-
gespräch in die Form von Lektionen zu giessen, durch irgend
welche Gründe veranlasst, diese Absicht nur teilweise ausführte.
Die zweite Hälfte trägt wirklich — und damit biegen wir frei-
lich schon ab von den Bahnen Neander's, die Spuren eines Ent-
wurfs3), der aus unmittelbarer Erinnerung an das Zwiegespräch
niedergeschrieben wurde, während nur die ersten acht Haupt-
stücke in einer Überarbeitung vorliegen, die direkt zur Vorlesung
taugte. Der Entwurf charakterisiert sich als Mittelglied zwischen
Debatte und jener Vorlesungsform, in die nur die erste Hälfte
wirklich hinübergeführt ward. Er spiegelt dann auch getreuer,
1) So bei Corssen passim. Auch ein „anders interessierter Kopf" heisst
der Plagiator gelegentlich S. 19 oben. Dass er dies entschieden nicht ist,
sondern vielmehr auffallend gleichmässig interessiert, sollen die ..Klam-
mern u. Bänder" hier darthun.
2) Corssen S. 4. Anm. 1.
3) Es war ein Mangel meiner früheren Auffassung dieser Verhältnisse,
dass auch ich, wie Kaye u. Grotemeyer, den Wahrheitskern bei Neander
nicht hinlänglich beachtend, die „Juden" zu sehr als gleichartiges
Ganze nahm. S. meinen „Tertullian" S. 72 unten: „die gesamte (?) Arbeit
eine rohe Stoffsammlung". Dies gilt nur von cap. 9 — 14.
30 Noeldechen, Tertullian'e Gegen die Juden.
als die erste gefeiltere Hälfte den Redeprocess uns wieder, mit
seinem Hin und Her, mit seinem Für und Wider, zum Teil auch
mit seinem Wirrsal. Und diese Gesamtauffassung wird durch
wichtige Gründe zu stützen sein.
Wenn eine Schrift dem Verständnis entgegenkommt, indem
sie ihren Anlass uns meldet, wenn sie als Gelegenheitsschrift
sich ausdrücklich uns ankündigt, so ist es billig und recht, dass
wir sie scharf darauf ansehn, in wiefern grade dieser Charakter
sich in derselben verwirklicht. Hier ist es ein „Judengenosse",
der sich als Hauptcolloquent in einem Gespräche gestellt hat,
und als dessen hauptsächlichen Widerpart wir Tertullian zu
denken haben. l) Gesagt wird dies letztere nicht mit ausdrück-
lichen Worten, doch versteht es sich so sehr von selbst, dass
Zweifel daran nicht erbracht sind. 2) Der Verfasser der Schrift
bemerkt, er habe zum Zweck von Vorlesungen den Inhalt der
Debatten fixiert, zumal bei sich dehnender Zwiesprache auch aus
der Corona heraus manche laute Stimme mit dreintönte und die
Kernpunkte verdunkelte.3) Dabei macht er Eingangs bemerk-
lich, dass bei dem gepflogenen Streitgespräch ihn grade der Um-
stand gefesselt habe, dass nicht ein jüdisches Vollblut, sondern
eben ein Judengenosse mit ihm in den Kampf sich eingelassen.
Kein Gedanke liegt demgemäss näher als in der überlieferten
Schrift einer gewissen Eigenheit nachzuspüren, die dasjenige
wiederspiegelt, was dem Verfasser des Buchs den Fall sozusagen
zum „feinen" oder „interessanten" gemacht hat. Was konnte
denn nun wohl die Würze dieses besonderen Falls sein? Er
scheint zunächst sagen zu wollen, der Proselyt als solcher be-
weist — schon durch sein blosses Vorhandensein — dass wirk-
lich auch „Nationen" zum „Gesetze" des Höchsten sich wenden,
und dies genüge vorläufig, um Israels HofTahrt zu beugen,
welches nicht müde werde, den „Tropfen am Eimer" zu schmähen.
1) So, vollkommen zutreffend, Grotemeycr a. a. 0. S. 14 Mitte. Ich
muss gestehn, dass ich diese nach der Einleitung unserer Schrift und der
gesamten Sachlage ziemlich selbstverständliche Thatsache früher nicht
richtig gewürdigt habe. S. meinen „Tertullian" S. 72: Streitgespräch, „bei
dem Tert. zunächst als Zuhörer beteiligt war".
2) Doch s. die vorige Anmerkung. Andre haben sich, so viel ich
weiss, zu dieser Frage nicht ausdrücklich geäussert.
3) nubilo quodam veritas obumbrabatur. adv. Jud. 1.
3. Die Einheit von Adversus Judaeos. 31
Auch mag dem Justinusleser, als welchen wir den Autor ja
kennen, der Vollblutjude Justins als willkommener Gegensatz
vorschweben: er hat nun etwas Neues zu bieten gegenüber dem
älteren Vorbild: wobei man denn freilich sich fragen wird, wie
der flotte Entleiher von Älterem die zahlreich erborgten Gedanken
seinem neuen Fall adaptieren wird. Verrät nun die „Anbeque-
mung" vielleicht hier wirklich den Anfänger, so faselig zeigt er
sich nicht, dass von ihm der Gesichtspunkt des Eingangs spater
völlig vergessen würde.
Zunächst kehrt der Ausdruck wieder1), und dies ist sicher
nicht zufällig. Er macht dem „Proselyten" bemerklich, dass auch
nach christlicher Anschauung, die ja eben vom Redner vertreten
wird, der Schöpfergott2) allen Völkern seine grosse Gottesstadt
aufthue. Sogar die einfache Thatsache, dass solche Judenge-
nossen bei den Juden Unterschlupf finden, kann schon an sich
dafür bürgen, dass das Gesetz, durch Moses gegeben, von haus-
aus weitherzig war, und dass es von hau saus mit nichten für
ein einzelnes Volk bestimmt war. Jener Proselyt kann hier
lernen, dass der Anschluss an dies einzelne Volk nach Gottes
Plane nicht not ist. Es ist, als ob er ihm zuriefe: du drängst
dich zum fleischlichen Israel, während Israels Heiland zu dir
kommt. Die rechten Proselyten, bemerkt er, sind die, die zu-
gleich zu Gott und seinem Christ Jesus hinzutreten, der nicht
für ein einzelnes Volk, der für alle Völker gekommen ist.
Auch sonst fehlt es schwerlich an Spuren, dass die Aus-
führungen des Schriftchens — und die des Gesprächs, das vor-
ausging — auf den Proselyten berechnet sind. „Augustus, Tibe-
rius Caesar, Caligula, Nero und Otho", die Consuln Rubellius,
Fufius3) sind eher für gebildete Römer als für jüdisches Voll-
blut berechnet, zumal Leute vom Schlag des Josephus, welche
in Palästen der Römer römischen Schliff sich erworben und in
Bibliotheken der Römer römische Bildung gesucht haben, natur-
gemäss Ausnahmen bleiben mussten. Auch das passt zum Pro-
selyten, dass der Colloquent hier gelegentlich über „Hebräisches"
1) cap. 2 Anfang (II, 703, o.), cap. 4 (II, 708, m.) im Citat aus Jesaias.
2) Hier wird der Begriff des Schöpfers (vgl. hier S. 20. Anm. 3) rhe-
torisch umschrieben: deus, universitatis conditor, mundi totius gubernator,
hominis plasmator, universarum gentium sator II, 703, o.
3) II, 717. 719.
32 Noeldechen, Tertullian'fl Gegen die Juden.
katechisiert wird. Mag sein, die Juden von damals, die Juden-
Schaft von Karthago soll gut Hebräisch verstanden haben. Ein
„Rabbi Jizchak" J) soll wissen, was z. B. „Immanuel" sagen will,
obschon wohl die Septuaginta auch für Vollblutjuden meist Quelle
waren, an welcher d<jren Schriftdurst gestillt wurde: Tertullian
setzt ja selber voraus, dass auch römische Ohren verstehn können,
was in den Synagogen am Sabbat „öffentlich" vorgelesen wird. 2)
Dass nun aber gar Punier, Griechen oder, was der Judengenosse
doch wahrscheinlich wirklich gewesen ist, nämlich ein römischer
Mann, Hebräisch sollte verstanden haben, so dass es ihn hätte
befremden müssen, wenn ein taktloser Nazarener ihm Hebräisches
in Römisches umsetzte, möchte schwer glaublich zu machen sein.
Auch gewisse einzelne Daten der Synonymik der römischen
Sprache 3), welche in dem Schriftchen zur Sprache kommen,
werden wie den römischen Redner, so den römischen Collo-
quenten verraten. Selbst „virgilische" Anspielungen4) werden
das Gleiche vermuten lassen.
Dieser „Proselyt" erklärt auch, warum „objektiv" von den
Juden, auch im „Entwürfe", geredet wird. Die „Gläubigen aus
dem Judentum" sind Neander und Corssen ein Anstoss. Gewiss,
gesetzt den Fall, dass ein einzelner Nationaljude oder auch meh-
rere solche die Hauptcolloquenten gewesen wären, könnte man
es auffällig finden, dass statt „Leute von eurem Blut" vielmehr
„jüdische Leute" gesagt wird. Jene gegenständliche Weise, die
den ersten acht Hauptstücken eignet, die zu „Lektionen" geformt
sind, würde hier anstössig wirken, wo nach Art eines blossen
Entwurfs, einer Skizze der Streitunterredung das Du und das
Ihr dazwischenklingt. Da ein Proselyt colloquiert und Geburts-
juden nur mitreden, verschwindet auch der leiseste Anstoss, und
alles ist wie es sein soll.5) Die „jesusgläubigen Juden" sind um
1) Nach dein Talmud ein karthagischer Rabbi. S. Munter Pri-
mordia Eccles. Afric. S. 165. Ob er gleichzeitig ist, steht dahin. Über den
Juden Poinpejus Restitutus u. dessen Tochter Pompeja s. ebendas.
2) S. hier S. 25 Anm. 3.
3) S. hier S. 35 oben über populus, gens.
4) Vgl. hier S. 12 Anm. 4.
5) An dieser u. ähnlichen Erwägungen geht Corssen zum Schaden der
Sache S. 6 oben vorbei, wie es schon Neander gethan hatte. Der „Proselyt'',
wie das „Streitgespräch", welches der Schrift an die Juden (Corssen a. a. 0.)
voraufging, werden überhaupt zur Lösung des Problems nicht herangezogen.
3. Die Einheit von Adversus Judaeos. 33
so mehr hier dritte Personen, als es eben schlechterdings scheinen
will, als sei die Gemeinde Karthago's fast lediglich heidnischer
Abstammung l), und als müsse man jüdische Christen in nam-
hafter Ferne sich aufsuchen. So ist der Ausdruck denn ange-
messen: die jüdischen Christen sind Gegensatz eben jenes römi-
schen Mannes, der, zum Judentume sich hinwendend, zugleich
von Jesus sich abwendet, von seinem natürlichen Schutzherrn,
während sie, die Juden dem Blute nach, diesem Jesus sich zu-
wandten. Und von hier aus fällt deutliches Licht auf jene De-
batte „Immanuel", die wir oben in Kürze gestreift haben. Man
soll, sagt Tertullian mit Fug zu dem Judengenossen, bei dem
Wort nicht bloss auf den Klang hören, wie die buchstcäbelnden
Juden2) (objektiv wieder richtig „Judaei"), die die Namen Jesus,
Immanuel allerdings different finden müssen. Haben sie darin
recht, dass sein Name Jesus genannt ward, bei der Beschneidung
des Kindes, und keinesweges Immanuel, so gilt es doch bei der
Weissagung vor allem den Gedanken berücksichtigen. Und
so ist ohne weiteres klar, dass der Sinn des Wortes Immanuel
in Jesus wirksam geworden ist.3) Die Vollblutjuden der Kirche
1) Die Weise, wie das signaculum corporis (die Beschneidung) apolog. 21
(I, 195) besprochen wird, scheint fast darauf zu deuten, noch mehr das nos
gentes, nationes, s. hier S. 49 Anm. 1.
2) adv. Jud. 9 (II, 720. 721). Dies objektive Judaei zähle ich im 2. Teil
11 mal: dicunt Judaei 720, m.; admonendos eos existimavimus, inducuntur
Judaei 721, 0.; inquiunt (Judaei) 721, u.; convincentur Judaei 723, m.; in-
quiunt 724, m. ; filii Israel 734, 0.; secundum Judaeos 734, u.; coeperunt
habere (Jud.) 736, m ; Judaei non agnoverunt 737, m.; videant Judaei 737, u.;
cum pati praedicarentur Judaei 73S, u. — Man vgl. das neunmalige le-
gitis, ambigitis etc. hier S. 28 Anm. 2. — Um das Problem voll zu über-
sehen, stelle man daneben den 9 mal auftretenden Singular: non negabis
721, 0.; inspicias 721, m. ; disce 724, m.; inquis 724, m.; legisti 729, m.;
.quaeres 730, 0.; aspice 733, m.; poteris 733, u.; nega 741, u. Da das objek-
tive Judaei offenbar mit in die Wagschale der Abfertigungen des Prose-
lyten fällt, so würde sich hier, auch rein numerisch, der vorzügliche Anteil
des Hauptcolloquenten (des Judengenossen) spiegeln. Der Streit wäre frei-
lich müssig, ob sämtliche Besonderheiten des Entwurfs in dieser Beziehung,
der singular. u. plural. Anrede wie des objektiven Hinweises (Judaei), das
thatsächliche Gespräch mit „photograph. Treue" wiederspiegeln oder nicht.
3) Zu dem Ausdruck agitetur in Christo II, 721 ganz oben vgl. de res.
carn. 24 (II, 499, 0.), wo das iviQyüoüai 2 Thessal. 2, 7 durch agitari
wiedergegeben wird.
Texte u. Untersuchungen XII, 2. 3
34 Noeldechen, Tertullian' i die Juden.
d. i. die hebraeischen Christen, wenn sie ihn Immanuel nennen,
sagen: mit uns ist Gott, und verherrlichen mit diesem Namen
Jesus, den gekommenen Heiland, mochte auch sein Rufname
Jesus und durchaus nicht Immanuel lauten. Jene gegenständ-
liche Weise: die Juden, kehrt übrigens auch später noch wieder,
wo dies Schriftchen parenthetisch sie anruft: die Christen ent-
sagten den Götzen (die Juden mögen es sehen, mögen davon
Zeugnis ablegen).
Der „Judengenosse" erläutert also hier wirklich ein gut Teil.
Er erläutert, ganz ohne die Annahme, dass der Verfasser seltsam
gedankenlos in die sachliche Rede zurückglitte, das objektive
„Judaei" des zweiten Teiles vollkommen; denn, wie gegenüber
dem Schriftsteller, dem einen Haüptcolloquenten, sind auch für
den Judengenossen Geburisjuden dritte Personen. Andrerseits hat
die pluralische Anrede, da, wie der Eingang bezeugt, auch die
Corona mit dreinspricht, nicht das geringste Befremdliche. Das
et ipse stimmt nun vorzüglich, fast nach tachygraphischer Art
eine Wendung des Redenden abspiegelnd, das existimavimus
ebenso, insofern der Concipient, den Autorplural verwendend, auf
die Debatten zurückschaut, deren Verlauf er fixieren will. Was
als unentwirrbares Knäuel von Unsinn und Nachlässigkeiten
beim „Freibeuter" erscheinen musste, das wüste Du, Ihr, Sie des
Textes, verliert alles Befremdliche. Der Proselyt, der ja sicher
den Fall dem Autor pikant machte, der dreinredende „Kranz",
von dem er im Eingang gesprochen hatte, sie werden — psycho-
logisch — zu Klammern, die die beiden Teile zusammenhalten.
Wir sagen, den Speer umkehrend, schon hier mit vollem Be-
dacht: kein andrer als Tertullian war in gleich günstiger Lage,
den zweiten Teil so, wie er ist, mit Gebrechen und Vorzügen,
abzufassen. Ihm allein sind die Einzelbedingungen, unter denen
dies Schriftstück entstanden ist, wie er sie im Eingang der Arbeit
selber zur Darstellung brachte, naturgemäss dauernd geläufig und
instinktiv gegenwärtig. Ein Falsarius hätte in Wahrheit, jenen
Einzelbedingungen Rechnung tragend, den Proselyten wie die
Corona mit in sein Machwerk verflechtend *), eine Art von Kunst-
stück geleistet, wie es namentlich die leichte Manier, wie sie
wirklich hier herrscht, nicht vermuten lässt.
1) und dies alles sozusagen „sub rosa".
3. Die Einheit von Adversus Judaeos. 35
Von mindestens gleicher Bedeutimg ist die zweite der Klam-
mern, ich meine die eigentümliche Weise, in welcher nicht nur
— gut rhetorisch — der Schluss zum Anfang zurückbiegt, son-
dern auch Anfang und Schluss durch das ganze Schriftchen
hindurchklingen.
Für den Eingang ist charakteristisch, dass in einer Stelle
der Genesis, gemäss jenem Pressen und Drücken, das der Einzel-
ausdruck oft leidet, der Parallelismus membrorum mit logischen
Gewichten behängt und. die Worte populus, gens, statt als gleich-
bedeutend zu gelten1), in verschiedenem Sinne genommen wer-
den.2) Es handelt sich um Jakob und Esau: beide sollen Nach-
kommen haben laut dem prophetischen Wort, und die Scharen
ihrer Nachkommen sollen, zunächst ohne Vorrecht des Namens,
populus so wie gens — völlig promiscue, heissen. Diese Betonung
der Gleichheit beruht offenbar auf der Annahme, dass einer von
diesen Ausdrücken, wir vermuten von vorn herein populus, den
vornehmeren Klang 3) hat.
Bei der Wichtigkeit, die dieser Unterschied für die Auf-
fassung dieser Schrift hat, wird der tertullianische Sprachgebrauch
in diesem Betracht zu ermitteln sein. Die Wortstatistik des
Autors ergibt aber wesentlich folgendes. Populus bedeutet ihm
vorwiegend das israelitische Volk4), wobei vielleicht doch ein
Schimmer des hebraeischen Sprachgebrauchs mitwirkt. Zuweilen,
1) Zwischen populus gens besteht ja — s. das folgende — ein gewich-
tiger synonymischer Unterschied; auch im Sinne des Tertull. ist dieser ent-
schiedenvorhanden. Was wir meinen, ist, dass im Grundtext, den Tert.
ja nicht kannte, und auch in der LXX keinerlei Nötigung lag, den Aus-
druck begrifflich zu pressen. Das Hebr. (Genes. 25, 23) hat ö*»*a und b^ttsV,
die LXX ed-vrj u. z.aol, das für Israel bezeichnende üv kommt also hier gar
nicht vor. Hätte Tert. einen Schimmer von diesem hebr. Sprachgebrauch
— worüber nichts Gewisses sich sagen lässt — so hätte er diese Kunde in
die Genesisstelle hineingeschwärzt, Vgl. hier S. 3S Anm. 2.
2) adv. Jud. 1 (II, 702).
3) Es ist charakteristisch, dass er zunächst offenbar Gleichheit der
beiden Gemeinden aussagt — der jüdischen und der christlichen. Man
könnte darin „Irenik'' finden, wenn nicht einerseits Israels Hoffart höhere
Ansprüche machte und nicht andererseits ein superare majorem filium
von dem filius minor (den Christen) gleich darauf behauptet würde.
4) de idolol. 3 Schluss; adv. Marc. II. 15 Ende; adv. Marc. IV, 22
(II, 215, u.); ebendas. 24 (II, 224,0.); de res. 20 (II, 492, m.); ebendas. 27
(II, 502, m., Citat); ebendas. 31 Anfang.
3*
36 Noeldechen, Tertullian'e (legen die Juden.
in Prophetencitaten, geht das Wort auf das künftige Gottesvolk,
also im Sinn des Citierenden auf die grosse Christengemeinschaft. 1)
Populus Romanus wird nirgends bei dem Verfasser zu lesen sein.
Allerdings findet der Ausdruck doch auch weitere Verwendung.
Er bezeichnet das Volk von Karthago2), auch populus Aethio-
pum liest man. Auch findet das Wort seinen Gegensatz wenig-
stens einmal an miles und bedeutet ihm also „Civil", einmal
auch in den episcopi, so dass es die Laienschaft ausdrückt. Die
Worte ethnicus populus bezeichnen die karthagische Heiden-
schaft, wie sie im Schauhause versammelt ist, und endlich steht
populus scherzhaft, wo er von Fünflingen redet. Für uns von
besonderer Wichtigkeit sind die Stellen, wo gentes und populi,
geflissentlich an einander gerückt, an den Anfang der „Juden"
erinnern. In solchem Falle verhört er zuweilen nur ein einzelnes
Schriftwort, dessen Parallelismus er presst, gerade so wie in den
„Juden", zuweilen aber finden wir beides auch ausserhalb blosser
Citate.3) Geschraubt und lehrreich zugleich sind zwei verwandte
Behandlungen einer Stelle des zweiten Psalms, wo die nationes
Pilatus und seine Römer bedeuten, während die populi (Plural)
die tribus von Israel ausdrücken.4)
Nationes sind beim Verfasser zumeist die Mengen der Hei-
denvölker, so dass bald Juden5), bald Christen6) den ausdrück-
lichen Gegensatz bilden; auch ohne besonderen Contrast sind es
„polytheistische Völker".7) Da freilich die Nationen zu Christus
1) adv. Marc. IV, 39 (II, 263, o.).
2) apolog. 9 (I, 146, m.); de res. cam. 42 (II, 531, o.); populus Aethio-
pum adv. Marc. IV, 13 (II, 188, o.); Civil de fuga 14 Anfang; Laien de
jejun. 16 (I, 876, u.); karthag. Heidenschaffc de spect. 3 (I, 22, u.); Fünflinge
de anima 6 Ende.
3) apolog. 21 (I, 196, u.): ex omni jam gente et populo et loco cul-
tores sibi adlegeret deus. Vgl. adv. Marc. V, 17 (II, 325, u.); Judaicum
populum et gentilem, auch de jejun. 5 (I, 858, o.): primus populus (Israel).
4) adv. Marc. IV, 41 (II, 270, m.); de res. carn. 20 (II, 492, m.).
5) de praescr. 8 (II, 10, u.); adv. Marc. IV, 1 (II, 161, o.); ebendas.
2 Ende; ebendas. 25 (II, 227, o.); ebendas. 26 (II, 231, o.); adv. Marc. V, 9
(II, 301, m.); adv. Prax. 18 (II, 677, u.).
6) de idolol. 2 Ende; ebendas. 13 (I, 88, o.); de res. carn. 39 (II, 516, u.).
7) de idol. 10 Anfang dei nationum; ebendas. 14 Ende; ebendas. 21
Anfang dei nationum; ebenso 22 Anfang; de spect. 30 Anfang; ad ux. I, 7
Ende; de pud. 17 (I, 830, o.); adv. Hermog. 7 (II, 346, o.).
3. Die Einheit von Ad versus Judaeos. 37
teils kommen teils künftighin kommen werden, so bedeutet das
Wort auch nicht selten „die Beute des Herrn aus den Heiden",
die „heidenchristliche Menschheit".1) Die Kühnheit von nos
nationes im Sinn von „wir Heidenchristen" findet sich freilich
nur einmal und zwar in Adversus Judaeos (II, 724). „Omnes
nationes" wird einmal vom Verfasser selber erläutert, wo es, bei-
läufig, heissen soll: omnia hominum genera (II, 226, u.).
Gentes und nationes sind ihm meist vertauschbare Ausdrücke.
Es heisst somit ebenfalls „ Heiden". Recht deutlich wird diese
Vertauschbarkeit, wenn beide Worte zusammenstehn 2) ; zuweilen
tritt der Zusatz extraneae zu noch grösserer Klarheit daneben3);
die gentilis idololatria ist der heidnische Götzendienst.4) Ein Unter-
schied von nationes macht sich allenfalls dadurch bemerkbar,
dass gentes weit häufiger einfach blos „die Völker" bezeichnet,
abseits von aller Färbung des Glaubens.5) Quidam gentiles Scy-
tharum sind einzelne scythische „Volksstämme"6), gentiles pro-
prietates bedeutet „Volkseigentümlichkeiten".7) Die gentes der
Schutzschrift sind „Völker" ohne Rücksicht auf Glaubensschat-
tierung.8) Gens humana, gens hominum heisst ihm das Menschen-
geschlecht9); auch eine gensdaemonum10) kennt er. Dass übrigens
auch die gentes Candidaten des Christentums werden, überrascht
1) de pud. 12 (I, 815, u.); ebendas. 14 Ende; ebendas. 21 (I, 843, u.);
de praescr. 9 Anfang; adv. Marc. IV, 11 Anfang; adv. Marc. V, 17 (II, 323, u.);
de anima 50 (II, 636, o.).
2) adv. Marc. IV, 29 (II, 237, u.); ebendas. 39 (II, 264, u.). — Zu gentes
Heiden s. de cult. fem. II, 11, Anfang; de pud. 14 (I, 822, ni.); adv. Marc.
I, 7 (II, 54, u.) idola gentium; adv. Marc. IV, 6 (II, 167, u.); ebendas. 31
Ende; adv. Marc. V, 9 (II, 302, o.); de res. cam. 31 (II, 507, o.); ebendas.
44 (II, 523, u.); de anima 24 Ende.
3) adv. Marc. IV, 31 (II, 243, u.).
4) adv. Marc. TI, 14 Ende.
5) apolog. 25 (I, 224, m.) Romanorum tot de gentibus triumphi; eben-
das. 37 (I, 250, u.); ebendas. 19 (I, 191, o.) antiquissimae gentes; adv. Marc.
IV, 11, Ende; de anima 25 (II, 597, o.) barbarae Romanaeque gentes.
6) apolog. 9 (I, 147, u.).
7) de anima 20 (II, 588, m.).
8) apolog. 19 (1, 189, u.).
9) gens hominum apolog. 26 Anfang; humana gens ebendas. 40
(I, 269, m.).
10) apolog. 22 (I, 207, o.).
;jg Noeldechen, Tertullian'a Gegen die Juden.
nach dem obigen nicht; nur gentes nos hat er nur einmal und
zwar wieder in Adversus Judaeus (II, 7)>7, u.j.
Unsere Übersicht hat wohl ergeben, dass populus bei diesem
Autor, wie eben auch sonst im Lateinischen, den ,, vornehmeren"
Klang hat. Laut heutiger Synonymik 1) ist populus das einen
Staat bildende, ein politisches Ganze ausmachende, gleichsam
majestätische Volk, das gemeinschaftliche Regierung hat, durch
gleiche Gesetze verbunden ist. Gens fasst man als Völkercomplex
und natio als einzelnen Volksstamm. Da unser Schriftsteller
populus vorwiegend vom jüdischen Volk braucht, so ist man ver-
sucht, ihm ein Wissen vom hebräischen Sprachgebrauch beizu-
legen, wonach D2 das Vorrecht geniesst, das Gottes volk zu be-
zeichnen.2) Indessen die Sprachgelehrsamkeit des Autors ist
wesentlich römisch, und so wird das Gerathenste sein, um so mehr
als auch sein Colloquent als Geburtsrömer zu denken ist, behufs
der Erklärung der Stelle beim lateinischen Stil zu verharren.
Die Muttersprache wird beiden als nächstes Medium gelten.
Wie steht es nun in den „Juden", wenn wir, ihren Eingang
verlassend, unsern Weg durch das Schriftchen fortsetzen? Wird
jener Gedanke des Eingangs in irgend einem Grade und Masse
eine Führerrolle behaupten? Eine Ausserlichkeit ist schon be-
zeichnend. Es gibt sehr wenige Seiten in sämtlichen Teilen
des Schriftchens, auf denen nicht die beiden Worte populus, gens
1) Vgl. Menge Lat. Synonym.2 S. 93, No. 126. Schultz Lat. Synon.?
S. 200, No. 276.
2) S. hier S. 35 Anna. 1. Die LXX übersetzen allerdings öS gewöhn-
lieh durch Xaoq (Exod. 15, 13; Deuteron. 4, 20; 7, 6; 32, 36) und laoi steht
ja auch Genes. 25, 23, aber freilich gerade an zweiter, nicht wie populus
bei Tert. an erster Stelle. So ist auch nicht einmal wahrscheinlich, dass
ihm von der durchschnittlichen Fühlung der LXX mit dem Urtext etwas
bewusst ist. Nur im allgem. weiss er, dass Israel das alte ,.Gottesvolk" ist.
Daher das ihm solenne populus Israel. Den Ausdruck für jene Idee
(Gottesvolk) gibt ihm sein ererbtes Latein her. Die ihm versunkene ma-
jestas populi Romani erlebt eine Art Auferstehung in den umgeformten Be-
griffen: populus Israel and populus nominis Christi. Seine lateinische Syn-
onymik anlangend steht er vielleicht unter dem Einfluss des Afrikaners
FLorus (s. Teuffel-Schwabe Gesch. der röm. Literat.4 S. 793. 816, § 341, 7
und 348, 4). Wie sonst, z. B. im Gebrauch des „post", so ist im Gebrauch
von populus und gens eine bemerkenswerte Verwandtschaft vorhanden.
Victor gentium populus (rom.) ist eine der solennen Wendungen des Florus.
3. Die Einheit von Ad versus Judaeos. 39
wiederkehrten. Dass die Universalität der Erlösung in dem Buche
zur Sprache kommt, ist nicht wohl zu bezweifeln. Trotzdem lesen
wir niemals den Ausdruck genus humanuni — der dem Anti-
marcion zugehört1), nie andrerseits gens hominum, was doch
sonst, dem poetischen Stile des Autors gemäss, ihm in Brauch
ist2); auch niemals omnes homines, während alle diese Ausdrücke
taugen würden, die Allgemeinheit des Heilswerks zu zeichnen.
Auch die Worte gentiles :v) und ethnici, die der Verfasser doch
sonst zu verwenden pflegt, wo er einzelne Heiden bezeichnen will,
bleiben vom Judenbuch ausgeschlossen, was sich freilich schon
daraus begreift, dass die Schrift den Heiden als solchen einfach
den Kücken zuwendet, die Nationen nur als Christentums-An-
wärter oder -Zöglinge ansieht, wie andrerseits freilich auch daraus,
dass alles persönliche Glaubensleben in diesem Buche zurücktritt.
Das Christentum eine Volkerfrasje , so könnte man nicht ohne
Grund den Grundton des Schriftchens kennzeichnen. Insofern
das „populus noster" oder „populus nominis Christi" gegenüber
hebraeischem Hochmut zunächst eine Gleichheit der Würde, die
Majestät des Volksbegriffs ausspricht, des Volks mit einer Re-
1) adv, Marc. III, 23 cf. Oehler III, 656, unten.
2) S. hier S. 37. Anm. 9.
3) gentiles u. gentilis bezeichnet in ad ux. und de cultu fem. den ter-
tullianischen Damenstil. S. Oehl. I, 677, u.; 678, o.; 684, u ; 685; 686, m.;
6S7, o.; 688; 689; 690; 692; 693; 694; 695; I, 715; 719; 729; 730, 0.; 731.
Nie schreibt er hier ethnici, weil dies für Frauen zu gelehrt ist. Sonst ist
ethnici überaus häufig. Es bezeichnet die Heiden als einzelne. Singular:
I, 832, m.; I, 811, o.; I, 812, m.; I, 104, u.; ethnice I, 810, m. Gegensatz
häufig: haeretici II, 452, o.; II, 471, u. ; II, 472; II, 473, o.; ethnici u. pu-
blicani II, 180, u.; ethnici u. psychici II, 787, o. Den privaten Char. des
Ausdrucks markieren die Stellen I, 755; I, 780, o.; I, 781, o. ; I, 803, u.;
I, 812, m. ; 813, u.; 816, o.; 817, m.; 820, o. (in de monog., exhort. cast.
und pud.). — So auch in de virg. vel. : I, 900; I, 902; I, 906, m. Hier steht
nie nationes. — Vgl. auch opiniones ethnicorum I, 17 (Ansichten einzelner
Heiden), ethnicorum detractatus I, 21, ethnicorum coetus I, 59. — Die
ethnici (nicht nationes) schmücken die Thüren bei den Kaiserfesten Kar-
thago's I, 92. Vgl. auch I, 51, II, 117, I, 906, u., I, 909, o. (feminae
ethnicae). Christen werden an Merkzeichen von einzelnen Heiden erkannt
I, 107. Paulus, der allen alles ward, konnte doch idololatres, ethnicus,
saecularis nie werden I, 91. — Allgemein, ähnlich wie gentes, steht es
freilich ja auch: I, 90, o.; I, 91, u. ; I, 22; I, 52; I, 60; II, 24; II, 39; II, 55;
II, 032; II, 637. — Vgl. endlich ethnicales literae I, 25, ethnica superstitio.
40 Noeldechen, Tertullian'fl Gegen die Juden.
gierung, des Volks mit einer Gesetzgebung, so wird es nicht
zufällig heissen dürfen, dass die nova lex evangelii und dass auch
der rex Christus mit besonderer Emphase hier auftreten. Dass
aber dieser Grundton des Ganzen, durch „gens" und „populus"
angedeutet im Eingang des ersten Kapitels, durchaus bis zum
Ende hin fortklingt, zeigen die „nationes" und „populi" in den
Schlusssätzen der Arbeit.1) Die Kunstform des Khetors wird
klar, die zum Eingange zurückbiegt. — Der Falsarius also würde
hier ein drittes Kunststück geleistet haben. Er accommodiert
sich dem „Echten", indem er bei Justinus auf Borg geht, er be-
quemt sich dem Presbyter an, indem er die Winke der Einlei-
tung über Du, Ihr, Sie sich zu Nutze macht, und weiss mit
„populus, gens" (rex Christus, lex evangelii) die authentische Tonart
des wirklichen karthagischen Meisters zu treffen, ja auch in dem
Schlusssatz des Ganzen auf den echten Eingang zurückzukommen.
Eine weitere Klammer erkennen wir in dem „Christus qui
venit". Corssen2) sieht vollkommen richtig, dass der Ausdruck
Christus qui venit hier für die gesamte Debatte von entschei-
dender Wichtigkeit heissen muss. Der Gedanke, wie der Aus-
druck beherrscht in der That sämtliche Abschnitte. Im ersten
Teile bereits, den man gern als den echten bezeichnet, und der,
vorwiegend nicht christologisch, die Beschneidung und den
Sabbat abhandelt, macht dennoch dies beherrschende Thema
nebenher sich bemerklich. Dasselbe Thema behandelt, vollkommen
treu seinem „Vorgänger", auch der ihm folgende „Freibeuter".
Den Schluss macht vollständig sachgemäss der doppelte adventus
des Herrn. Nämlich auch mit einem „venturus" haben die Juden
nicht unrecht, nur dass sie das unrichtig auslegen und seine An-
1) adv. Jud. 14 (II, 741). Gemeint ist der vorletzte Satz des Ganzen.
Über den letzten Satz s. hier S. 90. — Den populus noster s. II, 709,
den populus nominis Christi II, 714, die nova lex u. a. II, 706; 707, o.;
711, u.; 712, o.; 724, o. Zum rex Christus vgl. 714 regnare (zweimal)
und- regnum; 715, o.: Christus omnibus rex; procede et regna (Citat)
II, 723, u.; deus regnavit a ligno (Citat) II, 728, m.; David intra unicam
Iudaeam regnavit II, 733, u.; cornu, de quo reges ungebantur II, 734, u.;
et data est ei potestas regia (Citat) II, 739, m.; David qui regnavit, Salomo,
qui regnavit II, 741, u. — Ich zweifle nicht, dass dies alles (populus, lex,
rex) zu den leitenden Ideen (cf. certae lineae cap. 2, Anfang) des ganzen
Buches gehört. Vgl. auch Christus judex, Christus dux II, 715, o.
2) S. 5 Mitte.
3. Die Einheit von Adversus Judaeos. 41
kunft in Niedrigkeit nicht als Advent wollen gelten lassen. Man
kann ja in gewissem Grade eine Art von Nötigung zugeben, in
jeder Debatte mit Juden diesen Punkt zu erörtern. XS'n d. i.
6 tQyoutvoq ist ja ein Praedikat des „Gesalbten", auch darf man
vielleicht den Celsus hier als Erreger mit ansehn. *) Trotzdem
liegt die Thatsache vor, dass hier mit unvergleichlichem Nach-
druck und gleichsam besonderer Schneidigkeit dieser eine grosse
Gesichtspunkt immerfort in den Vordergrund rückt und eben
der Ausdruck als solcher die Führerrolle behauptet.2) Man
vergleiche zumal auch Justin, der doch sonst als Muster hier
vorschwebt, und man wird den Unterschied gross finden. Nun
dreht freilich grade hier die Kritik dem „Plünderer" Stricke,
weil er einmal den Christus qui venit dem Judenmund vindiciert
hat. s) Aber dieser Strick ist doch brüchig. Zunächst reden
die Juden ja auch teilweise genauer, und die eigentliche Meinung
derselben kann keines weges verdunkelt heissen. Stellt man sich
selbst auf den Standpunkt, dass wirklich der Referent des Ge-
spräches die bündige Verpflichtung gehabt habe, mit photo-
graphischer Treue oder tachygraphischer Sicherheit den Wort-
laut wiederzugeben, kennt man dann die colloquierenden Juden
Karthago's so bis in die Nieren, um sie aller Ironie so bar zu
denken, dass ihnen Christus qui venit so unglaublich im Munde
steht? Umgekehrt, sind sie so ernsthaft, dass ihnen jede Hohn-
rede fern liegt, muss der Referent des Gespräches so kleinlich
peinlich bemüht sein, die „ipsissima verba" aufzuzeichnen, wo ein
Missverstand gar nicht möglich ist und zudem die Kürze des
Ausdrucks diese Wendung empfehlen konnte? Somit bleibt
denn die „Klammer" in Kraft, und das stetige Christus qui venit,
durch alle Teile hindurchklingend, -gehört zu den sicheren Bürg-
schaften, dass ein Verfasser des Ganzen bis zum Ende hier redet.
— Dass der angebliche Freibeuter ein viertes Kunststück hier
1) Vgl. hier S. 1.
2) 712, m. qui venturus annuntiabatur; 713 qui jam venit; 714, o.
qui jam venit. Dies im „Echten". Dasselbe Thema behandelt aber auch
der „Freibeuter": 720, m.: iste qui venit; 720, m. Christi qui jam venit;
724, m. Christi qui venturus creditur; 726, o. an venerit; 726, o. qui venit;
733 nisi ille venisset; 734 qui jam venit; 734, m. adhuc non venit; 740
passibilis venit; 741 negant venisse Christum; 741, o. in sublimitate venerit.
3) Corssen S. 5.
42 Noeldechen, Tertullian'a Gegen die Juden.
leisten würde, indem er einem wichtigen Leitgedanken des echten
Verfassers sich anschlösse, mag hier in Kürze erwähnt sein.
Noch eine letzte Klammer scheint der Beachtung nicht un-
wert. Gleich nachdem der Verfasser im Eingang die Popnlus-
Frage erledigt, spricht er den Vorsatz aus, die gesamte Juden-
debatte mit „festen Linien" einzuschränken. Wir gewahren dann,
dass er ab ovo, mit Adam nnd Eva beginnt, das Paradiesesver-
bot in seiner Weise erörtert, zu Noah, Abraham, Moses in be-
stimmter Zeitfolge absteigt, dann zu Propheten sich wendet, die
ihn zur nativitas Christi und zur passio hinführen, dass er sein
„Mittelalter" bis zu Vespasianus datiert hat, worauf mit Jeru-
salem^ Untergang ihm seine Neuzeit heraufzieht. J) Dass in
seinem eiligen Kurs durch die Weltgeschichte nichts mangele,
kommt endlich der zweite Advent, das letzte Gericht mit zur
Sprache. In alledem ist wieder System und bezeugt sich ein
einiger Schriftsteller. Soll der Freibeuter auch hier seinem
Muster den Kurs abgelauscht, dem Steuerruder des „Echten"
willige Folge geleistet haben?
b. Bänder.
Klammern — etwa von Eisen — sind stärker als Bänder
von Seide. Bei der Kräftigkeit der kritischen Keile aber, mit
denen wir hier es zu thun haben, werden wir dennoch die Hülfe
auch von Bändern zu schätzen wissen, die, wenn zahlreich ge-
nug, die Wirkung erheblich verstärken. Wir können ziemlich
zahlreiche aufweisen.
Es ist ein Gedanke des Eingangs, dass jener populus minor,
1) Auch für Tertullian zerfällt die Geschichte der Welt in Altertum,
Mittelalter, Neuzeit, die freilich sehr eigentümlich begrenzt sind. Für sein
Altertum hat er den Ausdruck primi dies gebildet adv. Marc. III, 21 Ende
(II, 152, o.). Er sagt da, die Proselyten seien a primis diebus zugelassen
worden zum Heil. Das wäre also wohl: seit den ältesten Zeiten Israels.
(Der religiöse Gesichtspunkt natürlich beherrscht seine Einteilung der Ge-
schichte.) Das Mittelalter beginnt ihm mit dem Kaiser Tiberius und reicht
bis Vespasian: Adv. Jud. 13 (II, 738, m.) und Adv. Marc. III, 23 (II,
154, u.). Offenbar ist es die Zeit der göttlichen Geduld mit Israel. Die
novissimi dies — beim Verf. ausnehmend häufig — reichen von Vespasian
bis zur Gegenwart (noviss. dies z. B. II, 151, m.; II, 706, u. etc.). Sie
dehnen sich ihm bis zum Weltgericht, bezw. bis zu dem von ihm be-
kannten millennium.
3. Die Einheit von Aclversus Judaeos. 43
der jüngere Bruder, die Christenheit, sich unter Verwerfung der
Götzen zum wahren Gotte bekehrt habe.1) Der Proselyt und
die Juden sollen sich die Thatsache merken: auch die Christen
sind sicher nicht Götzendiener. Wie wichtig ihm diese Be-
merkung, zeigt uns ebenderselbe Verfasser — es ist noch der
/weifellos echte — indem er später noch einmal denselben Gegen-
stand anregt Aber freilich auch der Falsarius, als hätte er die
trefflichste Fühlung, nicht nur mit Antimarcion, den er ja ge-
flissentlich plündern soll, sondern zugleich mit dem „Echten"
in der Schrift an die Juden, betont dieselbige Thatsache ganz
am Ende des Schriftchens und zwar mit besonderem Appell an
die Mitwissenschaft auch der Juden. Der Falsarius, wie man
anch immer die literarische Täuschung entschuldige, bleibt wohl
im allgemeinen ein mendax, und das schwierige memorem esse
hatte dieser mendax geleistet.
Auch jenes „teinpus medium", das Mittelalter des Schrift-
stellers, dessen schon oben erwähnt ward (und welches im Anti-
marcion wie in den „Juden" zu lesen ist), erweist sich als Band
oder Kitt, der Echtes und Unechtes bindet. Im achten Kapitel
war ausgeführt — also in einem authentischen — dass im 15. Jahr
des Tiberius das Leiden des Christ sich zugetragen, dass dann
Caligula, Nero, Galba, Otho gefolgt seien und die Vespasianische
Herrschaft die Juden niedergeworfen habe. Dieser Abschnitt
der römischen Kaiserzeit wird im Anschluss an die Danielwochen
förmlich und ausdrücklich ausgekerbt, ohne dass hier schon dem-
selben ein technischer Ausdruck geliehen würde. Doch ist er des
Schriftstellers Mittelalter, ein Ausdruck, der im „unechten" Teil
folgt. Der sogenannte Falsarius, und der Antimarcion ebenmässig,
werden hier erst verständlich, wenn die „echten" „Juden" sie
auslegen. Die Anbequemung des Fälschers wäre hier um so
kunstreicher, als kein schon geprägter Ausdruck ihm den An-
schluss erleichterte, er also dem Geist des Echten sich wunder-
voll gut adaptiert hätte. 2)
1) noster populus minor, relictis idolis ad eundem deum conversus
est etc. cap. 1 Ende (II, 702, u.); vgl. cap. 3 (II, 707, m.): nos qui re-
lictis idolis ad deum conversi suraus; cap. 13. (II, 737, u.) gentes nos
projecimus idola (videant Judaei).
2) s. II, 719. 738.
44 Noeldechen, Tertullian'a Gegen die Juden.
Doch fehlt auch nicht wörtlicher Hinweis auf das Echte im
Unechten. Die danielischen Jahrwochen, im achten Kapitel er-
örtert, kehren mit ausdrücklichem Rückblick auf den früheren
Abschnitt wieder J) , wie auch sonst die Danielweissagung noch
weiter im Unechten auftritt.2) Auch ist dieses letzte nicht Un-
ordnung, da das Danielwort in dem Unechten einen neuen Ge-
danken erhärten soll. Bedenkt man die Kürze des Ganzen, so
kann man wirklich erstaunen über die stattliche Zahl dieser
Bänder. Da schaut das Späte zurück auf die frühere „Propheten-
Versiegelung" 3), da auf den „Tod aller Salbung''4), da sind die
„divinae scripturae" ein unverwerflicher Leitfaden5), der uns
durch Dick und Dünn, durch Echtes und Unechtes führen kann,
da wird selbst „eremus" ein Leim6), dessen Bindekraft kaum zu
verkennen ist. Selbst Corssen7) liefert ein Beispiel, wo ein
supra memoravimus deutlich auf das Echte im Unechten rück-
wärts weist. — Der Falsarius bewährt seine Meisterschaft, in-
dem er Justin, Antimarcion und namentlich auch das Echte der
„Juden" untrüglich im Sinn zu behalten weiss.
1) Vgl. II, 715 mit II, 733, o. Itaque ostendentes et numerum anno-
runi et tempus LX1I et dimidiae hebdomadarum adhnpletarum proba-
vimus tunc venisse Christum. Dieses Perfektum, das den Rückweis auf
II, 715 enthält, hat völlig verschiedene Bedeutung von jenem existima-
vimus cap. 9 (II, 720, u.), das nur auf Debatten, nicht auf irgend etwas
in dem früheren Texte zurückweisen kann.
2) II, 715, o. (cap. 8, Anfang) : Dicit enim Daniel (9, 26) et civitatem
sanctam et sanctum exterminari cum duce venture Cf. cap. 12 (II, 734):
Si autem jam nee unetio est illic, ut Daniel (9, 26) prophetavit (dicit enim
Exterminabitur unetio) etc.
3) cap. 8 (II, 715, u.) ut signetur visio et prophetes; II, 718: signata
est visio et prophetes . . . signari visionem et prophetiam . . . signata est
visio et prophetia . . . signante visionem et prophetias omnes . . signare
visus et prophetiam. cap. 11 (II, 732, u.) signari visionem et prophetiam.
4) cap. 8 (II, 719, m.) unetio illic exterminata est post passionem Christi;
cap. 12 (II, 734, u.) exterminabitur unetio.
5) divinae scripturae 702, m. 722. 723, o. 733, o.
6) eremus II, 707, u.; 725; 727, m.; 735, u. In gewissem Masse ist
der viermal wiederkehrende Ausdruck für adv. Jud. charakteristisch. Der
Verf. setzt sonst solitudo (II, 211, u.), desertum (I, 858), vasta loca (I, 175, u.
in einer Art von Citat aus Tacitus, der in den Historien denselben Aus-
druck bietet); doch s. eremus auch I, 8, m.; I, 73, o. ; II, 280.
7) Corssen S. 25.
3. Die Einheit von Adversus Judaeos. 45
Wohl könnte, was wir jetzt hier erörtern, an das schlimme
„zweischneidige Schwert" mahnen. Die Formel: „Wir sagten das
früher schon" scheint hochgesteigerten Ansprüchen des guten
Stiles kaum angemessen, und Gedankenlosigkeit, Unordnung er-
scheint der Kritik ja als Makel des zweiten Teiles der „Juden".
I m eben genannten Falle wird nun freilich solch Einwurf kaum
ernstlich erhoben werden. Auch die besten Autoren, bedrängt
von mancher Verpflichtung verschiedene Gesichtspunkte durch-
zuführen auch bei gleichen Objekten, zahlen ja diesen Tribut
der Rückverweisung nicht selten. Doch gibt es, das ist voll-
kommen wahr, in diesem „Entwürfe" auch Störendes. Es kommen
Wiederholungen vor auch ohne ausdrücklichen Rückweis, auch
da, wo kaum zu ergründen ist, ob das Alte unter neuem Ge-
sichtspunkt und in neuer Beleuchtung erscheinen soll. l) Der-
gleichen gar noch zu preisen wäre natürlich ein Widersinn, und
solche Wiederholungen mögen als Zerrbild der „Bänder" be-
zeichnet werden. Aber einmal ist nicht zu vergessen, dass jene
Wiederholungen meist sich auf Schriftcitate erstrecken, und die
Wiederholung von Eigenem auf zwei Falle beschränkt ist.2) Dies
sind Kruditäten des Stils, die auch in dem blossen Entwürfe
noch Missfallen erregen werden. Nur freilich wie fehlerhaft ist
es, hier in diesem Falle zu thun, als ob der karthagische Pres-
byter im übrigen die leibhaftige Klarheit eines durchsichtigsten
Stils wäre. Man erwäge nur Wiederholungen, wie im zweiten
Buche vom Frauenputz, man denke nur an das Verhältnis der
„Nationen" zur Schutzschrift. Und der zweite Teil unserer Juden
kann nur als Entwurf in Betracht kommen. Überhaupt aber
gilt es beherzigen: abstrakte Massstäbe sind falsche. Tertullian
macht eben Fehler. So würde ich auch nicht dafür einstehn,
dass im echten zweiten Kapitel nicht der Stammbaum Lot's grob
1) Leichter Art ist das zweimalige Emmanuel Nobiscum deus cap. 9
(IT. 720, u.). Etwas störender das zweimalige Citat von Ps. 22, 17 exter-
minaverunt manus meas et pedes cap. 10 (II, 727, m.); cap. 13 (II, 735, m.);
ebenso von Jes. 1, 7 derelinquetur filia Sion, sicut casa in vinea et sicut
custodiarium in cucumerario cap. 3 (II, 70G, 0.); cap. 14 (II, 738, m.), wo-
bei in der letzteren Stelle der Ausdruck ein wenig verändert wird; ebenso
von Psalm 45, 3 cap. 9 (II, 723, u.); cap. 14 (II, 739, u.).
2) Vgl. II, 718 und 733, 0.: post enim adventum Christi etc.; 733.
711. 0.: sufficit hucusque etc.
46 Noeldechen, Tertullian'« Gegen die Juden.
verkehrt ist1), wie Josephs Geschichte bekanntlich ein Nest von
Irrtümern bietet und die Namen „Aristodemus, Hermateles"
seine Genauigkeit lebhaft verdächtigen. Wir nehmen den Marin,
wie er ist, mit sehr erheblichen Vorzügen und mit sehr erheb-
lichen Schwächen. Oder wäre Justin's Dialog etwa darum für
unecht zu achten, weil er hässliche Wiederholungen aufweist?2;
Wir schliessen hier mit der Bemerkung, dass die „Hülf-
losigkeit" des Falsarius, wie sie von Corssen behauptet wird,
wohl hinreichend beleuchtet ist. 3)
4. Das Verhältnis zum Antimarcion.
Ist die Einheit der „Juden" gewährleistet, so kann kein
Zweifel bestehen, dass der Ändernde Tertullian ist und dass der
Antimarcion wirklich nach dem Muster der „Juden" geschrieben
ward. „Muster" mag freilich wie Scherz klingen, denn gewiss
ist es ein unvollkommenes. „Vorratshaus", „Speicher" u. ä. würde
fast mehr zutreffen, Speicher, aus dessen Rohstoff ein Teil
der Bewirtung bestritten wird, welche die grössere Arbeit den
Jüngern des Pontikers auftischt.
Ehe wir den Motiven nachspüren, welche die ändernde Feder
Tertullian's hier geleitet, muss ein Bekenntnis des Autors hier
gleich Eingangs besprochen werden, der mit hochgradiger Deut-
lichkeit sein förmliches Programm dahin kund gibt, dass er im
Antimarcion aus den „Juden" entleihen werde. Man höre, was
Tertullian sagt im dritten Buch wider Marcion. 4) Es werde,
1) cap. 2 (II, 705, o.) probat et Loth, frater Abrahae. Über Joseph,
Aristodemus, Hermateles s. meinen Aufsatz Die Quellen Tert.'s in seinem
Buch von den Schausp. im Philologus Suppl. Bd. VI, 2. Hälfte S. 731. 744 f.
2) S. Justin's Dialogus ed. Otto S. 91 Anm. 17; S. 134 Anm. 5.
3) Kleinere stilistische Bänder, von grammatisch-lexikalischen hier ganz
zu geschweigen, gibt es noch sonst eine Anzahl. Ich begnüge mich hier
mit dem Hinweis auf die im „Echten" wie im „Unechten" vorkommende
Wendung: Unde firmissime dicit II, 718, u.; II, 733, o. Da beide Male
fast identisch fortgefahren wird (adventum ejus signare visus et prophetiam),
so kann man die Stelle allerdings zu den störenden Wiederholungen stellen.
Dass diese Wiederholungen aber die Authentie des „Entwurfes"' auch
nur im geringsten verdächtigen, ist etwas, das ich bestreite. Vgl. hier
S. 34 unten.
4) adv. Marc. III, 7, Anfang.
4. Das Verhältnis zum Antimarcion. 47
sagt er, erlaubt sein, dass Marcion mit dem Juden zusammen,
mit dem er, blind mit dem Blinden zusammen, in die Grube ge-
fallen sei, seines Irrtums überführt werde. Er bedingt so die
Erlaubnis sich aus, oder glaubt, dass sie niemand verweigert,
den Pontiker mit dem Juden, samt dem Juden zu züchtigen.
Der Gedanke bleibt ihm völlig präsent auch in den folgenden
Abschnitten; in veränderter Form kehrt er wieder. Im Rüge-
oder Schmäheton heisst es — gleich in dem folgenden Haupt-
stück, als ob ihm das „Blinder mit Blindem" noch nicht kräftig
genug sei, Marcion borge vom Juden, gleich wie die Natter von
Vipern.1) Dann wieder im sechszehnten: Lerne auch hier mit
den Teilhabern deines Irrtums, den Juden. Man darf darauf
völlig verzichten, in dem Singular jener Anrede eine besondre,
bewusste Beziehung auf den Proselyten von ehedem, wie in dem
Plural solche auf den „Kranz" von einstmals zu wittern. Zur
Zeit der Schrift an die Juden waren diese Dinge ganz frisch,
hernach sind sie alt und vergangen. Wohl aber kommt in Be-
tracht, dass die Formel: mit jemand lernen oder: mit jemand
gebläut werden dem Tertullian ganz solenn ist. So schreibt er:
disce cum Galatis, cum Thessalonicensibus disce, er schreibt:
cum Galatis percuti.2) Man sieht: dies Lernen ist hier offenbar
ein Lernen aus Büchern, aus geschriebenem Wort, und man
mag der Versicherung glauben, dass dies bei ihm immer so steht,
dass Ausnahmen nicht vorkommen. Als Einwand wäre ja denk-
bar, dass es stets die Heilige Schrift sei, und daraus noch nichts
sich ergebe für den Rückweis auf sein eigenes Schrifttum. Auch
dieser Einwand ist nichtig. Auf seinen Antimarcion weist er
mit der nämlichen Formel : Cum Marcione plenius disces. 3) • Sollte
1) Ebendas. cap. 8 Anfang; vgl. cap. 16 (II, 143, m.).
2) Habes apostolum, disce cum Galatis de monog. 6 (I, 769, m.). Sic
et cum Galatis nos quoque percuti aiunt, observatores dierum etc. de jej. 2
(I, 854, u.) quae haec tempora cum Thessalonicensibus disce. de res. carn.
cap. 24, Anfang (I, 497, u.).
3) de res. carn. 14 (II, 484, in.). Dass man an diesen Erwägungen
bisher so völlig vorbeiging, ist mir beinahe rätselhaft. Ich glaube, dass
die Doppelnatur jenes licet adv. Marc. III, 7, Anfang (Verburn und Par-
tikel) daran gleichsam mitschuldig ist. Über die grammatische Fassung
(„es wird freistehn") darf aber kein Zweifel sein. Stellen habe ich in
Menge; sie erscheinen mir aber hier unnötig.
48 Noeldeehen, Tertullian't Gegen die Juden.
das alles Zufall sein? Sollte er hier durchaus von beliebigen
Juden geredet haben, von blossen idealen Gestalten seiner eigenen
Einbildungskraft, allenfalls auch von wirklichen Juden, mit denen
er aber etwa nur mündlich, oder ganz privatim verhandelt hätte?
Das würde doch auf Willkür hinauslaufen. Es hiesse den Ver-
fasser beliebig von seinem eigenen Stil trennen, ihn sich selber
aufsässig machen, ihn sich selber untreu erscheinen lassen, und
zwar alles dies grundlos. Und so wird denn freilich der Sache
nach jener Judengenosse von früher und die lärmende Corona
von früher und vor allem das Buch an die Juden, das dem ein-
stigen Streitgespräch folgte, dem Verfasser hier vorschweben,
um so mehr als sich selber ausschreiben ihm durchaus nicht
ungewohnt ist, als er nicht nur Justin, Irenaeus, sondern auch
seine eigenen Schriftsätze zuweilen zu zehnten für gut findet. l)
Nur freilich der mythische Freibeuter, jene kräftige Sagen-
gestalt, der Neander zum Leben verholfen, verlangt nun eben ihr
Recht: hier grade soll er, sonst einfältig, doch pfiffig genug ge-
merkt haben, dass für ihn ein Vorratshaus offen sei, und dass
er sich nur zu bedienen brauche. Auf solcher blossen Möglich-
keit fussend2) — die durch zahlreiche triftige Gründe doch
wieder unmöglich gemacht wird, Hessen sich zahllose Buchräuber
ohne jede Schwierigkeit herstellen. Allerdings jene Unmöglich-
keit soll an seinem Teile noch weiter das hier folgende darthun.
a. Sachliche Änderungen.
Den Reigen der Einzelveränderungen, welche wir im folgen-
den durchgehn, eröffne „nationes" und „nati", „gentes" und
„genus hominum". 3)
Wie auch immer der pontische Ketzer sich dem jüdischen
Irrtume angeschlossen, es gab doch einzelne Punkte, wo der
1) Vgl. auch, abseits von dem so augenfälligen Verhältnis des apo-
loget. zu ad natt. und de cultu fem. II zu I die ähnlich programmmässig
lautende Stelle in adv. Marc. V, 10 Anfang: revertamur ad resurrectionem,
cui et alias quidem proprio volumine satisfecimus (s. namentlich Oehl.
II, 530, u.) omnibus haereticis resistentes: sed nechic desumus, propter
eos qui illud opusculum ignorant.
2) Vgl. Corssen 3. „Bei dieser Sachlage konnte es indessen einer
geschickten Hand nicht schwer fallen."
3) S. Semler 's Synopse bei Oehl er III, 648. 656.
4. Das Verhältnis zum Antirnarcion. 49
spätere Antiinareion das Erbe des Textes der ., Juden" nicht ein-
fach antreten konnte. Und hier sind es keineswegs blos gewisse
gröbere Wandlungen, die allenfalls ein Falsarius, der Umgekehrte
des Corssenschen, aus seinem Eigenen • leisten konnte, sondern
feinere Nuancen des Stils, die nur Eingeweihte besorgen konnten. *)
Der Pontiker war ein Heidenchrist in des Wortes verwegen-
stem Sinn, nicht nur ein Ultrapauliner, sondern auch heidnischer
Herkunft, ein Mann des „barbarischen'1 Ostens. Der Verfasser
des Antirnarcion konnte, einst selber ein Heide, unter diesem
Gesichtspunkt gewiss sich selber mit ihm zusammenschliessen,
ihm als Bruderparole „nos gentes" seiner Judenschrift zubilligen.
Dennoch ist er hier vorsichtig, sich selber nicht aus-, sondern
umschreibend. Aus dem älteren „wir Heiden" (wir Heiden-
christen) wird nun vielmehr ein pathetisches: „unsereins, Leute
wie wir, geboren in den Wüsten des Weltlebens." Dass man
sieht, dass System in der Sache sei, giesst er ebenmässig ander-
wärts um. Nicht mehr: wir Heiden (wir Heidenchristen) haben
uns der Götzen begeben, sondern: das Menschengeschlecht hat
seither die Götzen verworfen. Ein Zusammenschluss mit dem
Pontiker als heidenchristlichem Bruder — wobei nolens volens
denn doch die religiöse Nuance mit durchleuchten und die blosse
Geburtsthatsache einen weiteren Beigeschmack haben würde —
wäre ja durchaus der Tendenz des Bestreiters des „Pontus" zu-
wider, sie wäre das vollendete Gegenteil der im „Marcion" wal-
tenden Strebungen. Des Pontikers AntiJudentum soll ja bis aufs
Messer bekämpft werden. Um so weniger kann der Verfasser
sein kühnes nos gentes hier aufwärmen, das er überhaupt sich
nur einmal Zeit seines Lebens verstattet hat, als inzwischen sein
eigner Sprachgebrauch sich bestimmter fixiert hatte. Er hatte
1) Da der Text der Synopse von Semler vielfach recht antiquiert ist,
setze ich hierher die Stellen aus Oehler. Adv. Jud. 0 (II, 724, u.): Nam
quia Jesus Christus secundum populuin, quod sumus nos nationes in
saeculo desertae commorantes antea, introducturus esset in terram repro-
missionis. Adv. Marc. III, 16 (II, 143, m.): Nam quia Jesus Christus se-
cundum populum, quod sumus nos nati in saeculi desertis, introducturus
erat in terram promissionis. Ferner Adv. Jud. 13 (II, 737, u.) ex quo (seit)
gentes nos dilucidato pectore per Christi veritatem projecimus idola.
Adv. Marc III, 23 (II, 154, 0.) ex quo genus hominum dilucidata per
Christum veritate idola projecit.
Texte u. Untersuchungen XII, 2. 4
5(j Noeldechen, Tertullian's Gegen die Juden.
sein Buch An die Heiden (Ad nationes) geschrieben. Nun ist
ja freilich gewiss, seit Aristoteles' Tagen, dass die Sprachen nicht
reich genug sind, um jede Schattierung der Vorstellung in be-
sonderem Wort zu verkörpern, und dass das einzelne Wort, so-
zusagen ein geduldiges Lasttier, verschiedene Bedeutungen tragen
muss. Auch bei Tertullian wird dies klar genug. Die „majores'*
der früheren Schriften bedeuten auf gut apulejisch ihm die heid-
nischen Altvordern *), die majores (nostri!) von später sind schliess-
lich die christlichen Vorfahren; mit dem Alters Wachstum des
Glaubens muss dieser Begriff sich bald aufdrängen. Aber wie
viel leichter begreift sich diese Nuance des Wortgebrauchs.
Nationes nos würde jetzt hart klingen, nachdem Ad nationes
erschienen war; konnte es doch selbst früher gewagt klingen.
Hier lag eine sprachliche Aufgabe, die offenbar nicht ohne
Dornen, nicht ohne manches Bedenken war. Tertullian hat
Hebraei Christiani einmal im Antimarcion2); Romani Christian i
niemals, Graeci Christiani niemals, Christiani gentiles niemals,
Christiani ethnici niemals; sein Sprach- wie sein Glaubensgefühl
würde dagegen sich aufbäumen. Auch was man im Antimarcion
liest: nationes, quod sumus nos3), kann nur die Ansicht bestärken,
dass es hier um delicatere Dinge des christlichen Ausdrucks sich
handelt. Der gemodelte Stil des Späteren will wirklich also
etwas besagen. — Auch ein letzter hier denkbarer Einwurf wird
schwerlich wirklich verfangen: warum so mit Worten spielen,
warum nicht gründlicher umgiessen? Als Synonymiker wenig-
stens lernten wir den Autor schon kennen, selbst auf unserem
kurzen Spaziergang nur durch das Buch an die Juden. Seine
sonstige philologische Ader, spezieller auch etymologische, kann
man unschwer erhärten, wie's dem Schüler Varro's beliebt, Vo-
cabeln dann und wann zu besprechen4), grammatisch-stilistische
Kampfgänge dann und wann auf sich zu nehmen. So darf man
1) im Apologeticum (I, 133. 134. 136).
2) S. die Parallelstellen bei Corssen S. 6, oben.
3) So schreibt er adv. Marc. III, 21 (II, 151). Der Unterschied zwi-
schen nos nationes (hier S. 49 Anm. 1) und nationes quod sumus
nos ist in der That nicht unerheblich. Der erstere Ausdruck ist kühn
(wir Heiden = wir Heidenchristen), der letztere behutsam erläuternd: die
Völker, damit meine ich uns.
4) Man vgl. seine Erörterungen über den Gebrauch von yvvr\, über
ipv/i] und xpv/oc, über &eög und d-teiv, „cadaver a cadendo" etc.
4. Das Verhältnis zum Antiniarcion. 5[
ihm offenbar zutrauen, dass seine etymologische Kunde ihm die
Sippe von gens und genus, von natio, natus bekannt gibt. Ja,
hier wirkt nun weiter auch dasjenige, was schon früher betont
ward, die stilistische Laune noch mit: jenem furchtbaren Feinde
der Juden seine Nähe mit dem fleischlichen Israel selbst dadurch
recht fühlbar zu machen, dass er neben der Viper die Natter
mit fast identischer Kost speist. Und so wird man, seinen Stand-
punkt verstehend, selbst ein kleines stilistisches Prachtstück der
bessernden Feder hier anerkennen. —
Wie umgekehrt aus den nati ein nationes entstehen konnte,
aus genus hominum gentes, mögen die Gegner der Echtheit aus
ihrem Eigenen zeigen. Ich selber kann eine vernünftige Deutung
solchen Vorgangs nicht auffinden.
Zu den Änderungen, welche den Geist und weniger den
Buchstaben angehn, ja welche sich als feine Schattierungen der
alteren Vorlage darstellen, zählt auch die Behandlung des „Ve-
nit" {) in dem Buch gegen Marcion. Der Pontiker und die Juden
vermeinen, dass der jüdische Christus noch aussteht.2) Auch dem
ersteren entgegnet sein Gegner, das vielmehr der Messias ge-
kommen sei, den der Schöpfer geweissagt.3) Aber für die Juden
und Marcion lag doch die Sache verschieden. Der Judenmessias,
geweissagt von zweifelhaften Propheten, von denen der Pontiker
kaum weiss, ob sie mehr thöricht, mehr schlimm waren, war dem
Marcion vorwiegend gleichgiltig: der Satz, dass er noch zu er-
warten sei, war ihm vor allem ein Hülfssatz, dienstbar seiner
eigenen Anschauung, auf welchen besonderen Wert zu legen ihm
aber die Veranlassung abging. Ihm kommt es an auf den Sanft-
mütigen, den Herrn alles Erbarmens, der nach Kapernaum nieder-
steigt, den Heiland, der den Schöpfer besiegt und den rauhen
Gesetzgeber aussticht. Dem entspricht nun vollkommen der That-
bestand in dem dritten Buche gegen Marcion. Das Gekommen-
sein oder Erstkommensollen spielt nicht entfernt jene Rolle, die
es in den „Juden" gespielt hatte. Zum öfteren unterdrückt er
das „Venit", das den „Juden"4) doch hoch obenan steht, dieses
1) Vgl. hier S. 41 Anm. 2.
2) Adv. Marc. III, 23 Anfang.
3) S. Semler's Synopse. Oehl. III, 665, o.
4) S. Oehl. III, 643, o.; III, 656, o.; vgl. auch hier S. 58 Anm. 3.
- Anm. 2.
4*
52 Noeldechen, Tertullian'e Gegen die Juden.
Buch mit seinem Schalle erfüllend. Nur fehlt allerdings wieder
viel, dass das Venit später ganz ausfiele. Offenbar auch das
Beiwerk des Pontikers kann dem Polemiker Stoff bieten. Dem-
gemäss gebraucht er es auch, um ihn ad absurdum zu führen.
Ja er bringt hier gelegentlich Neues oder nuanciert doch das
Ältere. *) Wenn der Christ des creator noch aussteht, jener vor-
mals prophetisch verkündete, so müssen, so insinuiert er, auch
die alten prophetischen Drohworte noch in Zukunft an Israel
wahr werden. Wie können sie aber wahr werden! Das noch
zu verlassende Sion liegt ja heute in Trümmern; die noch zu
verbrennenden Städte sind ja heute schon lange begraben, das
noch zu zerstreuende Volk, es irrt ja längst in der Fremde. So
bringt er auch den Doppel ad vent, der die „Juden" so zweck-
mässig abschliesst, ja als folgte er einem Wink, den er früher
halb sich selber erteilt hatte 2), er bringt ihn hier gleich im Be-
ginn seines grossen Borgs aus den „Juden". Trotz alledem bleibt
ersichtlich, wie die Frage ihre Spitze verloren hat. Der Hülfs-
satz vom Judenmessias wird wesentlich beiläufig abgethan. Denken
wir hier an den Plünderer, der den Antimarcion ausraubt: thö-
richt, wie man ihn schildert, muss er feinfühlig genug sein, den
von ihm gezehnteten „Marcion" in der Frage des Venit zu steigern.
Und, wenn das Magazin ihm denn offen ist, warum langt er
nicht gründlicher zu, um den Juden auch den Hohn zu bieten,
dass ihre Strafen noch ausstehen? Es Hesse sich ja allenfalls
sagen: die Consequenz, dass der Kelch des jüdischen Leidens
schon ausgezecht, bis auf die Hefen geleert sei und nun ferneres
Leid nicht in Sicht sei, wäre am Ende doch Balsam für das ge-
marterte Volk, den der Gegner desselben nicht bieten könne.
Aber konnte der Hohn denn nicht schliessen: jene Drohworte
heischen Erfüllung? Und so hätte denn doch der Entleiher sich
seinen Vorteil entgehn lassen. Soll das auch aus „Plumpheit"
geschehn sein? In Wahrheit erscheint Antimarcion auch hier
als Nüancierung der „Juden". Man vergleiche die betreffenden
Stellen. Dort: ein Retter aus Bethlehem? Ja, in Bethlehem
wohnt jetzt kein Jude mehr. Hier: Israel ferner noch strafen?
Ja Avas bleibt zu strafen noch übrig?3)
1) Oehl. II, 155, m.
2) Indem er nämlich, obgleich er den Doppeladvent ganz zuletzt
stellt, sagt, hier liege der Kernpunkt. (,,Last not least").
3) Die Stellen sind: Oehl. II, 155, m. und II, 734.
4. Das Verhältnis zum Antiuiarcion. 53
An einer Stelle der „Juden" soll Rationalismus sich breit
machen, der, wie man durchblicken lässt, Tertullian s selber nicht
würdig sei. *) Die Stelle soll dem Freibeuter angehören, der, wo
er von dem Eigenen zuthut, auf Plattheiten verfallt und deut-
liche Blossen zu sehn gibt. Denn sicher aus Antimarcion hat
er diese Habe nicht hergeholt. Und doch wird hier teils das
Verhältnis zum Antimarcion klar sein, teils die Authentie der
„Juden" von allem Verdachte befreit sein. Zunächst gilt es be-
denken, dass selbst, wenn Tertullian, nach Verlauf längerer Zeit
zu einer Anfängerarbeit zurückbiegend, die gelungeneren Stücke
sich ausschnitte, die matteren aber verworfen und still beiseite
gelassen hätte, auch dies so ziemlich begreiflich wäre. Gelegent-
lich mag dies gar zutreffen. Nur muss man freilich immer be-
achten, dass, wenn Stücke zur Wiederholung nicht taugten in
einem Werk gegen Marcion, es darum in den „Juden" nicht matt,
nicht untauglich zu sein brauchte. So bezeichnet denn Corssen
mit Unrecht als „flach" vernünftelnd den Abschnitt, welcher den
Fluch des Kreuzes in den „Juden" interpretieren soll. Der Ge-
danke, dass Jesus unschuldig an jenem furchtbaren Holz hängt,
weshalb wäre der flach? Vielleicht mag er uns trivial dünken,
weil wir an Jesus nicht mäkeln. Den Juden gegenüber war's
anders. Oder hat Paulus von ungefähr vom Skandal des Kreuzes
geschrieben? — Doch es sei, die Färbung der „Juden" sei wirklich
rationalistisch. Hat denn Tertullian so durchaus keinen rationalisti-
schen Anflug? Sein Euhemerismus, was ist er, wenn nicht barer
Rationalismus? Jene spöttisch verliehenen Götterthrone (ad natt.
II, 14), was wären sie sonst, wenn nicht rationalistische Spässe
und zwar von der wildesten Art, wenn auch immer gegen Heiden
geschleudert? Wie viel zahmer und vor allem vernünftiger dieser
„Rationalismus" der „Juden"! Er bespricht mit den Israeliten
jenes schreckliche Wort: Verflucht ist, wer immer am Holz
hängt. Man bedrängt ihn damit, dass dies Wort über Jesus
sichtlich den Stab breche oder mindestens, dass es nicht glaub-
lich, dass Gott seinen Sohn so behandle. Tertullian pariert diesen
Angriff, zerstreut, wie er kann, die Bedenken, indem er geduldig
zurückweist auf das im Texte Vorhergehende: es sei überhaupt
da die Rede von todeswerten Verbrechen: wer als solcher Ver-
1) S. Corssen S. 25. — Die Stelle in adv. Jud. Oehl. II, 727.
54 Noeldechen, Tertullian'a Gegen die Juden.
brecher am Holz hängt, der und eben nur der werde von dem
Fluche betroffen. Dass das Leiden des Christ hier verflucht
werde, daran sei nicht von ferne zu denken: des Christ, der alle
Gerechtigkeit und alle Demut geübt habe. Vielmehr sei derselbe
gestorben, dass die Weissagungen erfüllt werden. Gehe doch
auf ihn auch das Psalm wort: sie vergalten mir Böses für Gutes.
— Von allen diesen planen Erwägungen steht freilich keine
Silbe im „Marcion". Aber schwerlich, nein sicher nicht darum,
weil dessen Verfasser gemeint hätte, jene Ausführungen der
„Juden" seien flach rationalistisch. Sondern durchaus vielmehr
darum, weil der „himmelstürmende Riese" hier in gleicher Weise
der Nachhülfe Tertullian's nicht bedurfte. Jener Führer der
övfifiioovusvoi, der Herold der owraXacjcmgoi, was er von Do-
kese auch lehren mochte, dachte nicht im geringsten daran, an
der Demuts- und Leidensgestalt seines Herrn irgend Anstoss zu
nehmen; er betont sie ja eben aufs stärkste. Dass sein Gegner
also hier sich nicht ausschreibt, gehört zu dem völlig Begreif-
lichen, ja das Gegenteil würde absurd sein. Und indem er diese
Stelle hier auskerbt, um sie gänzlich beiseite zu lassen, beweist
er uns hier noch aufs neue, dass er auch hier ganz er selber
ist. Gemäss seiner alten Manier, dem Buchstaben möglichst
treu zu bleiben, auch da, wo er geistiger Weise die Front gründ-
lich verändert, vertauscht er ein „rerum ratio", was er in den
„Juden" gesetzt hatte mit einer „rerum probatio".1) Den inneren
Grund jenes Fluches, dem Jesus scheinbar verfallen ist, will er
an dieser Stelle seines Antimarcion schuldig bleiben, er will zu-
1) adv. Jud. 10, Anfang (II, 727, o.) Maledictus omnis qui pependerit
in ligno. Sed hujus maledictionis sensum antecedit rerum ratio. Dicit
enim in Deuteronomio. etc. — adv. Marc. III, 18 (II, 146, o.) Maledictus,
inquit, omnis qui pependerit in ligno. Sed hujus maledictionis sensum
differo, dignae sola praedicatione crucis, quia et alias antecedit rerum
probatio rationem. — Was die — vom Verfasser zweifelsohne beab-
sichtigte, meinetwegen „gesuchte" — Nähe der Texte betrifft, deren Wort-,
selbst Silbenbestand nahezu übereinkommt, während der Sinn ganz ver-
schieden, selbst entgegengesetzt sich gestaltet: so hat auch Corssen ge-
legentlich diesen Umstand gesehen und angemerkt. Aber ihm ist das
Plumpheit des Freibeuters! Nichts kann irriger sein als dies letztere. Eher
könnte man noch eine Zärtlichkeit für den einmal gewählten Ausdruck bei
dem Verf. behaupten wolleu. Doch s. hier S. 51 oben („stilistisches Pracht-
stück") S. 24, Mitte („Caprice"). — Vgl. übrigens auch hier S. 79 Anm. 3.
1. Das Verhältnis zum Antimarcion. 55
nächst liier die Thatsachen, die „Figuren'' des alten Bundes, die
den Herrn praef brillieren , behandeln; das andere wolle er auf-
schieben: ein sehr bezeichnendes differo, dem wir auch noch
weiter begegnen werden. Er weiss ja. dass der „Apostolos" im
fünften Buch gegen Marcion auch seine Rechte verlaugt, dass
speziell der Galaterbrief ihm dazu noch Anlass genug bietet, die
reruin ratio nachzuliefern, so wie sie für den Pontiker taugen
wird. Auch vergisst er sein dilfero nicht; er hat sein Versprechen
eingelost.1) Hier ist alles ganz wie es sein soll, die „Juden", wie
Antimarcion. Dass Marcion V, 3 von dem Buchräuber sei's gar
nicht aufgesucht, sei's, wenn er gesucht, nicht gefunden, sei's,
wenn er fand, nicht verstanden sei, halte ich bei allem Respekt für
Corssen's Scharfsinn für Wind. Im Gegenteil, hätten die „Juden"
hier den Antimarcion ausgenutzt, jener Proselyt und der „Kranz",
sie wären viel schlechter bedient gewesen. Das Suum cuique ist
hier höchst angemessen geübt worden.
Analog ist eine andere Abweichung, insofern auch sie mit
bedingt ist durch den viel umfassenden Aufriss des grösseren
Werks gegen Marcion gegenüber dem viel engeren Rahmen der
kleinen Schrift gegen die Juden; wrobei wir noch einmal den
Vorteil haben, wie oben bei dem disce cum Galatis, disce cum
Marcione, „cum ipso licebit Judaeo" den Verfasser über die Gründe
seines Verfahrens selbst abzuhören. Es handelt sich zunächst
in den „Juden"2) um ein doppeltes Werk des Erlösers, das Pre-
digen und das Wnnderthun. Dieser Lehrstoff wird fast nur ge-
streift, und das ist in den „Juden" wohl weise. Eine irgendwie
1) S. die Synopse von Corssen, S. 25, oben.
2) adv. Jud. 9 (II, 726, m.) duplici eniru, nisi fallor, operatione
distinctuni eum legimus, praedicationis et virtutis. Sed de utroque titulo
sit disposituru. (Oehler's Text ist hier gut; man vgl. den kritischen
Apparat) Itaque specialiter dispungamus ordinem coeptum, docentes prae-
dicatorem adnuntiatum Christum Virtutes autem facturum a patre etc.
— adv. Marc. III, 17 (II, 145, m.) Oportet actum ejus (Christi) ad scriptu-
rarum regulam recognosci, duplici, ni fallor, operatione distinctum, prae-
dicationis et virtutis. Sed de utroque titulo sie disponam, ut, quo-
niam ipsum quoque Marcionis evangelium discuti placuit, de
speciebus doctrinarum et signorum illuc differamus, quasi in rem prae-
sentem. Hie autem gener aliter expungamus ordinem coeptum etc. Folgt
neben dem praedicator der medicator Christus (der bessere Gegensatz) und
zwei ganz kurze Jesaiasstellen.
56 Noeldechen, Tortullian's Gegen die Juden.
breitere Ausführung der evangelischen Wunder und der evan
gelischen Lehrreden hätte sein Auditorium wohl in „böhmische
Dörfer" geführt und ihres Eindrucks verfehlen müssen. Jene
„vorgezeichneten Linien", die sich der Verfasser gezogen, haben
dies zweckmässig ausgeschlossen. Allgemein bekannt wie sie
sind, dies scheint er in den „Juden" zu sagen, mögen jene beiden
Gesichtspunkte zunächst als festgestellt gelten. Doch belegt er
sie hier im Vorbeigehn „speziell" mit Jesaiasstellen, die erstere
die Predigt des Christ, die letztere dessen Wunder behandelnd.
Hier trägt sich noch das Besondre zu, dass die Wunder des
Christ bei Jesaias !) gleichsam so disponiert sich ergeben, dass
ein Ausblick auf das Detail des Evangeliums nahe liegt, ein Aus-
blick, den freilich die „Juden" — programmmässig — nicht aus-
beuten. Ganz anders nun Antimarcion, aber gar nicht minder
verständlich. Er hat, so sagt er, beschlossen — der Verfasser
des Antimarcion — das Botschaftsbuch Marcion's abzuhandeln;
so vertage er „Lehre und Wunder" des Herrn eben bis dahin;
wenigstens das „Speziellere". Auch hier setzt er sein: differo.
Jetzt will er nur „generell" mit allerkürzestem Schriftwort so-
wohl den „medicator Christus" als den praedicator erledigen: er
kann sich ja im folgenden auslegen und die „Uberschriften-
manier" der kleineren Schrift an die Juden, namentlich in Sachen
der Botschaft, gegen reichere Behandlung vertauschen. So weit
dürfte alles sehr klar sein. Minder könnte es einleuchten, warum,
wenn zunächst doch auch hier wieder zweimal Jesaias reden soll,
die Auswahl der Stellen geändert ist. Aber einmal sind die ge-
wählten doch kürzer, und zweitens wird zumal bei der einen der
Beweggrund des Tausches ganz deutlich sein. Er hat sich die
„Blinden und Tauben, die Stummen und Lahmen" des Seherworts,
jene, wie wir oben andeuteten, so völlig „evangelisch" geordneten
Wunderzeichen des Herrn für sein folgendes viertes Buch auf-
gespart, in dem er sie getreulich auch nachliefert (II, 225, o.).
Auch dies wäre demgemäss durchsichtig. Nur ein Formpunkt
will noch Erledigung. Formell hat der Antimarcion die „Juden"
teils auf den Kopf gestellt, teils doch wieder in bekannter Ma-
nier die denkbar grosseste Nähe zu deren Buchstaben eingehalten.
1) nämlich 35, 4, der adv. Jud. 9 (II, 726, u.) citierten Stelle, die der
Antimarcion hier (III, 17) nicht bringt.
4. Das Verhältnis zum Antimarcion. 57
Dort — „Juden" — ein sit clispositum: diese Sache sei abgemacht.
Im andern Fall: sie disponam: ich werde die Anordnung so treffen.
Dort — ,, Juden" — ein specialiter: ich will diese allgemeinen
Gesichtspunkte hier gleich spezieller belegen. Hier umgekehrt:
generaliter: ich werde, mir einzelnes vorbehaltend — die Blinden,
die Lahmen, die Tauben für das Evangelium aufsparend — hier
vorläufig nur allgemein die Sache mit Schriftwort belegen. —
Die Ähnlichkeit jenes differo in dem einen und dem anderen*
Falle, wo er abbiegt vom Texte der „Juden", die Ähnlichkeit
jener Vertröstungen auf das vierte wie fünfte Buch braucht man
nur einfach hervorzuheben, um klarzustellen, dass hier, wie sonst,
allerdings „System in der Sache ist'1.
An dem Führer der oviuiui6oviuevoi orientieren sich übrigens
sonst auch noch manche Einzelveränderungen. Die ,,Juden" bieten
ausführlich einen grösseren Abschnitt Ezechiels '), ausführlich in
der Weise Justins, nur dass diesem dieses Citat fehlt. (Es scheint
der Autor versagt sich, den Justin da völliger auszuschreiben,
wo Justin in grösserer Breite eine alte Weissagung wiedergibt,
aber thut sich im Citieren Genüge, wo er dieses selbständig thun
kann.) Er bringt das hebräische „Thammuz", und er bringt das
hebräische Elam, so, dass man kaum weiss, wie viel Klarheit er
über diese Worte besessen hat. Der Kern des langen Citats ist
in dem Sinne des Autors, dass das heilige ,,Zeichen des Tau" auf
den Stirnen von Männern Jerusalems sie vor einem Strafgericht
schützen soll, das über ihre Landsleute kommen wird, ziemlich
ähnlieh jenen blutigen Thürpfosten in der alten aegyptischen
Heimsuchung. Da die Septuaginta hier lediglich das Wort örj-
uelov gesetzt haben, damit das *n des Hebräischen zweifellos
richtig wiedergebend, so möchte es schwer sein zu sagen, wie
Tertullian zu der Kunde kommt, dass HT\ wie GrjfteTov so Tau
heisst (des Alphabetes ultima littera) wie er also zum „Signum
Tau" in seinem Texte gekommen ist; erst ein Späterer2) ist sich
hier klarer und weiss, dass das ältere n die Form eines Kreuzes
gehabt hat. Ob nun dürftige Kunde von letzterem Tertullian
1) aclv. Jud. 11. Ezech. S, 12—18; 9, 1—6.
2) Hieronym. Comin. in Ezech. III, cap. IX, 4. sq. antiquis Hebrae-
oruin literis, quibus usque hodie utuntur Saniaritani, extrema Thau litera
crucis habet similitudinem, quae in Christianorum frontibus pingitur et fre-
quenti manus inscriptione Signatur.
58 Noeldecli^n, Tcrtuli tagen die Jaden.
hier mit vorgeschwebt, geschöpft etwa aus dem Verkehr mit
einzelnen Judengelehricn oder wie es sonst sich verhalten mag:
er sagt, dass das „mystische Zeichen" in mancherlei Art früh g< -
predigt sei, in welchem alles höhere Leben der Menschheit seit
Anfang beschlossen war, ein Zeichen, dem freilich die Juden
den Glauben beharrlich verweigern sollten: worauf eine Penta-
teuchstelle zu weiterer Bekräftigung nachfolgt. Dies alles wird
kürzer behandelt in dem Werke gegen den Pontiker, den er mit
Thammuz und Elam naturgemäss nicht bewirtet; auch so scheint
es wie ein salto mortale, wenn, vielleicht dem Griechen zuliebe,
hier direkt ein „griechisches Tau" steht, gleich als ob zu dem
Verbürgten zu zählen wäre, dass Ezechiel griechisch geschrieben
habe: dass das griechische Tau ein Kreuz sei, war ja dann gar
nicht mehr zweifelhaft. Die Hauptsache aber wird die sein, dass
den „ungläubigen" Juden, von denen soeben geredet ward, die
„gläubigen" Marcioniten in dem neuen Werk gegenüber treten.
Hier ergreift er beinahe mit Pathos Marcion's christliche Bru-
derhand, eine Hand, die kein Jude ihm bieten konnte. Die Ketzer
kennen das Zeichen, so mögen sie nun weiter erkennen, dass
der Schöpfer seinen Christus geweissagt, welcher am Kreuze
gestorben ist.1)
Dem obigen durchaus parallel ist auch das Verhältnis der
Texte, wo die Demut Christi in Frage kommt. 2) Die ..Juden"
sagen hier einfach: wenn der, welcher alle Demut, Geduld und
Stille bewähren wird, von den Propheten gezeichnet ist, und ein
solcher Mensch nun gekommen ist, wird dieser nicht Gottes
Christ sein? Der Pontiker war anders zu nehmen. Man darf
ihm durchaus zugestehen, dass die Demut, Geduld und Stille
des Herrn bei ihm völlig gewürdigt wird, und darum darf man
ihm zumuten, dass er schliesslich in Jesaias' Worten seinen
1) Vgl. die Stellen in meiner „Abfassungszeit" etc. S. 87 Anni. 4. 5.
6 (adv. Jud. 11 (II, 732, u.), adv. Marc. III, 22 (II, 153, in.)
2) Vgl. Semler 's Synopse bei Oehler III, 649, u.; adv. Marc. III, 17
(II, 145, o.). Expostulo autem de proposito, si das ei omnis hurnili-
tatis et patientiae et tranquillitatis intentionem, et ex his Esaiae
erit Christus? adv. Jud. 9 (II, 726, o.). Expostulo etiam, ut qui a pro-
phetis praedicabatur ex Jesse genere venturus et omnem humilitatem
et patientiam et tranquillitatem esset exhibiturus, an vener it? Zu be-
achten ist hier auch das im Antimarcion als unwesentlich unterdrückte
venturus und venerit. Vgl. hier S. 51 Anm. 4.
4. Das Verhältnis zum Antimarcion. 59
eigenen Christus noch finden werde. Der Unterschied liegt auf
der Hand. Die ältere Schrift an die Juden ist naturgemäss hier
auch die kältere: hier handelt man sachlich und nüchtern von
Weissagung und Erfüllung und fragt, wie beides sich reime,
wahrend Marcion s Ketzer- Weltkirche, das „Ungeziefer des Hauses1',
aber dorn des Hauses des Herrn, sympathisch und warm wie sie
immerhin den stillen Jesus ans Herz drückt, eine wärmere Be-
gegnnng erfahren muss. — Mit der kleinen Correctur von cre-
dantur in maneant steht es ähnlich. Sie hat nämlich sicher zu
thun mit dem hurtigen „Schwämme" des Marcion, welcher die
Kindheitsgeschichten so unnachsichtig hinweswischt. Die Juden
O O CT
als ganze Extraneer werden von dem Schriftsteller aufgefordert.
an die Magi der Botschaft zu glauben, während er den Mar-
cion aufruft, die Magi stehen zu lassen.1) Hat auch nur
Matthaeus die Magi und fehlen dieselben ja auch im unver-
stünmielten Lucas, so schwebt doch dem Verfasser des „Marcion"
die solidarische Art vor, in welcher alle Kindheitsgeschichten
miteinander verknüpft sind. Jener seltsame Marcion- Heiland,
der nach Kapernaum niedersteigt, jenes kräftigste Wunder der
Wunder, war eben den Anfangskapiteln der beiden Evangelien
feindlich. — Auch hier trägt der Weg von den „Juden" zum
..Marcion" den Stempel der Wahrheit. Die umgekehrte Richtung
des Weges können wir nicht immer verfolgen, wenigstens nicht
mit ausdrücklichen Worten. Wir bezweifeln, dass sie ähnlich
wahrscheinlich ist.
Eine härtere Nuss sind die Änderungen derjenigen Stelle
der „Juden", die jenen Magi voraufgeht. Es handelt sich um
die „Kraft von Damaskus" und um die „Beute Samariens", die
laut prophetischem Wort dem Messias zum Raub werden sollen. 2)
1) S. Seniler bei Oehler III, G45. Zu dem „maneant" im Antimar-
cion kann man u. a. vergleichen Cicero de off. 3, 12: maneat ergo, quod
turpe sit, id nunquam esse utile. Forcellini: maneat = inconcussum
sit et irrefutabile.
2) Semler bei Oehler 111. 644. adv. Jud. 9 (II, 721); adv. Marc. III, 13
(II. 138, o.). Die Sätze, die hier vor allem in Betracht kommen, lauten:
„Juden": Ante est enim inspicias aetatis clemonstrationem, an virum jam
exhibere ista aetas possit, nedum imperatorem. Antimarcion: Ante est
enim inspicias aetatis clemonstrationem, an hominem jam Christum ex-
hibere possit (fehlt: ista aetas!) nedum imperatorem. Weiterhin: „Juden":
Knimvero si nusquam hoc natura concedit, ante militare quam vivere, ante
()0 Noeldechen, Tertullian's Gegen die Juden.
Dem Verfasser erfüllt sich dies Wort in eben jenen Magi des
Orients, die Gold, Weihrauch und Myrrhen dem Kinde J<
entgegentragen. Indem die „Juden" voraussetzen, dass eben diese
Deutung gesichert und unanfechtbar dastehe, erörtern sie die
Unmöglichkeit, in sichtlich satirischer Tonart, dass ein Kind
schon den Feldherrn spiele, wie dies doch die wörtlichen Aus-
leger des Propheten zu wollen scheinen: die figürliche Deutung
sei notwendig. Nimmermehr kann das Kind schon den Mann
machen (virum facere), geschweige denn gar den Feldherrn, der
die „Kraft von Damaskus" erobert und „Samariens Beute" im
Sturm nimmt. Die Natur verstattet es niemals, das Kriegshand-
werk zu betreiben, ehe man die Kinderschuhe auszog. Hier
corrigiert Antimarcion zunächst das „virum" in „hominem", und
setzt dann statt „virum facere" ein sehr viel dunkleres ,,vivere".
Man scheint übersetzen zu müssen: Wer kann kämpfen, ehe er
Mensch ist, wer führt Krieg, bevor er das Leben hat? Aller-
dings kann ja homo auch „Mann" heissen, in engerer Begrenzung
selbst „Fusssoldat", dann wäre von den Varianten die erstere
zweifelsohne belanglos und die Änderung lediglich Laune. Doch
die zweite Wandlung des Textes, das „vivere" macht wieder
stutzig, da es eben „System" zu verraten scheint. Und so sieht
man sich doch wohl zurückgedrängt zu jener obigen Fassung
und vor die Frage gestellt, was der Änderer eigentlich sagen
wollte, denn vivere im Sinne von „Mann sein" wird schwerlich
zu erhärten sein. Ich meine, dieses vivere zwingt, an jenen Do-
ketismus zu denken, der ja zu den markantesten Zügen der poli-
tischen Lehre gehört hat. Marcion leugnet Geburt, auch Kind-
heit und Kindheitsgeschichten. So scheint denn dem Lehrer des
Scheinleibs der Verfasser auch an unserer Stelle sein Christus-
Phantasma vorzurücken, welches, Mensch wie Mann doch nur
scheinbar, nach Kapernaum absteigt. Der, allerdings versteckte,
Gedanke würde dann etwa der sein: bei dem, der überhaupt
mit der Menschheit des Heilandes gar keinen Ernst macht,
ist auch die Überlegung absurd, ob er etwa als Kriegsheld er-
scheinen werde. Wer die Kindheitsgeschichten leugnet, wem
virtutem Damasci sumere quam patrem nosse) sequitur ut figurate pronun-
tiatum videatur. Antim.: Enimvero si nusquam hoc natura concedit, ante
militare quam vivere, ante virtutem Damasci sumere quam patris et matris
vocabulum nosse, sequitur ut figurata pronuntiatio videatur.
4. Das Verhältnis zum Antiniarcion. ßl
Christus de coelo expositus, semel grandis, „nur Gott" ist1), der
verlegt sich die Schlüssel zur Weissagung, die eben auf die
Magier hinzielt und zur Krippenwiege geleitet. Allerdings gibt
es noch ein Ihm lenken. Die Stelle, die wir eben heranzogen,
kann insofern untauglich scheinen, ja als alles obige umstürzend,
als grade der Ausdruck homo dort im nächsten Zusammenhang
..Mann" heisst. 2) Nur müsste, wer darauf Wert legt, auch das
gleich darauf folgende nachlesen, wo die Bedeutung aufs deut-
lichste umschlägt und drei Mal homo „der Mensch" ist.3) Und
so bleibe ich doch dabei stehen: Tertullian weicht hier der Ver-
suchung, das „Dens tantuni" des Marcion hier in rascher Weise
mit einzumischen, wodurch freilich wirkliche Schiefheit in die
folgenden Witzworte kommen muss. Denn die Spässe über
ßutterbrodk nahen, die etwa im Pontus zu Felde ziehn, passen
ja freilich nur dann, wenn homo gleich vir genommen wird,
und wenn vivere hiesse ein Mann sein. Der Text der „Juden"
allein ist den Butterbrodknaben ganz angemessen, der Anti-
niarcion nimmermehr. Als Ergebnis betrachte ich folgendes:
Spezifisch Antipontisches ist hier in den Text der „Juden" hinein-
gewebt, ohne dass eine völlig concinne Behandlung der Sache
herauskäme. Und dies ist freilich kein Wunder. Hiess es uns
bereits früher ein Kunststück, den Sichemiten so auszubeuten,
dass doch jener „feine Fall" des Judengenossen zum Recht kam,
so war es erst recht ein Kunststück, hier im heissen Kampf mit
dem Pontiker bei Benutzung einer eigenen Arbeit die Frontver-
änderung durchzuführen. Dass hier Risse und Lücken sich zeigen
würden, war von hausaus wahrscheinlich. — Für uns das Wich-
tigste ist. dass der Text der „Juden", der „Urtext", sich hier als
der concinnere ausweist.
1) adv. Marc. IV, 21 (II, 214, o.).
2) (Jesus nicht) diu infans, vix puer, tarde homo, sed de caelo expo-
situs, semel grandis, semel totus, statim Christus, spiritus et virtus et deus
tantum.
3) Christus heisst da: vermis et non homo . . Et merito (Christus)
se pro suo homine deposuit, pro imagine et similitudine sua . . . ut, quo-
niam homo non erubuerat lapidem et lignum adorans etc. Wenigstens
die beiden letzten Male kann man nicht füglich: „Mann" übersetzen. Die
ganze Stelle zeigt die bekannte Incommensurabilität zweier verschiedener
Sprachen.
02 Noeldechen. Tertnllian'a Gegen die .luden.
Nach Neander und Corssen (S. 6) freilich sollen grade die
..Hutterbrodknaben" nur im Antimarcion tauglich sein. Sie sollen
Ergänzung des Bildes sein, welches Tertullian im Eingang des
ersten Buchs gegen Marcion von der Heimat des Pontikers
zeichnete. Man erinnert an einzelne Züge jenes lichtlosen Schauer-
gemäldes, an jene „Kannibalen" des Pontus, an die Mädchen,
die lieber zum Kampf als in die Brautkammer ziehn wollen, an
die ewigen pontischen Nebel, die kein Strahl der Sonne durch-
dringe. Dazu soll denn das Spottbild gut passen, das Tertullia-
nischer Witz — in den „Juden" sowohl wie im „Marcion" findet
sich diese Ergötzlichkeit — hier zu bieten für gut findet, „Eine
andere Sache ist es, wenn die Kinder bei euch in den Kampf
stürzen, von der Sonne gebräunt, statt des Salböls, sodann mit
Windeln umpanzert und mit ButterbrÖdchen besoldet, so dass
sie eher zu kämpfen als die Brust der Mutter zu zerren wissen."
Nun fährt aber Corssen in Wahrheit mit seinem Rückweis doch
übel. Er betont die verschleierte Sonne in dem Schreckensbilde
des Pontus, jene ewig von Nebeln verhüllte, und an dieser ver-
dunkelten Sonne sollten pontische Kinder gebräunt werden?
Tertullian, statt sich jenes Gemälde im dritten Buche zurückzu-
rufen, hat hier mindestens einen der Einzelzüge jenes Gemäldes
vergessen. Und, scheinen die „Amazonen" des Eingangs zu
den „Butterbrodkriegern" zu passen, sich zu ihnen wenigstens
besser zu reimen als jene ewigen Nebel, so bleibt doch durch-
aus zu beachten, dass jenes geographische Zerrbild, im Eingang
vom Pontus entworfen, im Sinne des Pontusbekämpfers in bit-
terem Ernste zu nehmen ist, während hier diese Säuglings-
soldaten auch im Sinne des Schriftstellers Spässe sind. Von ganz
spezifischem „Salz", das in dieser Scherzrede liegen soll, grade
mit Bezug auf den Pontus, wird somit nimmer zu reden sein.
Die Juden werden reichlich so gut diese Posse beherbergen
können, wie die spätere grössere Arbeit. Ist es doch ein jüdi-
scher Seher, der die Butterbrodfrage heraufbeschwört1), ein heiliges
1) Jesaias 7, 15 ßovzvQOV xal fiiki cpayszai xzX. Dies wird citiert
adv. Jud. 9 (II, 720, o.), wie überhaupt mehrere Sätze aus Jes. 7, 13 ff.,
wozu 8, 4 hinzutritt. Dieses butyrum et mel manducabit ist der einzige
wirkliche Ausgangspunkt für das Witzwort von den „Butterbrodjungen'1
(butyro stipendiati II, 721, na.). Im Antimarcion (II, 138, m.) finden sich
die „Butterbrodjungen" nun auch, aber Jesaias 7, 15 wird mit keinem
4. Das Verhältnis zum Antimarcion. (33
Buch Israels, an das diese Witze sich anlehnen. Und nun muss
man freilich bedenken, welche Züge die Judengeschichte des
letzten Jahrhunderts geboteu hatte. Verzweiflungskämpfe in
Cjpern, Cyrenaica und anderer Orten, Verzweiflungskämpfe dar-
auf nicht minder im Heiligen Lande. Dass diese geschicht-
lichen Züge dem Autor völlig geläufig sind, zeigt z. T. Adversus
Judaeos, zeigt auch der Antimarcion, zeigt das Apologeticum.
Denn freilich den Juden der Gegenwart, ohne Rückblick auf
ihre Geschichte, solche „Butterbrodkrieger" zu bieten, wäre mehr
als kindisch und possenhaft, wäre herzlos grausam gewesen.
Aber Israel hatte den Kriegspfad, binnen Menschengedenken,
betreten, es hatte wirklich den Kriegsmann, und zwar einen wilden,
abgegeben. l) Liegen jene amazonischen Kämpfe dem Verfasser
in räumlicher Ferne, so diese der Juden in zeitlicher: die phan-
sch-ironische Ader hat in beiden Fällen hier Spielraum.
Denn freilich an „sich prügelnde Kinder'' mit Grotemeyer zu
denken, hiesse, das gebe ich zu, den Sinn dieser Stelle verkennen
und ohne Ursach dem Autor ein Unmass von Albernheit auf-
bürden.
Von sonstigen kleineren Umprägungen will ich noch vier
hier erwähnen. Die erste derselben zeigt den Montanismus ge-
schäftig, welchem der Bekämpfer des Marcion seinerseits schon
verfallen ist. Zum montanistischen Einschlag gehört zumal der
Worte herangezogen. Jesaias 7, 14; 4, 8 stehn dort freilich zu lesen (II,
: doch die Butter und der Honig des Prophetenworts fehlen. Erst
nachträglich treten sie auf (II, 139, in.). Dies dürfte genügen, um die
Verlässlichkeit von Neander's u. Corssen's Bern, in dieser Beziehung zu
würdigen. Auch hier zeigt sich vielmehr der Text des Buchs an die Juden
als der innerlich und wesentlich concinnere. Der Borg des Antimarcion
springt durchaus in die Augen.
1) Moniinsen Rom. Gesch. V, S. 542. Nicht volle 50 Jahre nach
der Zerstörung Jerusalems, im J. 11Ö erhob sich die Judenschaft am östl.
Mittelmeer. Hauptsitze der Empörung Kyrene, Kypros, Ägypten. Ziel:
Ausrottung der Römer wie Hellenen. In Kyrene sollen 220,000, auf Kypros
gar 240,< I ' I Menschen von den Juden umgebracht worden sein. Später
folgten bekanntlich die furchtbaren Hadrianischen Kriegszeiten. Dass Tert.
diese kannte, wird nicht erst zu beweisen sein. Auf Tert.'s gescbichtl.
Bildung im allgem. , und namentlich auch die Kaiserzeit anlangend , bin
ich etwas näher eingegangen in „Tertullian und die Kaiser". (Mauren -
brecher's Histor. Taschenbuch 1888 S. 159 — 193) und „Tertullian's Ge-
burtsjahr- ;in Hilgenfeld's Z. 8. für w. Th. XXIX, 2 S. 207—223).
04 Noeldechen, Tertullian'e Gegen die Ju
„Prophet", den er aus Jesaias vorlangt, da, wo er doch in de]
„Juden", dieselbe Stelle citierend, solchen Bezug nicht gemacht
hatte. Der Herr, so heisst's in den „Juden"1;, hat Jerusalem
und den Juden „unter anderem" auch entzogen den findigen Archi-
tekten, welcher die Gemeinde , den Tempel Gottes erbaut, die
heilige Stadt mitsamt der Behausung des Höchsten. „Unter
anderem", schreibt er geflissentlich, denn der griechische Text
bot viel mehr, etwa noch „den Starken und Riesen, den Krieger,
den Richter, Propheten." Der Antimarcion folgt dem, wieder-
holt auch das „unter anderem", erstreckt aber die Auswahl be-
zeichnend genug etwas weiter, nämlich eben auf den „Pro-
pheten", der ihm neuerdings so sehr am Herzen liegt. Wir
werden demnächst ja beobachten, dass der Autor des grösseren
Werks es seine Sorge hat sein lassen, überhaupt den genaueren
Anschluss an die Septuaginta durchzusetzen, während er vorher
in den „Juden", wohl mehr aus dem Gedächtnisse schöpfend, sich
darin minder exakt zeigt. Um so merkwürdiger ist, wie ich meine,
hier diese parteiische Auswahl.
Wie hier der Montanist sich bemerklich macht in dem Zu-
satz eines einzelnen Wortes, so in Tilgung eines einzelnen Worts
der Verfasser eines grösseren Buchs im Unterschied vom Con-
cipienten des Entwurfs eines Gespräches. Ein einfacher Tilgungs-
1) S. Seniler bei Oehler III, 656, u. : adv. Jud. 13 (II, 737, u.). Ab-
stulit enim dominus sabaoth in Judaeis et ab Hierusalem inter cetera et
sapientem architecturn , qui aedificat ecclesiam dei templurn et civitatem
sanctam et dornuni do-mini. — adv. Marc. III, 23 (II, 154, o.): Abstulit
enim dominus sabaoth a Judaea et ab Hierusalem inter cetera et pro-
phetam (vorangestellt!) et sapientem arcliitectum, spiritum scilicet sanctum,
qui aedificat ecclesiam, templurn scilicet et domum, et civitatem dei. —
Jesaias 3, 1 ff. (van Ess 768): Idov 6 öeoTtözrjq xvQioq oaßaa)& d(pe?.el drto
^IsQOvoaXijß xal and zi\q 'Iovöalaq tayvovza xal loyvovoav, loyvv uqzov
xal loyvv vöazoq, ylyavza xal loyvovza, xal av&Qwnov TCOÄ£fxiozrjv, xal
öixaozrjv, xal UQ0^7izr\v xal ozoyaozijV, xal TtQSoßvztQOV xal tzsvztjxovz-
aQyov, xal 9av(xaozbv ovßßovXov xal oocpbv aQytzäxzova xal ovvezov
dxQoazi)v. Dass er hier auswählt, ist begreiflich. Ursprünglich hatte
ihn das Bild vom Tempel (Gemeinde-Tempel) angezogen: die jüdische Ge-
meinde hat keinen Bauherrn mehr. Neuerdings steht der ., Prophet" auf
der Tagesordnung: in Israel ist die Prophetie tot. Die Christen haben
ihren Montanus, ihre Priscilla etc. (Man vgl. den Eingang von de praescr.
haer, : conditio praesentium temporum etc.; auch apolog. 39 (I, 256):
praesentium temporum qualitas etc.)
4. Das Verhältnis zum Antimarcion (35
strich vertreibt jenes ipse der Juden, dem wir schon im vorigen
Abschnitte besondre Beachtung zu widmen hatten. Wir lesen
in den „Juden" die Worte ne cursurn demorer ipse, während im
Antiniarcion dieses ipse verschwunden ist. Der ganze Finalsatz
ist merkwürdig. Als advokatisch Geschulter, als geübter Debat-
tierer und Redner von hausaus geeignet für Streitreden, und als
solcher auch in den Kampf mit dem Judengenossen hinabge-
stiegen, sind ihm Wendungen wie diese: „ich will gar nicht
reden" oreläuficr, umi analog ist wohl diese: ich will die Debatte
nicht aufhalten. In dem Buch gegen den Pontiker wiederholt
er diese Worte zum Teil; ne cursuni demorer, schreibt er, denn
dies Hess sieh allenfalls selbst in dem späteren Buche noch hören.
Aber das ipse freilich war in dem Buche nicht leidlich. *) Der
Pontiker selber ist tot, und wie phantasievoll lebendig er ihn
auch als Gegner sich hinstellt: da er nie mit ihm „colloquiert"
hat, wäre das ipse jetzt sinnlos.
Wenn er weiter ein „Judaeam" der „Juden" in die „gens
Judaeorum" geändert hat2), so erscheint der Unterschied schmal,
und doch ist es schwerlich ganz zufällig. „David", so schrieb er
zunächst, „hat allein in Judaea geherrscht", nur innerhalb des
Landes Judaea. „David herrschte allein", so hat er später ge-
schrieben, „innerhalb des Volkes der Juden". Verbürgt ist zu-
nächst nun die Thatsache, dass seit den Hadrianischen Tagen
das Land einen neuen Namen führte. 3) Syria Palestina war die
offizielle Bezeichnung, während der Name Judaea ausser Gebrauch
kommen sollte: letzteres ein Bruchstück der Strafen, die über
die Rebellen ergangen waren. Die Historia Augusta ihrerseits
kennt denn auch überhaupt kein „Judaea": wo irgend vom Lande
geredet wird, heisst das Land Palestina. Auch ist der nun-
mehrige Sprachgebrauch Tertullian gar nicht unbekannt. Redet
er zu Heiden im „Pallium", so spricht er von Palestina4); auch
1) vgl. in. „Abfassungszeit" etc. S. 86. 87 oben. — Zur rhetorischen
Phrase vgl. u. a. selbst Tert.'s halben Namensvetter: Acta Apostol. 24, 4:
%va /bttj inl Tilelöv ae iyxonzü). So Tertullus vor Felix.
2 Oehl. III, (35:,.
3) Freilich doch wieder auch einen sehr alten: den alten herodo-
tischen Namen, das Syrien der Philister oder Syria Palestina. Mommsen
Roem. Gesch. V, 54(3.
4) Aspice ad Palestinam de pallio 2 (I, 922, o.). — Syria Palestina
apolog. 5 (I, 130).
Texte u. Untersuchungen XII, 2. 5
(36 Noeldechen, Tertullian's Gegen die Juden.
„Syria Palestina" ist anzutreffen. Allerdings ist er nicht conse-
quent und hatte wohl kaum dazu Ursach, denn amtliche Namen
der Art haben selten wohl reissenden Kurs und finden an der
Macht der Gewohnheit und der Trägheit des Herkommens Gegner.
Bringt die Schutzschrift einmal „Judaea", so freilich dort in
einem Nexus, wo „Palestina" kaum tauglich war x) und „Judaea"
die jüdische Herrschaft, das jüdische Reich bezeichnete: aber ein
andres Mal steht es doch anders, und, wenn er „Galilaea" als
Landschaft den römischen Grossen erläutert , so traut er ihnen
offenbar zu, dass sie gleich sein „Judaea" verstehn werden.2)
In den mehr esoterischen Schriften braucht er um so mehr den
veralteten, eigentlich verpönten Ausdruck3), und es hiesse wohl
willkürlich klügeln, wollte man darauf Gewicht legen, dass dies
teils in Citaten geschehe, teils da, wo von Zeiten die Rede ist,
die hinter Hadrianus zurückliegen. Wird doch David's Judaea
ganz zweifellos — ausnehmend weithin — zurück liegen. Undenk-
bar wäre ja nicht, dass ihm doch grade hier die Erinnerung an
den gültigen Ausdruck die Feder führe. Nur wahrscheinlicher ist
etwas andres: dass correctere geschichtliche Kunde ihm später
die ältere Wendung als unhistorisch erscheinen Hess. Denn David
hat bekanntlich sein Reich weit über Judaea hinaus bis zu
Euphratwassern erweitert. „Innerhalb des jüdischen Volkes" war
mit grösserer Richtigkeit auszusagen.
In Kürze ein viertes und letztes Stück. Wenn Justin's König
von Assur beim Autor der „Juden" den Teufel meint, „der die Heiligen
vom Glauben hinwegscheucht", der Antimarcion aber zum „Hero-
des" Justins zurückbiegt4), so ist das vermutlich begründet in
1) apolog. 26 (I, 225, u.) postremo si Romanae religiones regna prae-
stant, nunquam retro Judaea regnasset despectrix coinmunium istarum divi-
nitatum.
2) apolog. 21 (I, 203, u.) cum discipulis autem quibusdain apud Ga-
lilaeam, Judaeae regionem, ad quadraginta dies egit docens eos quae do-
cerent (in de anima Oehl. II, 582 hält er „Galilaea" nicht für erläuterungs-
bedürftig).
3) apud Bersabe Judaeae de jej. 9 (I, 863, u.); cf. de monog. 16 (I,
786, u.); adv. Marc. IV, 8 (II, 172, o.); ebenclas. 19 (II, 206, u.) sed et census
constat actos sub Augusto nunc in Judaea per Sentiuin Saturninuin; adv.
Marc. III, 23 (cf. Oehl. III, 656, u.), wo der LXX gefolgt wird.
4) Vgl. m. „Abfassungszeit" etc. S. 84 Anm. 7. — Über den Teich
Bethesda wird ebendaselbst S. 85 geredet, worauf hier zu verweisen ge-
4. Das Verhältnis zum Antimarcion. (57
inzwischen veränderter Zeitlage. Denn sind die „Juden" auch
schwerlich während scharfer Verfolgung geschrieben, so fällt
der Antimarcion sicher in Zeiten besonderer Stille. Da die Christen
jetzt gar nicht „gescheucht werden", schien die älteste Wendung
entsprechender.
b. Stilistische Änderungen.
Den Stil betreffen die Wandlungen, denen die Citate an-
heimfallen, alt- wie neutestamentliche. Mit einer einzigen Aus-
nahme1), wo die grössere Eleganz des Ausdrucks wohl solche
Abweichung anriet, wird hier folgerichtig verfahren, so dass der
Antimarcion stets die Septuaginta genau oder wenigstens genauer
zu bringen pflegt. Wir schliessen daraus mit Recht, dass der
jüngere Verfasser gewöhnt war, zumal in jenem „Entwurf", mehr
aus dem Gedächtnis zu schreiben, und dass er sich später auf-
legte, für die eigentlich literarische Leistung eine Nachprüfung
zu veranstalten. Auch mag etwa später ein Fonds von ge-
steigerter Sicherheit mitwirken, so dass ihn nach öfterem Lesen
die Memorie besser bediente. So verfährt der Verfasser bei
Psalmstellen 2), so wird einmal eine Jesaiasstelle in bezeichnender
nügen muss. Dagegen sei noch mit einem Worte erwähnt die Differenz
von secta („Juden'") und haeresis (Antimarcion). S. Sem ler bei (Dehler
III, 651, u. Das dort beigebrachte Septuaginta- Citat lautet (Genesis 49, 5):
2v(j.£(i)v xal Aeii äöskipol ovvexbXtaav döixlav EqcuQeGEcog avxwv. Die
„Juden" sagen für das letzte: ex sua secta, Antimarcion ex sua haeresi.
In diesem scheinbar wörtlicheren Anschluss an die LXX wird wohl ein
Seitenhieb auf den Haeretiker nicht zu verkennen sein. Die Juden haben
„Secten" (vgl. die „Pharisaeer, von denen im Zusammenhange der „Juden"
— s. Oehl. III, 651 — ausdrücklich die Rede ist), aber sie haben keine
„Haeretiker". Auch hier ist schliesslich der Weg vom Antimarcion zu den
„Juden" so unwahrscheinlich wie möglich. Bei Revision seiner Citate (s.
das gleich folgende) hat der Verf. den Seitenhieb ausgeteilt.
1) s. Oehler III, 640. adv. Jud. 14 (II, 739, u.) omnes nationes terrae
secundum genus et omnis gloria servient illi; adv. Marc. III, 7 (II, 130, u.)
omnes nationes terrae secundum genera et omnis gloria famulabunda;
Daniel 7, 14 avxcö öov'/.evoovolv.
2) s. m. Abfassungszeit 84 Anm. 5. In Psalm 45, 5 bringt er sogar
zwei Correcturen an. S. Oehl. III, 647. m. „Juden": et deducet, inquit, te
magnitudo dexterae tuae; Antimarc: et deducet te, inquit, mirifice
dextera tua. LXX: böjiyrjoec ob &av{xaoz(öq rj öe£id aov.
5*
(58 Noeldechen, Tertuüian'a Gegen die Juden.
Weise vervollständigt.1) Auch in einem Abschnitt der „Könige"
steigert er die Genauigkeit deutlich.2] Auch zwei Evangeiien-
worte werden später dem Grundtext genähert, ja eins dieser
beiden sogar mit Preisgebung früheren Wortspiels. Eine Ver-
besserung nicht des Citats, wohl aber der Art seiner Einführung
findet sich ganz entschieden, wo er in den „Juden" vergessen
hatte, dass aus zwei Kapiteln geschöpft war. In Jesaias 7, 4
könnte man auf Sachliches fahnden, vielleicht Dogmatisches
witternd, wo das patrem nosse der „Juden" in dem anderen Werke
verändert und patris et matris vocabulum nosse gesetzt wird.
Indessen Formelles genügt hier: der Text der Septuaginta kommt
später genauer zum Ausdruck. Wie wir consequente Verbesse-
rung, so müssten die Gegner der Echtheit consequente Verlotte-
rung annehmen, deren ihr literarischer Dieb sich hier schuldig
gemacht hätte. Eine solche Consequenz der Verschlechterung
will an sich nicht besonders einleuchten. Die Nachlässigkeit
als solche pflegt inconsequent zu verfahren. Vor Augen liegende
Texte — wie ein solcher, der Antimarcion, doch hier offenbar
zu denken wäre — pflegt sie nicht mit solcherlei Gleichmass,
wie es hier vorläge, zu schädigen, das Bessere und Correctere
gleichsam grundsätzlich verwüstend. Ein absichtliches Schlechter-
machen hat auch die Kritik nicht behaupten wollen.
Kleinere Nuancen des Stils sind etwa praemittat, promittat. 3j
In den „Juden" verweist er den Gegner in den nächsten Bibel-
1) Oehl. III, 645, o.: malitiae non assentaturi. Dies soll (Corssen 8)
der Freibeuter nicht verstanden haben (?). Auch Jes. 42, 6 (elq öiad-ijxrjv
yevovg) wird in adv. Marc, wörtlicher (in dispositioneni generis) wieder-
gegeben, während die „Juden" schreiben generis mei (cf. Oehl. II, 722, o.;
II, 139, o.).
2) s. Oehl. III, 655, u. (adv. Marc. 20. adv. Jud. 14 in fine). LXX
1 Kön. 7, 12. 13. kzoi/udoco zrjv ßaoiXEiccv avzov. avzög olxoöo/utjoel (xoi
olxov zcö ovd[/.azl fiov, xal dvoQ&toow zov &q6vov avzov elq zbv aiwva.
Jud.: thronus in aevum; A n t i m. throuiis in aevum et regnum in aevuin.
Selbst dominus statt deus (III, 652, u.) bedeutet engeren Anschluss an die
LXX. — Zur „Preisgebung des Wortspiels" — im Interesse der Genauigkeit
des Textes — s. Abfassungsz. 83. Anm. 2. Daneben vgl. Oehl. III, 647:
missurus in terram (Schwert senden, nicht Frieden). Die „Juden" haben
(s. fr. „venit"): quando venturus in terras. — ,,Zwei Kapitel" s. Oehl.
III, 643. — Zu Jes. 7, 4. s. Oehl. III, 644. (van Ess S. 772).
3) Oehl. III, 643, u. (adv. Jud. 9., adv. Marc. III, 13).
4. Das Verhältnis zum Antimarcion. 69
Zusammenhang, der Antimarcion lässt den Nexus der Stelle bei-
seite und spricht generell von Verheissung, die vom Pontiker
nicht verstunden werde. Auch das kennen wir schon: die Er-
örterung des nächsten Zusammenhangs in dem Buch an die Juden,
den grösseren und weiteren Ausblick in dem Werk gegen Marcion.
Nocli mehr reine Formsache ist, es, wenn bei Schilderung ältester
Kriegführung ein Zusatz ..de curru" l) hinzutritt, der den Wagen-
kampf mit hineinzieht, wodurch das geschichtliche Bild, das er
vorführen wollte, an Leben, und zugleich die Diktion jener Stelle
entschieden an Rundung gewonnen hat. Auch hier fragt man
sich billig, ob, den Vorgang umgekehrt vorgestellt, eine so syste-
matische Schädigung eines besseren Textes erhört wäre, zumal
an absichtlichen Unfug von der Kritik nicht gedacht wird. Oder
soll der Verderber auch hier seinen Text „nicht verstanden"
haben ?
Die Nachhülfen des Stils sind ziemlich häufig Verkürzungen.
Der breitere und geringere Ausdruck gehört dem Buch an die
Juden, der knappere dem späteren Meister einer gedrängteren
Rede. Es stehe hier ein Satz aus den „Juden"2): petra enim
Christus multis modis et figuris praedicatus est. Da nun aber
weder die Urschrift (die „Juden") noch die gefeiltere und ge-
modelte Reinschrift diese multi modi erörtern will, die letztere
nur die figurae, und auch diese in verändertem Sinne, da zudem
überhaupt jene „modi" dem Sichemiten verdankt wurden, auf
dessen nackte Versicherung die „ Juden" die Behauptung herüber-
nahmen, war Verkürzung ein ersichtlicher Fortschritt: es ist, als
ob prunkender Ballast, ein ziemlich gehaltloser Hinweis auf
breiteren biblischen Hintergrund, kurzer Hand über Bord flöge.
Prägnanter und kürzer sind auch die Hebraei Christiani im „Mar-
cion" — auf die Kühnheit des Ausdrucks ward hingewiesen —
gegenüber einem Urnschweif der „Juden." 3) Dass planmässig
gekürzt wird, beweist auch noch manches andere. So das non
expectabile nomen in dem Buch wider Marcion. 4) „Wie geschieht
1) Oehl. III, 644, o.
2) cap. 9 (II, 724, u.). Dagegen adv. Marc. III, 16 (II, 143, u.) ganz
kurz: petra enim Christus.
3) „Juden": Nam qui ex Judaismo credunt Christo. Vgl. Corssen 6,
oben. (Die Stellen: adv. Marc. II I, 12. adv. Jud. 9 (II, 721, o.).
4) adv. Marc. III, lfj, Anfang.
70 Noeldechen, Tertullian'a Gegen die Juden.
es", so redete Israel einsl in Ad versus Judaeos, „dass doch der
erwartete Christ bei Propheten nie Jesus genannt wird und
der angeblich gekommene den Namen Jesus geführt hat?" l)
Also wiederum bündige Knappheit neben früherer breiter Aus-
führlichkeit. Anscheinend leichtere Kürzung, doch nicht ganz
ohne sachlichen Hintergrund ist das spätere „Hieremias" für
„Deus per Hieremiam." 2) In den „Juden" bewegt sich die Dar-
legung auf der gemeinsamen Grundlage, die ihm in den „Juden"
verstattet ist: dass Gott durch Propheten geredet hat in seinen
„Heiligen Schriften." Beim Pontiker hat Hieremias mit Jesus gar
nichts zu schaffen, er gehört ja nur der „gerechten", nicht der
„gütigen" Gottheit. Die gemeinsame Basis fehlt hier und kann
nicht im Umsehen geschaffen werden. Das „Gott durch Hiere-
mias" kann er dem „Pontus" nicht aufdrängen. Endlich hat eine
nutzlose Gründlichkeit, sozusagen eine verletzende Deutlichkeit
im Antimarcion fallen müssen. Wenn Ezechiel Israel anredet:
dein Vater ist Amoriter und deine Mutter Hethiterin, so war ja
der Zusatz entbehrlich, dass dies nicht wörtlich zu nehmen sei.
Derselbe ist später gestrichen worden. 3). Der umgekehrte Weg
zu den „Juden" vom Antimarcion her setzte teils consequente
Verwässerung einer mehr gesammelten Redeweise, teils auch —
„non expectabile nomen" — ein gewisses Verständnis voraus,
wie der „einfältige" Freibeuter ein solches doch gar nicht be-
sitzen soll.
Naturgemäss, zumal wenn bedacht wird, dass vielleicht ein
volles Jahrzehnt zwischen beiden Schriften gelagert war, haben
auch noch andre Gesichtspunkte, diese, wie viele der früheren,
instinktiv und rasch sich hervordrängend, gewiss im einzelnen
mitgewirkt, um dem späteren Buch auch stilistisch einen Sonder-
charakter zu leihen. An poetischer Färbung des Stils gebrach
es gelegentlich nicht bereits dem älteren Schriftwerk. Wenn
die Heiden „aus dem Strudel des Irrtums4) zu dem Herrn und
1) adv. Jud. 9 (II, 724, m.).
2) Oehl. III, 653.
3) S. Oehl. II, 723, o., Oehl. III, 656.
4) Strudel des Irrtums adv. Jud. 12, Anfang; Kriegswut cap. 3 (II,
707, m.); aufleuchten ebendas. ; Christus erglänzend cap. 9 (II, 721, o.);
erblühender Purpur de idol. 18 (I, 100, oben.); Lichter apol. 11 (I, 158, o.);
Nacken de pall. 3 (I, 926, o.); flos virginum de virg. vel. 7 (I, 893, m.);
4. Das Verhältnis zum Antimarcion. 71
Schöpfergott auftauchen'', wenn „das Neue Gesetz die Kriegswut
in die Lust am Ackerbau unischafft", wenn „das Halten des Neuen
Gesetzes zum Gehorsam des Friedens aufleuchtet", wenn Christus
der Welt „erglänzt", so sind das ziemliche Proben jener poetisie-
renden Prosa, die überhaupt dem Verfasser so eigen ist. Nach
den vorliegenden Spuren hat sich später diese Neigung gesteigert.
Unter anderem „erblüht" ihm der Purpur, und es „erblühen" die
Lichter, es „erblühen" die Nacken von Edelstein, und es gibt
ihm eine „Blüte" der Jungfrauen. Es „blitzt und donnert hinein
in die Welt die selige Botschaft", „aus dem Mutterschosse der
Blindheit treten die Völker hervor und erbeben vor dem Lichte
der Wahrheit." Die „Gerechtigkeit", einst in Kinderschuhen, „er-
glüht durch die Botschaft zur Jugendkraft", und, wie „Thränen-
regen" und „Mondestrost" ihm überkühn nicht erscheinen wollen,
so „fliegt" ein karthagisches Weib hinein in den Brand ihrer
Vaterstadt. Wenn diese entwickelte Neigung auch die Um-
arbeitung der „Juden" zu ihrer Zeit mit beeinflusst, so darf das
füglich nicht Wunder nehmen. In der That ist der „Tau der
Gnadengaben" eins der neuen stilistischen Lichter, welche der
Redaktor jetzt aufsetzt. Ganz gemäss der ihm eigenen Manier,
an dem Buchstaben der Urschrift möglichst enge zu kleben,
wird aus prioribus — roribus, aus den „früheren1) Gaben der
Gotteshuld" ein „Tau der göttlichen Gnaden." Hier ist man
zudem noch imstande, die wahrscheinliche Genesis dieses Quid-
proquo zu verfolgen. Bereits im Kapitel, das nachfolgt, tritt
derselbe „himmlische Tau" in dem Segen Isaaks auf und zudem
in einem Zusammenhang, der so ausdrücklich wie möglich wieder
auf die „Juden" zurückweist. 2) Man könnte vielleicht es gewagt
finden, den voraufgehenden Abschnitt aus dem, der folgt, zu er-
läutern. Doch bedenken wir, dass Antimarcion uns in dritter
Auflage vorliegt, dass der Verfasser aus dem Vollen arbeitet
und sein Plan durchaus überdacht ist, so wird wohl glaubhaft
blitzen (evangelio coruscante) de anima 49, Ende; donnern (intonuit evan-
gelium) de pud. 12, Anfang; Mutterschoss apol. 39 (I, 261 f.); Gerechtig-
keit erglühend de virg. vel. 1 (I, 884, u.); Thränenregen de res. carn. 58,
Anfang; solatiurn lunae adv. Hermog. 29, Anfang; in incendium patriae
devolavit ad mart. 4 (I, 12, m.).
1) vgl. Abfassungsz. 83. Anm. 1.
2) adv. Marc. III, 24 (II, 157, m.). Die Zurückweisung auf die „Juden"
liegt in dem posterior et praelatior populus etc. Vgl. adv. Jud. cap. 1.
72 Noeldechen, Tertullian'g Gegen die Juden.
erseheinen, dass ihm hier die „kommende" Stelle schon in dem
Vorigen vorschwebt. — Wie der Freibeuter aus roribus sein prio-
ribus machen sollte, erscheint mir weit weniger durchsichtig. Er
müsste bewussten Anstoss an der Kühnheit des Ausdrucks
nommen haben, und, die planere Wendung zu formen, ein ge-
wisses Sprachgeschick aufbieten, also grade diejenige Eigenschaft,
die man am meisten ihm aberkennt.
Ist der Stil hier blühender, kräftiger als in den älteren
„Juden", so könnte eine andere Änderung auf den ersten Blick
nüchterner scheinen. Eine Allheit der Geistesbezeugungen
vindiciert er in den „Juden" dem Heiland, er begnügt sich mit
einer Verschiedenheit in dem Buch wider Marcion.1) Eine
Steigerung kann das nicht heissen. Andrerseits wird ein Rück-
gang der Schätzung der Gaben des Herrn nicht zu denken sein.
Auch hier ist indessen kein Grund, nach Art Corssen's so eilig
etwa dem Texte der „Juden" einen Ausnahme-Vorrang zu leihen,
indem man die Fetzen der Texte in abstrakter Vereinzelung auf-
fasst. Viel besser geht man den Merkzeichen von des Autors
Entwickelung nach, wie oben den poetischen Stil, so hier den
philosophischen anlangend. Denn auf philosophische Fäden,
die er seinem Ideengang einverleibt, werden wir hier uns gewiesen
sehn. Zunächst will ja nicht viel besagen, wenn der Ausdruck
universitas (Allheit) ihm in späteren Schriften vorwiegend das
ganze „Weltall" bedeutet 2), wobei denn ein „Weltall von Gaben"
ihm überschwenglich erscheinen könnte. Denn universitas „Welt-
all" gehört bereits auch den „Juden" (cap. 2 Anfang). Wichtiger
ist, dass eine Lehre, aus der griechischen Weisheit entnommen,
ihm grade im Kampf gegen Marcion besonders hülfreich geworden
war: die Lehre von diversitates (contrarietates) im Weltall. 3)
1) Oehl. III, 649, m. (adv. Jud. 9., adv. Marc. III, 17). „Juden": uni-
versitas spiritalium documentorum ; Antim. : diversitas spiritalium docu-
rnentorum.
2) apolog. 21 (I, 198, o.); adv. Marc. II, 2. Anfang; adv. Hermog. 32
(II, 367, u.), de res. carn. 13, Anfang.
3) adv. Marc. IV, 1 (II, 161, u.) : nee mundum saltem recogitare potuisti,
nisi fallor, etiam apud Ponticos ex diversitatibus struetum aemularum
invicem substantiarum. Vgl. die contrarietates elementorurn adv. Marc.
11,29, Ende; contrarietates nati et innati, visualitatis et caecitatis, juventae
et seneetae, sapientiae et insipientiae de anima 29, (II, 603, u.). Zu urri-
versus, diversus, contrarius vgl. auch de anima 8, Anfang (II, 566 f.).
4. Das Verhältnis zum Antiniarcion. 73
Speziell gegen Marcion kämpft er für den Deus bonus et justus,
damit diversitates in Gott, sozusagen polarische Gegensätze inner-
halb der Gottheit verfechtend. Und hier springt wohl schon in die
Augen, wie die „Diversität der Charismen" in Jesu Person zu
verstehn ist. Auch er ist ihm bonus et justus, wie er andrer-
seits tapfer und demütig, ernst und milde zugleich ist. An diesen
Gedankenprocess des Verfassers selber gemessen kann denn
schliesslich der Ausdruck diversitas, dem Vorwurf der Mattheit
entrückt, in der That als die bessere Wendung, weil als die
praegnantere, dastehn.
Doch wir eilen zum Ende. Selbst jenes signum und dignum,
wie es Antimarcion bietet, lässt sich trotz Corssen j) verteidigen.
Wo immer die überlieferte Lesart einfachen Widersinn bietet,
wird man, die Ehre des Autors gegen Abschreiberunglimpf ver-
fechtend, zur Conjectur sich bequemen; wo hingegen dies minder
der Fall ist, wird man wohl wiederholt überlegen, ehe der be-
quemere Weg der raschen Vermutung beschritten wird; dieser letz-
tere ist um so verlockender, als er auch geistreicher scheinen will.
In diesem Fall fehlt doch viel, dass die Lesart Widersinn böte.
Der „Zeichen" von Gott giebt es mancherlei: „monstruose" und
nicht monstruose. Das „monstruose", so heisst's hier, sei von
Gottes Seite her „würdiger". Ja, müsste hier, was ich nicht
leugne, der Text der „Juden" in Wahrheit als der innerlich con-
cinnere gelten, so würde mir daraus noch nicht folgen, dass
Tertullian jenes dignum nicht dennoch selber geschrieben hat.
Man vergleiche die Lesart vivere, welche wir früher erörtert, und
was von Incongruenzen bemerkt ward, welche da, wo ein jüngerer
Text einen älteren aufnimmt, sich einstellen. An Versuchungen
zu jenem dignum fehlte es dem Verfasser mit nichten: das Deo
dignum war längst ihm zum Lieblingsthema geworden.2) Es
wäre zudem nicht undenkbar, dass die massvolle Schätzung der
„Zeichen", wie der Mann sie gelegentlich ausspricht, an dieser
1) S. Corssen S. 7. Anm. Vgl. adv. Jud. 9 (II, 721, u.): Signum autem
a deo, nisi novitas aliqua monstruosa fuisset, signum non videretur. adv.
Marc. III, 13 (II. 139, 0.): Signum autem a deo, nisi novitas aliqua mon-
struosa, tarn dignum non fuisset.
2) Vgl. u. a. das dreifache digne Scorpiace 3, Anfang; das deo in-
digna adv. Prax. 16 (II, 675, m.). Das sind nur geringe Proben, wie sie
mir augenblicklich zur Hand sind.
74 Noeldechen, Tertullian'i m die Juden.
Stelle mit anklingt ]) und die paronomastische Neigung dazu das
übrige thäte. — Nicht bedeutend ist die Veränderung, wenn statt
„subnervare" der „Juden" ein „nervös succidere" eintritt.2) Das
erstere ist afrikanischer, speziell apulejischer Ausdruck. So mag
der noch jüngere Autor hier apulejisch geredet haben. Nur dasfl
doch der Madaurenser mit dem Wort ein „entkräften" bezeichnet
und von „Sehnen durchschneiden" nichts sagen will: also doch
wieder wirkliche Besserung. Nebenbei sei noch erwähnt, dass
ein „valde absurdum" der „Juden" durch des Autors solenneres
„rideo" in dem späteren Werke ersetzt ist.3).
5. Die Zeit.
Aus dem vorigen konnte erhellen, dass die Schrift Ad versus
Judaeos vor 209 4) geschrieben ist. Gegen Grotemeyer'sche Selt-
samkeit: die „Juden" gehören dem Phryger, wird auf den „Pro-
pheten" zu weisen sein, den erst Antimarcion einschmuggelt. Auch
habe ich früher die Zeitfrage bereits ausdrücklich erörtert und die
Schrift den frühesten beigesellt. Ich habe hier nichts zurück-
zuziehn, was irgendwie von Belang wäre. Trotzdem giebt es
freilich Gesichtspunkte, die teils mir früher entgangen sind, teils
auch an der früheren Stelle nicht hinreichenden Raum fanden.
Bei der Schwierigkeit dieser Zeitfragen, bei ihrer Verknüpftheit
zugleich mit den Fragen der Einheit und Echtheit, bei dem Um-
stand, dass der einzige Kritiker, der die Einheit bündig vertei-
digte, in der Zeitfrage geirrt hat, will ich hier weiter ausholen
und zunächst bei der ferneren Darlegung die Schrift als flot-
tierendes Gut, der Verankerung harrend, betrachten. Der Rest
unserer Untersuchung stehe auf eigenen Füssen und verschmähe
zunächst selbst die Hülfen, die die früheren Abschnitte leisten
könnten. Nur wenn eine Menge von Linien, von den Schriften
des Autors ausgehend, nach einem Punkte zusammenlaufen, wird
1) S. meinen „Tertullian" S. 281 f. Adv. Marc. III, 3, Anfang. Da diese
Erörterung grade im 3. Buch wider Marcion voraufgegangen war, so er-
scheint es mir sehr wohl denkbar, dass die Erinnerung nachwirkt. Die
Bedeutung der virtutes und signa (s. II, 124, ganz o.) hatte er Marcion
gegenüber im Interesse der Betonung der Weissagungen herabgesetzt.
2) Oehl. III, 651. — LXX: evevQoxonrjoav.
3) Oehl. III, 646.
4) D. i. vor adv. Marc. III.
5. Die Zeit. 75
ein möglichst begründetes Facit in Betracht der Zeit gewonnen
sein. Um selbst die mindest wahrscheinlichen Zeiträume mit zu
durchforschen, beginnen wir mit den spätesten Schriften, um
Schritt für Schritt von da aus zu den frühern uns rückwärts
zu wenden.
Weit von den „Juden" getrennt erscheint da die Schrift von
der Keuschheit. Und doch enthält sie Gedanken, die wohl zur
Vergleichung herausfordern. Jene nämlichen Sohne Rebekka's,
die die Schrift an die Juden erörtert, sie geben in massiger Um-
formung auch dem Späten noch Leitgedanken, mit denen der
römische Gegner, bekanntlich Kallist, bekämpft wird. Es han-
delt direkt sich hier freilich um das Gleichnis vom Verlorenen
Sohn, das aber, wie die Stelle erhärtet, in sehr erkenntlicher
Weise an die Söhne Rebekka's heranrückt. *) Aber wie spröde
verhält sich die späte Schrift zu den „Juden". Schon das be-
deutet doch fast Verleugnung eigener Vergangenheit, wenn for-
mell die frühere Ansicht als eine fremde behandelt wird.2) Da
ihm jetzt durchaus daran liegt, den verlorenen Sohn als den
Heiden, der zu Christus sich wendet, zu deuten, aber um keinen
Preis als den Christen „der zweiten Busse" 3), so muss ihm die
ältere Form jetzt unter den Händen zerbrechen. Der verlorene
Sohn ist ihm freilich das christlich gewordene Heidentum, wie
der jüngere Sohn in den „Juden" ihm ja dasselbe bedeutet hatte.
Aber da eben der Christ doch nie in die Fremde hinauswandert,
um dann am heimischen Herde noch schliesslich den Vater zu
finden, so wird hier ein Vorbehalt not, dieser Sohn muss hier
qualifiziert werden. In dieser Qualifizierung liegt denn auch in
der That eine Welt von inzwischen bestandenen Kämpfen, von
innerkirchlichem Streit. Die einfältige "Weise, laut welcher der
jüngere Sohn alle Heidenchristen bedeutete, das „nos nationes"
der „Juden" liegt hier in weitester Ferne.
1) Dies zeigt sich (de pud. 8. II, 807) schon in der äusseren Form:
„Duos enim populos in duobus filiis collocant, Judaicum majorem. Chri-
stianum minorem". Vgl. adv. Jud. cap. 1 (II, 702): major populus, i. e.
Judai'cus .... minor populus, id est Christianus. Selbst darin, dass die in
die Augen fallende Analogie mit den Ausführungen der „Juden" ihm hier
nicht in den Sinn kommt (ganz anders adv. Marc. III, 24. II, 157), scheint
sich die grosse Zeitferne anzukündigen.
2) „collocant" s. die vorige Anmerkung.
3) vgl. auch meinen „Tertullian" S. 468.
7(J Noeldechen, Tertullian' Gegen die .Juden.
Ahnlich verhält sich die Fastenschrift. Die „Juden" erör-
terten einst einen Fall der Geschichte Zippora's. Dass diese, von
dem Engel genötigt, ihren Sohn auf der Reise beschnitten hat,
konnte, so hiess es dort, ein Gesetz nicht für Israel gründen.1)
In den „Fasten" erlebt man den Umschlag dieser ihm nun ver-
alteten Ansicht: insofern ein Einzelgelübde — sogar ein blosses
Gelübde — „durch die Autorität des Genehmigers" allerdings
später Gesetz wird. 2) Ist dies das vollendete Gegenteil seines
dereinstigen Grundsatzes, so ist späte Consequenz einer Eigenart,
die schon in den „Juden" hervortritt, nämlich seiner spielenden
Deutung des grossen Liebesgebotes 3) , dass sich dem alternden
Manne der Wortsinn desselben verflüchtigt. Die Etappen dieser
Verflüchtigung bis zu der Fastenschrift hin lassen sich genügend
verfolgen. Hatte er in den „Juden" die Nächstenliebe einfach
auf Selbstliebe ausgedeutet, allerdings auf rechte und heilige, so
ist es Nüancierung der Anschauung, wenn der Seele des Men-
schen sein Körper als wertester Nächster gezeigt wird4), oder,
kühner, der Herrgott selber als „nächster Verwandter" betrachtet
wird. 5) All dies weist zurück auf die Grundstelle, wo einst die
Paradiesesgeschichte zu der Frage gedrängt hatte, wie bei der
Einsamkeit Adams das Liebesgebot wohl in Kraft trete, bezw.
wie Moses zu Adam, Sinai zu Eden sich stelle.
Als weitere spätere Ausdeutung eines Urtextes der „Juden"
1) adv. Jud. 3. Consideremus itaque quod non potuerit unius in-
fantis coacta circumcisio omni populo praescribere et quasi legem hujus
praecepti condere.
2) de jej. 11 (I, 868, o.) tarnen et votuin, cum a deo acceptatum est,
legem in posterum facit per auctoritatem acceptatoris.
3) adv. Jud. 2 (II, 703, m.): si proximum diligerent, id est semet
ipsos.
4) de res. carn. 63 (II, 550, m.) quid, anima, invides carni? Nemo
tarn proximus tibi, quem post dominum diligas; vgl ebendas. 9 (II, 479, u.)
diliget carnem tot modis sibi proximam.
5) Scorp. 3 (I, 504, o.) itaque tria milia hominum a parentibus pro-
ximis caesa, quia tarn proximum parentem deum offenderant. — In
de jej. 3, Schluss scheint sich ein schli essliches Facit dieser spielenden Be-
handlung anzukündigen. Seimus . . . quam facile dicatur, Opus est . . .
diligam deum et proximum tanquam me. Darin, dass Phrasen leicht sind,
hat er ja zweifellos recht. Aber es ist doch bezeichnend, dass man dem
strengen Faster, der mit dem Wortlaut des Liebesgebotes doch auch ein
leichtes Spiel getrieben hatte, dies Liebesgebot „unter die Nase reibt."
5. Die Zeit. 77
erscheint in resurrectio carnis die Fassung des Heiligen Landes
im Sinne von: Leib des Erlösers. Hier hatten die „Juden" ja
schon neben „Rationalismus" auch Mystik. Sie gingen aus von
dem Psalmwort: die Erde gab ihre Segnungen, um mit echt
tertullianischer Eile zur Genesis hinüberzubiegen: gemeint sei in
jenem Psalmwort die terra virgo der Thorah, die noch nicht von
Regen befeuchtet, von Wolkenbrüchen befruchtet, den Rohstoff
zu Adam geliefert, grade wie nachher der Messias von einer
anderen Virgo geboren ward. j) Sehr ähnlich resurrectio carnis.
Die Juden, sagt diese Schrift, hoffen nur auf irdische Dinge und
verstehn unter heiliger Erde die Scholle des jüdischen Bodens,
während diese heilige Erde vielmehr das Fleisch unseres Herrn
ist. Diese kühne verblüffende Mystik fliesst aus der früheren
Quelle; überraschend im nächsten Zusammenhange, geformt und
fertig hervortretend wie Minerva aus Jupiters Haupte, ist sie nur
recht zu verstehen mit den „Juden" als Auslegern. Die Nüan-
cierung ist klar: an die Stelle der terra virgo tritt das Land von
Dan bis gen Berseba, und beide sind schliesslich Symbole des
heiligen Leibes des Meisters.
Sehr belehrend ist „Marcion" V. 2) Der Gedanke der „Juden"
wird aufgenommen, dass mit der Erscheinung des Herrn die Zeit
der „Gaben" zu Ende geht. Aber wie neu ist der Zusatz, jener
vorsichtige Vorbehalt, dass eben dieses Ende der Gaben doch
nur für Israel gelte. Wie bestimmt wird die Ansicht hier ab-
gewiesen, dass auch in der christlichen Kirche die Zeit der Gaben
vorbei sei. Nach jedem ähnlichen Vorbehalt sucht man in den
„Juden" vergeblich, so vergeblich wie nach dem „Propheten",
den erst Antimarcion nachliefert. Und dennoch sollen die „Juden"
ein montanistisches Buch sein!
Dass auch der „praelatior populus" im dritten Buch gegen
Marcion auf die „Juden" zurückweist, als Reminiscenz an die-
selben und zugleich als praeguanteste Kürzung, wird zum Ge-
wissen zu zählen sein. 3)
Wichtiger sind freilich für uns die früheren Schriften des
Autors. Zunächst und vor allem die „Einreden" mit ihrer Notiz
1) adv. Jud. 12 (II, 735, m.) vgl. de res. carn. 26 (IL 501, m.).
2) adv. Marc. V, 8 (II, 297), vgl. adv. Jud. 8. 13. (II, 718, 738). Zu-
satz: „quantum ad Judaeos".
3) Vgl. Oehl. II, 157 mit Oehl. II, 702.
78 Noeldechen, Tertullian'8 Gegen die Juden.
über Streitgespräche1), die zu ihren Zeiten im Schwang sind.
Eine Streitrede ging ja voran auch dem Buche Adversus Judaeos.
Freilich die Colloquenten sind andere: dort der Judengenosse
samt Anhang, und hier gnostische Ketzer. Aber schon das ist
bemerkenswert, dass in irgend einer Weise auch hier eine Schrift,
das Buch von den Einreden nämlich, als Gesprächsniederschlag
dasteht. Erwägt man auch die Streitunterredungen im zeitlich
benachbarten „Götzendienst"2), so scheint sich bezeichnend ein
Zeitraum von Disputationen zu bieten, dem bei Lebzeiten des
Autors kein ähnlicher mehr zur Seite steht. Das Wichtigste
aber wird sein, dass der Schriftsteller jetzt eine Abneigung gegen
solche Gewohnheit gefasst hat, und dass das Gespräch mit dem
Juden eine ähnliche Verstimmung zurückliess. Die Zwiesprachen
mit den Ketzern bereiteten ihm lediglich „Kopfschmerzen"; bei
der Streitunterredung mit Israel erfasst ihn ein ähnliches Miss-
behagen, wenn bei dem Lärm der Debatten „die Wahrheit durch
Nebel verdunkelt wird". 3) Dass dabei die Methode der Streit-
reden, die ihm so wenig behagt haben, durchaus eine ähnliche
war, ergiebt sich mit völligster Deutlichkeit: in einem wie dem
anderen Falle ward mit Schriftgründen gestritten. Am bittersten
redet er doch nun in Bezug auf die Debatten mit Ketzern. Eine
Reihe von Einzelerfahrungen bildet, wie es scheint, eine Leiter,
auf deren äusserste Sprosse er tritt zur Zeit jener „Einreden":
fort mit sämtlichen Schriftdebatten gegenüber der Gnosis! Und
dass er an literarische nicht denkt, scheint4) der Antimarcion
darzuthun, auch resurrectio carnis, auch de carne Christi u. a.
Die Verstimmung, die ihn beherrscht, scheint wirklich wesent-
lich eingeschränkt auf disputatorische Kampfgänge: diese Streit-
1) cap, 15 hunc igitur potissimum gradum obstruimus non adinit-
tendi eos ad ullam de scripturis disputationem. Ja er sagt (cap. 16)
der Apostel sowohl wie der Herr verbieten — indirekt — jede Disputation
mit Haeretikern. Auch komme nichts dabei heraus, als stomachi eversio
aut cerebri. — Dass von mündlichen Verhandlungen und zwar zunächst
ausschliesslich von solchen die Rede ist, zeigt II, 16 ganz unten: novis
vocibus aures accommodare.
2) de idolol. 17 (I, 97, m.) hinc proxime disputatio oborta est, an ser-
vus dei alicujus dignitatis aut potestatis administrationem capiat.
3) aclv. Jucl. 1.
4) doch s. die obige Anm. 1.
5. Die Zeit. 79
form scheint ihm verleidet. So will es kaum glaublich dünken,
dass gleichviel, ob Jude ob Gnostiker zu disputieren gesonnen
sind, er nach den Einreden noch in fernere Wortkämpfe willigt,
mit anderem Wort, dass die „Juden" nach den Einreden fallen.
Hat er wirklich seinen Vorsatz befolgt, mit den Gnostikern min-
destens mündlich nicht in fernere Debatten sich einzulassen —
und nichts zeigt, dass er ihm untreu ward — so wird er die
Juden kaum glimpflicher in dieser Beziehung behandelt haben,
denen er ja niemals, wie Marcion, die christliche „Bruderhand"
bieten kann.
Noch ein anderer Grund wird befürworten, die „Juden" vor
den Einreden anzusetzen. Es mag ja wenig bedeuten, dass das
Wort vom Tropfen am Eimer in so stark contrastierender Weise
in beiden Schriften verwandt wird: in den „Juden" das stolze
Judentum, sich hinter dem Propheten verschanzend, seinen Hoch-
mut an Jesaias nährend, hier die Heiden, nach des Schrift-
stellers Ansicht, nichts vor dem Herrn als solch Tropfen.1)
Wichtiger ist, dass die Einreden eine Art hermeneutischen Fort-
schritts gegenüber den „Juden" bekunden , nämlich in Formu-
lierung des Grundsatzes: kein einziges einzelnes Gotteswort sei
so diffusen Characters, dass man, dessen Wortlaut betonend,
den Sinn der Worte vergessen dürfe. 2) Dies ruft uns die „Juden"
zurück , da , wo sie so „rationalistisch" das „Holz des Fluchs" 3)
aus dem Nexus der einzelnen Stelle erläuterten, wie das des Man-
nes Gewohnheit in dem Judenbuche gewesen ist. Wäre jetzt der
allgemeinere Grundsatz der Einreden ihm schon geläufig, ich
meine, hier war es am Platz diesen Grundsatz bestimmt zu ver-
werten, ja ich meine, er wäre verwertet worden: auch jenes Wort
von dem Fluch ist nicht so diffusen Charakters, dass man, den
Wortlaut betonend, den Sinn darüber vergessen darf. Gewandter,
principieller verfährt er — geraume Zeit nach den Einreden —
im Antimarcion wirklich, indem er die mystische Einzigkeit des
Kreuzesfluches hervorhebt 4), und so dem exegetischen Grundsatz
1) vgl. de praescr. 8 (II, 10, u.) mit adv. Jud. 1.
2) de praescr. 9, Anfang: nulla vox divina ita dissoluta est et dif-
fusa, ut verba tantum defendantur, et ratio verborum non constituatur.
3) vgl. hier S. 54 Anm. 1.
4) sed hujus maledictionis sensum dirt'ero, dignae sola praedica-
tione crucis adv. Marc. III, 18 (II, 146, o.). Das ist eben das entschie-
&0 Noeldechen, Tertullian'fl Gegen die Juden.
der Einreden grössere Ehre macht. Die geringere Gewandtheit
der „Juden" weist diesen einen früheren Platz an.
Auch die Sohutzschrif't deutet nach rückwärts. Will man
allgemeinere Gründe geschichtlicher Art hier zulassen, so ergib!
sich im ganzen als wahrscheinlich, dass die Judenfrage erörtert,
das Gespräch mit dem Juden gehalten wurde, ehe die heidnische
Feindschaft ihr Haupt mächtig erhoben hatte. Ohne Not enga-
giert man sich nicht in Kämpfe mit anderen Gegnern, während
grade ein gewaltiger Mann uns den starken Fuss auf den Kopf
setzt. Was die „Juden" von heidnischer Feindschaft wirklich
durchblicken lassen *), reicht auch nicht entfernt an das Bild, das
die Schutzschrift so machtvoll entrollt hat. Auch von den frischen
Erfahrungen, welche die Schutzschrift vermeldet, von jenem jü-
dischen Buben, welcher den Erlöser verhöhnt hat, sieht im Ge-
spräch mit dem Juden nicht die mindeste Spur durch. Anderer-
seits zeigt schon die Schutzschrift ihn zweifellos im Besitz einer
so umfassenden Kunde von jüdischer Art und Besonderheit, dass
es leicht fällt, den Anwalt der Christen gegenüber den heidnischen
Machthabern auch als früheren Christentums- Anwalt gegenüber
den Juden zu denken. Fastenpraxis, Beschneidung, Sabbate
werden gestreift, also grade auch solche Materien, welche die
„Juden" behandeln. Dazu kommt noch, dass ähnliche Vor-
lesungen, wie die in den „Juden" erwähnten, zu deren Behuf
die Debatten ja nachträglich fixiert wurden, auch in der Schutz-
schrift erwähnt werden. 2) Allerdings, wie die Streitgespräche,
von denen die Einreden bandeln, mit Gnostikern, nicht mit Israel
in Karthago geführt werden, so haben die „Lektionen" der
Schutzschrift nicht mit der Judenbekämpfung, sondern sicher
mit der Befehdung der Christen durch Heiden zu thun gehabt.
Es ist hier die Rede von Vorlesungen, welche „auf dämonische
Eingebung" in Karthago gehalten werden, welche „Gottes Wege
verhöhnen*4 und deren „Gelärme vom Übel ist." Die Lesenden
denste Gegenteil einer dissoluten und diffusen Fassung des Wortes.
Man vergleiche hier Corssen S. 25.
1) Die einzige Stelle steht cap. 9 (II, 723, m.) diabolum qui ad hoc
se regnare putat, si sanctos a religione dei deturbat.
2) (daemones) dispositiones etiam dei et tunc prophetis contionantibus
cxcerpunt (oder exceperunt?) et nunc lectionibus resonantibus carpunt.
apol. 22 (I, 209, o.).
5. Die Zeit. 81
sind zweifellos Heiden, und der Vorgang erinnert durchaus an
das geistige Leben der Hauptstadt, an jene Vorleserwut, die am
Tiberstrande zuhause war, an die Menge von Recitatoren, die
von Thorheit und Eitelkeit strotzten. l) Waren jene Lektionen
Karthago's, von welchen die Schutzschrift geredet hat, wie ge-
sagt, zweifellos heidnische, auf das Unheil der Christen gemünzte,
so hatte die Macht der Zeitsitte doch auch christliche Kreise er-
griffen, und Tertullian hat selber der Vorlesersippe mit angehört.
Die „Juden" vermelden die Absicht, das Ergebnis der Juden-
debatten für „Vorlesungen" zu nutzen. Ja viele seiner früheren
Schriften, nämlich auch abseits von den „Juden", sind als Vor-
lesungen gedacht und zunächst für solche benutzt worden.*2)
Erst später weicht diese Gewohnheit der direkt literarischen Ar-
beit, wo dann das „lectcr* der Anrede 3) die neue Thatsache klar-
stellt. Die Schutzschrift dürfte als Zeitgrenze in diesem Punkt
zu betrachten sein. „Spectacula", „Cultus" sind Vorträge, die
Einreden sind es schon nicht mehr.4) Damit scheint denn
die kritische Stimmung, die aus der Schutzschrift herausredet
über heidnisches Vorleser- Unwesen, sich vortrefflich zusammen
zu reimen. Diese Form der geistigen Mitteilung, gemissbraucht
wie er sie sieht durch jene „dämonischen" Vorleser, wird von Stund
an ihm minder sympathisch. Das Missbehagen am Vorlesen zieht
jetzt weitere Kreise; er betritt in der Schutzschrift selber den
„Weg schweigender Kundgebung."5) Auch daraus möchte ich
schliessen, dass jene „Lektionen" der „Juden", zu denen er sein
Zwiegespräch umschuf, der Schutzschrift selber voraufgingen:
ein Ergebnis, parallel jenem anderen, dass das Disputieren ihm
leid wird.
1) Vgl. hier S. 24 Anm. 1, auch Martin Hertz Renaissance und
Rococo in der röm. Lit. Berlin 1865. S. 29. Allerdings auch glänzende
Vorträge wussten solche Virtuosen zu halten. Näheres s. auch bei Fried -
länder Sittengesch. Roms III, 372 fg.
2) S. meinen Aufs. Kultus-Stätten und -Reden der Tertullianischen
Tage in Luthardt's Z. S. für k. W. u. k. L. 1885. S. 207.
3) auch wohl inspector (II, 335, u.).
4) haec in fide veritatis cum otio perlegentibus pax et gratia dei
nostri Jesu Christi in aeternum. Schluss von de praescr.
5) liceat veritati vel oeculta via tacitarum literarum ad aures vestras
}>ervenire apolog. 1 (I, 133, o.). Der Gegensatz von Vorlesungen schwebt
hier allerdings nicht direkt vor.
Texte n. Untersuchungen XII, 2. 6
§2 Noeklechen, Terfcnlliaa'c Gegen die Ju.
Unterstützt wird die obige Ansicht durch zahlreich«- andere
Daten, die zunächst spezieller beweisen, dase Gedankenkreise der
„Juden" durchaus schon der Schutzschrift mit zugehören. x) So
weist die „vermehrtere Zucht44 auf die Streitschrift in Gedanken
wie Ausdruck2), die „gehörnten Götter* der Schutzschrift er-
innern an die hier nur noch kühnere Streitschrift, die selbst den
„gehörnten Christus'' niederzuschreiben gewagt hat. s) Wenn die
Schutzschrift die Verehrung von „Holz" auf das Conto der Hei-
den gesetzt hat, so scheint ihm der „Holzkönig" vorzuschweben,
den er als dumme Entstellung des „Königs am Holze" ins Auge
fasste. 4) Hilft ihm „Vergil" in den „Juden", so ist das begreif-
lich bei dem, der jedenfalls auch in der Schutzschrift den Man-
tuaner citiert hat. 5) Ist der Doppeladvent des Christ ihm der
wichtigste Streitpunkt der „Juden", so liegt ihm auch in der
Schutzschrift der Kernpunkt des Kampfes schon hier.'') Wen
die Rechnung der Danieljahrwochen im Buch an die Juden
stutzig macht, der vergleiche auch hier, wie die Schutzschrift
das Zeitalter Mosis herausrechnet, Berechnungen, langweilig,
weitläufig, nach Ansicht des Autors, nicht schwierig. 7) Selbst
ein synonymischer Unterschied, so besonders bezeichnend und
wichtig für die Gesamtauffassung der Streitschrift. — wir meinen :
populus, gens — findet sich auch in der Schutzschrift.8) Kommt
1) Schon das sine nomine, sine deo rege apol. 21 (I, 196) klingt in
merkwürdiger Weise an einen Grundgedanken der „Juden" an. S. hier
S. 40. Anm. 1.
2) adv. Jud. 2 (II, 704, o.) quid enim mir am, si is äuget disci-
plinam qui instituit? vgl. apolog. 21 (I, 197, o.) ob disciplinae au-
ctioris capacitatem.
3) apolog. 21 (I, 197) deum patrem passus est squamatum aut cor-
nutum aut plumatum; vgl. ad natt. I, 14 (I, 335, u.) de bove et de ariete
et hirco cornuti dei; vgl. auch (inhaltlich) de spect. 23 (I, 55, o.): Sa-
turno et Isidi et Libero (sämtlich gehörnte Götter). — Die Stelle in adv.
Jud. 10(11, 728, m.): (Christus) hoc more cornutus; vgl. ebendas. cap. 13
(II, 737, o.) cornua crucis.
4) apolog. 16 (I, 177): cum lignum aliquod propitiatur etc.; adv.
Jud. 10 (II, 729): ne forte lignarium aliquem regem significari putetis.
5) adv. Jud. 10 (II, 728, m.) mit Oehler's Note; vgl. überhaupt den
früher citierten Aufsatz im Philologus S. 739 — 741.
6) Vgl. I, 200 und II, 739.
7) Vgl. I, 188. 190. 191. mit II, 717 ff.
8) populus, gens s. I, 196, II, 702 (allerdings auch II, 19S, II, 492).
5. Die Zeit. 83
dazu noch, dass auch die Schutzschrift mit Justins Dialog sich
bekannt zeigt, also mit der wichtigsten Fundgrube, aus der die
Streitschrift geschöpft hatte *), so wird die Ideengeineinschaft als
eine erhebliche gelten müssen. Erwägt man endlich gebührlich
die völlig verschiedene Front, (dort Heiden, hier Juden die Gegner),
so wird wahrscheinlich gemacht sein, dass die zeitliche Nähe
der Schriften eine entsprechend erhebliche ist, oder dass, das
vorige mitgerechnet, die Streitschrift ein wenig früher als die
Schutzschrift verfasst ist.
Die „ Nationen ;', der Schutzschrift benachbart, darf man in
Kürze behandeln. Die „Pflanzschule unserer Verlästerung", wie
dort die Judenwelt heisst, erinnert in Gedanken und Ausdruck
an unsere Judenbekämpfung 2) und zeigt wie die „Juden" zugleich
den alten justinischen Hintergrund. Die „Assyrer, die Meder und
Perser, die Aegypter und endlich die Römer" in ihrem stattlichen
Aufmarsch können kaum die Verwandtschaft verleugnen, welche
sie mit einem Abschnitt der Danielrechnung verbindet. 3) Und,
was die Hauptsache sein wird, schon der Titel von Ad nationes
bezeichnet jenen wichtigen Markstein in dem Wortgebrauche
des Schriftstellers, welcher fast gebieterisch hindert, die „Juden"
gegenüber den „Völkern" als die spätere Kundgebung anzusetzen.
De idololatria ist wichtig, insofern hier Gedanken des Autors
über den Kriegsdienst als Knechts dien st nach Art der „Juden"
zur Sprache kommen, umsomehr noch, als dies im Unterschied
von späteren Schriften geschehen ist. gind abstraktere Frei-
heitsgedanken dem jüngeren Schriftsteller eigen 4), so nun ganz
besonders dem „Götzendienst". So betont dieses Buch ja den
Unterschied zwischen Joseph und Daniel einer- und „Christi Ge-
freiten" andererseits •-») und bespricht die Frage vom Kriegsdienst
1) Vgl. I. 198 {köyov TCQoßdXteiv) mit Dialogus ed. Otto S. 203.
2) ad natt. I, 14 (I, 335) quod enim aliud genus seminari est in-
famiae nostrae? — adv. Jud. 13 (II, 73S, o.) ab illis enim incepit infamia.
3) ad natt. II, Schluss; vgl. adv. Jud. 8 (II, 717).
4) apolog. 34 (I, 240) Ceterum liber sum illi (imperatori) ; vgl. die Er-
örterungen in de fuga 12 (I, 487, m.) a tributariis scilicet, non a liberis
debitus. Man vergleiche auch den Standpunkt Sperat's in den Scillitaner-
acten: er kennt nur den „König Jesus".
5) jam nunc qui de Joseph et Daniel argumentaris, scito, non semper
comparanda esse vetera et nova, rudia et polita, coepta et explicita, ser-
vilia et liberalia. Nam illi etiam condicione servi erant; tu vero nullius
servus, in quantum solius Christi de idolol. 18 (I, 99).
6*
s ] idechen, Tertullian die Jud
im Sinn einer [mmunitäi der Christen vom „kriecht Ischen" Söldner-
iuiii. Es findet einen mächtigen Unterschied zwischen Je
Nave vor Alters und den Dienern des anderen Jesus, der Petro
das Schwert aus der Hand nahm.1) Mit dem Hinweis auf jü-
dischen Kriegsdienst den Kriegsdienst der Christen besehöni
heisst ihm einfach auf Spässe sich legen. Dies ist völlig der
Standpunkt der „Juden". Nachdem er den ewigen Sabbat, wie
einst Justinus, erörtert, bemerkt er, von „knechtischem" Werk
müsse man allezeit feiern.2) "Was ihm „knechtisch" bedeutet,
wird ausgeführt: solch knechtisches Werk sei der Kriegsdienst '■').
ein Werk, das nach Gottes Gebot in alten Tagen erlaubt, aber
neuerdings nun verboten sei. Diese völlige Gleichheit der An-
schauung wird nun gerade dadurch so wichtig, dass der spätere
Schriftsteller zweifellos seinen Standpunkt etwas verschoben hat.
Er retraktiert ihn nun dahin, nämlich in der Schrift von dem
Kranze, dass Kriegsniann werden verpönt, aber Kriegsmann
bleiben erlaubt sei.4) Hat auch das Buch wider Marcion, die
„Juden" bezeichnend verändernd5), jener Kranzschrift Rechnung
getragen, so stehen die „Juden" selber durchaus bei der Schrift
von dem Götzendienst auf jenem früheren Standort, der den Kriegs-
dienst völlig in Bann thut. Selbst jenes Paradiesesverbot, in den
„Juden", (wie wir sahen), erörtert, findet in der Schrift von dem
Götzendienst eine bündige Stil-Parallele, so dass der benachbarte
Ursprung auch dadurch wahrscheinlich gemacht wird. Wie den
„Juden" die Gebote vom Sinai in dem Eden-Verbote beschlossen
1) Moses, Aaron, Johannes mögen an den Kriegsmann erinnern, agmen
agit et Jesus Nave (dieser mehrfach in den ,, Juden"'), bellavit et po-
pulus, si placet ludere, de idolol. 19 (I, 101, u.).
2) adv. Jud. 4 (II, 708, o.) unde nos intelligimus magis sabbatizare
nos ab omni opere servili semper debere.
3) II, 709: nee dubium est opus servile eos (populum Israel) operatos,
cum praedas belli agerent ex dei praeeepto.
4) de cor. 11 (I, 444) plane si quos militia~ praeventos fides posterior
invenit, alia condicio est.
5) Lehrreich ist die Vergleichung von adv. Marc. II, 21, Schluss (II,
110) mit den obigen Stellen der „Juden". Statt des opus servile der
Juden tritt hier ein humanum ein. Noch wichtiger ist adv. Marc. IV. 12
(II, 185): statt des opus servile steht ein opus humanum oder ein opus
tuum, quod quisque ex artificio vel negotio suo exequitur. Auf eine ge-
nauere Analyse können wir uns hier nicht einlassen.
5. Die Zeit. 85
sind, so begreift hier der Cultus der Götzen eine Musterkarte von
Sünden: Mord, Ehebruch, Trug, Ungerechtigkeit, Trunkenheit1):
also ganz die gleiche Manier, das Eine in eine Vielheit zu spalten
und, mehr oder minder mystisch, geheimen Zusammenhang auf-
zuspüren.
Mit den „Schauspielen" naht nun die Zeit, in welcher wir
nach dem bisherigen die Schrift an die Juden vermuten mussten.
Auch hier klingen die „Juden" an. „Aegypten", sagen die „Juden'',
„heisst bei Jesaias öfter der gesamte bewohnte Erdkreis mit Hin-
weis auf einen Fluch und einen herrschenden Aberglauben". 2)
Sehr ähnlich das Buch von den Schauspielen: „Aegypten und
Aethiopien wird die Drohung Gottes zu teil, während alle
Fündigen Völker — „a specie ad genus" verstanden werden".
Die nahe Verwandtschaft des Ausdrucks wie des Gedankens ist
einleuchtend: nur dass doch der biblische Hintergrund im Schau-
spielbuche erweitert3) und, was nicht ganz ohne Wichtigkeit,
das logische Schema gegeben wird. Die „Juden" scheinen ver-
vollständigt, Gedanke und Ausdruck gefördert, und somit die
Ansicht bestärkt zu sein, dass wir nicht nur in namhafte Zeitnähe
der Schrift an die Juden gelangt sind, sondern auch dass die
„Juden" doch früher als die Schrift von den Schauspielen ausgehe.
Auch die Schrift von der Taufe liegt nahe, wie mannig-
fach zu erweisen steht. Aber während soeben die „Schauspiele"
uns Symptome gezeigt haben, die zu den „Juden" zurückweisen,
deutet hier alles darauf, dass die „Juden" der Taufschrift ge-
folgt sind. Dies beweist schon die Weise, wie die „Juden"
die „Taufe" aufnehmen. Der Christus sanctificans aquas ist eine
prägnante Verkürzung eines Lieblingsgedankens der Taufe. Auch
die piscina Bethsaida, in den „Juden" flüchtig vorbeiziehend als
ein Beispiel entzogener Gnaden, nimmt die breitere Erörterung
auf, die in der Taufe voranging. Das Gleiche findet auch statt
in Bezug auf das Leidensholz bezw. den Christ als das „Holz".
1) de idolol. 1.
2) adv. Jud. 9 (II, 723. o.) sie et Aegyptus nonnunquain totus orbis
intelligitur apud illuin , superstitionis et maledictionis elogio. Vgl. de
speetac. 3 (I, 23, u.) cum Aegypto et Aethiopiae exitium comminatur,
utique in ornnem gentem peccatricem praejudicat, si omnis gens peccatiix
est Aegyptus et Aethiopia. a specie ad genus etc.
3) Aethiopien anlangend mag Ezech. 30, 5 vorschweben.
86 Noeldechen, Tertallian'c Gegen die Juden.
welches bitteres Wasser zu süssem macht; bei der petra Christus
steht's ebenso. [) Ähnlich ist ferner die Weise, wie die Taufe
des Herrn besprochen wird, wie auch sonst noch an Ecken und
Enden die Verwandtschaft der Bücher hervorbricht. Zwei Stücke
des „Kleides des Glaubens", so lautet der in der „Taufe" formierte
etwas seltsame Ausdruck2), — soll heissen des Glaubens Be-
ziehung auf Geburt und Leiden des Herrn — kehren nicht nur
im „Judenbuch" wieder, sondern sie treten hier auf mit disposi-
tioneller Bedeutung und mit begrifflichem Nachdruck. 3j Wenn
auch das chrisma des Königs und Priesters4) ähnlich erörtert
und der Wortvorrat beider Schriften als ein verwandter befunden
wird, so wird wie die Priorität so die Nähe der Taufschrift ver-
bürgt sein.
Um so mehr, als auch noch ein Einzelzug von echtester
Beweiskraft hinzukommt. Von des Herrn Advent in der Niedrig-
keit am Schlüsse der „Juden" handelnd, hebt der Verfasser her-
vor, dass der Teufel den Judas berückte, und bemerkt, dass der
erstere diesen „selbst nach der Taufe versucht hatte." 5) Ich meine,
diese letzte Bemerkung ist zunächst der Erklärung bedürftig,
und sie wird im Bannkreis der „Juden" ihre volle Erklärung
nicht finden können. Dem Juden gegenüber erscheint die Be-
1) Hier habe ich einige Sätze fast unverändert aus „Abfassungszeit"
S. 47 herübergenommen.
2) de bapt. 13, Anfang. Abraham's Glaube war eine fides nuda ante
domini passionem et resurrectionem. At ubi fides aucta est credendi in
nativitatem, passionem resurrectionemque ejus, addita est ampliatio
sacramento . . . vestimentum quodammodo fidei.
3) adv. Jud. 8, Anfang: itaque requirenda tempora praedictae et fu-
turae nativitatis Christi et passionis ejus et exterminii civitatis Hieru-
salem; cap. 9, Anfang: incipiamus igitur probare nativitatem Christi etc.;
cap. 10. Anfang: de exitu plane passionis ejus ambigitis. Dass der Verf.
auf die Auferstehungsgeschichten in den „Juden'' nirgends ausführlich ein-
geht, ist wohl ebenso ein Beweis seiner Weisheit, wie dass er das Detail
der Heilungswunder beiseite liess. Dagegen ist das exterminium Hierusalem
etwas Greifbares. Man vgl. übrigens auch de virg. vel. 1, wo das vesti-
mentum fidei charakteristisch erweitert ist.
4) II, 734, u. I, 626.
5) adv. Jud. 14 (II, 740, o.) diabolus . . auctor scilicet Judae traditoris,
qui eum etiam post baptismum temptaverat; adv. Marc. III, 7
(H, 131, m.) diabolus auctor scilicet Judae traditoris, ne dicam etiam
post baptisma temptator.
5. Die Zeit. 87
merknng ausnehmend überflüssig; der Teufel als furchtbarer An-
stifter und Judas als schrecklich Verführter hätten, so will uns
bedünken, dem Juden gegenüber genügt. Das Bedürfnis des
jüdischen Widerparts konnte jenen Zusatz kaum eingeben. Spricht
doch selber die Botschaft nie von der Taufe des Judas und bleibt
es doch Theologumenon, dass der Verräter getauft war. Anders
steht's, wenn wir fragen, ob nicht in der Seele des Schriftstellers,
im Zusammenhang seiner Beschäftigungen, in Verbindung mit
gewissen Problemen, welche ihn kürzlich beschäftigten, der sonst
befremdliche Zusatz seine volle Erklärung wird finden können.
Und hier bietet die Taufschrift ihre ausgezeichnete Hülfe. Diese
Taufschrift war es gewesen, welche die Frage erörtert hatte, ob
die Apostel getauft waren. 1) Randvoll von diesen Erwägungen,
wie immer, auch hier ganz er selber, sein volles Herz wie sein
Him auch in jenen jüdischen Kreis tragend, redet er mehr von
der Taufe, als an sich hier wohl zu erwarten stünde, colportiert
er auch den Lieblingsgedanken von dem getauften Verräter.
Aus den „Juden" ist dann dieser Liebling auch in Antimarcion
eingewandert, mit nur geringer Nuance, einer Nuance, die selber
Nuancen der Schrift von der Taufe zurückruft.
Andere Einzelgründe für diese Datierung der „Juden", vor
der Schrift von den Schauspielen und nach der Schrift von der
Taufe, mit anderen Worten die Ansetzung 195 — 196 habe ich
früher dargelegt.2) Adversus Judaeos wird einerseits vor den
Partherkrieg fallen, andrerseits nach der Gründung der römischen
Provinz Numidien (194) und sicher nach Teilung der Syriae, welche
der Kaiser Sever 194 verfügt hatte. Indem ich hier auf Wieder-
holung der Einzelheiten verzichte, erörtere ich noch einen Punkt,
der, bisher nirgends gewürdigt, als geeigneter Schlussstein sich
anbietet.
Man weiss nämlich aus Spartianus 3) , dass Caracalla als
1) de bapt. 12 (I, 630 — 632). Zu einer sicheren Entscheidung kommt
er nicht. „Nunc sive tincti quoquo modo fuerunt sive illoti perseverave-
runt.*' — Trug er diese „esoterische" Frage überhaupt in das Religions-
gespräch mit dem Judengenossen hinein, so war es allerdings die massivere
indicativische Fassung ftemptaverat), welche sich am meisten empfahl; adv.
Marc. III, 7 werden dann die subtileren Zweifel von de bapt. 12 mit an-
klingen.
2) S. Abfassungszeit S. 48. 49. 155.
3) Antoninus Caracallus cap. 1.
gg Noeldechen, Tertullian'a Gegen die Juden.
Knabe, jener nach Tertullian christiano lacte Genährte, als sieben-
jähriger Knabe mit dem jüdischen Wesen verwickelt ward. Sein
Spielgenoss, lautet die Nachricht, ein Knabe — vielleicht etwas
älter als sieben Jahr — wurde wegen Judaisierens, auf Anlass
des Kaisers Sever und zugleich seines eigenen Vaters, in heftiger
Weise gezüchtigt. Der feinfühlige Prinz, auf den man gr<
Hoffnungen setzte, dessen freundliches Wesen ihn einst bei Volk
und Senat beliebt machten, habe lange dem Kaiser und dem
Vater des Knaben gegrollt: so tief sei die Kränkung des Spiel-
gefährten von dem jungen Prinzen empfunden worden. So weit
die freilich dürftige Nachricht. Da Antonin Caracalla 1SS ge-
boren war und zwar am vierten April1), so liegt jener fragliche
Vorfall zwischen Frühjahr 195 und Frühjahr 196. Dass der
letztere zeitig bekannt ward, wird man für wahrscheinlich halten.
Prinzenlaunen sind anziehend und machen leicht von sich reden:
auch liegt im Bericht Spartian's wohl, dass der judaisierende
Knabe notabler Familie zugehörte, ein Umstand, dann gleichfalls
geeignet, die Anekdote in Kurs zu bringen. Jede massig lebendige
Anschauung vom Verkehr zwischen Rom und Karthago wird
auch dies als probabel erscheinen lassen, dass auch in der Haupt-
stadt von Afrika, wo zahlreiche Juden zuhause waren, das Tages-
gespräch sich den Fall in ergiebiger Weise zu Nutze machte.
Handelte es sich in Italien um Judai'sieren des Römerknaben,
so weiss Tertullian ja sein Teil von juda'isierenden Römern, zu-
nächst wohl der eigenen Heimat. Einen solchen, der den heid-
nischen Vorfahren ausdrücklich den Rücken zukehrend, zum Mono-
theismus bekehrt war, führt uns seine kleine Schrift vor. Die
Combination liegt sehr nahe, dass jenes Gespräch in Karthago
gar in ursächlichem Nexus mit dem römischen Vorfall gestanden
hat. Nicht grade, dass der Judengenosse erst frisch auf den
Eindruck der Nachricht von dem „Judenfreund" Caracalla zum
Judentum convertiert war, wohl aber, dass er sich vorwagte,
während jenes Gerede noch frisch war. Die Zeit stimmt auf
das genaueste: 195 — 196 sind jene Schläge gefallen, die des
Prinzen Gemüt so verletzt haben: 196 ist das Jahr, das als das
weitaus wahrscheinlichste sich für jene Debatte ergab, deren
Niederschlag unsere Schrift ist. Eine Analogie der Berühmtheit
der beiden Fälle ist einleuchtend, des italischen und afrikanischen;
1) Tillemont Histoire des Einpereurs ITT S. 24.
Schluss. 89
von ersterem ist hier vorlier geredet, von letzterem reden die
„Juden'*, die eine praerogativa. einen ganz eigentümlichen Vor-
zug des Gesprächs in dem Umstand erblicken, dass hier ein
Judengenosse, nicht ein Geburtsjude auftrat. Will man andrer-
seits freilich Beweise aus dem vorliegenden Schriftstück, dass
der überseeische Vorfall, dass jener reizbare Prinz und die Prügel
seines Jugendgefährten in solchem Zusammenhang standen mit
jenem Gespräch in Karthago, so hiesse dies doch wohl zu viel
fordern. Wir haben die Vorgeschichte des Buches gegen die
Juden; wir wissen, dass es sich anlehnte an das fragliche Streit-
gespräch: eine Vorgeschichte der Vorgeschichte wird allerdings
nicht geliefert. Was man sicher wird ablehnen dürfen, ist der
überkritische Zweifel, ob Spartian nicht vielleicht doch am Ende
die Christen mit den Juden verwechselt, ob jenes gezüchtigte
Kind zum Christentume geneigt habe. Dazu zeigt er sich
sonst doch zu sicher in der Unterscheidung von Christen- und
Judentum. (S. Spartiani Severus cap. 17.) .
Schluss.
Der Leser, der diesen Darlegungen bis hierher sein Auge
geliehen hat, weiss, dass die Echtheit der „Juden" als Ganzes
nicht mit erörtert ward. J) Die Echtheit des ersten Teiles wird
eben so vorwiegend eingeräumt, dass wir nicht Wasser ins Meer
oder ..Zucker nach Magdeburg" tragen wollten. Mit dem Erweise
1) Dieser Erweis lässt sich — auch grammatisch -lexikalisch -stilis-
tisch — zu vollster Genüge führen. Hier nur ganz weniges. Wo immer
der Text der ,, Juden" vom Antimarcion abweicht, d. i. im allgemeinen stets
da, wo letzterer der Kürzung beflissen ist, ist auch der Ausdruck der
„Juden" durchaus tertullianisch. Vgl. porrigere 111,651 (11,728, 11,146).
Dazu 1, 69. 199, o. 275, u. SOS. 720. 831. II, 15S m. 269, m. 317, u. 354, o.
538. 562, u. 626, m. 670, u.; gestire III, 644, u. (II, 721, II, 139). Dazu
1, 113. 115. 121. 227. 649, u. 676, o. 812. 843. II, 120. 162. 173, o. 210.
349, o. 556, u. 721; regno mit dem Dativ (Antimarc. impero) III, 656, m.
(II, 741, u. II. 150, u.). Dazu I. 392, o.; provoco cum accus. (Antim. pro-
voco ad) III, 643 (II, 720. II, 137 = Adv. Marc. III, 12 Anfang). Dazu Adv.
Marc. IV, Anfang. (Das häufigere prov. ad s. II, 158. 320, o. 356, o.); ambigere
III, 650 (II, 727. II, 145) ist selten bei Tert. (öfters ambiguitas II, 383, o.
550. 551), findet sich aber auch II, 682, m.; peccantia delictorum adv.
Jud. 9. 10 ist nur dort zu lesen, aber vgl. audientia, volentia, significantia;
diftidentia, sufterentia, congruentia, convenientia, ignoscentia, sufficientia,
multinubentia, multivorantia, apparentia, delinquentia, accidentia und das
häufige concupiscentia.
9() Noelclechen, Tertullian's Gegen die Juden.
der Einheit der beiden Teile des Buches konnte die Echtheits-
frage als gleichzeitig erledigt gelten. Dass die Aufzeigung der
Motive, welche so zahlreiche Änderungen im Antimarcion ein-
gaben, bei der Echtheitsfrage sehr mitspricht, wird man wohl
allseitig zugestehn. Auch die Besprechung der Zeitfrage konnte
gar nicht umhin, stillschweigend gleichfalls die Echtheit des Ganzen
mit zu erhärten. Indessen ein allgemeiner Gesichtspunkt, für
dessen genaue Besprechung sich bisher keine Stelle geboten hat,
mag hier noch am Schlüsse zur Sprache kommen, um so mehr
als derselbe direkt mit der Einheit und Echtheit zu schaffen hat
und so die vielleicht noch vorhandene Lücke zu füllen geeignet
ist. Als durchaus tertullianisch erweist sich nämlich dies Schriftchen,
insofern sein formeller Aufbau schlechthin dem Karthager gemäss
ist. Es gilt das ganz insbesondere von seinem Eingang und Ende.
Genau so wie in de Corona und sehr ähnlich wie in de fuga
wird ein äusserer Anlass zum Ausgangspunkt; selbst die Worte
sind beinahe gleichlautend. 1) Und genau so wie in de Corona
beliebt es dem Verfasser auch hier nicht, nach sonstigen stilisti-
schen Mustern am Schlüsse zum Anfang zurückzubiegen 2) und
auf jenen äusseren Anlass die Blicke des Lesers zurückzulenken.
Vom endlichen Geschicke des Tapfern, der in de Corona gefeiert
ward, erfahren wir nicht eine Silbe, schon darum nicht, weil sein
Process offenbar nicht zu Ende gediehen war. Von irgend
welchem äusseren Erfolge des Gesprächs mit dem Judengenossen
wird ebenmässig geschwiegen; mochte doch auch hier nichts zu
melden sein, was dem Autor der Rede wert schien. Allfällig be-
herrscht den Verfasser in beiden Fällen die Sache, und der
persönliche Anteil geht wesentlich im sachlichen unter. Insofern,
könnte man sagen, verläuft sich der geschichtliche Anlass in
beiden Büchern im Sande; wer auf Thatsachen erpicht ist, wird
sich hier spärlich bedient sehn. Trifft nun aber in dieser Be-
ziehung das solenne Gleichnis der Schlange, welche sich selbst
in den Schwanz beisst, trifft jener Kreislauf des Stiles, ein Symbol
seiner Vollkommenheit, in beiden Büchern nicht zu, so fehlt es
1) „Juden" : proxime accidit, disputatio habita est etc. ; de cor. : pro-
xime factum est, liberal itas praestantissimorurn iruperatorum expungebatur
in castris.
2) vgl. hier S. 40. Anm. 1. Wir unterschieden schon dort zwischen
vorletztem und letztem Satz.
Schluss. 91
doch liier wie dort nicht au deutlichem rhetorischen Abschluss.
Hier ist ja die Analogie tertullianischer Schriften sehr mächtig.
In den „Juden" wie in de Corona, in fast sämtlichen Büchern
des Schriftstellers läutet es gleichsam zum Schluss: Parallelen
uud Antithesen, wohlgezimmerte Alternativen oder blendendes,
bissiges Witzwort *) verkünden, dass der Ausgang zur Hand ist.
Irgend ein rhetorischer Donnerkeil, zum mindesten eine ge-
schmücktere Wendung entlässt den Leser am Schlüsse. So ist's,
wie gesagt, denn auch hier. So entwurfsmässig, so locker, so
sehr nach rückwärts gewendet zu dem Hin und Her des Gespräches
der zweite Teil sich auch geben mag, diesen Stempel der rheto-
rischen Kunstform, als stehe er selbst beim Entwurf in ihrem
stilistischen Banne, beliebt der Verfasser ihm aufzudrücken. Er
wählt hier die Alternative in jener erweiterten Form, die nicht
zwei- sondern dreierlei wahlfrei lässt, wie genau dergleichen
noch einmal in dem Buch von der Einehe wiederkehrt. So
kommt denn ein Schluss hier heraus, der, wenn wir früher Er-
örtertes hier ins Gedächtnis zurückrufen, sich in doppelter Hin-
sicht kunstreich zeigt. Jenes populi nationes des Eingangs
klingt wieder im vorletzten Schlusssatze, und das dreimal er-
tönende aut, als dringende Instanz des letzten, vollendet schliess-
lich das Ganze. Diese so formulierte Instanz ist dem Autor auch
vollkommen gegenwärtig zur Zeit, wo er den Pontiker angreift:
sie gehört in die Reihe der Anlehen, welche zu machen er gut
fand. Aber gleich als könne er sich später eine gewisse Ver-
schwendung gestatten, streut er jene Alternative in die Mitte
eines Kapitels.2) Eine neue Antithese beschliesst dann, nicht
eben fern von dem obigen, das dritte Buch gegen Marcion.
Fragen wir nach dem Ertrag der bisherigen Untersuchung,
so könnte uns die Meinung begegnen, er müsse schon darum ge-
ring heissen, weil denn doch die Schrift an die Juden, sie sei nun
1) Parallele de fuga (I, 492) de pat. (I, 615) de poenit. (I, 665) de ex-
hort. east. (1, 757). — Antithese adv. Marc. IV (II, 273) adv. Marc. V
(II, 335) adv. Valent. (II, 422) de anima (II, 650) ad mart. (1, 14) ad natt. I
(I, 348) ad natt. II (I, 398) de test. animae (I, 412) de cor. (I, 457) ad ux. 1
(I, 682); Alternative de inonog. (I, 787); Witz de pud. (I, 847) de jej.
(I, 879) adv. Herrn. (II. 378).
2) allerdings nicht mathematisch zu nehmen. S. adv. Marc. III, 22.
Es ist der drittletzte Satz. Immerhin ist das nicht nur nicht Buchende,
sondern auch nicht einmal Kapitelschluss.
».12 Noeldechen, Tertullian V Gegen die Juden.
echt oder unecht, teilweise echt, teilweise unecht, hie und da
kunstreich im einzelnen oder echterer Kunstform ganz bar, zu den
erheblichen Leistungen Tertullian's nicht gehöre. Es lässt sich
darauf erwidern, dass für die geschichtliche Forschung das schlecht-
hin Kleine nicht da ist. Nicht, was die Schrift an sich wert ist,
ist zudem hier die Hauptfrage: vielmehr wie sie entstanden, wann
und von wem sie geschrieben ist. Ist sie minderwertig zu nennen,
so wird dieser Minderwert selber das Gesamtbild des Autors be-
einflussen, und ein Stückchen von seiner Glorie könnte Tertulliau
immer missen. Die Kritik war wirklich beflissen, Tertullian
gleichsam zu entlasten, ihn vom Verdacht zu befreien, dass er
Schriften wie diese verbrochen habe, aber diese Bemühung war
überflüssig. Ahnlich war man früher bereits mit den „Valenti-
nianern" verfahren, nur dass diese heute erfolgreich ihr altes
Odium abschütteln.1) Geschmacksurteile der Art werden auch
weiterhin weichen müssen. Sollen hier Vergleiche erlaubt sein, so
kann man aus dem Altertum selber das „Deo dignuni" heranziehn;
auch dieser Massstab war angethan, subjektivem Belieben anheim-
zufallen. Oderman magdesNoetos berühmte Frage vergleichen: Was
thue ich eigentlich Schlimmes, wenn ich Christus verherrliche?
Wissenschaftlich ebenso wertlos sind Verherrlichungen von Schrift-
stellern auf Kosten der geschichtlichen Wirklichkeit. Zudem wird
sich schliesslich herausstellen, dass das Streitobjekt gar nicht so
klein war, um das es hierorts sich handelte. Die Frage nach Echt-
heit und Einheit, wie nach der Entstehung der „Juden" erscheint
von entschiedener Wichtigkeit für das Gesamtverständnis des
Schriftstellers. Als echt und einheitlich dargethan und richtig in
den Process der Entwickelung seines Urhebers eingefügt, ist das
Buch „gegen die Juden" als Erkenntnissmittel unschätzbar, zeigt,
wie der Mann gearbeitet, und gestattet wie kaum etwas andres
einen Einblick in seine WTerkstatt. Losgelöst von diesem Schrift-
steller gliche das Werk allerdings wohl einer fast wertlosen
Planke, die im wüsten Strome der Zeit schwimmt. Genommen
als das, was sie ist, wird die Arbeit ein wertvoller Baustein, der
sich als vollkommen passlich in das grössere Gefüge mit einrückt.
1) Namentlich war Munter (Primordia Eccles. African.) geneigt, die
„Valentiniani" Tertullian abzusprechen. Später finden wir Harnack und
Lipsius, die sonst die ,,Val." anlangend in Einzelfragen von einander
abweichen, in der Anerkennung der Echtheit ganz einig.
DIE
PREDIGT UND DAS BRIEFFRAGMENT
DES
ARISTIDES
AUF IHRE ECHTHEIT UNTERSUCHT
VON
PAUL PAPE.
Texte u. Untersuchungen XII, 2. 7
Was man von dem Apologeten Aristides vor Auffindung
seiner Apologie wusste, war sehr gering und ging lediglich zu-
rück auf die kurze Mitteilung des Eusebius in seiner Kirchen-
geschichte IV. 33. Die Mitteilungen des Hieronymus in De
viris ill. 20 und Ep. 70, 4 sind offenbar nur eine willkürliche
Ausschmückung dessen, was er aus Eusebius überkommen hat;
denn gelesen hat er jedenfalls, das geht aus der ganzen Art und
Weise des Berichtes hervor, die Apologie nicht.
Erst im Jahre 1878 gaben die Mechitaristen zu S. Lazzaro
ein in einer armenischen Handschrift des 10. Jhs. gefundenes
Fragment der Apologie heraus, zugleich aber eine in einer an-
deren Handschrift des 12. oder 13. Jhs. (Vetter, theol. Quartal-
schrift 82) gefundene Homilie „Ad latronis clamorem et crucifixi
responsionem." Der Irrtum der Herausgeber, welche Aristeay
in der Überschrift derselben lasen, ist durch die genaue Unter-
suchung von Vetter richtig gestellt, welcher nach eigener Ein-
sicht in den Codex Aristite gelesen hat. Dies wird auch bestätigt
durch den Codex von Etschmiadzin, welcher den Namen des
Philosophen richtig bringt. Diese Handschrift enthält genau das-
selbe Bruchstück der Apologie, wie die zuerst erwähnte Hand-
schrift. Martin in Pitra, Analecta sacra IV, gab aus einem
armenischen Codex zu Paris ausserdem noch ein nur wenige
Zeilen umfassendes Fragment aus einem auch den Namen Aristi-
des tragenden „Sendschreiben an alle Philosophen".
Während nun die Echtheit der Apologie durch Auffindung
eines vollständigen syrischen Textes , sowie eines grosse Teile
umfassenden griechischen in der Erzählung „Barlaam und Josa-
phat"' ausser Zweifel gestellt ist, ist die Homilie von vornherein
auf starken Widerspruch gestossen (bes. Harnack, Texte und
Untersuchungen I. i und RE.), ja selbst katholische Gelehrte, wie
Himpel (theol. Quartalschr. 80) wagten nicht, für die Echtheit
4 Pape, Die Predigt und das Brieffragment des Aii-tides.
derselben einzutreten. Allerdings fehlte es bis vor kurzem an
einer eingehenden Untersuchung dieses im Falle der Echtheit
hochwichtigen Literaturdenkmals, bis endlich Prof. Zahn in Er-
langen in seinen „Forschungen z. Gesch. d. neutest. Kanons" V.
S. 415 — 37 die Homilie und das Brieffragment zum Gegenstande
einer Untersuchung machte , in welcher er die Echtheit beider
Schriftstücke auf das entschiedenste behauptete. Mit derselben
Frage beschäftigte sich sodann der Erlanger College Zahns, Prof.
Seeberg, in seiner kleinen Schrift „Der Apologet Aristides"
1894, nahm in allen wesentlichen Punkten dessen Aufstellungen
auf und suchte sie nur ausführlicher zu begründen.
Trotz der Sicherheit nun, mit welcher beide Gelehrte ihre
Behauptungen aufgestellt und ihre Schlüsse gezogen haben,
scheint es geboten, diese Festsetzungen nochmals einer genauen
Untersuchung zu unterziehen, da es den Anschein hat, als sei
eine grosse Anzahl bedeutender Schwierigkeiten, welche sich der
Anerkennung der Echtheit in den Weg stellen , gar nicht oder
nicht genug gewürdigt worden, ebenso, dass die Tragweite und
der Umfang der Schlussfolgerungen zu den für sie vorgebrachten
Argumenten in keinem Verhältnis stehen.
Schon was die Anordnung des Stoffes betrifft, Hesse sich
ein Einwand erheben. Beide Forscher stellen die Untersuchung
über das kleine Brieffragment voraus. Nun lässt sich darüber
allein nicht viel sagen, da die drei Zeilen zu wenig Anhaltspunkte
bieten. Wenn man sich über die in dem kleinen Stücke ent-
haltenen dogmenhistorischen Schwierigkeiten hinwegsetzt oder
sie nicht anerkennt, ist es ein leichtes, die Existenz der ganzen
Schrift und ihre Echtheit zu behaupten, und man hat dadurch
den Vorteil, für die Untersuchung der Homilie bereits mit zwei
als echt erwiesenen Aristidesschriften operieren zu können. (See-
berg S. 11. Die Tradition der Armenier wird als unverdächtig
bezeichnet, nachdem sie sich bereits an der Apologie und an dem
Sendschreiben als richtig erwiesen habe). Dagegen lässt sich aber
einwenden, dass es richtiger ist, die Homilie, welche der Unter-
suchung weit mehr Anhaltspunkte bietet, zuerst zu behandeln,
da von ihrer Echtheit oder Unechtheit ein weit besserer Schluss
auf die Glaubwürdigkeit des Brieffragments gezogen werden
kann, als umgekehrt. Denn wenn sich die Homilie als unecht
erweist, dann wird die Tradition betreffs des Briefes von vorn-
L'ape, Die Predigt und das Brieffraginent des Aristides. 5
herein als höchst verdächtig erscheinen, während es für die
Homilie nur von untergeordneter Bedeutung ist, ob das Frag-
ment anzuerkennen sei oder nicht, da jene die Grundlagen für
ihre Beurteilung lediglich in sich selbst trägt. Es wird dem-
nach in erster Linie die Homilie einer eingehenden Untersuchung
zu unterziehen sein, und da müssen wir vor allem die Haupt-
stütze der Aufstellungen Zahns und Seebergs, die Traditionsfrage,
in Erwägung ziehen.
Beide Gelehrte bezeichnen die Tradition als unverdächtig.
Der Apologet Aristides sei keine Berühmtheit gewesen, dass man
ihm hätte derartige Schriftstücke zuschreiben können; auch lege
die gelehrte Überlieferung dem Aristides keine Homilie bei; das
Schweigen des Eusebius habe keine Bedeutung, da er ja auch
über die Apologie nicht aus eigener Anschauung berichte. Gegen
diese Ausführungen kann folgendes eingewendet werden: Mögen
nun die beiden in Frage stehenden Schriften echt sein oder nicht
— schon die Thatsache, dass von allen Kirchen des Altertums
die armenische allein uns 3 Schriftstücke unter dem Namen des
Aristides aufbewahrt hat, verbürgt uns, dass der Name Aristides
bei den Armeniern einen guten Klang hatte. Welche Umstände
diese besondere Wertschätzung veranlasst haben, wissen wir
allerdings nicht, doch dies fällt auch hier keineswegs ins Gewicht,
da wir ja über das Leben und die Geschicke der armenischen
Kirche der ältesten Zeit überhaupt nur sehr spärlich unterrichtet
sind. Jedenfalls aber war es einer der ältesten Namen der christ-
lichen Litteratur, und es konnten ihm daher sehr wohl in dog-
matisch-polemischem Interesse Schriftstücke untergeschoben wer-
den. So haben z. B. die Apollinaristen bei ihren Fälschungen
am Ende des 4. Jhs. nicht nur berühmten Schriftstellern, wie
Justin und Athanasius, ihre eigenen Schriften untergeschoben,
sondern auch dem als Schriftsteller gar nicht berühmten Felix,
Bischof von Rom [Harnack, Gesch. d. altchristl. Litteratur
S. 659 f.]. Allein nicht sowohl darauf wird man sich zu berufen
haben, als auf die Beobachtung, dass ein christlicher „philo-
sophus Atheniensis aus der 1. Hälfte des 2. Jhs." — als welchen
man den Aristides kannte — kein homo ignobilis war, sondern
für theologische Fragen aller Art ein homo nobilissimus. Reichte
er auch nicht ganz an den Dionysius Areopagita, assecla Pauli
apostoli, heran, so kam er ihm doch nahe.
6 Pape, Die Predigt und das Brieffragment des Aristides.
Allerdings schreibt die gelehrte Tradition dem Aristides keine
Homilie zu; aber dass dies zu Gunsten der Echtheit spreche, ist
nicht ersichtlich. Denn wenn nach Zahn die armenische Tradition
auf eine griechische des 5. Jhs. zurückgeht, und die Homilie,
sowie die Epistel um jene Zeit in „Kappadocien und Konstanti-
nopel" unter dem Namen des Aristides vorhanden war, so er-
scheint es doch merkwürdig, dass sich von dieser Tradition keine
Spur in der griechischen Kirchenlitteratur erhalten haben sollte.
Denn wenn diese Tradition auf Richtigkeit beruht, dann kann
sie nicht erst im 5. Jh. entstanden sein, dann muss auch in
früherer Zeit bereits neben der Aristidesapologie von einer
Aristideshomilie und einem Aristidessendschreiben an alle Philo-
sophen gesprochen worden sein, und dann ist es wunderbar, dass
dem Eusebius, der die Tradition betreffs der Apologie kannte,
diejenige betreffs der anderen Schriften unbekannt geblieben sein
soll. Wenn ferner Seeberg anlässlich der vielfachen Berührungen
der Homilie mit der 13. Katechese des Cyrill von Jerusalem es
für durchaus nicht verwunderlich erklärt, dass Cyrill (350 — 86)
die Homilie des Aristides gekannt haben könne, so erheben sich
gerade daraus wieder neue Schwierigkeiten gegen die Tradition.
Wenn nämlich die Homilie im 4. Jh. in Jerusalem bekannt war,
ist es wiederum unerklärlich, dass ein Forscher wie Eusebius,
ein palästinensischer Bischof, davon nichts gewusst hat. Noch
merkwürdiger aber wäre es, dass Hieronymus, der ja alle Littera-
turnachrichten, deren er habhaft werden konnte, emsig sammelte,
von dem Vorhandensein einer solchen Homilie nichts gehört
haben sollte, obwohl er sich seit 384 in Palästina und vielfach
in Jerusalem aufgehalten hatte und mit einem Nachfolger Cyrills,
dem Bischof Johannes, eine Zeitlang in engstem Verkehre stand.
Es muss demnach gegenüber jenen Behauptungen gesagt
werden, dass es erstens durchaus nicht befremden kann, wenn
dem Aristides in der armenischen Kirche Schriften untergeschoben
worden sind — zumal, wenn sich zeigen sollte, dass sie sich
gegen die theologische Richtung wandten, welche die Armenier
am stärksten bekämpften, die Nestorianer — , und dass zweitens
das Schweigen der gesamten griechischen Litteratur nicht so
bedeutungslos ist, als es von Zahn und Seeberg dargestellt wird. l).
1) Nur nebenbei sei auf die Schwierigkeit aufmerksam gemacht, die
sich ergiebt, wenn man sich die Art der ältesten Überlieferung der so
Pape, Die Predigt und das Brieffraginent des Aristides. 7
Das Ergebnis in betreff der Traditionsfrage könnte also
etwa so gefasst werden : für die Annahme der Echtheit ergiebt
sich ans ihr, wenn genügende innere Gründe vorhanden sind,
gerade kein Hindernis; andrerseits aber kann aus der Tradition
kein irgendwie erhebliches Argument für die Echtheit gezogen
werden, wenn derartige Gründe fehlen oder gar gegenteilige
gefunden werden sollten.
Demnach wird der Schwerpunkt der ganzen Frage auf der
Untersuchung der inneren Merkmale ruhen müssen. Der erste
Anhaltspunkt, der sich uns darbietet, die Homilie auf ihre Zu-
gehörigkeit zu Aristides zu prüfen, ist ein Vergleich mit der
Apologie desselben Schriftstellers. Es werden demnach diese
beiden Schriften daraufhin zu betrachten sein, ob beide von
einem und demselben Verfasser herrühren können.
In diesem Punkte ist das von Zahn und Seeberg gebotene
Material sehr gering. Zahn begnügt sich, abgesehen von zwei
Punkten (Annagelung und Schrifterwähnung), auf welche später
zurückzukommen sein wird, mit der Bemerkung in Punkt 5 des
Schlussresultates: „Es fehlt nicht an bemerkenswerten Berüh-
rungen in Gedanken und Ausdruck zwischen der Predigt und
der Apologie; jedenfalls besteht keine nachweisbare Ver-
schiedenheit in Bezug auf die Denkweise und den Bil-
dungsgrad zwischen dem Verfasser der einen und der
anderen Schrift." Für die letztere Behauptung ist Zahn aller-
dings den Beweis schuldig geblieben, leider, denn es wird sich
zeigen, dass sich gerade von diesem Punkte aus gewichtige Be-
denken gegen die Identität der Verfasser ergeben.
Die von Seeberg angeführten Berührungspunkte werden
nicht so schwer ins Gewicht fallen, um die gegenteiligen Be-
denken aufheben zu können. Denn teils giebt er selbst zu,
dass manches auf Zufall beruhen mag (S. 11. 2), zumal wir
nicht wissen können, wie weit derartige Ähnlichkeiten im Aus-
drucke auf den armenischen Übersetzer, beziehungsweise Be-
arbeiter oder Verfasser, zurückzuführen sind, teils sind die vor-
kommenden Berührungen mancher Gedanken (z. B. die Bezeichnung
kurzen Homilie vorstellen soll. War sie stets mit der Apologie verbunden
— dann müsste die Kunde von ihr auch zu Eusebius gekommen sein — ,
oder hat sie für sich circuliert — dann ist ihre Erhaltung schwer begreif-
lich — , oder war sie mit Werken anderer Schriftsteller verbunden?
8 Pape, Die Predigt und das Brieffragment des Aristid.
der Juden als Mörder des Herrn) ziemlich natürlich, und BpecieL1
dieser Gedanke ist ein so selhstverständ] icher und geläufiger, dasfl
diese AhrUchkeit kaum auffallen kann.
Manche der Berührungspunkte endlich, die Seeberg anführt,
sind in der That sehr wohl anfechtbar. Wenn in beiden Schriften
die Kraft des göttlichen Wortes betont wird, ist dies erstens
durchaus kein merkwürdiger Gedanke, zweitens aber ergiebt sich
bei genauerer Betrachtung der betreffenden Stellen ein wesent-
licher Unterschied. Wenn der Apologet von der Kraft spricht,
die über dem Evangelium ist, IL 7, die aus den Schriften der
Christen auf den Leser ihre Wirkung ausübt, XVI. 5. XVII. 1, so
ist das doch etwas wesentlich anderes, als wenn der Prediger 1. 2
von der geheimnisvollen Kraft der Rede, nämlich der Worte des
Schachers und der Antwort des Gekreuzigten, oder VI. 2 von dem
lebenschaffenden Worte Christi spricht, denn an keiner dieser
beiden Stellen ist, wie dort, von der Kraft des Schriftwortes
die Rede.
Während Ap. I. 6 die Unmöglichkeit ausgesprochen wird,
dass Gott einen Gegner habe, weil keiner stärker sei als er, ist
in der Predigt bloss der Gedanke als unsinnig hingestellt, dass
Gott und Christus gegenseitig Widersacher sein könnten; also
auch hier eine wesentliche Differenz.
Ebensowenig stimmt die Berührung von Hom. IV. 2 „ver-
gänglich und verdorben", wo von der menschlichen Natur die
Rede ist, mit Ap. III. 3 „vergänglich, und auflösbar", wo von
der Natur der Elemente, aus welchen die Götterbilder verfertigt
werden, gesprochen wird.
Demnach wird man behaupten müssen, dass von Berührungen
und Ähnlichkeiten, abgesehen von verschwindenden Ausserlich-
keiten, nicht die Rede sein kann. In der That braucht man nur
die beiden Schriftstücke auf ihren Inhalt, auf den Standpunkt
ihrer religiösen und theologischen Auffassung zu betrachten:
trüge die Predigt nicht gerade den Namen des Aristides in der
Überschrift, so wäre wohl niemals jemand auf den Gedanken
gekommen, sie dem Verfasser der Apologie zuzuschreiben. Wir
brauchen nur zu sehen, was für Persönlichkeiten uns aus jeder
der beiden Schriften entgegentreten, um die tiefgehenden grund-
sätzlichen Verschiedenheiten zwischen beiden zu erkennen.
Pape, Die Predigt und das Brieffragment des Aristides. 9
Vor allem : was für ein Christentum stellt uns der Apologet dar?
Er geht in seiner Apologie von seinem philosophischen
Gottesbegriff aus, den er Kap. 1 ohne specifisch christliche Mo-
mente darstellt, und leitet dann über zu einer Betrachtung der
verschiedenen Menschengeschlechter: Heiden (Barbaren, Griechen
und Ägypter), Juden und Christen, um sie daraufhin zu prüfen,
welche von ihnen dem eingangs aufgestellten reinen Gottes-
begriffe am nächsten kommen. Was er bei dieser Aufzählung
von den Christen zu sagen weiss, sind nur einzelne, einer Glaubens-
formel entnommene Punkte, die er jedoch in charakteristisch
referierender Weise vorbringt („es heisst, dass er herabgekommen
ist im heiligen Geist vom Himmer', „und sie sagen, dass er nach
drei Tagen auferstanden und emporgefahren ist", etc.).
Nun legt er der Reihe nach die Religionen der verschiedenen
Völker dar, und zwar sind von den 17 Kapiteln der Apologie 11
(3 — 13) der Bekämpfung der heidnischen Mythen und Religionen
gewidmet; dann folgt ein die Juden behandelndes Kapitel, in dem
der Apologet eine nur sehr mangelhafte und" oberflächliche
Kenntnis des Judentums verrät. Die drei letzten Kapitel bringen
endlich eine Darlegung des Christentums, welche nicht nur
räumlich, sondern besonders auch inhaltlich überaus dürftig ist.
Sie besteht aus einer Reihe ziemlich zusammenhangslos anein-
ander gereihter sittlicher Vorschriften, Betonung des sittlichen
Wandels der Christen, und dass sie es seien, die die Wahrheit
gefunden hätten und um derentwillen überhaupt noch die Welt
bestünde, Zurückweisung der gegen die Christen ausgestreuten
Verleumdungen; er schliesst mit einer Aufforderung zur Be-
kehrung im Hinblick auf das kommende Gericht.
Die Düiitigkeit dieser Darlegung fällt in die Augen. Der
Apologet ist, wie er selbst verrät, in erster Linie durch seinen
philosophischen Gottesbegriff vom Heidentum abgekommen und
für das Christentum gewannen worden, da er eingesehen hat,
„dass diese allein der Erkenntnis der Wahrheit nahe sind",
XV. i. XVI. i. Ein zweites Moment neben dem philosophischen
ist das ethische. Er fühlt sich von den streng sittlichen Grund-
sätzen der Christen angezogen, weil sie seiner ethischen Grund-
anschauung entsprechen, während die im Heidentum herrschende
Unmoral ihn abstösst. Dass das Christentum auch noch andere
Momente enthält, ja dass der Kern desselben überhaupt nicht in
10 Pape, Die Predigt und das Brieffragment des Aristid*-.
seiner philosophischen und ethischen Seite ruht, ist ihm nicht
bewusst. Die wenigen Berührungen einer positiven Seite des
Christentums beschränken sich auf einzelne Punkte seines Glau-
bensbekenntnisses und eine Andeutung in XVII. 1: „hinsichtlich
des Restes finden sich in ihren andern Schriften Worte, die zu
schwer sind zu sagen, auch dass sie ein Mensch wiederhole,
welche nicht nur gesagt, sondern auch geschehen sind."
Vor allem aber, und darauf kommt es hier besonders an,
fehlt die Erwähnung der hohen Bedeutung des Glaubens. Die
Christen glauben an Gott, den Schöpfer aller Dinge, .... von
welchem sie empfangen haben die Gebote , welche sie be-
obachten wegen der Hoffnung und Erwartung der zukünftigen
Welt, XV. 2, sie beobachten die Gebote ihres Messias mit grossem
Eifer, sie leben gerecht und ehrbar, XV. 9, sie bemühen sich,
dass sie gerecht werden, als solche, die erwarten, dass sie ihren
Messias sehen und von ihm empfangen werden die Verheissun-
gen XVI. 2.
Erkenntnis, Gerechtigkeit und Vergeltung; andere Merkmale
des Christentums kennt er nicht. Dem gegenüber muss die Be-
trachtung der Homilie geradezu überraschen. Dort der ausge-
prägteste monotheistische Moralismus — in edler Gestalt, wie
bei den Apologeten überhaupt — , hier eine rein dogmatische
Glaubenspredigt ohne den für das 2. Jahrhundert charakteristi-
schen Moralismus: das ist ein tiefgehender Zwiespalt, dem gegen-
über alle eventuellen äusserlichen und sprachlichen Berührungen
in den Hintergrund treten. Noch mehr Gewicht erhält dies
Argument gegen die Identität der Verfasser, wenn man betrachtet,
was für ein Glaube es ist, von dem der Prediger so ausschliess-
lich handelt; es ist nämlich keineswegs etwa ein paulinischer
Glaubensbegriff (wo das dogmatische hauptsächlich im „Beweise"
steckt), von dem der Verfasser hier ausgeht, sondern der Glaube,
von dem er spricht, ist der an bestimmte dogmatische For-
meln; und dadurch weist die Predigt nicht nur von Aristides,
sondern überhaupt von seiner Zeit weg; denn ein so ausschliess-
lich betonter dogmatischer Glaube deutet auf einen bereits weit
fortgeschrittenen Stand der dogmengeschichtlichen Entwicklung
— auf welchen, wird in einem späteren Abschnitte zu unter-
suchen sein.
Dadurch wird aber auch der Einwand hinfällig, dass sich
Pape, Die Predigt und das Brieffragment des Aristides. \\
diese Differenzen durch den verschiedenen Zweck der beiden
Schriftstücke -erklären lassen. Denn der Zweck einer Predigt
bietet keinerlei Anhaltspunkt für die Annahme, dass er den
Prediger veranlasst haben könnte, so weit über den Horizont
seiner Zeit hinauszuschreiten, was dem Apologeten auch kaum zu-
zutrauen wäre. Auch der gewählte Text hätte einen Mann von
den Anschauungen des Apologeten nicht zwingen können, sich
auf einen ihm so fremden Boden zu stellen. Es lässt sich keinerlei
Erklärung für die wunderliche Thatsache finden, dass an keinem
Punkte der Predigt die theologische Grundrichtung des Redners
zum Vorschein kommt, wozu doch auch dieser Text Gelegenheit
genug bietet (z. B. bietet die Predigt nirgends eine hier doch
naheliegende Reflexion darüber, dass der zum Heil Gelangte gerade
ein Räuber war, dass also seine bisherige Lebensführung sich in
direktem Gegensatze zu den sittlichen Forderungen des Christen-
tums, die bei Aristides doch obenan stehen, bewegt hat, und
noch vieles Andere könnte man nennen, was ein Prediger des
2. Jahrh. sich schwerlich hätte entgehen lassen).
Noch ein Zweites kommt hier in Betracht, was eine umfang-
reichere Vergleichung ermöglicht — es ist der Schrift gebrauch.
Eine Thatsache fällt sofort in der an interessanten Eigen-
tümlichkeiten überhaupt so reichen Apologie auf. Der Apo-
loget bringt kein einziges Citat, trotz seiner vielen Hinweisungen
auf die Schriften der Christen, IL 7, XV. 1, XVI. 3, 5, XVII. 1. Was
er von diesen Schriften kennt, ist nur aus einzelnen Anklängen
und Berührungen zu entnehmen, an welchen die Ausbeute aber
auch herzlich gering ist. Er hat nach eigener Aussage die
„Schriften der Christen" gelesen. Aber sehr eindringlich mag die
Beschäftigung mit ihnen nicht gewesen sein, sonst hätte sich ihm
an der einen oder der anderen Stelle ein Citat aufdringen müssen.
Betrachtet man zunächst die alttestamentlichen Anklänge, so
ergiebt sich das überraschende Resultat, dass solche fast gar nicht
vorhanden sind. Der Anklang an 1. Petr. 3. 10 in XVII. 6 hat
nur eine äusserst entfernte Ähnlichkeit mit Ps. 34. u, und so
erübrigt nur noch eine Stelle, die allerdings an Jerem. 31. 33 er-
innert (das „In die Sinne schreiben"). Jedoch selbst da ist es
zweifelhaft, ob es nicht auf Hebr. 8. 10 zurückzuführen sei, wo
die betreffende Stelle aus Jer. citiert ist. Damit sind aber auch
die alttestamentlichen Berührungspunkte bereits erschöpft, und
12 Pape, Die Predigt und dae Brieffragment des Aristidee.
diese geringe Bekanntschaft mit dem Alten Testament stimmt
vollkommen überein mit seiner geringen Kenntnis vom Juden-
tum, XIV. Berührungen mit griechisch geschriebenen Apokry-
phen, IL Makk. und Ep. Jerem. schliessen den ganzen alttesta-
mentlichen Gedankenkreis ab.
Auch von des Aristides Bekanntschaft mit dem Neuen Testa-
ment lässt sich nicht viel sagen, wenn auch etwas mehr. Die
deutlichsten Anklänge gehören der epistolischen Litteratur an,
und zwar in erster Linie der paulimschen. So ganz deutliche Be-
rührungen mit dem Römerbrief: III. 2 — Rom. 1. 25 (largavatv
r(] xrioai naoa top xrlöavra), IV. 1 — Rom. 1. 23 (av o{/oiojtuaTi
alxOVOQ, (p&(XQTOV CCV&QCOJIOV), XV. 2 Rom. 11. 36 (tg ctvrov
xal öV avrov xal aig avrov rä navra), sowie wahrscheinlich
auch zum Colosserbrief: XV. 22 — Col. 3. 12 (ranaivo^Qoovv?/,
jzQavT7]q), XIV. 4 — Col. 2. 16 (av fiaoai aoQtfjg rj vovfir/viag rj
öaßßcczcov). Weitere Beziehungen wären noch XIII. 3 — I. Thim.
6. 16, XVII. 4 — I. Thim. 1. 13 (ro nooragov ovra ßAäöcpr/fiov etc.
aXXa aZarjfrrjv, ort dyvocov anolrjöa av dnioria), XV. 9 — Tit. 2. 12.
Nur sehr schwach klingen 311 XVII. 2 — I. Petr. 2. 20. XVI. 6 —
I. Petr. 3. 10. Von Interesse ist ferner die Thatsache, dass die
Berührungen mit unseren Evangelien lediglich dem matthäischen
Redestoffe angehören: XV. 5 — Matth. 7. 12, 5. 4J; XVI. 2 — Mt. 6.2
in Verbindung mit 13. di. Damit sind auch die Beziehungen zum
Neuen Testamente erschöpft. Besonders bemerkenswert hiebei
ist jedoch das gänzliche Fehlen johanneischer Gedanken, die voll-
kommene Unbekanntschaft mit irgendwelcher Logoslehre. Denn
die von Seeberg behauptete Verwandtschaft in IL 6 mit Joh. 3. 13.
6. 38. 42. xaraßccg an ovoavov beruht auf einem Ausdruck, der
im Zusammenhange steht mit einer Reihe von Aussagen über
Christus, welche ganz den Eindruck machen, ?ls gehörten sie
einer Bekenntnisformel an, die der Apologet anführt (Sohn Gottes,
herabgekommen im heiligen Geist vom Himmel, zog Fleisch an
von einer hebräischen Jungfrau, und es wohnte in eines Men-
schen Tochter der Sol 1 Gottes; [12 Jünger], von Juden durch-
bohrt, starb, wurde begraben^ nach 3 Tagen auferstanden, empor-
gefahren, Jünger gehen in die Welt und lehren von seiner
Majestät). Wäre nun das xaraßccg an ovgavov an dieser Stelle
nicht Bestandteil der Formel, sondern Eigentum des Verfassers
aus seiner Bekanntschaft mit Johannes, so würde gerade hier das
Pape, Die Predigt und das Brieffraginent des Aristides. 13
Fehlen der Logosidee kaum erklärlich sein. Und wenn man auch
nicht behaupten kann, dass das Auftreten des Logosgedankens
überall die Kenntnis des Johannesevangeliums verbürge, so be-
steht die Behauptung um so mehr zu Recht, dass die Nichtkenntnis
der Logoslehre eine Bekanntschaft mit dem 4. Evangelium direkt
ausschliesst. Wir werden sofort sehen, von welcher Wichtigkeit
gerade diese Thatsache, dass der Apologet kaum unsere Evan-
gelien überhaupt, geschweige denn irgend etwas Johann eisches
gekannt habe, für die Beurteilung des Verhältnisses der Predigt
zur Apologie ist.
Wie aber steht es in der Predigt mit dem Schriftgebrauch ?
Dieser ist nämlich ein Hauptpunkt der Zahn-Seebergschen
Beweisführung für die Echtheit der Predigt. Zahn findet in der
Anführung von Sachen und Worten eine „Natürlichkeit und
Naivetat", „nachlässige Freiheit, Frische und Naivetät", welche
nur auf das 2. Jahrh. passe. Auch Seeberg erwähnt die Freiheit,
mit welcher der Prediger citiert; ferner das Bestreben, alle Züge
der neutestamentlichen Geschichte im Alten Testament geweissagt
zu finden.
Was gleich den letzten Punkt be trifft, so ist das Bestreben
allerdings sehr alt, aber es ist auch für spätere Zeiten etwas
ganz Gewöhnliches. Ausserdem steht es hier anders. Denn der
Prediger macht keinerlei Versuch, die Einzelheiten, die er von
den Propheten geweissagt sein lassen will, irgendwie auf be-
stimmte prophetische Aussprüche zurückzuführen, und selbst See-
berg erklärt es für zweifelhaft, an welche prophetischen Aus-
sprüche man hinsichtlich mancher der erwähnten Thatsachen
denken solle; die ganze Stelle macht den Eindruck, als ob der
Redner in der That nur in oratorischem Schwünge für alle diese
Begebenheiten auf die alten Propheten zurückgewiesen habe, wie
es in der alten Kirche jederzeit üblich war, ohne sich selbst über
die einzelnen Beziehungen wirklich klar zu sein. Bei einer Pre-
digt aus der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts, wo das Schwergewicht
noch auf dem Alten Testamente lag, müsste man ein genaueres
und formelleres Eingehen auf die alttestamentlichen Beziehungen
erwarten; diese Predigt jedoch steht ganz auf neutestarn entlicher
Grundlage. Der Rückblick auf die Propheten erscheint beinahe
nur als rhetorisches Beiwerk.
Was die „Natürlichkeit, Frische und Naivetät" der Schriftbe-
I 1 Pape, Die Predigt und das Brieffragmenl de« Aristides.
handlung anlangt, so lässt sich darüber wenig sagen, denn der-
artige Urteile sind in der Regel Geschmackssache und entbehren
der positiven Grundlagen, die zu einer Diskussion darüber not-
wendig sind.
Ein Punkt jedoch, welcher im Vergleiche mit der Apologie
besonders auffallend ist, muss beim Lesen der Homilie sofort zu
genauerer Betrachtung und Untersuchung anregen. Um so mehr
wird man sich überrascht finden, dass sowohl bei Zahn, wie bei
Seeberg eine Erörterung darüber vergeblich gesucht wird. Da
das, um was es sich hier handelt, für die Untersuchung der
Predigt neben ihren dogmengeschichtlichen Verhältnissen die
erste Stelle einnimmt und mehrmals mit grösster Auffälligkeit
hervortritt, scheint ein Übersehen ausgeschlossen zu sein. Man
muss daher annehmen, dass die Beobachtung für die beiden Kri-
tiker nicht ins Gewicht fällt. Ich meine nämlich die im Ver-
hältnis zur angeblichen Abfassungszeit frappante Erscheinung der
fast ausschliesslichen Benutzung johanneischer Sprüche und Ge-
schichten. Es würde schwer fallen, irgend eine stichhaltige Er-
klärung für die Erscheinung zu finden, dass der Apologet, für
den, wie oben gezeigt wurde, eine Kenntnis johanneischer Ge-
danken, geschweige denn des Erzählungsstoffes, nicht nachweisbar
ist, eine solche Predigt gehalten habe.
Und wiederum weist diese Erscheinung nicht nur von der
Person , sondern auch von der Zeit des Aristides hinweg; nicht
etwa, als ob hier über die Frage gesprochen werden sollte, ob
jemand um 140 eine solche Bekanntschaft mit dem Johannes-
evangelium gehabt haben könne — aus einer so strittigen Frage
Hesse sich niemals ein beweiskräftiges Argument ziehen — , aber
die Art, wie hier Johannes verwendet wird, spricht entschieden
gegen die Annahme eines so frühen Ursprungs. Es werden hier
nicht etwa blos johanneische Herrenworte angeführt, sondern
Geschichten, und zwar, dies ist die Hauptsache, als streng dog-
matische Beweisstücke. Es handelt sich dem Prediger darum,
für sein Dogma, das er hier behandelt, den Wahrheitsbeweis
zu erbringen, und er erbringt ihn nicht, was man bei einer
Schrift vor 150 erwarten dürfte, aus dem Alten Testament und
den Herrenworten, sondern seine Beweisstücke sind neutestament-
licher, ja speciell johanneischer Erzählungsstoff. Und wenn oben-
drein später noch gezeigt werden wird, um welches Dogma es
l'ape, Die Predigt und das Brieffragment des Aristides. 15
sich hier handelt, so kann nur das eine Urteil gefällt werden,
dass diese Erscheinungen für die angegebene Zeit schlechthin
nnbelegbar und in sich ganz unwahrscheinlich sind. Dies wird
durch eine weitere Thatsache gestützt. Nachdem der Prediger
sein Dogma durch neutestamentliche Stellen bekräftigt hat, sagt
er VII. 3: „Denn jener beiden Gebahren und Thaten stehen vor
dir, da sie immerfort in den priesterlichen Büchern vorge-
tragen und gelesen werden." 4: „Diese gewähren durch so wohl-
geordnete, mustergiltige Beweise, wie deren vorgelegt wurden,
dir die Überzeugung etc.u
Der Ausdruck „priesterliche Bücher'', libri sacerdotales, in der
eventuellen griechischen Urschrift yQa^fiara oder ßißXla tsgarixa,
wird nun von beiden Verteidigern der Echtheit als gewichtiges
Argument für eine möglichst frühe Abfassungszeit hervorgehoben.
Beide versetzen den Ausdruck in eine Zeit, wo der Name für
die Evangelien und die heiligen Schriften (Zahn), die Bezeichnungen
für das Neue Testament (Seeberg) noch nicht fest geprägt waren.
Beide setzen den Ausdruck in Beziehung zu der von Valentin
gebrauchten Bezeichnung örjfioöia ßißXla für die profane Litte-
ratur, ferner zu den bei Clemens Alexandrinus sich findenden
Ausdrücken wie isgarixä xaAovfteva ßißkia für die hieratische
Litteratur der Ägypter, und yayQafifieva ev rrj exxhjola etc.
Zahn gelangt hierdurch zu der Schlussthese 3: „Die Benennung
der neutestamentlichen Schriften oder der Evangelien als ßtßA'ia
Isqcltvxo. ist zu keiner Zeit so begreiflich, als im Zeitalter Justins
und Valentins."
Was zunächst den Ausdruck anlangt, so muss allerdings
zugestanden werden, dass er an sich — in welche Zeit man auch
gehen mag — auffallend ist. Aber bevor man den sprachlichen
Ausdruck überhaupt in den Kreis seiner Argumente ziehen kann,
müsste es doch erst einem Kenner der armenischen Sprache und
Litteratur anheimgestellt werden, zu untersuchen, ob diese Be-
zeichnung nicht etwa durch armenische Spracheigentümlichkeiten
erklärt werden kann, und ob sie nicht überhaupt eine Geschichte
in der armenisch -kirchlichen Litteratur hat. Und schliesslich
kommt es doch weniger auf den Ausdruck an, als darauf, was
er bezeichnen soll. Zu diesem Punkte machen sowohl Zahn, wie
Seeberg wertvolle Zugeständnisse, indem ersterer es etwas vor-
sichtig auffasst als eine Bezeichnung der Schriftgattung, zu welcher
] i; Pape, Die Predigl and das Brieffragment des Aristidi
die Evangelien gehören, letzterer es geradezu als Bezeichnung
für das Neue Testament erklärt.
In der That kann nicht gut etwas anderes gemeint sein, als
eine Gesamtheit von Schriften, von denen die Evangelien einen
integrierenden Bestandteil bilden, und die in dogmatischen Fragen
die höchste Norm darstellen, mit anderen Worten: der neute-
stamentliche Kanon, wie dies ja Seeberg und im wesentlichen
auch Zahn zugiebt. Und wenn beide die Schrift auf Grund
dieses Ausdruckes in eine Zeit setzen wollen, wo die Bezeich-
nungen für das Neue Testament noch nicht fest geprägt waren,
so muss es doch wenigstens eine Zeit gewesen sein, wo bereits
ein Neues Testament existierte, was für die 1. Hälfte des 2. Jhs.
bisher noch nicht nachgewiesen ist, wovon vielmehr so ziemlich
das Gegenteil erwiesen ist. Aber selbst zugestanden, dass um
150 das Neue Testament fix und fertig existiert hatte — die Be-
hauptung, der Ausdruck „hieratische Schriften" für neutestament-
liche Schriften sei zu keiner Zeit so begreiflich, als im Zeitalter
Justin's und Valentin's, ist so fragwürdig, um nicht mehr zu sagen,
dass ich sie bei allem Respekt vor der Gelehrsamkeit Zahn's
ihrem Schicksal überlassen zu dürfen glaube. Dies Beweisstück
für die Echtheit der Predigt zerfliesst nicht nur, vielmehr bleibt
es, was es immer gewesen — ein starkes Argument gegen die
Echtheit.
Gewiss, es erübrigt noch manche Schwierigkeit in betreff
des Schriftgebrauches. Vor allem die veränderte Form der Citate:
„Alles ist jetzt vollendet", Joh. 19. 30 nach 19. 28. „Du ein ge-
wöhnlicher Mensch", Joh. 10. 33. „Glaube an die Herrlichkeit
Gottes", Joh. 11. 40, sowie endlich das Textwort: „Gedenke meiner.
Herr, in deinem Reiche", Luk. 23. 42. Als auffallend kann auch
bezeichnet werden, wie der Prediger die Kreuzigungserzäh-
lungen von Lukas und Johannes verbindet, in einer Weise.
als ob diese beide zum Predigttexte gehörten, wobei er den
Ruf des Schachers aber hinter das „Es ist vollbracht" setzt.
Ja, es macht stellenweise beinahe den Eindruck, als schöpfe
er hier gar nicht aus verschiedenen Quellen, namentlich bei
Kap. I, wo er schreibt: „Der Verkündiger des Evangeliums sagt",
und nun folgt eine Reihe von Einzelheiten der Kreuzigungsge-
schichte, die aus den verschiedenen Evangelien zusammengetragen
sind: Annagelung (Joh. 20. 25), Menge der Juden (Lc. 23. 25), Kriegs-
Pape, Die Predigt und das Brieffragnient des Aristides. 17
mann mit der Lanze am Kreuze Wache haltend (Matth. 27. 36?
Joh. 19. 34?), Galle (Matth. 27. 34. Mc. 15. 23), Natur der Elemente
verwandelt (?), Finsternis, Zerreissen des Vorhangs (synopt.), Tei-
lung der Kleider (allg.), Looswerfen (Joh. 19. 24), Scharen der
Himmlischen erschreckt, Erheben der natürlichen Wesenheit der
Lber- und Unterirdischen (Matth. 27. 52. 53?).
Der Prediger stellt also durch einen Ausdruck wie nuntius
evangelii oder praedicatio evangelica seinen aus allen 4 Evan-
gelien zusammengestellten, mit daselbst nicht auffindbaren eigen-
tümlichen Bestandteilen und Wendungen vermischten Bericht
als einen einheitlich evangelischen dar. Aber die aus solchen
Erscheinungen sich ergebenden Schwierigkeiten würden auch
durch die Annahme der Echtheit der Predigt nicht beseitigt sein,
und andererseits kann in betreff der ungenauen Citate darauf hin-
gewiesen werden, dass es ja bei einer Predigt nicht sehr auffallen
kann, wenn nach dem Gedächtnis citiert wird; bei den anderen
oben erwähnten Erscheinungen könnte man ausserdem fragen,
ob sie sich nicht etwa als Reminiscenzen an eine Evangelien-
harmonie erklären Hessen, wie solche im Privatgebrauch gewiss
vielfach in Verwendung standen.
Mögen jedoch diese Auffälligkeiten welche Erklärung auch
immer finden, auf keinen Fall vermögen sie, und darauf kommt es
hier in erster Linie an, die Argumente irgendwie zu erschüttern,
welche zeigen, dass bei den unausgleich baren Differenzen in reli-
giöser Anschauung, Schriftkenntnis und Schriftgebrauch zwischen
Apologie und Homilie von einer Identität des Verfassers wie der
Abfassungszeit nicht gesprochen werden kann.
Es bleibt nun die weitere Aufgabe, zu untersuchen, ob sich
in der Predigt Angaben und Anhaltspunkte finden lassen, wel-
cher Zeit sie etwa zuzuweisen sei. Zwei Punkte werden hiebei
zu besprechen sein: auf welche äusseren Zeitverhältnisse sie deutet,
und in welchen Zeitpunkt der dogmengeschichtlichen Entwick-
lung sie sich einfügt.
Ein Teil der von Zahn und Seeberg als positive Anzeichen
hohen Alters der Predigt angeführten Erscheinungen hat sich
bereits in dem Vorhergehenden erledigt (Schriftgebrauch, ßißXla
iSQarixa etc.). Nunmehr wäre noch ein Punkt, der von beiden,
besonders energisch von Zahn, als Beweis vorkonstantinischer
Abfassung hervorgehoben wTird. Nämlich die Art und Weise,
Texte u. Untersuchungen XII, 2. 8
lg Pape, Die Predigt und das Brieffragmenl dei Aristid«
wie das Annageln bei der Kreuzigung Christi vom Prediger betont
wird, im Gegensatze zu der Art des Vorganges bei anderen Sterb-
lichen, I. b. Daraus wird geschlossen, dass der Prediger noch eine
eigene Anschauung von dem gewöhnlichen Vorgange der Kreu-
zigung gehabt habe, denn in späterer Zeit habe die Kreuzigung
Christi einfach als Typus für diese Todesart überhaupt gegolten,
man sei sich nicht mehr bewusst gewesen, dass zwischen der
Annagelung Christi und der gewöhnlichen Exekution eine Diffe-
renz bestanden habe. Folglich müsse der Prediger noch vor der
Abschaffung der Kreuzigung durch Konstantin gelebt haben. Da-
gegen lasst sich einwenden: Das Motiv, warum der Prediger die
Annagelung so sehr als etwas Einzigartiges darstellt, ist die
Überzeugung, dass gerade dies Moment in besonderer Weise ge-
weissagt ist, wie es auch das einzige ist, welches er aus der
Reihe anderer I. 4 speciell hervorhebt. Dabei mag auch das Be-
streben mitgewirkt haben, welches sich später aus seinem dog-
matischen Standpunkt erklären wird, die Lage Christi in diesem
Momente als ganz ungewöhnlich und ausserordentlich peinlich
und beschränkt, als den Gipfelpunkt menschlichen Leidens hin-
zustellen. Ausserdem ist nicht ersichtlich, warum jemand nur
aus eigener Anschauung eine solche Auffassung gehabt haben
könne. Denn die Annagelung war durchaus nicht so eigenartig,
wie der Prediger es vorführt. Da das Wie der Exekution in der
Regel ganz der Willkür der damit beauftragten Soldaten über-
lassen war, bestimmte Regeln über die einzelnen Momente der
Ausführung gerade bei dieser Todesart überhaupt nicht existierten,
so lasst sich mit Bestimmtheit annehmen, dass das Annageln an
Stelle des Anbindens oder beides zugleich gewiss auch ander-
weitig als bei Christus vorgekommen ist. Und gerade der Um-
stand, dass der Prediger auf Grund der alttestamentlichen Weis-
sagung diesen Vorgang bei Christus als ein Unikum hinstellt,
Hesse sich eher als Argument dagegen anführen, dass der Pre-
diger eine eigene Anschauung von der Sache gehabt habe, als
dafür. Und wenn dafür ins Feld geführt wird, dass diese Predigt
der einzige Ort sei, wo auf den gewöhnlichen Vorgang des An-
bindens hingewiesen wird, so lasst sich dagegen schliesslich immer
noch fragen: warum soll z. B. ein Syrer oder Armenier keine
Kenntnis von dem Vorgange der Kreuzigung gehabt haben, auch
nach Konstantin, da in dem benachbarten Persien diese Todes-
Pape, Die Predigt und das Brieffragment des Aristides. 19
strafe noch lange Zeit gebräuchlich war? Ein wirkliches Argu-
ment für eine vorkonstantinische Abfassung kann dieser ganz
untergeordnete Punkt demnach auf keinen Fall bilden.
Wohl aber ergiebt sich aus der Predigt selbst ein Anhalts-
punkt, welcher sie jedenfalls zeitlich weit vorrückt. Wenn wir
mit unserer Predigt die einzige Homilie vergleichen, welche aus
dem Zeitalter stammt, in das jene verlegt wird, so ergiebt sich,
auch abgesehen von dem dogmatischen Standpunkt, von der
ganzen religiösen Auffassung, eine gewichtige Differenz. Eine
Reihe von Stellen des sogenannten 11. Clemensbriefes zeigt, dass
die Christen, an welche jene Predigt gerichtet war, noch in leben-
digster Berührung mit dem Heidentum, sowie in lebhaften Aus-
einandersetzungen mit ihm standen, ja man kann annehmen, dass
der Prediger selbst früher Heide gewesen ist; namentlich I. 6 — 8,
111. i, X. 5, XIII. i—4, XVII. i, XVIII. 2, wie auch andere auf die
heidnische Zeit bezügliche Momente (Verfolgungen V. i — 4 [gegen
Seeberg S. 24], Wettkämpfe und Spiele VII. i — 4), was ja für
eine Predigt des 2. Jhs. selbstverständlich ist; in unserer Homilie
aber würden wir vergebens nach derartigen Anzeichen suchen.
Aristides selbst war nach der Apologie XVI. 5 ursprüng-
lich Heide, und bei einer in der 1. Hälfte des 2. Jhs. gehal-
tenen Predigt ist anzunehmen, dass dies auch bei der überwie-
genden Mehrheit der Zuhörer der Fall war. Dann aber wäre es
eine der wunderlichsten, unerklärlichsten Erscheinungen, dass
das Heidentum und das Verhältnis, in dem Redner und Hörer
zu ihm stehen, mit keiner Silbe berührt wird. Ja, die Pre-
digt lässt darauf schliessen, dass der Redner es zu seiner Zeit
überhaupt nicht mehr mit Heiden zu thun hat. Denn die Predigt
war im altkatholischen Zeitalter der Hauptbestandteil des exo-
terischen Gottesdienstes, es musste ihr daher bei der Gegenwart
von Xichtchristen in der Regel ein apologetischer und missio-
nierender Charakter anhaften. Unsere Predigt nun hat sich die
Aufgabe gesetzt, die Gottheit des Gekreuzigten gegen ihre Leugner
zu verteidigen; dabei ist bloss von „Bekennern des Menschen",
flehen, „die mit jüdischem, geblendetem Auge die Menschwer-
dung ansehen", die Rede, also nur gegen Häretiker wird pole-
misiert, während man doch gerade bei diesem Punkte auch eine
^ erteidigung gegen diejenigen erwarten muss, denen es mit der
uTösste Anstoss war, einen gekreuzigten Menschen als Gott an-
8*
2() Pape, Die Predigt und das Brieffragmeni dei Ari-tides.
zubeten, das Heidentum; und wenn die Predig! VII. s vom Lasier
des Unglaubens spricht, so meint sie keineswegs Nichtchristen,
sondern solche, die dem Räuber zur Linken folgen, welcher in
charakteristischer Weise nicht als ein Nichtbekehrter, sondern
als ein Abtrünniger hingestellt wird, VII. 2: „Denn er hat sich
getrennt und von der Stimme des Gekreuzigten abgewandt",
„er hat sich auf die linke Seite geschlagen". Entgegen der
Zahnschen Schlussfolgerung, die er aus der Betonung der An-
nagelung zieht, dass die Predigt vorkonstantinisch sein müsse.
glaube ich aus dem Vorhergehenden den entgegengesetzten Schluss
ziehen zu dürfen, dass sie nur nachkonstantinisch sein kann.
Was die Behauptung Seebergs betrifft, S. 13, die Schilderung,
die Justin von der ältesten christlichen Gemeindepredigt entwirft,
als vovfrsola xal jiQoxlrjöic, rrjq rcov xalcov xovxow jUifirjOecog,
lese sich wie auf Grund dieser Predigt verfasst, so muss dem
doch entgegnet werden, dass diese Predigt mit ihrer strengen
Durchführung des zu Grunde gelegten Textwortes und ihrer dog-
matisch-polemischen Tendenz weit über den Rahmen der von
Justin vorgestellten, an die Schriftvorlesung ziemlich lose ange-
knüpften praktischen Ermahnung hinausgeht. Ich verstehe, wie
ich in aller Bescheidenheit sage, die Behauptung Seebergs eben-
sowenig, wie die obige Zahns, „hieratische Schriften" sei ein in
der Mitte des 2. Jahrh. besonders passender Ausdruck für das
Neue Testament.
Alle vorhergegangenen Betrachtungen, welche die Predigt
weitab versetzen von der Person und der Zeit des Aristides, er-
halten vollauf ihre Bestätigung durch die dogmengeschichtliche
Untersuchung der Predigt. Dass die bereits vor 16 Jahren auf-
gefundene Predigt erst jetzt durch Zahn und Seeberg eine ein-
gehende Behandlung erfahren hat, findet seine Ursache darin,
dass sie beim ersten Anblick den Eindruck eines in antinestoria-
nischem Interesse abgefassten Machwerkes hervorrief. Dass dieser
Eindruck ein sehr mächtiger gewesen sein muss, dafür bürgt die
Thatsache, dass man sich so allgemein — bei einer im Falle ihrer
Echtheit so überaus wichtigen Schrift — mit jener durch den ersten
Eindruck bewirkten Überzeugung begnügte und es so lange
Zeit brauchte, bis die Predigt überhaupt einer näheren Unter-
suchung gewürdigt wurde.
Die beiden Forscher, welche für die Echtheit der Schrift
Pape, Die Predigt und das Brieffragrnent des Aristides. 21
eintraten, vermögen diesen Eindruck auch nur dadurch abzu-
schwächen, dass sie, namentlich Seeberg, einige der verdächtigen
Formeln, wie „Gott von Gott", „wahrer Gott", „Bekenner des
Menschen", „wahre Menschwerdung des Immanuel" auf die Rech-
nung des armenischen Übersetzers schieben. Dabei muss aber
gefragt werden: sind wir überhaupt berechtigt, solche Streichungen
vorzunehmen? Doch nur dann, wenn derartige Ausdrücke zu
dem übrigen Inhalte in direktem Widerspruche stehen, wie das
freoTOXog der Apologie. Die dogmengeschichtliche Untersuchung
erst wird ergeben, ob die betreffenden Ausdrücke als mit ihrer
Umgebung unverträglich entfernt werden müssen.
Die Entkräftung der Behauptung, dass die Homilie antinesto-
rianisch sei, wird von beiden Gelehrten in ähnlicher Weise ver-
sucht. Zahn erklärt es für eine lächerliche Beschreibung der
Xestorianer, ihnen den Selbstwiderspruch vorzuhalten, dass ein
von Natur sterblicher, geteilter, vergänglicher Mensch solche
Wirkungen erzeuge; von zwei Naturen sei nicht die Rede, das Wort
divisus sei nicht in nestorianischem Sinne gebraucht. Der Pre-
diger stelle das Bekenntnis auf, dass der dem Leibe nach Ge-
kreuzigte nicht ein blosser Mensch, sondern Gott und Gottes
Sohn, Gott von Gott und Logos sei, nur dieser könne das ver-
schlossene Paradies wieder öffnen; die Lehre, dass Christus bloss
ein hervorragender Mensch sei, erkläre er für einen Beweis jüdi-
scher Blindheit. Gleichstarke Bekenntnisse der Gottheit Christi
seien vielfach in der nachapostolischen Litteratur vorhanden,
jene bekämpfte Lehre habe es im 2. Jh. gegeben (Cerinth), der
Ausdruck &ebg ix &sov (den Seeberg streichen will) sei der
Sache, „ungefähr" auch dem Wortlaute nach im 2. Jh. heimisch
gewesen (Theoph. ad Autol. IL 22).
Genauer setzt sich Seeberg mit der dogmatischen Frage
auseinander. Er gesteht zu, dass der erste Eindruck sehr wohl
die Predigt als antinestorianisch erscheinen lassen konnte; er er-
kennt im Gegensatz zu Zahn, dem eine solche Polemik gegen
Nestorianer lächerlich erscheint, an, dass derartige Gedanken in
der Polemik gegen diese sehr beliebt waren. Er erklärt es ferner
für gewiss, dass der Übersetzer die Predigt in diesem Sinne auf-
gefasst habe, wendet sich aber doch gegen die Behauptung des
antinestorianischen Ursprungs der Predigt. Dem Prediger handle
es sich nur darum, dass Christus, der Gekreuzigte, Gott war.
22 Pape, Die Predigt und das Brief&agmenl det Aribtid.
Das Verhältnis der beiden Naturen sei ausser Acht gelassen.
Kurz, es finden sich keine wirklichen Spuren einer antinestoria-
nischen Polemik. Ebenso führt es Seeberg als unwahrscheinlich
durch, dass die Predigt sich gegen Monarchianer richte. Ei
lassen sich endlich in der Zeit des Aristides Anschauungen finden,
auf welche diese Polemik passe: der heidnische Widerspruch
(warum fehlt dann jeder Hinweis auf das Heidentum?), die jüdische
Anschauung, und dann die auch bei Christen sich findende Auf-
fassung, dass Christus bloss ein Mensch gewesen sei (Cerinth,
Gnostiker). Die Gedanken der Predigt passen also ganz auf
jene Zeit.
Tritt man nun zu selbstständiger Untersuchung an die Predigt
heran, so rnuss man sich von vorn herein klar machen, dass man
unter der Form einer Predigt nicht eine systematische Darlegung
der gegnerischen Lehre und eine ebensolche Bekämpfung derselben
Punkt für Punkt erwarten darf, dass ferner eine derartige Polemik
immer mehr populär gehalten ist, und es sich also für uns nicht
darum handeln kann, ob die erhobenen Vorwürfe die Nestorianer
wirklich treffen, sondern ob es in jener Zeit landläufige Vorwürfe
gegen sie waren. Das giebt Seeberg selbst zu, und wir wissen,
dass gerade die armenische Kirche am schärfsten gegen jene
Richtung aufgetreten ist. Der Ausdruck .,Bekenner des Menschen"
war daselbst terminus technicus für Nestorianer. auf der Synode
zu Valarsapat um 490 wurde beschlossen, mit ihnen zu verfahren
wie mit Juden (Ter Mikelian, d. armen. Kirche in ihren Bezie-
hungen z. b}^zant., Leipzig 1892, S. 47, ferner zu vergl. Cyrill, Adv.
Nest. V. i. Migne 76. Col. 212). Dass ihnen hauptsächlich die
Erniedrigung Christi zu einem blossen Menschen vorgeworfen
wurde (Cyrill, Anath. V. VII.), beweisen die ihnen gegenüber ge-
bräuchlichen Anschuldigungen der samosatenischen, wie der photi-
nianischen Ketzerei (Serm. Nest. b. Marius Mercator, Migne 4S.
Sermo IV. S. 785, Sermo XII. S. 848 ff., Epist. Mar. Merc. S. 775,
Dissert. Mar. Merc. de blasphem. Nest. S. 924), und diese Kampfes-
weise ist nicht, wie Zahn annimmt, lächerlich, sondern vielmehr
perfid, doch war das in der Zeit der christologischen Streitig-
keiten eine alltägliche Erscheinung. (Über die ungerechten Vor-
würfe vgl. die Reden des Nestorius adv. Proclum 1. c. S. 782 —
801 V. 7. VII. i. 23). Die in Kap. IV. V. bekämpften Leute können
also sehr wohl Nestorianer sein.
Pape, Die Predigt und das Brieffragment des Aristides. 23
In erster Linie handelt es sich aber darum, zu sehen, ob
die den betreffenden Gegnern entgegengestellte positive Lehre
auf Antinestorianer passt. Wenn nun Seeberg, wie oben gezeigt
wurde, es so darstellt, ..es handle sich gar nicht darum, dass der
Gekreuzigte, als solcher, Gott war , sondern lediglich darum,
dass er überhaupt Gott ist, und nicht ein Mensch, wie alle andern
auch"; so gerät er doch in einen leisen Widerspruch mit sich
selbst, wenn er gleich auf der folgenden Seite es betont, „wie
der Prediger mit so viel Eifer sich gerade dagegen wendet, dass
„der Gekreuzigte" ein blosser Mensch gewesen sein soll." Dies
letztere ist auch in der That die richtige Einsicht. Der Prediger
spricht nicht von Christus überhaupt, sondern von „dem Ge-
kreuzigten." Es ist interessant, wie er sich besonders bemüht,
diesen Punkt immer wieder hervorzuheben. Dreizehn mal, wo er von
der Person Christi spricht, nennt er ihn meist schlechthin, einige-
male als Apposition, den „Gekreuzigten", und nur vier mal
gebraucht er einen anderen Ausdruck ohne die specielle Er-
wähnung des Kreuzes III. 2, V. 2, VI. 3, 4. Er will den Gekreuzigten
erweisen als Gott VII. 4, das heisst, er will zeigen, dass Christus
auch im Augenblick seiner tiefsten Erniedrigung, da die mensch-
liche Seite seiner Natur am prägnantesten hervortritt, doch stets
wahrer Gott gewesen ist, und er beweist dies durch den in
diesem Zustande vollbrachten Akt der Öffnung des Paradieses,
welcher ein deutlicher Beweis göttlichen Wesens sei, IV. 3— V. 2.
Beweis dessen, dass es ihm gerade hierauf ankommt, ist die Be-
tonung, in welch peinlichem Zustande sich der Gekreuzigte durch
die Annagelung befunden habe I. 3, ferner, dass Christus „noch
am Kreuze hangend" nicht nur selbst ins Paradies geführt wird,
sondern auch die Kraft erweist, den Schacher mit sich zu nehmen
II. 1. Also Jesus, der Gekreuzigte, der Offner des Paradieses,
V. 1, ist Gott, denn wer unter den Menschen vermöchte es zu
öffnen, nachdem Gott es verschlossen IV. s. Bei den Gegnern
ist jedoch Christus, der blosse Mensch, der Gekreuzigte, Offner
des Paradieses und höher stehend als Gott, dessen Verschliesser
V. 8. Der Prediger und seine Partei aber bekennen gegenüber
dieser verspottens- und beklagenswerten Lehre „den wahren Gott
als gekreuzigt im Fleische" und ebendenselben beten sie an als
Öffner und Herrn des Paradieses V. 4. *0{uoloyov[iav fteov aXr/-
ftivov GTavQco&bvra iv OaQxl: auf diesen Satz, der als formelles
24 Pape, Die Predigt und das Brieffragtiient dei Arutidet.
Bekenntnis in pathetischer Weise der gegnerischen Lehre
gegenübergestellt wird, muss doch entschieden ein grosses Ge-
wicht gelegt werden. Hier ist nicht zufällig, wie auch schon
früher (Seeberg S. 65, Anm., Mansi IV. 1183—95, Hefele, Con-
ciliengesch. IL 186 — 87), die Formel vom „gekreuzigten Gott"
gebraucht, sondern, wie die ganze Stellung und der Zusammen-
hang ergeben, sie ist mit schärfster polemischer Spitze im vollen
Bewusstsein ihrer Tragweite ausgesprochen. Als solche ist sie
aber ein Hauptstreitpunkt des nestorianischen Kampfes (Cyrill.
Anath. 12 und Nest. Anath. 4 u. 12). Namentlich wurde sie in
dieser schroffen Weise in der armenischen Kirche gebraucht, in
der ja auch daraus die theopaschitische Formel des Trishagions
sich entwickelt hat. Die oben erwähnte Schrift von Ter Mikelian
führt jene Formel zurück auf eine Schrift Davids des Philosophen
„Lob des Kreuzes", geschrieben auf Befehl des Katholikos Gut
(459 — 69), wo jener sie in verschiedentlicher Form wiederholt
zur Anwendung bringt, S. 46. Schliesslich beweist auch noch
die Schlussformel VII. iy dass diese Darlegung der Tendenz des
Predigers die richtige ist: er spricht von der aus den priester-
lichen Büchern sich ergebenden Überzeugung, „dass der Ge-
kreuzigte Gott sei und der Sohn Gottes. Ihm sei Ehre'/' (Wenn
Zahn diese kurze Doxologie als Merkmal hohen Alters angibt,
so sind hiezu zu vgl.: Sermones Nestorii 1. c, bei denen die
Doxologie entweder ganz fehlt oder ebenso kurz ist, ebenso die
Predigt des Proclus lat. Mar. Merc. S. 777, griech. Mansi IV. 577.
Auch ein grosser Teil der Predigten des Cyrill zeichnet sich
durch kurzgefasste Doxologieen aus). Der Gottheit des Ge-
kreuzigten gelten seine Ausführungen. Wenn er aber seinen
Gegnern vorwirft, dass sie Christum überhaupt für einen blossen
Menschen halten, so weiss er, dass er diesen Vorwurf nur auf-
recht erhalten kann, indem er einen Punkt, wie die Kreuzigung,
hervorhebt, bei welchem jenen Leuten die Bezeichnung Christi
als Gott ein besonderer Greuel war (Nest. Anath. 12, Sermo VII.
1. c. S. 789). Wenn wir nun die beiden Parteien vor uns sehen.
auf der einen Seite die, welche dem Gekreuzigten die Gottheit
absprechen, auf der anderen die, welche sie in schroffster Weise
behaupten, so weist diese Situation unzweifelhaft auf die Zeit
des nestorianischen Kampfes, und zwar scheint der Standpunkt
des Verfassers in der antinestorianischen Opposition bereits ziem-
Pape, Die Predigt und das Brief fragment des Aristides. 25
lieh weit nach der Seite des entgegengesetzten Extrems vorge-
schritten zu sein. Die Merkmale dieser Polemik sind nun aber
bei genauerer Betrachtung auch an anderen Stellen sehr deutlich
wahrzunehmen. Wie Christus in dem Momente, da die mensch-
liche Seite an ihm am schärfsten hervortrat, doch stets Gott
geblieben ist, so lässt sich auch überhaupt in der Zeit seiner
Erniedrigung seine Gottheit nachweisen durch andere Wunder-
wirkungen seines immer lebenschaffenden Wortes, die derselbe
Gekreuzigte erwies, ehe er noch am Kreuze erhöht wurde, VI. 3.
Dieser letztere Satz betont in überreichlicher Weise, dass diese
Beweise göttlicher Macht noch zur Zeit des Erdenlebens Christi,
ev oaQxi geschehen seien. Aus dem Satze etwa, wie Zahn es
durchblicken lässt, eine geringere Vertrautheit der Zuhörer mit
den vorgebrachten Erzählungen zu folgern, dagegen spricht die
Art, wie die Auferweckung des Lazarus nicht erzählt, sondern
bloss angedeutet wird. (Über diesen Abschnitt Kap. VI. mit seiner
Hervorhebung der von Christus noch sv oagxl vollbrachten Wun-
derwirkungen göttlicher Art ist zu vergleichen Cyrill, adv. An-
thropomorphytas Cap. 22. Migne 76. S. 1118). Seeberg weist
in Bezug auf diesen Abschnitt hin auf den Unterschied, wie ein-
fach hier das Wunder der Blindenheilung dargestellt wird, und
welche Betrachtungen Cyrill daran knüpft. Cyrill bemerkt näm-
lich (de incarnatione Mgn. 75. S. 1236), dass Christus, obwohl
die göttliche Natur unsichtbar sei, dem Blinden körperlich Gottes
Sohn zeigt, also hier selbst keine Unterscheidung und Trennung
der Naturen vornimmt. Aber Cyrill gebraucht an seiner Stelle
diesen Fall zur Darlegung des Verhältnisses beider Naturen zu
einander; dem Prediger ist es hier darum zu thun, zu zeigen,
dass der Gekreuzigte, ehe er am Kreuz erhöht wurde, den Be-
weis seiner Gottheit geliefert hat. indem er sich dem Blindge-
borenen selbst als den Gottessohn zeigte. Auf das Verhältnis
der beiden Naturen zu einander geht er von seinem mindestens
bis Cyrill, in dem Acumen des Interesses eher noch über ihn
hinausgeschobenen Standpunkt hier nicht ein. Es ist ihm eine
feststehende Thatsache, dass, wer Christus sieht, eben keinen
anderen sieht als den Urheber des Lichts, den Gott von Gott,
den Logos. Die Häufung so kräftiger, speciell das rein Göttliche
hervorhebender Bezeichnungen gerade an dieser Stelle lässt doch
merken, dass der Verfasser sich hier eines grossen Gegensatzes
2G Pape, Die Predigt and das Brieffragmeni des Aristide*.
gegen seine Widersacher bewusst war. Übrigens Hesse sich
allenfalls darin eine leise Berührung des Verhältnisses beider
Naturen vermuten, dass dem natürlichen Lichte, also dem sinn-
lich Wahrnehmbaren der Urheber des Lichtes, Gott, gegenüber-
gestellt wird, und von dem Blinden gesagt wird, er habe beides
gesehen, also die Vereinigung des sinnlich Wahrnehmbaren mit
dem Göttlichen, das ist Christus.
Ferner ist noch ein Punkt hervorzuheben, der zu dieser
Auffassung des dogmatischen Standpunktes der Homilie stimmt
und sie bestätigt. Zahn nnd Seeberg behaupten, dass der Prediger
über das Verhältnis zweier Naturen kein Wort sage; und doch
scheint in IV. 2 diese Frage ganz deutlich berührt zu sein.
Wenn Seeberg meint, der hier gebrauchte Ausdruck „Natur- sei
nicht dogmatischer terminus, sondern lediglich Bezeichnung des
menschlichen Wesens, das Jesus mit uns teilt, so ist dem gegen-
über von vornherein auffällig, dass der Ausdruck „Natur" an der
kurzen Stelle dicht hintereinander fünfmal gebraucht ist. Ein
blosser Mensch, wird ausgeführt, dessen Natur sterblich ist,
kann nicht einem andern, ebenfalls von Natur sterblichen
Menschen die Unsterblichkeit schenken, und dies wird näher er-
läutert: „Wenn einer nach seiner Natur aus einer vergänglichen
Natur geboren und geworden ist, ist es da glaublich und wahr-
scheinlich, dass ein solcher einem ihm in allen Stücken gleichen,
dessen Natur ebenso vergänglich und verdorben ist, Unvergäng-
lichkeit schenke?"
Nestorius hatte gelehrt, dass Christus nur seiner mensch-
lichen Natur nach aus Maria geboren sei, denn aus einem Menschen
könne nur ein gleichartiger Mensch geboren werden (Sermo I. 7
1. c. S. 761 „quod de carne natum est, caro est. . . . Non peperit
creatura eum, qui est increabilis". In d. Supplic. Monach. Mansi
IV. 1104 OV7C 8TS7C6, (p7}6i, MaOlCZ t.l fiJ] (XV&QOJjIOV OllOOVOlOV
tavx?jc). Daraus formulierten seine Gegner die Anklage, dass er
Christum zu einem blossen Menschen mache (Sermo V. 7 S. 787
„. . . noli tu cum nudum ac simplicem hominem Christum facias,
mihi hoc probrum impingere"). Wenn nun die Predigt es absurd
findet, dass ein blosser Mensch, „seiner Natur nach" aus einer
vergänglichen Natur geboren und geworden, Unsterblichkeit
schenken könne, so scheint dieser Satz gegen jene Lehre des
Nestorius, natürlich in entstellter Weise, gerichtet zu sein und
Pape, Die Predigt und das Brieffraguient des Aristides. 27
ist derselbe Gedanke von antinestorianischer Seite sehr beliebt
gewesen (so wiederholt in der Predigt des Proclus von Cyzikus
über die MaQia Qsoroxog, Mansi IV. 578 — 88. i. Av&Qmnm
tyiXco xo Ocooai ovx ijV. s. Ö dyoodöag r^iag ov ipiXog avdoco-
jcog, co %vöale u. a. m.; ferner Cyrill, Adv. Nest. V. 12. Mgn.
S. 245. KahoL Jtcog ovx djroßXrjroQ dt} av 6 (ityQ1 ^t) f^ovcov
TCOV T?jg dvO-QCOJtOTijTOg OQCOV t/)v rov fivGT?]Qiov öwafiiv
xaxaxXuuv ejtiytiQcov; Quod Maria s. deipara 22. S. 282; Expli-
catio XII cap. S. 312: Apol. pro XII cap. S. 323; Apol. contra
Tkeodoretum S. 452: Aq ovv dg ftdvaxov dvfrgcojzov xoivov
ßeßajzTLöfia&a; xal eig avrov jüiorevorreg öixaiovfisO-a; u. a. m.).
Also nicht bloss ein gewöhnlicher Mensch, sondern Jesus
Christus, der wahre Gott, ist aus Maria geboren. Es ist be-
merkenswert, dass neben dem „geboren" IV. 2 noch ausdrücklich
,,und geworden" steht. Sollte das nicht Bezug haben auf den
von den Nestorianern erhobenen Vorwurf, als würde mit dem
(Jtoroxog gelehrt, dass Christus, der Logos, erst mit der Geburt
aus Maria seinen Anfang genommen habe? (Epist. Nest, ad Coe-
lest. b. Mar. Merc. S. 176. Mansi IV. 1021: „ut et quidam apud
nos sunt clerici .... tamquam haeretici aegrotent et aperte
blasphement Deum Verbum patri 6tuoovoiov tamquam originis
initium de Xqlototoxco virgine sumpsisset". S. 1023: „nemo enim
antiquiorem se parit; ebs. Cyr. Ep. IV. Mgn. 77. S. 45 ovy cog
xr\g &elag avrov cpvöemg doyt)v rov elvac Zaßovörjg). Wir
können demnach behaupten, dass hier die Spuren des Kampfes
um das Georoxog wohl erkennbar sind. Auf einen weiteren
Punkt kann endlich noch hingewiesen werden. Der bereits er-
wähnte Schlusssatz von Kap. V. lautet: „Aber wir bekennen den
wahren Gott als gekreuzigt im Fleisch und ebendenselben beten
wir an als Offner und Herrn des Paradieses". Nach der Lehre
des Nestorius betraf die Kreuzigung, wie das ganze Leiden
lediglich die menschliche Natur Christi (Nest. Anath. 12). Der
Gedanke des obigen Satzes ist also: der Mensch (nach Nestorius)
und der Herr des Paradieses, das ist Gott, IV. 3, ist als ein
und derselbe zu verehren; vergleicht man damit das VIII. Anath.
des Cyrill (El zig roXfiqcei Xiyeiv rov dvaXr^divxa dvdoojjzov
6v[ijzooGxvv£iG&aL öelv reo &eco Xoycp xal owdot-dCeofrai xal
ovyynt/uaziCeiv &ebv cog txboov er tztgco' to yd() 2vv, du
JinoOTLfrt\u£vov rovzo voüv dvayxdCec xal oiyl dt] iw.Xlov [itä
28 Pape, Die Predigt und das Brieffragment des Aristides.
jioooxvvr/oti rifia top EftfiavovrjX xai idav avtm r/jv öo&oXo-
yiav ävcMitf/jiti xa&o yiyove Guys <> Xöyoq' äväütfia %otca .
so sieht man, dass ein und derselbe Gedanke in beiden enthalten
ist, der sich gegen die im entsprechenden Gegenanathemati.-tua
des Nestorius, wie in dessen Sermo VII. adv. Proclum 1. c. § 24 —
37 ausgesprochene Lehrauffassung wendet. Auch hier also
spiegeln sich deutlich Gegensätze jenes grossen Kampfes wieder.
Und von diesem Standpunkt aus besteht keinerlei Nötigung, jene
von Seeberg beanstandeten Ausdrücke zu entfernen. Zwischen
diesen Gedanken haben das armenisch-antinestorianische „Be-
kenner des Menschen", das aus dem Nicänum entnommene d-toq
ex &eov, das Cyrill wiederholt im Kampfe gegen Nestorius ver-
wertet (Exp. XII cap. Mgn. 76 S. 296, Apol. pro XII cap. S. 329,
Ep. 55), das &ebg ccÄrj&tvoc, sowie das cyrillische ..wahre Mensch-
werdung des Immanuel" (Seeb. S. 18. 20 Anm), ihren unanfecht-
baren Platz. Sie können den antinestorianischen Charakter der
Homilie nicht noch klarer machen, als er es schon ohne sie
geworden ist, stimmen aber als jeden Zweifel ausschliessende
helle Punkte vollkommen zu dem entworfenen Bilde.
Es hat sich demnach das auf den ersten Eindruck hin ge-
fällte Urteil, trotzdem Zahn es als „gerade nicht das Gegenteil
von Gedankenlosigkeit" bezeichnet, vollauf bestätigt. Bestimmtere
Behauptungen über Zeit und Ort der Entstehung würden vor-
läufig wohl nur den Wert von Hypothesen haben. Wir wissen,
dass die christologischen Kämpfe eine fieberhafte litterarische
Thätigkeit hervorgerufen haben, welche sich teils im Aufsuchen
älterer Zeugnisse, beziehungsweise Übersetzen ins Syrische und
Armenische, teils in selbständigen Arbeiten äusserte. Wir wissen
aber auch, dass bei dem „Sammeln patristischer Quellen" das
dogmatische Interesse das bei weitem überwiegende war gegen-
über etwa dem rein litterarhistorischen. Es galt den betreffen-
den Forschern, ihren dogmatischen Anschauungen die Autorität
der Tradition zu verleihen, indem sie sie bei altangesehenen
Kirchenvätern nachzuweisen suchten. Dass bei der bekannten
Skrupellosigkeit in Bezug auf die Wahl der Mittel, mit denen
der Streit geführt wurde, so manches eigene Produkt irgend
eines Parteifanatikers unter hochberühmtem Namen in die Welt
hinausgegangen ist, ist ersichtlich, und es existieren verschiedent-
liche Beweise hiefür: um nur ein Beispiel anzuführen, sei hin-
l'iipe, Die Predigt und das Brieffraguient des Aristides. 29
gewiesen auf die aus dem Armenischen überlieferten Predigten
des Gregorius Thaumaturgus bei Pitra, Analecta ss. IV. S. 356 ff.
In nativitatein Christi, de incarnatione domini, in annunciationem
Deiparae, Laus sanctae Deiparae, Panegyricus in sanctam Dei
Genetriceni etc., die fast durchweg antinestorianisch-monophysi-
tische Fälschungen sind. Man wird daher nicht fehlgehen, wenn
man auch diese Predigt der erwähnten Kategorie von Fälschungen
zuweist; sie wird dann in die Zeit zu versetzen sein, in welcher
die christologischen Streitigkeiten den höchsten Grad der Leiden-
schaft erreichten. Das ist die Zeit nach dem Chalcedonensischen
Concil, also die 2. Hälfte des 5. Jhs, Was den Entstehungsort
anbelangt, so wird man auch die Kirchen ins Auge zu fassen
haben, in welchen die Gegner am schärfsten auf einander prallten,
und die Monophysiten am energischsten ihren Standpunkt be-
haupteten. Das würde also auf Armenien, Syrien oder Ägypten
hinweisen. Die Entscheidung, welchem unter diesen Gebieten die
grösste Wahrscheinlichkeit zukommt, wird der Philologe zu
treffen haben, auf Grund des Nachweises, ob ein armenisches,
oder syrisches oder griechisches Original anzunehmen ist. So
viel jedoch kann behauptet werden, dass — wenn nicht gewichtige
sprachliche Gründe ein Veto dagegen einlegen, eine armenische
Originalschrift in der Predigt zu sehen — in dem Inhalte nichts
gefunden werden kann, was gegen ein armenisches Original spricht.
Wie man darauf verfallen ist, diese Homilie gerade dem
Aristides zuzuschreiben, wird heute wohl kaum mehr enträtselt
werden können. Aber man kann annehmen, dass bei einem der-
artigen Vorgehen mancher Griff aufs Geratewohl ohne viel Über-
legung gethan wurde.
Weit weniger Schwierigkeiten macht die Behandlung des
kleinen Brieffragments. Nachdem durch die Predigt erwiesen
ist, dass der Name des Aristides in polemischem Interesse zur
Zeit der nestorianisch-monophysitischen Streitigkeiten gebraucht,
beziehungsweise missbraucht worden ist, ist diese kleine Sentenz
mit dem merkwürdigen Titel von vornherein verdächtig. Wenn
Zahn und Seeberg in Bezug auf den Titel erinnern an Tatians
Oratio und Theophilus Ad Autolycum, so ist bei letzterer Über-
schrift durchaus nichts Auffallendes, und auch der Aoyoc XQcg
;;!( Fajx', Die Predigt und das Brieffragmenl des Aristides.
"EMLf/vag des Tatian keineswegs so singulär, wie der Titel: „Der
Philosoph Aristides an alle Philosophen." Wenn der Inhalt der
Schrift dieser Aufschrift nur halbwegs entsprochen hat, ist es
sehr auffallend, dass sich keine Erinnerung an einen solchen
„offnen Brief" erhalten hat, während uns doch gerade in Bezni^
auf Apologieen eine so reiche Anzahl von Titeln, von denen
wir sonst auch nicht viel Näheres wissen, erhalten ist. ') Der
Verdacht gegen dies kleine Fragment wird in hohem Masse noch
verstärkt, wenn man sieht, woher es kommt. Martin hat es in
Pitra, Analecta ss. IV. aus einem armenischen Codex der Pariser
Bibliothek Nr. 85 herausgegeben. Dieser Codex enthält eine
Anzahl von kurzen Sentenzen unter dem Namen verschiedener
Kirchenschriftsteller (Melito, Irenäus, Hippolyt, Cyprian, Origenes,
Dionysius und Petrus von Alexandrien, Methodius) und ist offen-
bar ein Bestandteil des armenischen „Buchs der Zeugnisse", dessen
grösster Teil noch ungedruckt ist, und das sich vollständig in
der Bibliothek zu Etschmiadzin Nr. 1945 befindet (Ter Mikelian
1. c. S. 47). Dieses „Buch der Zeugnisse" ist in der Zeit der
christologischen Kämpfe geschrieben und enthält „kurze Citate
aus allen alten Kirchenvätern zur Bestätigung des armenischen
Glaubens" (das ist der antinestorianischen, wesentlich monophysi-
tischen Lehre). Die bei einem derartigen in reinem Parteiin-
teresse geschriebenen Buche von vornherein aufsteigende Ver-
mutung, dass dabei wohl manches eigene Fabrikat unter irgend
einem alten Namen mit untergelaufen ist, wird in höchstem Masse
bestätigt, wenn man die bei Pitra 1. c. aus dem Cod. Arm. Paris.
Nr. 85 gebrachten Citate ansieht, von denen die grösste Zahl
von vornherein als gefälscht angesehen werden muss. Hippolyt
S. 336 : „qui de duabus loquuntur naturis, quattuor dominos distin-
guere . . . debent et loqui de quaternitate ; hominem absque Deo
verbo confiteri daemones audebant; alia enim die natum, alia die
baptizatum dixerunt Ariani(!) „ut duas naturas duosque filios con-
titerentur"; etc. Irenäus S. 304: „ipse venit Dei et hominis naturam
in unum conducens; a deo separati sunt, qui non fatentur Dei
1) Die Hypothese, der Brief an den Diognet sei von Aristides, wird
schwerlich Jemand zur Verteidigung eines Manifests des Aristides an alle
Philosophen herbeiziehen ; denn man kann nicht eine Unsicherheit durch
eine andere stützen.
Pape, Die Predigt und das Brieffragment des Aristides. 31
verbum imigenitum sein per humanitati fuisse conjimctum et coad-
unatum; loquens de miione verbi cum creatura sua; qui unicum
dividendo frangunfr. Origenes S. 345: „isti indivisibiliter unum
in duos dividunt" etc. Dionysius von Alex. S. 420. IL und Anm.
3: „sanctae cruci affixerunt eum, qui e nihilo omnia constituit;
dum haeretici 'filium Dei dividere in duos indivisibilem et inscru-
tabilem Christum discindere tentant''. S. 422: „uon homo tantum
crucifixus est, sed sanctum imigenitum Verbum ; vides, quomodo
verbum cruci affixum dixerit, et non purum hominem" etc. Petrus
von Alex. S. 430: ..quoniam corpore Dominum nostrum Jesum
Christum Maria geiiait, eundem Verbum et non alium; quoniam
Maria genuit Verbum Dei carnem factum, unum eundemque et
non alium atque alium; qui dicere corpore corruptam fuisse
unionem, vel dividere Deum a corpore audent; Deus et corpus
una sunt natura unaque persona; ipse est Deus indivisibilis in
indivisibili unitate sua; qui post indivisam unionem loquuntur
de duabus naturis, duabus filiis etc. inducunt quaternitatem" etc.
Da wir nun unser ..Citat" in solcher Umgebung finden, ist ein
gewisses Misstrauen von vornherein berechtigt. Als eo ipso
nicht auf die Zeit des Aristides passend kann man gleich mit
Seeberg das „de sancta Maria" und „et Spiritus sancti" entfernen.
(Wenn Zahn in Bezug auf den heiligen Geist auf Apol. IL 6
hinweist, dass auch hier von einer Mitwirkung des heiligen Geistes
die Rede ist, so ist es doch etwas anderes, wenn gesagt wird hv
jtvevfidTi aylco (nebenbei im Syr. nicht) xaraßdg djt ovqccvov,
als wenn von einer direkten Mitbeteiligung des Spiritus sanctus
bei der göttlichen ßovZrj oder evöoxla gesprochen wird, infolge
welcher Christus Fleisch annimmt).
Es fragt sich nun, ob das Übrigbleibende nichts enthalte,
was das Fragment in eine andere Zeit verweise. Der erste Satz
„Omnes dolores vere passus est in corpore suo" könnte ja an und
für sich als antidoketisch ins 2. Jh. passen. Bei genauerer Be-
trachtung ergiebt sich aber doch ein Unterschied. Vor allem
muss beachtet werden, was hier Subjekt ist. Wie aus dem fol-
genden ersichtlich, nur der, welcher aus der hebräischen Jung-
frau seinen Körper annahm, das ist also nicht Christus schlecht-
hin, sondern der Gott von Gott, der Logos. Halten wir dies
fest, so haben wir einerseits eine merkwürdige Übereinstimmung
mit der Formel fteoc OravQtüß-elq der Predigt, andrerseits mit
32 Pape, Die riedigt und das Brieffragment des Aristides.
dem Anfang des 12. Anath. Cyrills: Et xtc ov% OfloZoyst xbv
xov Qbov Aoyov Jiaüovxa oaQxl, deren gegenteilige Ansicht
Cyrill in seinem Apol. pro XII cap. als Orientalium oppoeitio
Mgn. 76. S. 377 angibt: }AX)? ovx enadsv 6 &boq xfi oaoxl
övvrjfiiitvoq und ^AXXa yciQ ovx tf Otoxr/g xr\ Oaoxl Ovvrj(j(itvrj
enad-ev. Und wie wir den ganzen Standpunkt der Predigt als
einen extremen kennen gelernt haben, so scheint dieser Satz
durch das hinzugefügte „vere" auch über Cyrill hinauszugehen,
wenn dieser doch gewisse Kautelen gebrauchen will. (Apol. pro
XII cap. S. 380 xavxr] rot xal fidka 6q065c xax' oIxblcoolv
oixovoiiixi]v avxov XtyBö&aL <patuev xä zfjq öagxbg jiadr/, xexr/-
QTjxoTBq navxayov xr\ avxov cpvöBi xo ajia&iq. S. 381: tJisiÖ?)
yag böxiv o avxbg &eog xb ofiov xal avfrocojzoc, axa&rjc, iilv
xoys tjxov bIc, xr\v xrjq &BOX?]xoq <pvöiv, jiadijxbg dh xaxä xo
av&Qcojiivov). Wenn demnach der hier ausgesprochene Gedanke
nur der ist, dass nicht allein die 6ccq£-, sondern derjenige, der
dieselbe angenommen hat, h> öagxl aXrftivwo, gelitten habe, so
hat das mit einer Bekämpfung des Doketismus nichts zu thun,
der Christus überhaupt die Realität des Leidens abgesprochen
hat, sondern es ist auch hier einer der Hauptgegensätze des
christologischen Kampfes erkennbar.
Dies wird bestätigt durch den Schlusssatz: „quod .... sibi
ineffabili et indivisibili unione conjunxerat". Wer die oben an-
geführten Sentenzen aus demselben Codex vergleicht, wird sehen,
dass dieser Gedanke einer der am häufigsten wiederkehrenden
ist. Die Armenier müssen daher ein besonderes Interesse dafür
gehabt haben, und wenn Zahn sagt, sie können diesen Ausdruck
nicht geschaffen haben, denn er drückt ihr Bekenntnis nicht
scharf aus, so ist dazu zu bemerken, dass von jedem einzelnen
dieser kurzen Aussprüche auch nicht ein scharfer Ausdruck ihres
Bekenntnisses zu erwarten ist. Jedes einzelne „Citat" dient eben
dazu, einen, ihnen besonders wichtigen Gedanken zu belegen.
Dass, wie Zahn und Seeberg durch Beispiele erläutern, der Aus-
druck unio, evcoötg, in ähnlichem Sinne auch früher gebraucht
wurde, ist zweifellos, ebenso, dass auch dem ineffabilis und indi-
visibilis ähnliche Ausdrücke hin und her vorkamen. Das aber ist
nicht nachweisbar, dass diese Ausdrücke zusammen als dogma-
tische Formel in solchem Zusammenhange, mit solchem Nach-
drucke vor Cyrill gebraucht worden sind. Bei diesem dagegen
Pape, Die Predigt und das Brieffragment des Aristides. 33
war die Y-rojöig ein Lieblingsausdruck, den er Anath. 3 zur offi-
ziellen Geltung brachte. Die Verwahrungen gegen das ötaioeiv,
öcogiCeöd-at, öiaxtureiv, öiaöJtäv, xmQl^sG&ai, (legl&iv, öiioxa-
vcu, ava fitQog xiOtrai u. a. m. sind überaus zahlreich, und
ebenso wird der Gedanke oftmals angetroffen, dass die tvcootg
ein ((vözr/Qioi', dass sie äjino{>?]xog, aQQtjTOQ, acpQaövog, axsQi-
voryvoq u. s. w. sei. Einzelne Stellen anzuführen, würde zwecklos
sein, da sich diese Gedanken in allen gegen Nestorius und seine
Lehre gerichteten Schriften alle Augenblicke wiederholen. Nur
einiger Zeugnisse sei gedacht, in denen sich eben diese Gedanken
und Ausdrücke in ähnlicher Weise in Verbindung mit einander
vorfinden: Ep. 40 Mgn. 77. S. 192: riyovs yag öccqZ, o Aoyog,
xara xag roatpag xal öv^ßaoiv oixovofiixrjv xal amo (){>/] top,
alificog jt£Ji(jcr/dai (pa^iev avofiolcop jiQay[iaxcov dg tvcooiv
aötaöjraöTov. ibid. S. 193: ovo xa alXrjlocg ajtOQQfjxcog xe xal
aocyyvxmg owif/niva xa& tvcoötv. Ep. 50. S. 257: xad? tvcoöiv
ajteoiv6?jxov xal aovyyvxov xal a(poaöxov jtavxslwg. Hom. VIII.
5: Ogag ovv ojrcog aöiaöxaxco xs xal aöioglöxco Jtsniocply^ag
lrox//xi t//c ccjtoqq/jxov ovvodov xbv Aoyov. (Wenn Seeberg
in unserm Citat neben dieser Formel den terminus technicus
cpvoig vermisst, so ist darauf hinzuweisen, dass derselbe sich
bei den angeführten Citaten Cyrills ebensowenig in unmittel-
barer Verbindung damit vorfindet). Dass namentlich in der mono-
physitischen Kirche Armeniens diese und ähnliche Formeln sich
grosser Beliebtheit erfreuten, beweist der Umstand, dass, wie be-
reits erwähnt, dieser Gedanke sich in den meisten der von Martin
1. c. veröffentlichten „Citate" findet. Dieselben drei Begriffe
nebeneinander finden sich endlich auch, und das beweist ihre
Wichtigkeit besonders, in einem armenischen Kirchenliede von
Moses von Chorene (es muss dies ein Lied von besonderer Be-
deutung gewesen sein, denn Ter Mikelian, dem diese Notiz ent-
nommen ist, spricht von dem Kirchenliede des Moses v. Ch.):
Du bist geboren unaussprechbare Einheit, du bist immer unteilbar
gewesen, und du bist untrennbar vom väterlichen Schosse.
Was schliesslich die übrigens höchst fragwürdigen Berüh-
rungen resp. die Berührung mit der Apologie betrifft, so ist das
Streben wohl verständlich, in derartige Machwerke äusserliche
Berührungen mit denjenigen hineinzutragen, denen die betreffen-
den Sätze zugeschrieben werden.
Texte u. Untersuchungen XII, 2. 9
;; 1 Pape, Di<; Predigt und dae Brieffragment des Aristidet.
I);i sich auch hier die Gegensätze und Streitpunkt« des
christologischen Kampfes wiederfinden und, wie wir sahen, von
vornherein das Citat sehr verdächtig war, so stellt man es mit
Recht mit den oben angeführten „Zeugnissen" auf eine Stufe
und muss es für eine der vielen Fälschungen erklären, die das
„Buch der Zeugnisse" enthalten zu haben scheint. Von die*
Standpunkt ans kann auch die merkwürdige Überschrift einiger-
in assen eine Erklärung finden. Denn die Verfasser dieser Citate
mussten, um ihre Falsifikate der Kontrolle zu entziehen, sie offen-
bar aus Werken entstammen lassen, von denen die übrige Kirche
nichts wusste, die also häufig erfunden waren.
Zum Schlüsse dieser Untersuchung möchte ich mir noch
eine kurze Entgegnung auf eine Bemerkung Zahns erlauben.
Wenn dieser Gelehrte nämlich die heutzutage herrschende „Mode"
tadelt, alles Befremdliche an Stücken mit antiken Titeln als
Zeichen der Unechtheit aufzufassen, so muss demgegenüber daran
festgehalten werden, dass diese „Mode" wohlberechtigt ist, sobald
für solche befremdlichen Erscheinungen eine wirklich befriedigende
Erklärung in einem späteren Zeitalter gefunden werden kann.
Druck von August Pries in Leipzig.
Verlag der J. C. HINRICHS'schen Buchhandlung in Leipzig.
Band I— IV auf Seite II des Umschlags.
V, l. Der pseudocyprianische Tractat de aleatoribus, die älteste lateinische christ-
liche Schrift, ein Werk des römischen Bischofs Victor I. (saec. II.), von
Adolf Harnack. V, 135 S. 1888. M. 4.50
V, 2. Die Abfassungszeit der Schriften Tertullians von Ernst Noeldeohen.
Neue Fragmente des Papias, Hegesippus u. Pierius in bisher unbekannten
Excerpten aus der Kirchengeschichte des Philippus Sidetes von C. de Boor.
184 S. 1888. M. 6 —
V, 8. Das Hebräerevangelium, ein Beitrag zur Geschichte und Kritik des hebräischen
Matthäus von Rud. Handmann. III, 142 S. 1888. M. 4.50
V, 4. Agrapha. Aussercanonische Evangelienfragmente, gesammelt u. untersucht
von Alfred Resch. — Anhang: Das Evangelienfragment von Fajjum von
Adolf Harnack. XII, 520 S. 1889. M. 17 —
VI, l. Die Textüberlieferung der Bücher des Origenes gegen Celsus in den Hand-
schriften dieses Werkes und der Philokalia. Prolegomena zu einer
kritischen Ausgabe von Paul Kötschau. VII, 157 S. u. 1 Tafel. 1889. M. 5.50
VI, 2. Der Paulinismus des Irenaeus. Eine kirchen- und dogmengeschichtliche Unter-
suchung über das Verhältnis des Irenaeus zu der Paulinischen Briefsammlung
und Theologie von Johs. Werner. V, 218 S. 1889. M. 7 —
VI, 3. Die gnostischen Quellen Hippolyts in seiner Hauptschrift gegen die Häretiker
von Hans Staehelin.
Sieben neue Bruchstücke der Syllogismen des Apelles. — Die Gwynn'schen
Cajus- und Hippolytus-Fragmente. Zwei Abhandlungen von Adolf Harnack.
III, 133 S. 1890. M. 4.50
Die ältesten Quellen des orientalischen Kirchenrechts. 1. Buch:
Die Canones Hippolyti von Hans Achelis. VIII, 295 S. 1891. M. 9.50
Die Johannes-Apokalypse. Textkritische Untersuchungen u. Textherstellung
von Bernh. Weiss. VI, 225 S. 1891. M. 7 —
Ueberdasgnostische Buch Pistis-Sophia. — Brodu. Wasser: die eucharistischen
Elemente bei Justin. 2Untersuchgn von Adolf Harnack. IV, 144 S. 1890. M. 4.50
. Apollinarios von Laodicea. Sein Leben u. seine Schriften. Nebst e. An-
hang: Apollinarii Laodiceni quae supersunt dogmatica. Von Johs. Dräseke.
XIV, 494 S. 1892. M. 16 —
Gnostische Schriften in koptischer Sprache aus dem Codex Brucianus heraus-
gegeben, übersetzt u. bearbeitet von Carl Schmidt. XII, 692 S. 1893. M. 22 —
Die katholischen Briefe. Textkritische Untersuchungen und Textherstellung
von Bernh. Weiss. VI, 230 S. 1892. M. 7.50
VIII, 4. Die griechische Übersetzung des Apologeticus Tertullians. — Medicinisches
aus der ältesten Kirchengeschichte. — Zwei Abhandlungen von Adolf
Harnack. III, 152 S. 1892. M. 5 —
IX, l. Untersuchungen über die Edessenische Chronik. Mit dem syrischen Text
und einer Übersetzung herausgegeben von Ludwig Hallier. VI, 170 S.
Die Apologie des Aristides. Aus dem Syrischen übersetzt und mit Beiträgen
zur Textvergleichung und Anmerkungen herausgegeben von Richard Raabe.
IV, 97 S. 1892. M. 8.50
IX, 2. Bruchstücke des Evangeliums und der Apokalypse des Petrus von Adolf
Harnack. Zweite verbesserte u. erweiterte Aufl. VIII u. 98 S. 1893. M. 2 —
IX, 3/4. Die Apostelgeschichte. Textkritische Untersuchungen und Textherstellung
von Bernh. Weiss. 313 S. 1893. M. 10 —
X, Aussercanonische Paralleltexte zu den Evangelien gesammelt u. untersucht
von Alfred Resch.
1. Textkritische u. quellenkritische Grundlegungen. VII, 160 S. 1893. M.5 —
2. Paralleltexte zu Matthäus und Marcus. VIII, 456 S. 1894. M. 14.50
XI, 1. DasKerygma Petri. Kritisch untersucht von Ernst von DobschUtz. VII, 162 S.
1893. M. 5 —
XI, 2. Acta SS. Nerei et Achillei. Text u. Untersuchung von Hans Achelis. IV, 70 S.
1893. M. 3 —
XI, 3. Das Indulgenz-Edict des römischen Bischofs Kailist kritisch untersucht und
reconstruiert von Ernst Rolffs. VIII, 139 S. 1893. M. 4.50
XI, 4. Textkritische Studien zum Neuen Testament von Wilhelm Bousset. VIII,
144 S. 1894. M. 4.50
XII, 1. Der Chronograph aus dem zehnten Jahre Antonins. Von Adolf Schlatter.
IV, 94 S.
Zur Überlieferungsgeschichte der altchristlichen Litteratur. Von Adolf
Harnack. 32 S. 1894. M. 4 —
XII, 2. Tertullian's Gegen die Juden auf Einheit, Echtheit, Entstehung geprüft von
E. Noeldechen. IV, 92 S.
Die Predigt und »las Brieffragment des Aristides auf ihre Echtheit unter-
sucht von Paul Pape. 36 S. 1894. M. 4 —
vi,
4.
VH,
1.
VII,
2.
VII,
8/4.
VIII,
1/2.
VIII,
3.
TEXTE UND I NTERSi CHI \(;e\
ZUR G-ESpHKJHTB DER
ALTCHRISTLICHEN LITERATUR
HERAUSGEGEBEN VON
OSCAR von &EBHARDT und ADOLF HAMACK
XII. BAND HEFT 1
TEKTÜLLIAFS GEGEN DIE JUDEN
AUF EINHEIT, ECHTHEIT, ENTSTEHUNG
GEPRÜFT VON
E. NOELDECHEN.
DIE PREDIGT UND DAS BRIEFFRAGMENT
DES
ARISTIDES
AUF IHRE ECHTHEIT UNTERSUCHT
VON
PAUL PAPE.
LEIPZIG
J. C. HINRICHS'SCHE BUCHHANDLUNG
1894
IGNATIUS VON ANTIOCHIEN
ALS
CHRIST UND THEOLOGE
EINE DOGMENGESCHICHTLICHE UNTERSUCHUNG
VON
EDUARD FREIHERRN VON DER GOLTZ
LIC. et CAND. THEOL.
GRIECHISCHE EXCERPTE
AUS
HOMILIEN DES OMGENES
VON
ERICH KLOSTERMANN
LEIPZIG
J. C. HINRICHS'SCHE BUCHHANDLUNG
1894
IGNATIUS VON ANTIOCHIEN
ALS
CHRIST UND THEOLOGE
EINE DOGMENGESCHICHTLICHE UNTERSUCHUNG
VON
EDUARD FREIHERRN VON DER GOLTZ
LIC. et CAND. THEOL.
Texte u. Untersuchungen. XII, 3. Leipzig 1894.
MEINEM VATER
IN DANKBARER LIEßE.
DER VERFASSER,
Vorwort.
Vorliegende Arbeit hat im vorigen Winter der boehwürdigen
Berliner theologischen Fakultät als Probeschrift zur Erwerbung
des Licentiatengrades vorgelegen. Wenn ich sie jetzt, ermutigt
durch die Anerkennung meiner Lehrer, mit einigen Ergänzungen
und Verbesserungen der Öffentlichkeit übergebe, so möchte ich
das nicht thun, ohne auch an dieser Stelle meinen hochverehrten
Lehrern in Halle, Berlin und Bonn meinen tiefempfundenen Dank
auszusprechen für alle von ihnen erfahrene Anregung und För-
derung während meiner Studienzeit. Ganz insbesondere gilt dieser
Dank meinem hochverehrten Lehrer Herrn Professor Ad. Harnaek.
in dessen Seminar ich die erste Anregung zur Beschäftigung mit
den apostolischen Vätern erhalten habe, und welcher in allen
Stadien dieser Arbeit mir seinen Rat und seine Anleitung hat
zu Teil werden lassen. Wenn ich diese Arbeit meinem Vater
widme, so möchte ich damit nicht nur eine Pflicht kindlicher
Dankbarkeit erfüllen, sondern auch ein öffentliches Zeugnis des
Dankes geben, den ich ihm als meinem theologischen Leiter und
Lehrer schulde.
Im August 1894.
r>
Der Verfasser.
%
Inhaltsübersicht
Seite
Einleitung. Vorarbeiten S. ltfc Aufgabe S. 6. Historische
Voraussetzungen S. 7tt'. 1 — 10
Erster Teil: Darstellung der christlichen Anschauung und der
theologischen Gedanken des Ignatius 11 — 88
Einleitung: Der allgemeine Grundcharakter der ignatia-
nischen Anschauung 11 — 12
I. Glaube an Gott und Christus 13 — 28
1. Der Ewigkeitecharakter der Offenbarung Gottes in
Christo 14—17
2. Die scheinlose Geschichtlichkeit der Erscheinung Gottes
im Menschen 17 — 19
3. Das Bild von der geschichtlichen Person Jesu . . . 19 — 20
4. Die Bedeutung der Gottheit Christi 21 — 2<S
II. Die einzelnen Heilsthatsachen und ihre Heilsbe-
deutung 28 — 37
1. Geburt und Gesamt-Erscheinung 2$ — 20
2. Tod und Auferstehung 29 — 37
III. Eschatologische Gedanken und die Auffassung des
christlichen Heilsgutes im Verhältnisse zu ihnen 37 — 41
1. Eschatologische Gedanken 37 — 39
2. Das Heilsgut als Gegenwärtiges und Zukünftiges 39 — 41
IV. Das christliche lieben in Glaube und Liebe . . 41—59
1. Glaube und Liebe als Grundprinzipien des Leben« 41 — 47
2. Die Motive des christlichen Handelns 47 — 59
a. Die innerliche Gebundenheit au Gott. S. 48. —
b. Die innerliche Gebundenheit an Christus. S. 49. —
c. Das Vorbild Christi. 8. 49. — d. Dankbarkeit gegen
Christus. S. 50. — e Ehre Gottes und des christlichen
Namens. S. 51. — f. Gebote Christi und der Apostel.
S. 52. — g. Asketische Motive. S. 53. — h. Die Hoff-
nung auf Vergeltung. S. 57. — i. Die Furcht vor
Strafe. S. 58.
V. Christus und die Gemeinde 59 — 86
Vorbemerkungen S. 59. 60.
VIII Inhaltsübersicht.
1. Die geschichtliche Veranlassung der kirchlichen Kr- Seite
mahnungen GO — 62
2. Die allgemeine Kirche und die Einzelgeuieinde in
ihrem Verhältnis zu einander und zu Christus . 02 — 66
3. Das Gcsamtleben und die genieinsamen (Jüter der
Gemeinde 67 — 09
4. Die gottesdienstliehe Einheit (Taufe und Herrenmahl) GO — 74
5. Beurteilung der Anschauung des Ignatius von der Kirche 74 — 7.S
G. Die Autoritäten der Gesaintkirche 78 — 80
a. Apostel. S. 78. — b. Evangelium. S. 78-80. —
c. Altes Testament. S. 80—86.
Rückblick. S. 86—87.
Anhang zum ersten Teil: Die sprachliche Eigentüm-
lichkeit der ignatianischen Briefe 88 — 08
a. Wortschatz. 8. 88-90. — b. Stil. S. 00-03. —
c. Formelhaftes und Liturgisches. S. 03—98.
Zweiter Teil: Ote christlichen Anschauungen des Ignatius nach
ihrer geschichtlichen Entstehung und Bedeutung 99—177
1. Paulus und Ignatiue 100—118
Vorbemerkung. 8. 100.
1. Die älteren Paulusbriefe 100—103
2. Epheser» und Kolosserbrief 103-107
a. Epheserbrief. 8. 103-105. — b. Kolosserbrief. . 100—107
3. Die Pastoralbriefe 107— HS
a. Die Polemik gegen die Irrlehrer. 8, 107 — 110. —
b. Die christliche Lehranschauung. S. 110 — 115. —
c. Kirche und kirchliches Amt. S. 115— 118.
IT. Ignatius und Johannes HS — 114
Vorbemerkung 8. 118—119.
A. Die geistigo Verwandtschaft 119—131
1. Die johanneischen Grundgedanken bei ignatius . . 110—127
a. Der Glaube an Jesus Christus. 8. 119—121. — b. Die
Heilsthatsachen und die Heilsgüter. S. 121 — 122. —
c. Das neue Leben in Glauben und Liebe. 8. 122 — 124.
d. Stellung zum Alten Testament und zum Judentum.
S. 124—127.
2. Die Verwandtschaft mit der johanneischen Apokalypse 127—129
3. Der Antheil des Ignatius an einer in Kleinasien ver-
breiteten „johanneischen" Anschauungsweise . . 129—131
B. Prüfung der litterarischen Verwandtschaft . 131 — 144
1. Einzelne Stellen 131—130
2. Benutzung der synoptischen statt der johanneischen
Erzählung 137—138
3. Die Selbständigkeit der Form bei Ignatius . . .• . 139—140
Inhaltsübersicht.
IX
4. Das literarische Verhältnis Justins und der aposto- Seite
lischen Väter zu Johannes im Vergleiche mit dem
des Ignatius 140 — 144
III. Die geschichtliche Bedeutung der igrtatianischen
Auffassung des Christentums in seiner Zeit und
ihr Verhältnis zur späteren Entwicklung . . . 144—177
A. Ignatius und seine Zeitgenossen. (Apostolische
Väter und Apologeten) • . 144 — 151
B. Ignatius und die spätere Entwicklung . . . 151—169
1. Die Ansätze zur nächsten geschichtlichen Weiterbildung 151 — 160
a. <iuostische Elemente. 8. 152—154. — b. Marcion.
S. 154—156. — c. Irenäus. 8. 156—160.
2. Anticipationen der spätem Entwicklung 160—165
a. Christologie und HeilsaufTassung (Melito, Noet, Me-
thodius). S. 160 — 161. — b. Begriff der Kirche (Cyprian
und Pseudodionysius). S. 162 — 165.
C. Ignatius und die kleinasiatische Tradition . . 165 — 177
Anhang zum zweiten Teil: Tabellen I— III . . . . 178—206
Tabelle I Ignatius und Paulus (ältere Briefe) .... 178—184
Tabelle II Deuteropaulinische Litteratur 186—196
Tabelle III Ignatius und Johanneische Schriften . . . 197—206
Abkürzungen.
Ign.
=
Ignatius.
Pls.
=
Paulus.
Joh.
=
Johannes.
Past.-Br.
=
Pastoralbriefe.
P. Eph.
.-=
Paulinischer Epheserbrief.
P. Rom.
=
„ Römerbrief.
Eph.
—
Brief des Ignatius an die Epheser.
M.
=
„ „ Magnesier.
Ti-
=
„ „ „ „ „ Iraner.
ll.
=:
„ „ Römer.
Phld.
=
„ „ Philadelphia-
Sin.
=
., ., „ Sniyrnäer.
Pol.
=
., „ Polykarp.
Eph. iscr.
lnscriptio des Briefs an die Epheser.
Druckfelllerberichtigung.
s.
s.
s.
s.
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s.
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Einleitung.
Die sieben uns in der kürzeren griechischen Recension er-
haltenen Briefe des Bischofs Ignatius von Antiochien nehmen
unter den Schriften der apostolischen Väter in mehrfacher Hin-
sicht eine hervorragende und eigenartige Stellung ein. Trotz ihres
geringen Umfanges bieten sie so viele Probleme, so viele wert-
volle christliche Gedanken in einem sehr originellen knappen
Stile und verraten uns für die Zeit, aus der sie sein wollen, so
eigentümlich entwickelte kirchliche Verhältnisse, dass es nicht zu
verwundern ist, wenn ihre Echtheit so lange bestritten und ihr
Inhalt in den Dienst der verschiedensten Theorien über die ersten
Entwicklungsstufen des Christentums gestellt worden ist. Am
meisten für den Beweis der Unechtheit verwertet und am gründ-
lichsten untersucht ist ihr Episkopalismus. Auch die Frage,
welche Häresien der Verfasser bekämpft, ist nach allen Seiten
erwogen und sehr verschieden beantwortet worden. Am wenigsten
hat dagegen ihr dogmengeschichtlicher Gehalt Berücksichtigung
gefunden. Derselbe konnte zur Entscheidung der Echtheits- und
Zeitfrage auch nur mit grosser Beschränkung verwendet werden,
und unter der früher sehr verbreiteten Voraussetzung der Un-
echtheit sind die Gedanken, Aussagen und Formen des unselb-
ständigen Machwerks von ziemlich untergeordnetem Interesse. Die
neueren umfangreichen Untersuchungen von Zahn *), Lightfoot2)
und dem katholischen Theologen Funk3) haben aber gründlich
nachgewiesen, dass die sieben Briefe, welche Eusebius nennt, in
1) Th. Zahn, Ignatius v. Antiochien. Gotha 1873 u. Patruin apostol.
opp. fasc. II. Lipsiae 1870.
2) J. B. Lightfoot, The apostolic fathers, Part. II. Ignatius a. Poly-
carp, Vol. I— III. London 1889.
3) F. X. Funk, Die Echtheit der ignatianischen Briefe. Tübingen 1883.
Texte u. Untersuchungen XII, 3. 1
2 v. d. Goltz, Ignatius.
der kürzeren griechischen Recension echt sind. Bisher ist kein
ausführlicher Versuch gemacht worden, Zahn und Lightfoot
zu widerlegen. D. Völter ') hat durch seine Untersuchung der
Frage nichts geändert; denn in Betreff der 6 kleinasiatischen
Briefe verteidigt er selbst den unverfälschten ursprünglichen Cha-
rakter, und seine Gründe für Abtrennung de3 Römerbriefs als
eines unechten spätem Machwerks sind in keiner Weise über-
zeugend. Nur durch starke Übertreibung und Aufbauschung der
Eigentümlichkeiten desselben, durch viel zu ausgedehnte Ver-
wendung des argumentum ex silentio und durch die Vorstellung
von einem Fälscher, der unglaublich raffiniert und geschickt einer-
seits und ebenso unvorsichtig, vergesslich und ungeschickt andrer-
seits gewesen sein müsste — ein Bild, das mir hier wie ander-
wärts nie einleuchten will — weiss V. seine Verwerfung des
originellen Briefs, den Renan allein für echt halten wollte, zu
begründen. Noch willkürlicher ist die Unterscheidung des Ver-
fassers der echten Briefe, eines christlichen Märtyrers, von dem
altern antiochenischen Bischof und seine Vermutung, Peregrinus
Proteus sei jener Verfasser. Ich kann überhaupt keine über das
Natürliche oder Zufällige hinausgehende Verwandtschaft mit den
Schilderungen Lucians entdecken. Wie Harnack (Theol. L. Z.
1894Nr.3.S.73ff.), so scheint auch mir die Proteus-Hypothese kaum
diskutierbar. Letzteres gilt allerdings in noch höherm Grade von
dem Vorschlag D. Killen* s2), der dem Bischof Calixt die Ehre
der Autorschaft zu verschaffen sucht.
Darf demnach, wie auch Harnack3) und Loofs4) annehmen
undReville5) von neuem dargethan hat, die Echtheit der sieben
Briefe als wissenschaftliches Ergebnis neuerer Forschung gelten,
so gewinnt eine Untersuchung der Gesamtauffassung des Ignatius
neues besonderes Interesse. Es fehlt nicht an Vorarbeiten in
dieser Richtung. Zahn hat in seinem Werke über I. v. A.
S. 433—490 ein Kapitel unter der Überschrift: Der Theologe.
1) D. Völter, Die ignatianschen Briefe auf ihren Ursprung unter-
sucht. Tübingen 1892.
2) W. D. Killen, The Ignatian. epistles entirely spurious.
3) Harnack, Theol. L. Z. 1886 S. 318; 1891 S. 374.
4) Dogmengeschichte 1890 u. Stud. u. Krit. 1890 S. 658.
5) Jean Reville, Etudes sur Porigine de Vepiscopat in Revue de
l'histoire des religions. Tora. XXII 1890 (Paris) S. 1-26,123-100, 267-288
Einleitung. 3
Hier stellt er zumal diejenigen theologischen Äusserungen des
Ignatius zusammen, welche durch den Gegensatz gegen doketische
und judaistische Häretiker bestimmt sind. Indem er sich hierbei
im wesentlichen auf die direkten Aussagen des Bischofs be-
schränkt, sind demgemäss nur die Polemik gegen jüdische Ge-
setzlichkeit, die antidoketischen christologischen Formeln und ihre
Bedeutung in Erwägung gezogen, und die ganze Abhandlung
dient nur dem Erweise der Echtheit. Für diesen Zweck war es
das Wertvollste zu zeigen, dass die lehrhaften Äusserungen des
Ignatius mehr gelegentlich veranlasste als dogmatisch selbständige
sind, dass sie miteinander in Einklang stehen und mehr aposto-
lische Einfachheit als kirchliche Korrektheit besitzen. Solche
Verteidigung war besonders herausgefordert durch die Baur' sehe1)
und die Hilgenfeld'sche2) Kritik. Letzterer hatte den dogma-
tischen Charakter durchaus anders zu bestimmen und damit Un-
echtheit und spätes Datum zu erweisen versucht. Nachdem er
die Gegner als gnostisch-doketische Irrlehrer — vielleicht Valen-
tinianer — charakterisiert, unterscheidet er bei der Darstellung
des dogmatischen Gedankenkreises der Briefe selbst: „Die pauli-
nische Grundlage", — „Das gnostische Element" — und „Das
katholische Prinzip", verbindet also mit der Darstellung der igna-
tianischen Gedanken unmittelbar die dogmengeschichtliche Kritik
und Analyse. „Die paulinische Grundlage" ist bei Hilgenfeld
nichts mehr als die antijudaistische Polemik. Partiellen Gnosti-
cismus weist er an einigen Vokabeln und an dem angeblichen
Intellektualismus und Dualismus nach, und aus beiden zusammen
soll sich das katholische Prinzip ergeben. Im wesentlichen be-
schränkt auch er sich auf die Erörterung der direkten Lehraus-
sagen des Verfassers, ihnen zugleich eine dogmengeschichtliche
Stellung anweisend. Das Resultat, welches er dabei gewinnt, ist
allerdings nicht mehr zu halten, nachdem inzwischen die Vor-
stellung vom Paulinismus, vom Gnosticismus und von der Ent-
wickelnng zur altkatholischen Kirche bedeutende Änderung und
Klärung erfahren hat. Die beste Widerlegung giebt Light foot
Vol. I, S. 373 ff. in einer Erörterung der theologischen Polemik
1) Die ignatianischen Briefe u. ihr neuester Kritiker. Streitschrift gegen
Jos. Bunsen von F. Chr. Baur. Tüb. 1848.
2) A. Hilgenfeld, Die apostol. Väter. Halle 1853, S. 226— 251.
1*
4 v. d. Goltz, Ignatius.
zum Zwecke des Echtheitsbeweises und in dementsprechender
Beschränkung auf die direkten polemischen und apologetischen
Äusserungen. Dagegen setzt noch Pf leider er1) in dem den
ignatianischen Briefen gewidmeten Abschnitte seines „Paulinis-
mus" die Unechtheit einfach voraus und charakterisiert den Stand-
punkt der Briefe als einen dogmatisch verschärften und kirchlich-
hierarchisch ausgeprägten Paulinismus. Einzig unter dieser Be-
leuchtung betrachtet er die Briefe. Festgehalten findet er den
rechten Paulinismus nur in der antijudaistischen Polemik. Im
übrigen sucht er seine Verflachung nachzuweisen und geht dabei
nicht nur auf die Christologie und die kirchliche Verfassung,
sondern auch auf die subjektive Seite, z. B. auf die Begriffe und
das Verhältnis von jtlürig und ayanr) ein. Er berührt damit
eine sonst gar nicht angefasste Aufgabe: die nicht direkt aus-
gesprochenen aber doch überall erkennbaren Züge der subjektiven
Seite der ignatianischen Anschauungen zu untersuchen. Aber er
thut dies nur, um das Verhältnis zu Paulus zu prüfen, und auch
dies nicht in erschöpfender Weise. Ebenso entschieden wie er
dabei die Unechtheit voraussetzt, setzt Dorner2) in der Ge-
schichte der Lehre von der Person Christi die Echtheit voraus.
Er giebt eine wertvolle Charakteristik der Grundanschauung des
Ignatius und seiner Christologie und weist auch auf paulinischen
und johanneischen Einfluss hin, ohne dies indessen näher zu be-
stimmen, und beschränkt sich im wesentlichen ebenfalls auf die
direkten Lehraussagen der Briefe. An diese Ausführungen knüpft
Jos. Bunsen3) an und führt in breiten, sehr viel abschweifenden
Ausführungen die Trümmer vor, welche für ihn von der Dorner-
schen Auffassung nach den drei Briefen syrischer Recension, die
er allein für echt hält, übrig bleiben: Christus als Offenbarung
des ewigen Gottes und neues Prinzip in der Menschheit, Kon-
zentration des christlichen Lebens in Glaube und Liebe, An-
sätze zu einer Trinitätslehre, die Auffassung des Abendmahls
nach Joh. 6, und die weltumfassende Bedeutung des Christentums
1) 0. Pf leiderer, Paulinismus. 1873 S. 482 ff. 1890. S. 487 ff
2) J. A. Dorner, Entwickelungsgeschichte d. Lehre v. d. Person
Christi. 2. Aufl. Stuttgart 1845. Erste Abteil. S. 145—167.
3) Chr. C. Jos. Bunsen, Tgnatius v. Antiochien u. se. Zeit. Sieben
Sendschreiben an Dr. A. Neander in d. Schriften d. Akademie v< Hamm.
II. Bd. 2. Abt. Hamburg 1847, vgl. 6tes Sendschreiben S. 145—178.
Einleitung. 5
im allgemeinen. Die Frage nach der litterarischen Abhängigkeit
von Paulus und Johannes bejaht Bunsen. Seine Ausführungen
leiden aber nicht nur an einer grossen Unbestimmtheit, sondern
sind auch durch die unhaltbare Beschränkung auf die drei syr.
Briefe sehr bedeutend beeinträchtigt.
Unter den älteren Arbeiten sind schliesslich auch die Er-
örterungen von R. Rothe1) beachtenswert, der mit grosser Plero-
phorie für die Echtheit eintritt und bei ihrer Verteidigung auch
vielfach die Theologie des Bischofs berührt, ihren christozentri-
schen, einfachen, eigentümlichen Charakter hervorhebt und zumal
den Unterschied von der späteren orthodoxen Lehre durch einen
Vergleich mit den interpolierten Briefen illustriert. Auch giebt
er eine gute Darstellung von dem Kirchenbegriffe des Bischofs2).
In allen wesentlichen Punkten von ihm abhängig, aber ohne
wissenschaftlichen Wert ist eine kleine Arbeit von C. E. Franke3)
über die Theologie des Ignatius, welche in naiver, unkritischer
Weise die ganze lutherisch -konfessionelle Dogmatik den Haupt-
zügen nach in den Briefen wiederfindet. Kritischer und ver-
ständiger ist das, was F. Lübkert in einer kleinen systematischen
Darstellung der „Theologie der apostolischen Väter"4) über Ign.
zusammenstellt. Er giebt freilich nur eine ungesichtete Stoff-
sammlung, die aber als solche, wenn auch durchaus unvoll-
ständig, einen gewissen Wert hat, zumal auch die Berührungen
mit dem N. T. behutsam und mit kritischer Vorsicht gesammelt
sind. Die Episkopatsidee des Ignatius hat neuerdings auch
Reville (vgl. S. 2 Anm. 5) auf Grund der Arbeiten von Zahn
und Lightfoot ausführlich und treffend erörtert. Nur fehlt
auch hier die Klarstellung des Zusammenhangs der Anschau-
ungen vom Episkospat mit der sonstigen Gesamtauffassung des
Christentums.
Den Versuch einer nach allen Seiten vollständigen systema-
tischen Darstellung der Anschauungen des Ignatius hat bisher
1) R. Rothe, Anfänge d. christl. Kirche und ihrer Verfassung. Bd. I.
Wittenberg 1837. Beilage S. 715—784.
2) Rothe, ebenda S. 145—178.
3) Zeitschrift für luth. Theol. u. Kirche 1842 S. 116—164.
4) F. Lübkert, Die Theologie der apostolischen Väter mit hiator. u.
krit. Bemerkungen über ihre Schriften. Gotha 1854.
6 v. d. Goltz, Ignatius.
nur der katholische Prof. Nirschl1) gemacht. Von der Über-
zeugung ausgehend, dass Ignatiiu nicht nur ein Bischof von
Antiochien, sondern auch Schüler des Apostels Johannes, zweiter
Nachfolger des Petrus, der angesehenste Bischof des ganzen
Morgenlandes sei, findet er ohne jede Kritik, aber mit grosser
Auslegungskunsfc in den Briefen d:^ ganze tridentinische Kirchen-
lehre wieder: Trinität, Zwei-Naturen-Lehre, sichtbare katholisch-
apostolische Kirche mit allen Prädikaten, göttlichen Episkopat
und römischen Primat, Transsubstantiation und alle sieben Sakra-
mente, und schliesslich sogar die ganze tridentinische Lehre von
Busse und Rechtfertigung. Eine solche Arbeit braucht nicht im
Einzelnen widerlegt zu werden, da sie von total falschen Voraus-
setzungen ausgeht. Aber um so nötiger ist es, vom Standpunkte
protestantischer Wissenschaft aus zu zeigen, welche Anschauungen
die ignatianischen Briefe wirklich enthalten2). Unsere Übersicht
über die protestantische Litteratur giebt den Nachweis, dass eine
neue Untersuchung der christlichen Anschauungen und der theo-
logischen Gedanken des Ignatius v. Antiochien von Wert sein
dürfte, und sie giebt zu gleicher Zeit die Grundsätze für die
Behandlung an die Hand.
Es ist von der hinlänglich gesicherten Voraussetzung der
Echtheit aus eine Gesamtanschauung von der Auffassung
des Ignatius vom Christentum zu gewinnen, so, dass
sowohl die objektive als die subjektive Seite, die dog-
matische sowohl wie die ethische, die individuelle nicht
minder als die kirchliche zur Geltung kommen. Hierzu
sind nicht nur die Lehraussagen der Briefe an sich, sondern auch
deren Verhältnis zum Ganzen, sowie kleine Beobachtungen am
Sprachgebrauche zu verwerten, wogegen die antihäretische Seite
als mehr accidentelle etwas zurücktreten darf. Soweit sich
1) Dr. Jos. Nirschl, Die Theol. d. heil. Ignatius d. Apostelschülers
u. Bisch, v. Antioch. aus seinen Briefen dargestellt. Mainz 1880 ; in gleicher
Richtung vgl.: Dr. Dreher, De Christo deo doctrina Ign. Antiochensis
Progr. d. Kön. Kath. Gymn. zu Siguiaringen 1876/77.
2) Dies ist um so wichtige? als die römische Polemik gern Citate aus
Ign. benutzt, um den Protestanten das hohe Alter ihrer Anschauungen zu
beweisen und sich nunmehr darauf berufen kann, dass auch die protestan-
tische Wissenschaft die Echtheit und das hohe Alter der Briefe anerkannt
habe, so z. B. Prof. Einig in Trier im Streit mit Beyschlag 1893/94.
(Offene Antwort S. 20.)
Einleitung. 7
aus den kurzen Urkunden ein Ganzes gewinnen lässt,
ist dieses dann auf die Art seiner Bestandteile zu unter-
suchen. Diese Analyse wird mehr darauf ausgehen müssen,
geistig-innere Verwandtschaftsverhältnisse aufzudecken, als litterar-
kritische Einzelfragen zu lösen. Solche kommen nur insoweit in
Untersuchung, als sie zugleich auf die theologische Charakteristik
entscheidenden Einfluss haben. Dies ist nur beim Verhältnis zur
johanneischen Litteratur der Fall. Ausser der Erörterung der Be-
ziehung zu neutestamentlichen Schriften und Männern wird ein
Vergleich mit den Zeitgenossen des nachapostolischen Zeitalters,
eine Prüfung, wie weit die heidnische Abstammung des Verfassers
auf seine Gedankenwelt einwirkt, und schliesslich eine Fixierung
der Anknüpfungspunkte für die spätere kirchliche Entwickelung
zur allseitigen Charakteristik beitragen. In dieser Richtung giebt
schon Loofs eine Skizze in seiner Dogmengeschichte (§ 15
cf. 17,i. 18,8,24. 21,i. 27,s a u. b), und reiche Ausbeute in zerstreuten
Bemerkungen bietet Harnack's Dogmengesch. I (besonders die
3. Aufl. 1894) und Lightfoot's grosser Kommentar (Vol. II).
Was die historischen Voraussetzungen für unsere Unter-
suchung anbetrifft, so ist darüber so Ausführliches bei Zahn und
Lightfoot zu finden, dass es müssig sein würde, hier dasselbe
zu wiederholen. Nur wenige Bemerkungen mögen unsere Stellung
zu strittigen Fragen angeben. Zuerst: Wann hat Ignatius ge-
schrieben?
Der augenblickliche Stand dieser Frage scheint mir folgender
zu sein. Nachdem Zahn mit zu grossem Vertrauen sich auf
die eusebianische Tradition stützend nach dieser das Martyrium,
des Bischofs mit Sicherheit unter Trajan gesetzt hatte *), hat
Harnack2) durch seine bekannte Untersuchung über die Zeit
des Ignatius dieses Vertrauen erschüttert und den schematischen
Charakter der eusebianischen Bischofsliste aufgedeckt, daraus
aber auch sofort den Schluss gezogen, dass auf die Tradition vom
Martyrium des Ignatius unter Trajan gar kein Wert mehr zu
1) Zahn, Ign. v. A. S. 56 ff.
2) Ad. Harnack, Die Zeit des Ignatius und die Chronologie der'an-
tiochenischen Bischöfe bis Tyrannus nach Julius Africanus und den spätem
Historikern. Leipzig 1878.
8 v. d. Goltz, Ignatius.
legen sei. Erbes und Lipsius haben ihm widersprochen1), ohne
jedoch eine bessere Erklärung für den aufgedeckten Thatbestand
zu geben. Beide nehmen die Verschiebung einer ursprünglichen
Gleichsetzung der antiochenischen und der römischen Bischofs-
liste an, und Lipsius geht wie Harnack auf Julius Africanus
zurück, aber dann noch weiter auf eine noch vor diesem liegende
alte Chronik, welche die antiochenische Bischofsliste bis auf
die Apostel zurückgeführt habe. — Wirklich gefördert ist die
Sache erst durch die Beobachtung Horts, dass der Schematismus
des Euseb kein in Olympiaden difiPerenzen berechneter sei, wie
Harnack auf Grund der armenischen Lesart der römischen Liste
annahm, sondern ein völlig synchronistischer, wie sich dies bei
Zugrundelegung des Hieronymus-Textes (für die römische Liste)
herausstelle. Das Recht, letzteren für einen dem ursprünglichen
Text Eusebs näherstehenden halten zu dürfen, hat Light foot
nachgewiesen2). Welcher Art der eusebianische Schematismus
sei, ist aber letztlich indifferent. Jedenfalls steht fest, dass ein
solcher vorhanden ist, und das nimmt der Datierung auf Trajans
Zeit natürlich jede Sicherheit. Rührt nun, wie man mit
Harnack gleichfalls als gewiss annehmen darf, dieser Schema-
tismus von Julius Africanus her und zeigt sich doch gerade beim
Amtsantritt des Hero, des Nachfolgers des Ignatius, eine Unregel-
mässigkeit, so wird man die Möglichkeit einer richtigen histo-
rischen Tradition über die Zeit des Ignatius zwar nicht aufs Jahr,
aber doch nach der kaiserlichen Regierungsepoche für nicht so
fernliegend erachten dürfen. Fehlt uns doch auch jedes dem
Euseb widersprechende Zeugnis; die Angaben bei Origenes, der
den Ign. als zweiten Bischof nach Petrus nennt, dürfen auch
nicht ganz für nichts geachtet werden. Nur die Martyrien und
den Joh. Malalas hätte Völter nicht wieder anführen sollen,
um seine Idee von den zwei Martyrien, dem des römischen
Ignatius, des Briefschreibers, und dem des antiochenischen Mär-
tyrers, des alten Bischofs, durchführen zu können. Da wäre es
1) Erbes in d. Jahrb. f. prot. Theol. 1879 S. 464 ff Lipsius, Jahrb.
f. prot. Theol. 1880 S. 236 ff ; dort oder in d. Resumäs der Verhandlungen
bei Funk, Echth. d. ign. Brf. S. 124—133 oder Völter S. 68 ff ist das
Nähere zu finden; vgl. auch Gutschmid in d. Theol. L. Z. 1880, 4.
2) Lightfoot, The Apost. Fathers. Part. I. Clement of Rome p. 224;
vgl. Theol. L. Z. 1891 S. 426.
Einleitung. 9
doch besser, dem Zeugnis des Irenaeus und des Euseb in betreff
der Authentie des Römerbriefs Glauben zu schenken, als so
späten, unzuverlässigen Quellen wie dem Joh. Malalas. — Ich
glaube daher diesen Verhandlungen vorläufig als Resultat ent-
nehmen zu dürfen, dass zwar die Datierung des Euseb nicht mehr
als ein unbedingtes Veto gelten darf, wenn aus wichtigen inneren
Gründen eine spätere Ansetzung unsrer Briefe für notwendig
gehalten werden sollte, dass aber andrerseits die unwidersprochene
Einheitlichkeit der Tradition, über das Martyrium unter Trajan,
für welche indirekt auch Origenes zeugt, durch den Schematismus
der einzelnen Zahlen in der Liste des Julius Afric. resp. des
Euseb nicht so belanglos wird, dass sie nicht ein Gegengewicht
gegen partielle innere Schwierigkeiten bieten dürfte. Wenn es
nicht gelingt, auf dem Wege der innern Kritik eine Entscheidung
herbeizuführen, wird man einstweilen auf eine solche verzichten
müssen, weshalb sie denn auch unsrer Untersuchung nicht zu
Grunde gelegt werden darf. Dieselbe muss selbst einen Beitrag
zur Lösung der Zeitfrage liefern. Die erwiesene Echtheit der
Briefe beschränkt den möglichen Zeitraum auf die erste Hälfte
des zweiten Jahrhunderts. Was die Frage nach den Irrlehren,
welche Ign. bekämpft, angeht, so scheint es mir notwendig, zu-
nächst jeden Brief für sich zu betrachten. In Ephesus, Tralles
und Smyrna ist die Einheit der Gemeinde jedenfalls durch doke-
tische Bestrebungen gefährdet, welche bisher noch von aussen
an die Gemeinde herantreten, deren Propaganda aber durch die
Unregelmässigkeit der christlichen Gemeindefeiern und den
Mangel an festem Zusammenhalt erleichtert wird. Letzteres ist
ein Fehler, den Ign. in allen fünf Gemeinden rügt und durch
eindringliche Mahnungen zur Einheit zu beseitigen sucht. Die
Gefahr ist erst im Entstehen, und der feste Zusammenschluss der
Gemeinden und aller ihrer Glieder unter ihren Leitern soll das
Eindringen der fremden Lehren in die Gemeinde hindern und
vor Zersplitterung und Streit behüten. In den Briefen nach
Magnesia und Philadelphia wird vor Doketismus nicht ausdrück-
lich gewarnt, obwohl diese Nachbarstädte doch gewiss ebenso
wenig vor jener Propaganda geschützt waren. Hier bekämpft
Ign. den Judaismus, der noch an der jüdischen Sabbathfeier
festhielt, allen unnützen (iv&evftara Glauben schenkte und da-
durch die Gnade Christi verleugnete (M. 8—11). In Philadelphia
10 v. d. Goltz, Ignatius.
waren diese Judaisten heidnischer Abstammung, hatten augen-
scheinlich schon in der Gemeinde Boden gefunden, und mit lgn.
bei dessen Durchreise disputiert; kurz nach des Bischofs Abreise
war es zu einer wirklichen Spaltung gekommen. Es handelte
sich dort, wie wohl auch in Magnesia u. a. um die Autorität des
A. T., sei es um das jüdische Gesetz (Sabbath, Beschneidung,
Priester), sei es auch um die Propheten, über die lgn. mehrfach
sich ausspricht. Soviel kann mit Sicherheit behauptet werden.
An geeigneter Stelle in unsrer Untersuchung soll der Versuch
gemacht werden, diese Angaben zu kombinieren. Als sichere
Voraussetzung für das Ganze darf aber eine solche Kombination
nicht behandelt werden, zumal sie von mir in einer neuen Form
vorgeschlagen wird. Deshalb vorläufig nur diese kurze Erinnerung
an die sicheren Punkte.
Über die Persönlichkeit des Ignatius J) wissen wir wenig.
Jedenfalls war er heidnischer Abstammung. Er scheint eine
leicht erregbare Art gehabt zu haben und jedenfalls eine gewisse
Überschwänglichkeit, die besonders im Römerbrief hervortritt.
Auf ihre Rechnung ist auch das Mass der Ergebenheits- und
Demutsausdrücke zu schreiben, die sich übrigens an paulinische
zum Teil anlehnen.
1) Vgl. besonders die vorzügliche Charakteristik v. R. Rot he, Anf.
d. ehr. K. S. 718 ff.
Erster Teil.
Darstellung der christlichen Anschauung und der
theologischen Gedanken des Ignatius.
Einleitung.
Für unsere Aufgabe, ein Bild von dem Christentume des
Bischofs zu gewinnen, gilt es zu beachten, dass wir nur Urkunden
von geringem Umfang besitzen und aus ihnen wiederum nur er-
sehn, welches seine christliche Anschauung zur Zeit seiner Reise
war. Wir kennen nichts von Ignatius aus der Zeit, wo er ruhig
in der Gemeinde seines Dienstes waltete. Wir kennen nur die
Äusserungen des Mannes, der, schon zum Tode verurteilt und in
Ketten gelegt, in der Hoffnung das höchste Ziel des Christen in
wenig Wochen durch den Märtyrertod zu erreichen, an fremde
Gemeinden seine Ermahnungen in ziemlicher Erregung nieder-
schreibt. Zugleich stand er unter dem unmittelbaren Drucke der
Sorge um das Umsichgreifen einer gefahrlichen Irrlehre und
Spaltung. Beides muss seinen Gedanken eine ganz bestimmte
individuelle Wendung gegeben haben und erschwert es uns, eine
allseitige Charakteristik seines Christentums so zu geben, dass
wir annehmen können, nicht nur ein Momentbild, sondern ein
Porträt vor uns zu haben. Ein Zug aber geht unverkennbar
durch alle sieben Briefe: Die zentrale Stellung, welche Jesus
Christus im Denken und Empfinden des Bischofs einnimmt. x)
In aller Erregung und Sehnsucht klingt ein Wunsch durch:
IxbIvov d-iXco top vjtsQ tjficov ajio&apopTa , hxelvov tljTW TOP
öl* q/täg äpctöTapTa (R 11), und in allem Eifer gegen die Irr-
lehrer lautet seine Klage: Was nützen mir die, die mich loben,
aber meinen Herrn schmähen; gegen alle Berufung auf die dgxsta
1) Dies iat der allererheblichste Unterschied d. ignatian. Briefe von
der gesamten übrigen nachapostolischen Litteratur, welche die Person
Christi sehr zurücktreten lässt.
|2 v. d. Goltz, Ignatiue.
des alten Bundes nur die eine Antwort: kfiol de aQxela 'irjOovQ
Xqiöto$ e^c. Alle Wertschätzung der Propheten nur, weil sie
Christum verkünden, alle Ehre den Bischöfen, weil sie iv yvcoftr]
Xqiötov leben. Ein Bischof, Ein Lehrer: Jesus Christus. Er
ist unser Leben. Wie können wir ohne ihn leben? (M 9, 2). Oft
in sehr kühner Konstruktion fügt er als Schluss bei: 6 koxtv
'IrjöoZg XQidxoq, und zwar ist es der Herr, der vom Weibe ge-
boren, getauft, für uns gestorben und auferstanden ist, und dessen
Wiederkunft erwartet wird. Diese zentrale Bedeutung der ge-
schichtlichen Person des Herrn und des Verhältnisses zu ihm
teilen die ignatianischen Briefe mit den kanonischen, und das
giebt ihnen ihren christlichen Wert, der über den theologischen
hinausgeht. Von diesem Punkte aus sind alle Aussagen des
Ignatius zu betrachten, denn auch ihm scheint sich von hier aus
alle seine Erkenntnis erschlossen zu haben. Hier wurzelt auch
sein heiliger Zorn gegen die Irrlehrer, hier seine fast krankhafte
Sehnsucht nach dem Märtyrertode, hier gerade knüpfen die selb-
ständigen theologischen Gedanken des Lehrers an. Halten wir
dies als Mittelpunkt fest, was es bei Ignatius selbst war, nur
dann ist es methodisch gestattet, aus den zerstreuten Gedanken
und gelegentlichen Andeutungen in systematischer Weise ein
Ganzes herzustellen.
Unsere Untersuchung wird daher nach einer kurzen Erörte-
rung seiner Gottesvorstellung die Christologie voranzustellen
haben, um dann die Auffassungsweise der Heilsbedeutung der
Erscheinung Christi und seines Heilswerkes zu prüfen. Ist so
ermittelt, welchen Seiten des Christus -Glaubens Ignatius am
meisten abzugewinnen weiss, so schliesst sich daran von selbst
sein Verständnis des christlichen Glaubens und Lebens beim Ein-
zelnen sowohl wie in der Gemeinde. In der Betrachtung der
Bedeutung und der Lebensbedingungen der letzteren fasst sich
das Ganze noch einmal so zusammen, dass das Eigentümliche
des ignatianischen Christentums scharf hervortritt. Diese Ein-
teilung des Stoffes wird auch dem Umstände gerecht, dass in
den direkten Lehräusserungen und Mahnungen des Bischofs das
Christologische und das die Einheit der Gemeinde Betreffende
beherrschend im Vordergrunde steht.
I. Glaube an Gott und Christus. 13
I. Glaube an ttott und Christus.
Handelt es sich um das Verständnis des Ignatius vom
Christentum und ist das Christentum nichts anderes, als die durch
Jesus Christus erschlossene rechte Gottesverehrung im Geist und
in der Wahrheit, so fragen wir zuerst natürlicherweise nach
der Vorstellung, die der Bischof von Gott hat, nach der Art,
wie er von ihm redet. Wer das übliche Urteil über die Gering-
wertigkeit der Gedanken des nachapostolischen Zeitalters teilt und
wer es beim Studium von Clemens, Barnabas u. Hermas durch
unmittelbaren Vergleich mit dem N. T. relativ bestätigt gefunden
hat, der muss bei Ignatius eine unerwartete Ausnahme konsta-
tieren. Während man bei jenen selten mehr als einen einfachen,
edlen Monotheismus wahrnimmt und nur das Lob des Schöpfers
und seiner Güte preisen, den Ernst seiner Vergeltung schildern
hört, ohne dass die Liebe, die in Christo erschienen, genügend
gewürdigt wird, steht bei Ignatius letzteres beherrschend im
Vordergrunde 1). Irgendwelche Erörterung über Wesen, Eigen-
schaften oder Werke Gottes findet sich in unseren Briefen nicht;
ja nicht einmal Beiwörter, an denen Ignatius sonst reich ist,
charakterisieren Gott als Schöpfer oder Weltlenker oder sonst
in seiner kosmischen Bedeutung. Seine Namen jtarrjQ, kjtloxojtoq
ütavxcov (M 3), Jioifii)v beziehen sich alle auf sein Verhältnis zu
den Christen. Er ist der Vater überhaupt und der Vater Jesu
Christi im Besonderen {&eoq jtat?jQ 10 mal; jrar^Q 8 mal; 6 JtartjQ
15 mal; TtarijQ 'Itjö. Xq. 5 mal; jtatfjQ vrpioroq lmal: R. iscr.).
Der Monotheismus ist M. 8, 2 deutlich bezeugt, aber auch dort
nicht um einer einheitlichen Weltanschauung willen, sondern um
die unzerreissbare Einheit der christlichen Gemeinde zu betonen
(ebenso M. 7, 2). Seine Unsichtbarkeit wird zusammen mit seiner
allwissenden Allgegenwart hervorgehoben, um an die Verant-
wortung gegenüber dem Unsichtbaren zu erinnern. Von andern
1) Man vergleiche nur:
Herrn. Mand. I ngdärov ndvxtov niaxsvaov oxi eig ioxiv b &soq
o xa ndvxa xxioag xal xaxagxlaag xal noirjoag ix xov firj
ovxog elg zo eivai xa ndvxa.
u. Ign. M. 8, 2 slg xo 7iXrjgo(poQTj^vai xovg cc7tei9-ovvx(xg, oxi elg
&eog iaxtv 0 (parsQciaag tavxov öid 'fyoov Xgiaxov xov vlov
avxov. Vgl. ebenso 1 Clein. XIX ff. Herrn. Vis. I, 6 u. a.
14 v- d. Goltz, I^natiuH.
Eigenschaften kommen auch nur diejenigen vor, die sich in
seinem Heilswerk bezeugen: seine Liebe (indirekt M. 5,2. Phld. 1, i.
R. iscr.), seine Geduld (Eph. 11, i u. Pol. 6, 2), sein Mitleid (Tr.
12, 3. Phld. iscr. Sm. 12, 2), seine Gnade (M. 2. 8. Sm. 13 u. oft),
seine durch die Christen zu bewahrende Ehre (dg rifirjv d-eov
Eph. 21, 1 u. 2. M. 3, 2. Tr. 12, 2. Sm. 11, 2. Pol. 5, 2), sein Heils-
wille (yvmur} od. üsXtjfia Eph. 3, 2 u. oft), seine kjzuLxeia (Phld.
1, 2) övpafiig (M. 3, 1. Sm. 1, 1) u. s. w. Die, welche diesen einen
christlichen Gott nicht kennen, sind überhaupt a&EQi (Tr. 3, 2.
Tr. 10, 1). Woher Ignatius diesen einfachen festen Glauben an
einen persönlichen Gott und an dessen Liebe und Gnade hat,
sagt er M. 8, 2: 6 (pavegmoag lavrbv diu xov vlov avrov. In
ihm haben wir die Erkenntnis Gottes (Eph. 17, 2 kaßovteg &eoi
yvwGiv 6 söriv Iijaovg Xq.). Dies ist bei unserm Bischof nicht
nur eine gelegentliche Redewendung, sondern bezeichnet wirklich
charakteristisch seine ganze Auffassungs weise. Sein Gottesglaube
ist zugleich unmittelbar Christusglaube; daher muss seine Christo-
logie besprochen werden, ehe das letzte Wort über seinen Gottes-
begriff gesprochen werden kann. Durch Christus, seinen Sohn,
hat sich der eine Gott offenbart. Wie dies näher zu verstehen
ist, in welchem Verhältnis Gott und Christus zu einander gedacht
sind und in welchem Sinne die göttlichen Namen auf Christus
übertragen sind, ist also der nächste Gegenstand unsrer Unter-
suchung.
I. Der Ewigkeitscharakter der Offenbarung Gottes in Christo.
Was in Jesu Christo erschienen ist, ist in der Ewigkeit bei
Gott vorbereitet; es sind die fivorqQia XQavyijg1), die göttlichen
Geheimnisse, welche nun eine laute Verkündigung geworden sind.
In der Zeit der Ruhe Gottes sind sie bereitet und treten für die
Welt und die Zeiten in Erscheinung, indem Jesus Christus er-
schien, der helle Stern mit unaussprechlichem Lichte, der alle
anderen Sterne überragt. Er ist der Hohepriester 2), dem die Ge-
heimnisse Gottes anvertraut sind und der sie offenbart. Von
dieser oixovoftia, die bei Gott ihren Anfang, ihre geschichtliche
1) Vgl. Eph. 19, 1-3.
2) Phld. IX, 1 xaXol xal ol IsQsIq, xQelaaov öe 0 dgxiSQSvg b nem~
ozevfihoq tu üyia t<5v ayiaiv, og /novog nenlaxBvtai xa xqvjixu xov 9sov.
I. Glaube an Gott und Christus. 15
Erscheinung aber und ihren letzten Zweck in dem xatvbq av-
&Qcoxoq hat (Eph. 20, 1), verspricht der Bischof den Ephesern
noch einmal genauer zu schreiben. Er ist aber wohl nicht mehr
dazu gekommen. In unseren Briefen berührt er diese Vorberei-
tung in der Ewigkeit nur ganz kurz und einfach im engsten
Zusammenhange mit seinen christologischen Aussagen. Nähere
Spekulationen finden sich nicht, aber in konkreter Realität wird
der Ewigkeitscharakter der göttlichen Offenbarung zum Aus-
drucke gebracht durch Hinaufdatierung in eine himmlische Ver-
gangenheit. Aber diese antike Art, das Ewige zu denken, ist
so unreflektiert und einfach wie bei Paulus und fern von den
späteren mythologisierenden Formen.
Die Aufdeckung jenes göttlichen Geheimnisses bestand darin,
dass Gott in menschlicher Lebensform offenbar wurde *). Damit
nahm das bei Gott Vorbereitete seinen geschichtlichen Anfang
(Eph. 20). Auch der Träger dieser Offenbarung ist aus der
Ewigkeit. Er war jtqo alcovcov naoa. xaroi und erschien jetzt
in der letzten Zeit (M. 6, i). In diesem Worte ist sowohl seine
Verschiedenheit vom Vater als seine persönliche Präexistenz
deutlich gegeben, also jeder ausgeprägte Modalismus ausge-
schlossen. Ebenso sicher ist aber auch der geschichtliche Jesus
als Ausgangspunkt kenntlich, wenn gerade dieser Satz gesagt ist
von einem Jesus Christus, dessen öiaxovia den christlichen Dia-
konen vertraut ist. Denn die öiaxovia 'lrjö. Xq. ist doch diejenige,
die er selbst vorbildlich ausgeübt hat in seinem geschichtlichen
Leben. Viel charakteristischer aber als diese immerhin viel-
deutige Aussage ist eine andere M. 7,2: 'ityö. Xq. xov atp* evbg
jtarQOQ JtQoeXd-ovxa xal elg eva ovxa xal xa)QV(iavTa' Hier ist
Ausgang und Hingang mit dem beständigen Sein zusammen-
gefasst, damit aber die zeitliche Betrachtungsweise überhaupt
aufgehoben und das Sein beim Vater als eine ewige Grund-
bestimmung gegeben, ohne dass die persönliche Vorstellungsweise
dadurch beseitigt wäre. Dagegen fehlt jedes Wort von einer
Beteiligung an der Schöpfung oder Weltregierung, wie wir sie
bei Pls, Joh. und auch Herrn,2) finden. Die einzige Aussage
1) Ssov äv&QW7iivü)q <paveQOVft£vov elg xaivorrjta diöiov t,ct)r}g.
2) Sim. IX, 12,8 avfißovXov rcp nax^i (v. heil. Geist) cf. Barn. 18r
l.Clem.16, 2.
15 v. d. Goltz, Ignatius.
über Christi Sein beim Vater steht Pol. 3, 2: rov vnio xaioov
jiQOööoxa, rov clxqovov, rov äooarov, rov 61 rjfiäg ooarov
rov axprjXcKpriTOv, rov äjia&Tj, rov 61 rjfiäg jta&tjrbv, rov xara
jtavra robnov öi rj/iäg vjtofieivavra. Die letzten Worte zeigen
zunächst deutlich, dass der Verfasser an die geschichtliche Person
Jesu denkt, die ersten betonen die Überzeitlichkeit und Über-
weltlichkeit. Der Zusammenhang lehrt, dass speziell an den
künftig wiederkommenden Herrn gedacht ist. Also sind die
Gegensätze keine zeitlichen, als ob betont werden solle, er sei
erst äooarog gewesen und dann ooarog geworden, erst djta&?]g
gewesen und dann xa&ijTog geworden j), sondern er war seinem
Wesen nach überzeitlich, unsichtbar und cbta&TJg auch in Leben
und Tod, aber er ist offenbar geworden, fassbar geworden gerade
durch das, was er um unsertwillen litt. Deshalb kann Ign. Eph. 6
auch sagen : jtgcorov xad-r}rbg xcu rors äjia&rjg, was dem „ajta&fj,
rov 61 rjfiäg xa&ijrov11 widersprechen würde, wenn man die
Worte streng zeitlich deutete. Man hat kein Recht das jzqcötov
— rors, da einmal die Präexistenz durch M. 6 gesichert ist,
etwa wie bei Justin Dial. 34 Apol. I. 52, 3 auf zwei Parusien zu
beziehen, was dem Zusammenhange ganz fremd ist. Es ist nur
zu erklären als logischer Gegensatz, in welchem nach der antido-
ketischen Tendenz von Eph. 6 der Ton auf der Wirklichkeit des
Leidens liegt. Der Grundgedanke ist die Offenbarung Gottes in
menschlicher Lebensform, die Erscheinung des Ewigen in der
Zeit. Die ewige göttliche pneumatische Seite an der Person des
Herrn ist das eigentlich Wertvolle aber eben in ihrer wirklich
geschichtlich offenbaren Fassbarkeit und Einigung mit dem
Fleische. Letzteres leugneten die doketischen Irrlehrer und damit
— für Ignatius — die Offenbarung, die Wirklichkeit des gött-
lichen Wesens überhaupt. Es ist charakteristisch, dass gerade im
Römerbrief, wo das antidoketische Interesse nicht vorliegt, die
Äusserung sich findet: s v narol cov fiaXXov <paivsrcu (Rm. 3)
d. h. erst in seiner Erhöhung und Unsichtbarkeit ist der Herr
in seinem eigentlichen göttlichen Wesen ganz offenbar geworden.
1) Bei Justin bezieht sich das na&ijtog auf die erste Parusie, das dna-
&Tjq auf die zweite, augenscheinlich eine Justin'sche Ausdeutung einer von
der Gemeinde überlieferten und von Ign. noch anders verstandenen Formel ;
cf. Justin. Apol. I, 52, 4. Dial. 34, 7. 39, 13. 41, 4. 49, 6. 52, 1. 68, 20 u. a. Auch
das vnofieivavxa ist ein bei Justin häufiger Ausdruck.
I. Glaube an Gott und Christus. 17
Gilt dies auch nur, sofern vorher zunächst seine Göttlichkeit
durch Offenbarung im Fleische offenbar wurde, so zeigen die
Worte doch mit wünschenswerter Deutlichkeit, dass das Inter-
esse des Ignatius an dem göttlichen Ewigen haftet, was über-
zeitlich ist.
2. Die scheinlose Geschichtlichkeit der Erscheinung Gottes im Menschen.
Hie mach sind aber dann alle die antidoketischen Formeln
zu beurteilen. An der ersten Stelle Eph. 7, 2 l) stehen die
menschlichen Prädikate alle voran, aber c und d zeigen deutlich,
dass die Betonung der menschlichen Seite Mittel zum Zwecke
der Sicherung der ewigen Seite ist. Die göttlichen Prädikate
werden durch die menschlichen offenbar und erkannt. Das
„Fleisch geworden sein" ist aber doch ein wichtiges, die Wirk-
lichkeit konstituierendes Moment bei Ign., im Unterschiede von
seinen Zeitgenossen, welche hier recht unbedeutende Erklärungs-
versuche geben2). Die Gegner glaubten nur ein metaphysisches
Geisteswesen oder Ideal. Dem gegenüber stellt sich Ignatius auf
den festen Boden der Geschichte, in dem Menschen Gott, in
Jesus Christus den erkennend, der vor Zeiten beim Vater war.
In der Polemik unserer Briefe werden zum Beweise der Wirk-
lichkeit der Erscheinung Gottes im Menschen die wichtigsten
Punkte des Lebens Jesu hervorgehoben, nämlich:
1. Die Abstammung aus dem Geschlechte Davids neben dem
Ursprünge aus dem heiligen Geiste (Eph. 18, 2, Sm. 1, 1,
Tr. 9, 1).
2. Die Geburt aus der Jungfrau, wobei aber nicht auf den
übernatürlichen Wundercharakter, sondern auf die Mensch-
1) Eph. 7: elg laxgog iaxiv. a) aagxtxog xf xal nisvixaxixog.
b) ysvvtjxog xal dytWTjxog, vgl. dazu den Excurs b. Lightfoot II,
S. 90—94,
c) iv dv&QüJTio) (od. iv aagxl ysvöfxevog) &t6g, vgl. Lightfoot z. d.St.,
d) iv &avax<p £(otj d&Tj&ivq,
e) xal ix Maglag xal ix 9eov}
f) 7iqwxov Tta&rjxdg xal xöte dna9t}g, tyo. Xq. b xvgiog tj/uwv.
2) Barn. 5, 10: weil die Menschenaugen das ganz un verschleierte Licht
der Gottheit nicht hätten ertragen können. 1. Clem. IG, 2: um der Weis-
sagung gemäss ein Vorbild der Demut zu geben. Am ähnlichsten 2. Cl. 9, 5
<ov (ihv xo tiqwxov nveifia iytvexo aäg^ xal ovxcog rniäg ixdksoev.
Texte u. Untersuchungen XII, 3. 2
18 v. d. Goltz, Ignatius.
lichkeit, d. h. wirkliche scheinlose Geschichtlichkeit Gewicht
gelegt wird, was durch die Stellung dieser Aussage zwischen
der sarkischen David - Sohnschaft und der Taufe bewiesen
ist (Sm. l,i. Eph. 18,2. 19, i. Tr. 9,i).
3. Die Taufe durch Johannes mit der Begründung, dass alle
Gerechtigkeit erfüllt werde (Sm. 1, Eph. 18).
4. Seine rein menschliche Lebensweise, sofern' er ass und
trank (Tr. 9, i).
5. Sein wirkliches Leiden und sein wahrer Tod unter Pontius
Pilatus und Herodes dem Tetrarchen, d. h. unter ganz be-
stimmten geschichtlichen Verhältnissen (Sm. 1, Tr. 9, M. 11,
Eph. 19).
6. Die wahrhaftige Aufer weckung von den Toten, nach welcher
er den Jüngern und Petrus erschien, sich betasten Hess und
mit ihnen ass und trank (Sm. 2 u. 3, 1—3).
Um die „menschliche Natur" Christi im kirchlichen Sinne
zu betonen, wären Jungfrauengeburt, Taufe und Auferweckung
recht wunderbare Beweismomente. Der Hauptgesichtspunkt ist
also sicherlich der der realen Wirklichkeit. Überdies sind die
Formeln schwerlich ganz selbständig erdacht, sondern sie lehnen
sich zum Teil an schon liturgisch Gewordenes an *). So ist z. B.
vloq ftsov xarä &eZr](ia xal dvvctfiiv Sm. 1 und das jcvevfiaToq
6s ayiov Eph. IS für den polemischen Zweck der Stellen ganz
überflüssig und fast störend. Das ist deshalb wichtig, weil diese
Formeln in dem Ganzen der ignatianischen Anschauungsweise,
soweit sie eine theologische ist, nicht gut unterzubringen sind,
denn viel häufiger und beherrschender ist der Gedanke, dass Gott
selbst in Christo erschienen ist, und wiederum ist Christus selbst
mit -dem heiligen Geiste identifiziert (M. 15) 2). Wir dürfen keine
systematische Klarheit verlangen. Ignatius hat sich hier die
Formen des einfachen Gemeindeglaubens angeeignet, und so ge-
wiss er Vater und Sohn immer auseinanderhält, war der Begriff
der Gottessohnschaft für ihn verständlich, wenn auch das Spezi-
fische seiner Anschauungsweise nicht darin zum Ausdrucke
kommt. Wenn das „vloq &eov" Sm. 1 zwischen der Davidsohn-
1) Vgl. die späteren Ausführungen.
2) xexTTjfxivoi dötuxQiTOv nvtZfxa oq iotiv ^lr\a. Xy.
I. Glaube an Gott und Christus. 19
schalt und der Jungfraugeburt eingereiht ist, so ist damit von
selbst gegeben, dass diese Sohnschaft sich für Ign. an die Geburt
aus dem heiligen Geiste durch die Jungfrau knüpft, und dass er
von einer ewigen Zeugung noch nichts weiss. Diese ist durch
das dyevvr]TOQ direkt ausgeschlossen 1). Das xaxd d-iXtjfia xai
övvafiip entspricht ganz dem xax olxovofiiav &eov Eph. IS und
drückt nur aus, dass es Gottes Heilsplan und Kraft sind, welche
eine Einigung Gottes mit dem Menschen sich vollziehen lassen.
Insofern ist nach Eph. 20, 2 Christus vloq (xv&qgijiov und vioe &sov
zugleich, und seine Geburt das göttliche Glaubensgeheimnis,
dessen Bedeutung dem Satan verborgen ist. Gerade in dieser
Verbindung von Göttlichem und Menschlichem, so dass ihm in
letzterem die Wirklichkeit des ersteren verbürgt ist, liegt dem
Bischöfe die Heilsbedeutung der Erscheinung Christi.
3. Das Bild von der geschichtlichen Person Jesu.
Dies wird noch deutlicher, wenn wir das Bild des geschicht-
lichen Christus selbst betrachten, welches Ignatius vor Augen
hat. Da seine Äusserungen hier alle nur zufällige, gelegentliche
sind, und er keinen Anlass hatte, ausführlich von der Geschichte
des Herrn zu sprechen, so ist es schon viel, dass wir so deutlich
erkennen, dass Jesu Verhältnis zu seinem Vater ihm das Wich-
tigste ist. Christi ganze Person ist &eov yvcofirj (Eph. 3 cf., R. 8,
Sm. 6, Pol. 8) d. i. Gottes Willensäusserung. Er war xo dtpevösc
orofia sv co o jtar?]Q eXaXrjöev, und, da er nach Eph. 15 über-
haupt erkannt wird nicht nur durch das, was er sagte, sondern
auch durch das, was er schwieg, so schliessen wir nicht zu viel,
wenn wir glauben, dass Ign. auch den Vater in ihm wiederfand nicht
nur nach seinen Worten, sondern auch nach seinem Schweigen
und Handeln, d. i. nacn seiner ganzen Persönlichkeit. So ist aber
auch die vielumstrittene Stelle M. 8, 2 zu verstehen , welche nach
der von Zahn und Light foot unabhängig, aber gleichmässig
verbesserten Lesart, über die kein Zweifel mehr bestehen kann 2),
folgendermassen lautet: elq dsbc 6 gxxveQCDOaq tavxbv öid 'hföov
Xqloxov xov vlov avxov, 6g loxiv avxov JLoyoq djto oiy?jQ
jtQoeXümv, oq xaxd jidvxa evrjQtoxrjoe xgj Jtifitpavxi avxov. Der
1) Cf. Harnack, D. Gesch.* S. 164 Anm. 1. Zahn, Marcellus S. 221 ff.
2) Cf. Lightfoot II S. 120. 127.
2*
20 v. d. Goltz, Ignatius.
Schlusssatz zeigt unwiderruflich, dass vom geschichtlichen Christus
die Rede ist. Das Wort Xoyoq ist genau so gebraucht wie im
Johannesevangelium und bezeichnet nichts anderes als das „yvcopr/
#£Ot>", wenn auch mit Anlehnung an einen schon rezipierten
Sprachgebrauch. Es ist das Wort, welches Gott nach langem
Schweigen spricht, nach einem Schweigen, für welches Ign.
Eph. 19 das Wort qov%ia hat. Der Ausdruck des Ign. erinnert
auch an P. Rom. 16,26, und es liegt auch keine Spur vor, dass
hier schon von den bekannten gnostischen Äonen die Rede ist.
Sonst konnte Ign. schwerlich R. 2 sich selbst als Märtyrer einen
Xoyoq &eov nennen, wie er denn auch sonst den Begriff Xoyoq
in ganz gewöhnlicher Weise verwendet. Hinter diesem Worte
eine ganze „Logoslehre" zu suchen, ist durchaus willkürlich und
durch den Wechsel des Ausdrucks mit yvoSfirj und ötofta sogar
unmöglich gemacht. Dagegen scheint die Stelle zu beweisen,
dass der Name des „Sohnes Gottes" sich nicht nur auf die gött-
liche Geburt bezieht, sondern ebenso auf das persönliche religiös-
ethische Verhältnis zum Vater, der ihn gesandt hat, dessen Wort
er ist, und dem er in allem wohlgefällt. Eben deshalb heisst er
auch 6 rjyajcrjitevoq (Sm. inscr.) und fiovoq vlbq avrov (R. inscr.).
Zur Verstärkung seiner Ermahnung zu Einigkeit und Gehorsam
weist der Bischof näher darauf hin, wie Jesus weder selbst noch
durch seine Jünger etwas that ohne des Vaters Willen (M. 7, i),
ihm gehorsam war (M. 13, 2, Sm. 8, 1) und ihm nacheiferte (Ph. 7, 2).
Wenn ei diesen Gehorsam in Analogie stellt mit dem der Christen
gegen den Bischof, so ist bei dem hohen Begriffe, den er von
letzterem hat, die Subordination des Sohnes Gottes hier mit
grosser Schärfe ausgesprochen. Da jedoch die Absicht, das Vor-
bild des Herrn wirksam zu gebrauchen, von starkem Einflüsse
ist, so wird darauf nicht zu viel Gewicht gelegt werden dürfen.
Worauf es dem Bischöfe auch bei seiner Christus -Auffassung
schliesslich am meisten ankommt, das zeigt der Zusatz M. 13:
'Iva trcooiq ?] oaqxixr] xal xrevfiaTixi]. Solche tvcoüiq mit Gott
verspricht Christus, er stellt sie aber auch selbst dar (Tr. 11).
Obwohl Gccqxixoc, war er doch jcvevfiazixojq ?]voj{jevoq reo
xaTQi (Sm. 3).
1. Glaube an Gott und Christus. 21
4. Die Bedeutung der Gottheit Christi.
Ist Christus so völlig mit dem Vater eins, dazu die einzige
geschichtliche sarkische und darum wirkliche Offenbarung Gottes,
und richtet sich, wie wir gesehen haben, das ganze Interesse des
Ignatius auf das Ewige, das über alle Zeit Erhabene, Göttliche,
so kann es nicht Wunder nehmen, wenn er trotz aller Trennung
von Vater und Sohn, trotz aller Betonung des Menschlichen zum
Beweise der Wirklichkeit — doch alles, was ihm Christus ist,
zusammenfasst in dem Prädikat &eoq. Bei dem ausgesprochenen
Monotheismus des Ignatius ist es eine besonders wichtige Frage,
wie dieses Prädikat bei ihm zu verstehen ist. Man könnte, um
die Antwort zu finden, leicht auf das N. T. zurückgehen, zumal
auf das Joh.- Evangelium. Aber man würde die Entscheidung
dadurch nur erschweren. Das dogmatische Interesse gefährdet
dort noch mehr wie hier die Objektivität der Untersuchung. Wir
beschränken dieselbe daher lieber vorläufig auf unseren Schrift-
steller, wenn wir uns gleich wohl bewusst sind, dass eine sichere
Antwort von allgemeinem Wert nicht nur nicht ohne ein inner-
liches Verständnis des christlichen Glaubens, sondern auch erst
auf Grund einer umfassenden Untersuchung über den Sprach-
gebrauch des Wortes &eog im ganzen ersten und zweiten Jahr-
hundert gegeben werden kann. Hierzu soll wenigstens, was unsere
Briefe betrifft, versucht werden das wichtigste Material aufzu-
zeichnen und die beherrschenden Gesichtspunkte hervorzuheben.
Zunächst ist in Anknüpfung an das bisher Gesagte darauf
aufmerksam zu machen, dass an den meisten Stellen, wo Christus
in seiner massgebenden Bedeutung erwähnt wird, er zugleich
mit dem Vater genannt wird. So z. B. in sämtlichen Gruss-
überschriften ganz in paulinischer Weise; aber auch überall da,
wo an die Stufenleiter Gott-Christus-Apostel oder Gott-Christus-
Bischöfe resp. Gemeinde erinnert wird. Meist steht dann für
Gott nazrjQ, für den Sohn „'/^tf. Xq." *), xiQiog fycov oder ocorrJQ
(mit xal, kv od. öia), seltener für Christus 6 &eöq ^(iSp^ obwohl
der Vater unmittelbar daneben genannt ist.2) Dadurch ist ge-
1) Eph. 5, l. 21. M. iscr. 1. 13, 2. 15. Tr. iscr. 1. 3, l. 12. R. iscr. 8, 9.
Phld. iscr. 1. 3, 2. Phld. 7, 2. 9, l. Sm. iscr. 3. "6. Pol. iscr.
2) Eph. iscr. 18, 2. R. iscr. R. 3, 3.
22 v- d. Goltz, Ignatius.
sichert, dass Ignatius nicht nur den geschichtlichen, sondern auch
den präexistenten und erhöhten Christus als Person vom Vater
unterscheidet und demselben subordiniert. Jeder eigentliche
Modalismus ist also ausgeschlossen.
Weiter führt uns eine Reihe von Stellen, wo Christus, ohne
den Namen „&eogi(, doch göttliche Funktionen und göttliche Ehren
zugeschrieben werden. Dies geschieht vor allem durch die Be-
zeichnung xvQiog, o xvQiog, 6 xvgiog rjficöv. Dies Wort, welches
im A. T. von Gott als dem Haupt seines Volkes, im N. T. sowohl
von Gott wie von Christus als dem Haupt der Gemeinde ge-
braucht wird, kommt bei Ign. nur oder fast nur als Bezeich-
nung für Christus vor1). Dass auch Ign. gerade wie Paulus
mit diesem Worte mehr sagen will als „Meister" oder „Lehrer",
dass Christo göttliche Ehre dadurch zuerkannt sein soll, zeigen
deutlich Stellen, wie Eph. 6, i cog avrov rov xvqiov, Eph. 7, 2,
wo es in den Antithesen parallel mit &s6g, Ccoi] äZrj&ivrj, ix
9-eoVj äjta&tfg steht, Eph. 15, 3, wo ihm die Kenntnis des Ver-
borgenen in unseren Herzen zugeschrieben wird, und Sm. 1, wo
sich die Zuversicht des Glaubens auf ihn richtet. Auch sonst
wird Christo die Vergeltung, die Macht Busse zu wirken, die
Stärkung der Herzen mit dem heiligen Geist, das Auferwecken
der Propheten, das fürsprechende oder verklagende Zeugnis beim
Gericht und die liebevolle Fürsorge für seine Gemeinde ebenso
wie Gott selbst zugeschrieben (vgl. Eph. 2, 2. Eph. 21. M. 8, 2. 9, 3.
10, 1. Phld. iscr. 5, 1. 8, 1. ?. 11. Sm. 4. 6,2. 10. Pol. 1,2). Da-
gegen richten sich die Gebete der Christen nicht an Christus,
sondern an Gott den Vater durch seinen Sohn Jesum Christum
(vgl. Eph. 4, 2. Tr. 13, 3). Nirgends ist von einer Teilnahme Christi
an der Weltregierung des Vaters die Rede, sondern überall nur
von Heilswirkungen. Der Gemeinde gegenüber ist Christus o
xvgioq, dem Vater gegenüber fiovog viog, der ohne ihn so wenig
etwas that, als die Apostel ohne ihren Herrn (M. 7, 1. 8, 2). So-
weit also an den genannten Stellen Christo als dem Herrn der
Gemeinde göttliche Ehren zuerkannt sind, ist dadurch immer ein
Verhältnis der Christen zu dem Vermittler ihres Heils ausgedrückt
1) Nur Eph. 17. 3. 21. 1. Phld. 8, 1 u. 11, 1. Sm. 10, 1 u. Pol. 4, 1 ist die
Beziehung auf Gott den Vater nicht ausgeschlossen. An den übrigen 27
Stellen ist immer Christus gemeint.
I. Glaube an Gott und Christus. 23
nirgends etwas anderes. Dies wird auch bei der Deutung des
Prädikats &eog zu berücksichtigen sein.
Ehe wir aber auf diese Bezeichnung für die Würde Christi
eingehen, ist es von Wert auf den sonstigen Gebrauch des Wortes
&eog hinzuweisen, der bei Ign. ein sehr reichlicher ist. Der
Bischof selbst nennt sich ßeotpoQog und liebt dergleichen Zu-
sammensetzungen mit dem Wort &eog augenscheinlich. So nennt
er die Boten der Gemeinden freodoofiog (Pol. 7, 2), &eojtQ£ößevxijg
(Sm. 11,2), ihren Vorsteher &eofiaxdot6xog (Pol. 7, 2), &sokuaxa-
nixrjg (Sm. 1, 2) und braucht gern das Beiwort freojzQSJtrjg (M. 1, 2)
und &eoi> agiog (Eph. 2, 1. 4, 1. 7. R. iscr.: ägio&eog). Diese
rhetorische Verwendung des Wortes &eog zeigt nur, wie Ignatius
alles, was er mit Gott und seinem Willen in Beziehung setzt, als
etwas Göttliches ansieht. Die Christen heissen Tr. 8, 2 xo ev
&£(~> JiZfj&og und alles, was sie thun, soll ev &ecß oder xaxa
ftsov geschehen; ihre Gesinnung heisst eine xara &eov Evvoia
(Tr. 1); sie werden ermahnt zur ofiovota d-eov, zur o^or^Eia &eov
(M. 6. Pol. 1, 3). Dieser Genitiv &eov steht geradezu für &elog:
Phld. 10, 1 &eov jiQeoßeia, Pol. 7 ev äfiEQtfivia &eov, Pol. 2 &eov
dd-Zr/T/jg, Eph. 4, 2 XQ&t101 &zov Zaßovxsg, Pol. 7 cog &eov yvwfirjv
xexTTjfievog. An allen diesen Stellen ist der göttliche Charakter
einer Handlung, einer Person, einer menschlichen Gesinnung, durch
das Wort &eog gekennzeichnet. Damit verwandt ist auch die
häufige Bezeichnung des christlichen Heilsguts mit &eov sivai,
fiertxeiv und vor allem M. 14, 1: d-eov yefieiv. Denn auch hier
ist mit dem Genitiv &eov weniger die Person Gottes als vielmehr
die Art; die Gattung des Heilsguts, bezeichnet, in dessen Besitz
resp. Erwartung die Christen sich befinden. Dies ist noch be-
merkbar an der wunderbaren Stelle Eph. 14, 1: Jtlöxig xal ayajir\ —
xd 6h ovo ev evoxrjxi yevofieva, freog eoxiv. Diese Stelle ist nur
verständlich, wenn d-eog eine Gesamtbezeichnung für das religiöse
Heilsgut ist, in dessen Besitz die Christen durch Glaube und Liebe
sich erhalten. Dies Heilsgut ist aber, wie es Tr. 11, 2 als evcooiq
d-eov bezeichnet ist, in Christus selbst repräsentiert. In ihm haben
wir die yvcooig &eov, die evoxrjg &eov xal tjucöv. . Aus diesem
Grunde kann er, wie er als Heilsmittler 6 xvgiog tfficov ist, auch
6 d-eog rjfimv genannt werden und es fragt sich nur, ob Ign.
ausser diesem subjektiven, das Heilsgut prägnant bezeichnenden
Gebrauch des Wortes &ebg für Christus noch einen anderen ob-
24 v. d. Goltz, Ignatius.
jektiven absoluten Begriff der „Gottheit Christi" kennt, wie ihn
die spätere Kircheulehre ausgeprägt hat, und wie ihn sowohl
katholische als protestantische Gelehrte in unseren Briefen finden
wollen. *) Dies kann nur durch Prüfung der einzelnen Stellen
ermittelt werden.
Am klarsten ist die rein religiös-subjektive Bedeutung von
&eog Eph. 15, 3: jtavxa ovv jtoiojfiev mg avxov Iv r/filv xaxoi-
xovvxog, Iva wfisv avrov vaol xal avxog ij Iv rjfilv &eog ?][/dov.
Nach diesen Worten ist es nicht unabhängig von unserem Ver-
halten, ob Christus „unser Gott" ist; denn sollte der Ton nur auf
dem ev tfpiv liegen, so müsste es heissen xal avxog 6 &sog #
iv rjfilv. Das folgende ojcsq xal toxi xal q>avr/OFxai drückt nur
die Gewissheit und Hoffnung aus, dass Ign. das, was er seinen
Lesern wünscht, als schon vorhandenen Besitz und der Vollendung
sicher harrendes Gut voraussetzt. Christus ist unser Gott, weil
dann, wenn sein Geist, sein Lebensprinzip uns beherrscht, Gott
in uns wohnt. Wenn nun an letztgenannter Stelle, wie der Zu-
sammenhang zeigt, &sog rjfimv zweifellos im prägnanten sub-
jektiven Sinn zu verstehen ist, so darf man es auch an den sieben
anderen Stellen, wo es gleichfalls mit dem Genitiv f^imv steht,
nicht anders verstehen (Eph. iscr. 18,2. R. iscr. (2 mal). R. 3,3 u. 6, 3.
Pol. 8, 3). Auffallender ist dagegen die Stelle Sm. 1: öo§a£ojv
'Itjö. XqlOtov rov d-sov xbv ovrmg f\nag öotpiöavra. Unmöglich
ist aber unsere bisher gegebene Auslegung auch hier nicht; denn
einmal fehlt auch hier in dem Appusitionssatz die subjektive Be-
ziehung nicht, und dann trifft hier vor allem die Beobachtung
R. Roth es zu, dass gerade bei besonderer Gefiihlssteigerung dem
Bischof diese Bezeichnung Christi in die Feder kommt. — An
1) So Nirschl, Dreher, a. a. 0., Franke und neuerdings auch
Cremer, Zum Kampf um das Apostolikum. Berlin 1893, S. 24 Anm. u.
S. 25 u.; nicht viel korrekter Th. Zahn, I. v. A. S. 489. der von einer „Be-
hauptung sowohl der Einzigkeit Gottes als der anfangslosen ewigen Gott-
heit des I<5hs, welches als Mensch gewordenes Gott seinen Vater nennt'4,
spricht; dagegen richtig, wenn auch nicht erschöpfend, ist die Darstellung
von H. Schultz, Lehre von der Gottheit Christi. Göttingen 1881, S. 32-36
und sehr treffend auch die Charakteristik von R. Rothe, Anfänge d. ehr.
K. 747—756. Dorner, Gesch. d. Lehre von der Person Christi I, 1 Abth.
S. 161 nimmt d. Prädikat &eoq als eine unbestimmtere Bezeichnung für den
vlbq &eov, in dem Gott sich menschlich offenbart, bringt aber zu sehr seine
eigene Idee von der „Gottmenschheit" in die Auslegung hinein.
I. Glaube an Gott und Christus. 25
drei weiteren Stellen ist das Wort &toc als späterer Zusatz zu
streichen, nämlich:
1) Tr. 7, i [xovxo öe töxai vfitv fjrj (pvoiov[iivoig xal ovoiv
aycoQiOroig &eov 'hjoov Xqioxov xal xov Imoxbnov xal xcäv
diaxayftaxcov xoiv axoGxoZcov] fehlt „&eova in A1), ,'ltjoov
Xqioxov" in g, weshalb Lightfoot ersteres wohl mit Recht zu
streichen geneigt ist. Die Trennung in drei Genitive 1) &tov,
2) 'Jrjoov Xqioxov, 3) xai rov hmöxoxov ist ebenso hart wie
das artikellose &eov vor 'iqo. Xq., und die Analogien in Tr. 12, 2.
Phil. 9, 2 2) sind auch unsicher. Aber selbst wenn man dies nicht
gelten lässt und im Vertrauen auf die Handschriften G L &sov
beibehält, so liegt in dem äxa)Qioxoig eine direkte Inbeziehung-
setzung zu dem religiösen Subjekte, der Gemeinde, für welche
Jesus Christus die unzertrennliche Einheit mit Gott vermittelt
und den Vater repräsentiert, so dass auch diese Stelle keinesfalls
eine Ausnahme von dem konstatierten Sprachgebrauche bildet.
2) Sm. 6: hav firj moxevcooiv elg xo alfta Xqioxov xov &eov
würde eine volle Parallele sein zu dem gleich zu besprechenden
sv aXfiaxL &eov und es wäre an sich wohl denkbar, dass Ignatius
so geschrieben hat, obwohl der Artikel, und auch die direkte
Verbindung mit Xqioxov, durch welche die sonst vorliegende
absichtliche Paradoxie geschwächt wird, etwas Bedenkliches haben.
Da aber in unseren besten Handschriften G, L, A, C das „&eov"
fehlt, liegt es viel näher, hier eine Glosse anzunehmen.
3) Dasselbe gilt von der dritten Stelle, Sm. 10, öiaxovovo,
Xqioxov &eov nach GL (gegen A, die nur #eot hat). Nach
dem Zusammenhange der Stelle hat eine Betonung der Gottheit
Christi gar keinen Sinn. Sowohl öiaxovog Xqioxov als öiaxovog
&80V allein kommen oft vor. Eins von beiden, also nach A
wohl „XqcGxov", ist einfach zu streichen.
Demnach ist zu konstatieren, dass bei Ign. in allen bespro-
chenen Stellen das Prädikat &eog für Christus nicht die absolute
Bedeutung hat, wie da, wo es Bezeichnung für den ütaxrjQ
wptoxog ist, sondern dass es nur ein prägnanter Ausdruck dafür
1) Die Abkürzungen für die Handschriften nach Lightfoot.
2) Tr. 12, 2 tlg Ttfzrjv naTQOQ, Jtjgov Xqioxov, xal x<äv anooxolwv
oder — xal elg xifirjv *bio. Xq.
Phild. 9, 2 XTjv TiaQOvoiav xov xvq'iov rifiwv *Fr]OOv Xpioxov, xb
na&oq avxov xal xrjv drdoxaoiv.
26 v. cl. Goltz, Ignatius.
ist, class in Christo Gott als ewiges Heilsgut von den Christen
erfasst und ergriffen wird. Dies Resultat, welches durchaus zu
der übrigen Christologie des Ign. stimmt, wird nun durch drei
bisher noch bei Seite gelassene Stellen bestätigt und recht cha-
rakteristisch beleuchtet. Es gehört, wie anderwärts von uns aus-
geführt wird, zu der sprachlichen Eigentümlichkeit unsrer Briefe,
dass der Verfasser für Antithesen und kurze prägnante Zusammen-
fassungen eine besondere Vorliebe zeigt. Eph. 6 ist eine ganze
Gruppe christologischer Antithesen nebeneinander gestellt, dar-
unter auch das e v av&QWJtcp &eog 1). In diesen Worten ist
wieder die ganze Christologie des Bischofs zusammengefasst. Im
Menschen Jesus ist Gott erschienen und dadurch der Unsichtbare
sichtbar, der Ewige zeitlich, der Unfassbare fassbar geworden,
und eben deshalb kann der Träger dieser Offenbarung Gottes
auch selbst Gott heissen. Wie wir im nächsten Abschnitt sehen
werden, ist ihm der Tod Christi sowohl ein Zeugnis für die ge-
schichtliche Wirklichkeit der Erscheinung Gottes auf Erden, als
auch, sofern er besiegt ist, ein Symbol für das neue Leben: Iv
avd-QCüjicp &£og, ev &avarcr) C,mrj aX^ivri. Durch den Tod des
Herrn wird wirklich Gott in Christo geoffenbart. Um diese
Gedanken prägnant zum Ausdruck zu bringen, schreibt Ign.
Eph. t ev aifian &eov, R. 6 rov xa&ovg xov &eov fiov. Weit
entfernt, dass durch diese Stellen Ign. patripassianisch oder gut
nicänisch erscheint, zeigt sich gerade in ihnen der subjektive
„ökonomische" religiöse Sinn und der durch und durch gefühls-
mässige, untheologische Charakter des gottheitlichen Prädikats
für Christus. Die häufige rhetorische Verwendung des Wortes
&eoq bei Ign. überhaupt macht das noch verständlicher. Die
Prädikate xvgioq und &eog drücken eine persönliche göttliche
Würde Christi nur insofern aus, als sie die Heilsbedeutung seiner
Person für die Menschheit bezeichnen. Immerhin zeigen beide,
dass Ign. den einen Gott und den Menschen, der sein loyoq,
örofia, yvcofirj ist, unmittelbar so zusammenschaut, dass da, wo
die Beziehung auf sein oder seiner Gemeinde religiöses Empfin-
den im Vordergrund steht, scheinbar jede Unterscheidung verloren
1) Diese Lesart scheint mir schon der Analogie wegen besser zu passen
als die übrigens inhaltlich gleichbedeutende iv okqxI ysvofzevoq $e6g, vgl.
Lightfoot z. d. St.
I. Glaube an Gott und Christus. 27
geht. Dass dies aber nicht im orthodox -nicänischen Sinne zu
nehmen ist, zeigt die Art und Weise, wie die Heilsbedeutung
dieses Christus an die Schöpfung des teXeiog av&QWjioq ange-
knüpft wird. Weil er der sich ihm anschliessenden Menschheit
dieselbe evwciig &eov öccqxixtj xal jcvsvfiarix?} verspricht, die
er in seiner Person schon darstellt, so ist das Ziel der ganzen
olxovofiia Gottes die Schaffung einer neuen Menschheit (olxo-
vofila elq xaivov avfrocojiov). Christus ist der reXeiog avß-QGOJtoq
(Sm. 4, 2) und nach vollendetem Martyrium hofft Ignatius im
Vollsinne ein Mensch zu werden (R. 6,2). Für dasselbe Ziel hat
er meist den Ausdruck &eov ejurvyxäveiv. Da zeigt sich deut-
lich, wie der Gedanke der neuen Menschheit und der vollen
Gottesgemeinschaft ihm zusammenfallen l). Mag er die Idee des
xcuvog av&QG>jzog aus dem paulinischen Epheserbriefe entlehnt
haben oder nicht, jedenfalls versteht er es auch zunächst von
Christus, in welchem das Gleiche dann für alle verbürgt ist.
Genaueres lässt sich hierüber nicht ermitteln2). Sein Interesse
haftet so sehr am Göttlichen, Ewigen, dass die menschliche Seite
da ignoriert ist, wo das antihäretische Interesse nicht ihre Be-
tonung verlangt. Beide Seiten aber sind gerade in ihrer Ver-
knüpfung dem Ignatius wertvoll. Das Spezifische seiner Christo-
logie liegt -gerade in seinem Suchen des Ewigen, Göttlichen in
der Zeit; an und in der geschichtlichen Gestalt des Herrn ist
ihm sein Verhältnis zum göttlichen Vater die Hauptsache als der
völligen tvcooiq ß-eov an Leib und Seele (öagg und Jtvevfia).
Alle übrigen christologischen Vorstellungen und Ausdrucksformen:
persönliche Präexistenz, Gottessohnschaft, Geburt aus der Jung-
frau, Davidsohnschaft u. a., soweit nicht auch sie apolegetisch gegen
die Doketen verwendet werden, liegen nicht im Zentrum seiner
1) Sind „Gotteserlangung" u. „neues Menschtum" dasselbe, so be-
steht das Heilsziel also nicht in einer Vereinigung der göttl. u. menschl.
„Natur", sondern in der Erfassung des Göttlichen, welches sich durch seine
Erscheinung als greifbar erwiesen hat
2) Dass die Idee der olxovofxla elq xaivov uv&qwtiov im Mittelpunkte
der ignatianischen Anschauungen gestanden habe, wie Loofs (D. Gesch.
§ 15, 2) aus Eph. 20 schliesst, ist doch nicht ganz zutreffend, da gerade die
Spekulation über Entstehung einer neuen Menschen gattung im Gegensatze
zu einer alten sich nicht weiter ausgebildet findet. „Mensch" und „ado^
ist dem Ign. nur der Träger des Ewigen, Göttlichen, nicht aber der eine von
zwei gleichberechtigten Faktoren eines Produktes.
28 v. d. Goltz, Ignatius
Anschauung und gehen als von der Gemeinde übernommene
Einzelheiten nebenher. Dies kann erst voll und ganz erkannt
werden, wenn klargestellt ist, was für Heilsthatsachen Ignatius
im Einzelnen kennt, und welche Heilsbedeutung für den Christen
er ihnen mit Verständnis abzugewinnen weiss.
II. Die einzelnen Heilsthatsachen und ihre Heils-
bedeutung.
I. Geburt und Gesamt-Erscheinung.
Als (ivOTtJQia des Christentums bezeichnet Ignatius Eph. 19, 1:
Jungfrauschaft und Gebären der Maria und den Tod des Herrn;
Phild. 9, 2: Die jtagovola rov ocorrJQog, sein Leiden und seine
Auferstehung. Die Heilsbedeutung seiner Geburt fällt also
augenscheinlich mit der Heilsbedeutung seiner Gesamterscheinung
überhaupt zusammen. Haben wir aber diese soeben dahin richtig
bestimmt, dass Gott durch diese Erscheinung so habhaft und
fassbar in einem Menschen geworden ist, dass hierdurch eine
%va>6iQ &eov OaQxixrj xal Jtvsvfiatixr/ gegeben ist, so ist damit
der grosse Wert der Erkenntnis Gottes in Christo herausgestellt,
zugleich aber nahegelegt, dass es auf eine theoretische Gottes-
erkenntnis nur insoweit ankommt, als durch sie die Wirklichkeit
und Ergreifbarkeit Gottes gesichert ist. Diese ist aber dem
Bischöfe durch jede doketische Lehre ernstlich gefährdet, und
deshalb legt er dieser gegenüber Gewicht nicht nur auf ein
Vorhandensein der yvcömq &sov in Christo überhaupt, sondern
Eph. l,i auf eine ogd-rj ypw/ii] xal öixaia. Das Wort aXrj&eta
steht an drei Stellen in direktem Gegensatze gegen die Irrlehre;
einmal überhaupt in der Bedeutung „zuverlässige Treue" (Pol. 7, 3).
Schon hierin kommt zum Ausdruck, wie wenig eigentlich das
bloss Erkenntnismässige für sich dem Bischöfe von Wert ist.
Aber er spricht es auch selbst aus durch Aneignung der pauli-
nischen Wendung: Jtov öofpog; Jtov 6v£r)T7jq; jtov xavxyGtq
rcov ZeyofitiHDv övvercop *); und hält „Liebe üben" für besser als
1) Cf. dagegen Barn. 6, 10 rlg vorjoei el iit\ aocpbg xal iniotrjfuov,
u. die Betonung d. ötöaoxaXia iyialvovoa in d. Pastoralbr., d. yvwaiq in
A16. 9, 10, 1. Clem. 36, 2, 2. Clem. 3, Barn. 2, 2. 8 u. selbst d. yiyvwoxeiv d.
Joh.-Evang. An Stelle dieses griechischen Interesses der Erkenntnis tritt
bei Ignatius das ebenfalls griechische der mystischen Erfassung.
IL Die einzelnen Heilsthatsachen und ihre Heilsbedeutung. 29
ovQtjtbIp. Sm. 5, i wirft er den Gegnern, welche glauben, An-
wälte der iXrj&sia zu sein, vor, sie seien vielmehr Anwälte —
Ignatius sagt nicht: „falscher Lehre", sondern — des Todes. Ihre
Strafe ist der Tod, weil sie jzioriv 0-eov — iv xaxoöiöaoxaXla
zerstören. Also nicht die falsche Lehre an sich ist das Unselige,
sondern, dass die Irrlehrer durch sie das Vertrauen auf Gott
stören, indem sie seiner Offenbarung die Wirklichkeit nehmen.
Für die Offenbarung Gottes überhaupt ist allerdings Christus die
einzige Quelle und deshalb auch der einzige Lehrer (M. 9, 2,
Eph. 15, 1), dem auch allein die Geheimnisse Gottes anvertraut
sind (Phld. 9, 1). Aber er ist der rechte Lehrer, weil er selbst
nach dem handelt, was er lehrt, und auch da, wo er schweigt,
spricht. In dieser lebhaften Erfassung der ganzen Person unter-
scheidet sich Ignatius sehr vorteilhaft von den anderen aposto-
lischen Vätern, von denen zumal Herrn, und 2. Clem. die Person
des Herrn nicht anders zu werten wissen, denn als Mitteiler
sonst nicht bekannter göttlicher Dinge. Wie Phild. 9 zeigt, ist
das dem Ignatius auch nicht fremd, aber es ist doch nur eine
Einzelheit, die gegen das Übrige ganz zurücktritt. Sofern auch
für Ignatius die Verschaffung der yvcoOig &eov von Wert ist, ist
sie nicht gegeben durch Mitteilung einzelner beseligender Wahr-
heiten, sondern in dem Charakter seiner Person, seinem Gott
sichtbar machenden Wesen und, auf Einzelnes gesehen, in dem
göttlichen Charakter seiner Geburt und der geschichtlichen Wirk-
lichkeit von Tod und Auferstehung.
2. Tod und Auferstehung.
Was diese nun für Bedeutung haben, verdient eine besonders
genaue Betrachtung; es tritt dabei ein neues Moment hinzu, aber
auch die Mängel der Gesamtauffassung treten deutlich hervor.
Die meisten Stellen, wo vom jta&oq äZrj&tvov, alfja oder oravgoi:
Christi die Rede ist, dienen lediglich dem Beweise der Wirklich-
keit des Menschenlebens des göttlichen Heilandes und kommen
daher hier gar nicht mehr in Betracht.
Aber auch abgesehen von diesem accidentellen , antidoketi-
schen Interesse müssen Tod und Auferstehung bei Ignatius im
Mittelpunkte gestanden haben in ihrer Heilsbedeutung für uns
icf. Phild. 8, 9 und die Zusammenstellung Phild. 9, 2. Eph. 20, 1. M. 1 1.
Sm. 7, 1. 2. Phld. inscr., Tr. inscr.). Ausgesprochen ist diese Be-
30 v- <1. Goltz, Ignatius.
ziehung auf uns in einem vjceq ?}/ig>v resp. di ?]fiaq It. 6, 1. Sm. 2, i.
Pol. 3, 2. Kurz zusammengefasst ist der Gedanke des Ign. hierbei
Eph. 7, 2: tv ftavdrm Ccotj alrj&ivrj und Sm. ,">, 3 peravotlv dq
xb jtdfroq avrov, 6 tözcr rjfiwv dvdöraöiq. Ähnlich M. 9, 1 ?/
C,co7] Tjficov dvtretXev de avrov xal xov fravarov avrov. Diesn
Stellen zeigen deutlich, dass eigentlich der Tod Jesu dadurch
seine Bedeutung hat, dass er die unerlässliche Voraussetzung f ü r
die Auferstehung ist. Überall ist die Verbürgung ewigen,
unvergänglichen Lebens das Heilsgut, welches an das Leiden
Christi geknüpft gedacht ist, indem die Auferstehung bald ge-
nannt ist, bald nicht. So ist Tr. 2, 1 *) der Glaube an den Tod
Christi der Weg dem Sterben zu entgehen, Eph. 18 das oxavöa-
Xov oravQOV wie bei Paulus öcorrjQta xal £ojrj alwvioq. Das
Evangelium ist als Erscheinungs-, Todes- und Auferstehungs-
Verkündigung ein äjtäoriöfia dtpfragöiaq, und auch die Salbung
diente dazu, dass der Herr der Kirche aydaoöLa einhauchte
(Eph. 17, 1). Gerade öiä rijq dvaördoemq ist das Leiden ein
Panier für die Heiligen zur Sammlung von Griechen und Juden
in der einen Kirche (Sm. 1,2). Diese enge Verbindung von Tod
und Auferstehung anders aufzufassen als so, dass der Tod an
sich keinen Heilswert hat, sondern nur als durch die Auferstehung
überwundener und deshalb die Lebenshoffnung verschaffender,
könnten wir nur genötigt werden, wenn deutliche Spuren anderer
Verwertung vorlägen. Nicht im Widerspruche mit dieser Auf-
fassung steht der bemerkenswerte Umstand, dass Ignatius den
Tod Jesu als Verbürgung der unvergänglichen Liebe Gottes2)
würdigt, wie dies R. 7, 3. trotz der Beziehung auf die Eucharistie
aus der Wendung: rb alfia avrov 6 iöxiv dydjrt] ay&aoroq klar
hervorgeht (vgl. auch Tr. 8,1); denn das aydaoroq bestätigt nur,
dass Ign. auch hier die Gabe unvergänglichen Lebens als die
eigentliche Frucht des Todesleidens denkt. Auch sein eigenes
Leiden, welches er ein öv^indöytiv Xotörco nennt, steht ihm ganz
unter dem Gesichtspunkte der nachfolgenden Auferstehung und
Gemeinschaft mit Gott (vgl. den ganzen Römerbrief). Eine
wirkliche Ausnahme scheinen nur die Worte trjv Evyaoiöriar
1) "vu niozevoavTEQ elg xov Savaxov avrov xb dno&avüv ixyvyrjxt-.
2) Cf. 1. Clem. 49, 6 diu xtjv dyunijv i}v eoyev noog rifiaq, xb aifxa.
avxov böwxev vnh(> TjfX(vv 'Iqo. Xq. xal zqv oagxa vtieq xrjg oaQxbq ?j/jm>
xal xr\v ipvytjv vnho xatv ipvxii/v q/ueöv.
II. Die einzelnen Heilsthatsachen und ihre Heilsbedeutung. 31
oaQxa eivai rov öcottjqoq 7]kud5v 'Iijö. Xq. xr\v vjcIq xmv a^aQ-
ricöv T/f/cov Jia&ovoav (Sm. 7, 1) zu machen; denn hier ist das
Abendmahl nicht nur in Beziehung gesetzt zu Fleisch und Blut
Christi und zu seinem Leiden überhaupt, sondern zum Leiden
um unserer Sünden willen. Dieser Zusatz verrät sich aber nicht
nur durch seine völlige Vereinzelung als eine gerade hier sehr
verständliche reine Reproduktion der christlichen Gemeindesprache,
sondern der Verfasser fügt der überlieferten Formel offenbar ganz
selbständig die Worte hinzu: r\v rr\ x(M<>t6t7]tl o JzarrjQ r/ysigsv,
um keinen Zweifel mehr über das Mass seines Verständnisses zu
lassen. Nicht eine die Sünden sühnende Bedeutung hat für ihn
der Tod Jesu, sondern als Vorbedingung der Auferstehung eine
Leben verbürgende, jeden Tod überhaupt überwindende Macht. —
Dies bestätigt sich auch durch einige andere Beobachtungen.
Phild. 9, 1 wird zwar Christus ein Hohepriester genannt, aber nur
als Vertrauter der Geheimnisse Gottes. Ein Opfer für Gott nennt
lgn. wohl sich selbst, aber nirgends Christum (Rom. 4, 2). Von
Sündenvergebung ist überhaupt nur einmal die Rede, nämlich
Phild. S, 11), wo von der fieravoia, d. h. der Rückkehr der Ab-
trünnigen zur Gemeinde gesprochen wird. Ign. gründet diese
Hoffnung auf den Glauben und die Gnade des Herrn, 6g Xvöei
arpy tj/iäiv jtavra öeOfiov. Hier ist weder von sühnender Gnade
noch von Sündenvergebung, welche den Frieden des Herzens
wiedergiebt, die Rede, sondern augenscheinlich von der Erlösung
aus den Fesseln des Teufels. Überall, wo sonst von der bXjiiq
(iEravoiaq die Rede ist, wird den Reuigen: Auferstehung, Gottes-
gemeinschaft, Leben verheissen (Sm. 5, 1. Eph. 10, 1. Sm. 4, 1.
Phild. 3, 2).
Trotz alledem müsste man annehmen, dass Ign. auch die auf
die Sünde bezüglichen Gedanken des Paulus verstanden, wenn
sich die paulinische Rechtfertigungslehre wiederfände. Aber nur
zweimal findet sich das Wort ötxcuovo&cu. Er nennt es R. 5, 1
in einer ganz phraseologischen Reproduktion gerade der pauli-
nischen Stelle % an der es im gewöhnlichen Sinne der iustificatio
1) fiexavooioiv d<fisi 6 xiQiog, iccv fxeravo7'jawaiv elg tvotTjva &eov
y.ul avvtÖQiov zov tmaxonov, cf. Herrn. Vis. 2, 2. Clem. 9, Herrn. Mand. 4;
et". Wrede, Untersuchungen zu 1. Clem. Br. S. 08 Anm. 2.
2) 1. Cor. 4, 9 or na?« xovxo öedixaiiofxat.
32 v- d. Goltz, Ignatius.
iusti steht, dann Phild. 8, 2 *), wo vorher der Streit mit den Doketen
skizziert ist, gegen deren auf die Weissagung des A. T. gehende
Angriffe er sich auf Jesus Christus und das l^aiQexov des Evan-
geliums beruft. Dieser Zusammenhang nötigt trotz der Betonung
von Tod, Auferstehung und Glauben, hier nur an ein Gerecht-
fertigtwerden in Sachen des schwebenden Streites, also auch an
ein iustificare iusti zu denken. Das „&4Za>u und „iv ry jtQOöevyri
i)(id>v*' weist überdies deutlich auf seinen Märtyrertod. Durch
diesen, dessen Vollzug die Leser erflehen sollen, hofft er zum
Leben und damit zur Anerkennung seines Rechtes in jenem
Streite zu kommen. So beweisen gerade diese Stellen, dass Ign.
die paulinische Rechtfertigungslehre nicht wirklich aufgenommen
hat. Das ist auch insofern bemerkenswert, als lgu. hier entschie-
den hinter 1. Clem.2) u. Barn, zurücksteht, welche die paulinischen
Gedanken doch teilweise reproduzieren, wenn auch nicht mit
durchdringendem Verständnisse (vgl. II. Teil III A.). Eine ein-
zige Stelle in unseren Briefen scheint allerdings indirekt mit
der Sünde zu thun zu haben. Eph. 18, 2 nämlich ist die Taufe
Christi mit dem Zusätze genannt: iva reo Jia&ei ro vöcoq xad-aQioy.
Taufe und Tod Christi sind hier zusammengefasst. Die Heiligung,
welche schon das Taufwasser bringt, wird erst völlig dadurch, dass
Christus auch gelitten hat. Indirekt liegt hier augenscheinlich eine
Beziehung zur christlichen Taufe überhaupt vor. Das Leiden Christi
giebt dieser die reinigende Kraft. Die Reinigung kann sich aber nur
auf die vor der Taufe begangenen Sünden beziehen. Diese gelten
also kraft des Leidens Christi für getilgt. Wie aber die fierapoia
nichts ist als die Umkehr vom verkehrten Wege, so bezieht sich
auch diese Sündenvergebung bei der Aufnahme in die Gemeinde
nur auf die vor ihr begangenen Sünden, und es verrät sich nirgends,
inwiefern dies an das Leiden Christi geknüpft ist. Reinigung war
ja auch in den heidnischen Mysterien etwas Gewöhnliches, aber doch
sehr verschieden von der jüdisch-christlichen Auffassung einer inne-
ren Herzensreinigung. Von letzterer ist jedenfalls bei Ign. direkt
nichts zu finden. Das zeigt sich am deutlichsten an der Art des
1) iftol 6h aQXfi" iativ 'Itji. Xq. xa ü&ixxa äg^tla b axavgoq av-
xov xal o &dvaxoq xal tj dvdaxaatq avxov xal rj nioxiq 61 avxov . iv olq
&e).(ü iv x% 7iQ0O6vxy vf/iuv 6txcu(o9TJvat.
2) Cf. 1. Clem. 7, 4. 7. 10. 12, 7. 32, 8f; dazu Wrede, Untersuchungen
z. 1. Cl. Br. Götting. 1S91. S. 08. 99.
II. Die einzelnen Heilsthatsachen und ihre Heilsbedeutung. 33
Ersatzes, den er hinsichtlich dieser auf die Vergangenheit zurück-
blickenden Seite des christlichen Heiles bietet. Während von
Rechtfertigung und Versöhnung und Sündenvergebung nichts bei
ihm vorkommt, kennt er wohl den Begriff der Erlösung. An ihr
scheiden sich zwei Welten, die des xoöfiog ovrog, des aqxcov rov
al&voq tovtov, und die Gottes, zwei vofäoftara, welche das Bild
des Weltfürsten oder das Gottes tragen (M. 5), die Welt des
Unglaubens und die des Glaubens, die des Todes und die des
Lebens. Die Menschen befinden sich in den Fesseln des clqxwv
rov alwvoq tovtov (Eph. 17, 1. 19, 1. Tr. 4, 2. R. 5, 3. 7, 1. Phld.
6, 2). Er ist der Stifter der Uneinigkeit in den Gemeinden; nur
zu diesem Zweck sendet er die Irrlehrer aus. Er will verderben
und in Gefangenschaft führen weg von dem Leben in Christo
(Eph. 17, 1); er will dem Bischof noch äussere und innere Schwierig-
keiten in den Weg legen, um ihm die Märtyrerkrone zu ent-
reissen, und ihn hindern, zu Gott zu gelangen. Aus den Banden
dieses Weltfürsten hat Christus die Menschen erlöst. Nach Eph. 19
ist der Fürst dieses Aon betrogen und die ganze Welt ist er-
löst, dadurch, dass die jtalcuä ßaoikela vernichtet, jede Fessel
der Bosheit und der Unkenntnis zersprengt und die Macht des
Todes gebrochen ist. Der Weltfürst sah nicht, dass unter der
sarkischen Hülle des unter Schmerzen geborenen Kindes einer
Jungfrau und des sterbenden Heilandes der ewige Gott sich
menschlich offenbarte zur Stiftung ewigen neuen Lebens. Er
ward betrogen, weil sein Blick nur das Sarkische, Vergängliche
bemerkte, nicht aber das in demselben fassbare Unvergängliche.
Dieses hat Christus aber in seiner Person dargestellt, durch seine
Erscheinung ans Licht gebracht, durch seinen Tod ins Leben
geführt. Die Christen aber sollen sich hüten, dass der Weltfürst
sie nicht wieder fange und wegführe ex tov jcQOxeifiivov tfiv; sie
sollen allein auf den Herrn hoffen, der jiavTa dtöfiov lösen wird.
Ign. stellt sich diesen ganzen Erlösungsprozess wie ein Drama
vor. Die Heilsvorgänge in der Menschheit l) haben ihren realen
1) Ganz klar ist es nicht, wie Ign. das Verhältnis dieser himmlischen
Mächte zu den irdischen Heilsvorgängen sich vorgestellt hat. Jedenfalls
sah er fiir alle religiösen Dinge gleichsam himmlische, ewige Parallelerschei-
nungen, welche die eigentliche Grundlage waren für das, was sich sarkisch
und sichtbar auf Erden abspielte; eine mystische Vorstellungsweise, wie sie
später vom Areopagiten ausgeführt worden ist. Vgl. IL Tl. III. B. 2.
Texte u. Untersuchungen XII, 3 'S
l\.\ v. d. Goltz, Ignatius.
überirdischen Hintergrund in dem noXefiog knovoavirnv xal Im-
yeicov (Eph. 13, 2). Auch die himmlischen Mächte, die sichtbaren
und die unsichtbaren, sind unterworfen der Heilsordnung Gottes.
Damit ist die Universalität des Erlösungswerks Christi deutlich
zum Ausdruck gebracht und der Ernst der Verantwortung vor
dem Gericht geltend gemacht. So ist der christocentrische Cha-
rakter hier durchaus festgehalten, und der in diesen mythologischen
Vorstellungen liegende Ansatz zum Dualismus ist noch weit ent-
fernt von den ausgeprägten dualistischen Vorstellungen der
Gnostiker. Die Vorstellung der Erlösung als einer Befreiung aus
satanischer Macht ist nicht unapostolisch und für jene Zeit durch-
aus treffend. Aber, dass Ign. das Werk Jesu Christi nur als
solche Befreiung, nicht aber als Erlösung von der Sünde *) zu
würdigen versteht, bedeutet allerdings eine nicht unwesentliche
Schranke seines Verständnisses.
Das positive Interesse, welches Ign. auch hier betont, ist
wieder die Vernichtung des Todes und die Sicherung des
Lebens. Hierauf führen uns also alle Angaben über den Heils-
wert von Tod und Auferstehung des Herrn, und es bleibt nun
nur zu ermitteln, mit welchen Gedanken er die Verbürgung des
ewigen Lebens an die Auferstehung und Todesüberwindung des
Herrn knüpft.
Tr. 9, 2 heisst es: oq xal alrftcög ?}yegd-i] cbib vexgwv, eyel-
gavxog avxbv xov jtaxgbg avxov. ov xal xaxa xb o/joico/na
t)(iag, xovg JtcOxevovxag avxcp, ovxmg eyegel 6 Jiaxr\g avxov ev
XqlöxS 'fyöovi ov x^Q1^ T0 aXrjd-ivbv £tjv ovx e'xo/iev und
Tr. 11,2: ovxoc (die Irrlehrer) yag ovx eloiv (pvxeia xaxgog. ei yag
r/Oav htpaivovxo av xZaöot xov öxavgov xal r\v av 6 xagjtog av-
xwv a(p&agxoq. 6c ov ev x<p Jiafrei avxov jtgoöxaXelxac vfiäg
ovxag fielt] avxov. ov övvaxai ovv xe<paXrj xcoglg yevvrj&rjvai
avev (teXwv, xov &eov evooöiv eJtayyeXlopievov, 6g eöxiv avxbg.
In diesen beiden Sätzen sind die wesentlichen Hauptgedanken der
ignatianischen Heilsanschauung ausgesprochen. Ist Christus das
Haupt einer mystischen Einheit und selbst durch den Tod zum
Leben durchgedrungen, so ist den mit ihm Vereinigten und an
ihn Glaubenden dasselbe gesichert. Diese Hoffnung ist einmal
1) Zu dieser Auffassung der Erlösung vgl. Barn. 2, 10. 14, 5; Herrn.
Vis. I, 1, 8. 2. Cl. 18, 2.
II. Die einzelnen Heilsthatsachen und ihre Heilsbedeutung. 35
begründet auf das Vertrauen zum himmlischen Vater, andrerseits
aber auch auf die Natur der Sache selbst, sofern ein mystisches,
gliedliches Verhältnis zu ihm (xXaöoi rov OxavQOV, fislrj) die
Teilnahme an seiner tvmöig &eov gewährleistet. Ob das yervT}-
O-Tjpai sich bezieht auf das Geborenwerden Christi zum xskeioq
av&Qwxog, in dem jtvevfia und tfapg, Göttliches und Mensch-
liches, zuerst vereinigt ist, oder ob es auf die Auferstehung, eine
Geburt zum himmlischen Leben, zu beziehen ist, kann zweifelhaft
bleiben. Jedenfalls stammt das Bild aus 1. Cor. 12. Nach der
ganzen Art des Ign., zu denken, wird man diese Mystik etwas
anders auffassen müssen als bei Paulus: hier naturhafter, dort
ethischer. Auf solche naturhafte Veränderung des menschlichen
Wesens überhaupt durch die Vereinigung von Gott und Mensch *),
jtvetfia und öclq!-, in Christus deutet besonders die Bezeichnung
des Abendmahlsbrotes als eines paQfiaxov äfravaöiag avxiöoxog
rov firj ajtod-avelv, aXXä Crjv iv 'ltjö. Xq., und das Bild des
Kreuzes als eines Baumes, a<p ' ot xcxqjiov rjftelg (Sm. 1). Auch
Sm. 12 ist die ölxqxixtj xal jrvevfiaxixt) tvoxrjg &eov xal ifiatv
unmittelbar an Leiden und Auferstehung geschlossen, was allerdings
nur die Mahnung zur Einheit der Gemeinde und die Abmahnung
vor Leugnimg jener Heilsthatsachen in antihäretischem Interesse
mit einander verbindet. Die dynamisch-ethische Kraft des Todes
Jesu ist auch nicht ganz vergessen. M. 5 heisst es im Anklang
an Paulus2): öl' ov (sc. Xq.) iäv fi?) avO-aiQSxcog exwftev xo
anod-avElv elg rö avrov Jta&og, xo ^v avxov ovx eaxiv kv
rmlv. Hier ist von einem sittlich bedingten Absterben des alten
Menschen die Rede und dem Christen der gleiche Weg durch
Tod zum Leben gewiesen. Beherrschend ist dieser Gedanke im
Römerbriefe, wo Ign. von seinem eigenen Wege durch Märtyrertod
zum Leben spricht. Auch Tr. 8, 1 ist die Umschaffung des Men-
schen als eine sittliche Aufgabe betrachtet, zu welcher der Glaube
an die Erscheinung Gottes im Fleische und die Liebe, welche im
blutigen Leiden des Herrn für uns zum Ausdrucke kommt, die
Kraft geben. — Wie dies Leben in Glauben und Liebe näher ge-
1) Es ist schon hier darauf aufmerksam zu machen, dass bei Ign.
weder der Gedanke der adamitischen u. himmlischen Menschheit (Pls.),
noch die Spekulation über die Vereinigung der Naturen vorliegt, wie bei
Iren. u. der späteren griechischen Kirchenlehre.
2) Cf. Pls. R. 6, 5. 8, 17. 29. 2. Cor. 4, 10. Phil. 3, 10.
3*
36 v- d» Goltz, Ignatius.
dacht ist, werden wir später sehen. — Desgleichen ist hier die
Quelle für die vjiofiop/] und Todesverachtung der christlichen
Märtyrer (M. 9, 2. Sm. 3).
Fassen wir nun alles zusammen, so ergiebt sich, dass Ign.,
wie in der Erscheinung Christi im Ganzen Offenbarung Gottes
und Einigung mit ihm, so in Tod und Auferstehung ewiges,
unvergängliches Leben, frei von aller dämonischen Macht, in der
Gemeinschaft mit Gott und Christo verbürgt glaubt. Und wie
ihm dort der feste Glaube an die öccQg Christi das Mittel ist zur
Sicherung der Erfassung des ewigen Gottes, so ist ihm hier das
Leiden Christi und sein Tod gerade das Symbol für den Auf-
gang ewigen, unvergänglichen Lebens. Die Neugeburt des neuen
Menschen, die in Christo, dem iaxQoq öagxixbg xal jivev(1(xtix6c>
voraus dargestellte tvaxsiq d-eov und die Verbürgung ewigen
Lebens sind schliesslich ein und dasselbe, und alles ist an Christi
Person, sein Wesen, sein Sterben und Leben und sein über aller
Zeit bestehendes Verhältnis zum Vater geknüpft. Deshalb heisst
er &vqcc zov jiccrgog (Phild. 9, 1), deshalb zo aZrj&ivdv oder öca
navxog — Tjfiwv Zfiv (M. 1, 2. Eph. 3, 2. Sm. 4, 1). Sein Verhältnis
zum Vater, wie auch sein sittliches Verhalten sind vorbildlich für
den Christen; sein Leiden ist Abbild des Absterbens des alten
Menschen und kräftigt dazu, wie es auch dem Märtyrer vjiofiovt)
verleiht. Was jedoch sonst von Einzelthatsachen seines Lebens
genannt wird, dient zur Bestätigung der wirklichen Menschlich-
keit desselben. Die Taufe hat mit dem Tode zusammen heiligende,
reinigende Bedeutung. Die Salbung des Hauptes ist ein Symbol
für die Verleihung der Unverweslichkeit an die Kirche, den Leib.
Die Himmelfahrt ist nicht erwähnt, man müsste sie denn in
ywQriöapta (M. 7, 2) angedeutet finden. Aber die Thatsache des
Lebens beim Vater ist ein wesentlicher Gegenstand des Glaubens.
Das ewige, göttliche Wesen des Herrn ist seitdem erst recht
offenbar (R. 3,3), wie auch der Märtyrer erst dort vollendet ist.
Die Universalität der ganzen olxovofila ist so umfassend, dass bei
ihrem in Erscheinung Treten das All bewegt wurde. Auch die
Engel sind verloren, wenn sie nicht an das Blut Christi glauben
(Sm. 6, 1)1), und auch die alttestanientlichen Frommen und Pro-
1) Cf. Herrn. Sim. IX, 12, 8: zovrwv <priol, ztSv äyyilwv rd5v höo^wv
ovöslg elaelevaexai nQoq xbv &eov uxsq avrov; vgl. Pls. Col. 1, 29.
Kph. 1, 10. 3, 10.
III. 1. Eschatologische Gedanken. 37
pheten, welche den Herrn treu erwarten, sind von ihm auferweckt
(M. 9, s Jiaocvv rjyeioev ccvzovg ix vbxqwv). Ob nach dieser
Auferweckung eine Verkündigung im Hades durch Christus selbst,
also eine „Höllenfahrt" vorausgesetzt ist, ergiebt sich aus dem
jzclqwv nicht mit Sicherheit1).
III. Eschatologiscile Gedanken nnd die Auffassung des
christlichen Heilsgutes im Verhältnisse zu ihnen.
I. Eschatologische Gedanken.
Nur ein einziges Mal ist von der Wiederkunft des Herrn
die Rede und hier bezeichnender Weise im Anschlüsse an das
gegenwärtige Wohnen Christi als „unser Gott" in uns (Eph. 15).
Auch R. 10 ist in dem Ausdrucke yvjtO(iovrj" 'lrjö. Xg. die Er-
wartung der Wiederkunft gemeint. Dieselbe ist nicht mehr all-
zufern, denn: löxaxot xaigol (Eph. 11), rsZoq rä jtgäyfiara lxu
(M. 5, i). An letzterer Stelle heisst es weiter: ngoxeirat rä ovo
ofiov o re d-ävarog xal r\ ^mrj xal l'xaörog eig xbv löiov tojiov
fieZZei xcoQE^v:> a^er die Entscheidung hierüber denkt Ign. schon
hier auf Erden vollzogen, wo sich die Welt des Glaubens und
die des Unglaubens als ausgeprägte Charaktere gegenüberstehen.
Wer sich von der Gemeinde trennt, der hat schon seinen Über-
mut bewiesen „xal eavxov Suxgivev" (Eph. 5, s)2). Dagegen ist
die ^en ungläubigen Engeln Sm. 6, i angedrohte xglöig eine zu-
künftige, wie auch die /isZZovöa ogyrj Eph. 11. Von einem
einzelnen Gerichtstage ist nirgends die Rede, a*ber vorausgesetzt
ist eine ähnliche Vorstellung in der Warnung, sich die Langmut
Gottes nicht zum xglfia (Eph. 11), die Mahnungen des Bischofs
sich nicht zum fiagrvgiov gereichen zu lassen (Phild. 6, 3). Es
fehlen hier vollständig die Farben der alttestamentlichen und
jüdischen Eschatologie 3). Nur die Vorstellung des elg jtvg
aoßtaxov ist Eph. 16, 2 herübergenommen; aber Sm. 2 tritt die
spezifisch griechische Vorstellung hervor, dass die Leugner der
öapg Christi döcofiaroi und öatfiovixoL werden sollen, was an
1) Ebenso zweifelhaft das (pavegto&elg aveßrj. Barn. 15, 9.
2) Cf. Herrn. Sim. IX, 21, 4 ijörj nagaösdo^ivoi slaiv.
3) Bei Barn, sind diese reichlich verwendet; cf. Joh. Weiss, Barn. Br.
S. 80 ff.
38 v- d. Goltz, Ignatius.
das Wort in 2. Clem. 1,2 erinnert, dass die, welche gering von
Christo denken, auch wenig zu hoffen haben '). Es ist aber nicht
nur die Unbekanntschaft mit der speziell jüdischen Gedankenwelt2),
auch nicht nur die johanneische Weise, welche die Gegensätze
und das Gericht schon hier auf Erden sieht, sondern auch die
eigene Situation, welche die Gedanken des Märtyrers über das
Ende der Dinge ganz zurückdrängte hinter die Sehnsucht nach
der eigenen in wenigen Wochen zu gewärtigenden Vollendung.
Ign. hofft wie Paulus Phil. 1,23 gleich nach dem eigenen Tode
auf Vereinigung mit dem Herrn, auf das kjtixvyydvetv &tov
(R. 1, 2.5.6 etc.), auf die Auferstehung als kv avxco eXev&egog, als
wirklicher av&gcojtog (R. 6, 2), als iXefyevog xig üvai. Dort hofft
er zu leben und nicht zu sterben, dort xa&aQOV <pa>g Xaß6lv(R.6, 2),
dort erst ein tia&ijxf/g dXrjd-?)g Xq. zu werden. Wie seine Todes-
reise von Morgen gen Abend (von Syrien nach Rom) geht, so
will er weg von der Welt in die Todesnacht untergehen, um wie
ein neuer Morgen dann zu Gott hinaufzusteigen (R. 2, 2). Seine
Hoffnung gipfelt in der Erwartung der Vereinigung mit dem
Herrn, der für ihn gestorben und auferstanden ist (R. 6). Diese
Erwartung drückt sich aus in den Worten des lebendigen Gottes-
geistes in ihm „ösvqo Jtgog xov oiaxiQa", und die Vereinigung
ist keine andere als die Vollendung derjenigen, die er schon im
Abendmahle geniesst (R. 7, 3). Dies ist R. 7 gemeint, wenn auch
Zahn mit Unrecht das „d höxiv dydjtTj a<pd-aQxogu, den Paral-
lelismus störend, direkt darauf bezieht. Statt des Herrn selber
nennt Ign. Fleisch und Blut Christi als die konstitutiven Merk-
male seiner Person, welche die Wirklichkeit des Besitzes Gottes
in ihm garantieren. Das Blut Christi" ist zugleich das Zeugnis
der vom Tode zum Leben führenden göttlichen Liebe, und diese
ganze mystische Gemeinschaft ist das unvergängliche himmlische
Erhaltungsmittel seines Lebens. Wie dies schon in Brot und
Wein des Abendmahles der Gemeinde gegeben ist, werden wir
später sehen. Hier bestätigt sich nur unser bisheriges Resultat,
1) Vgl. auch d. Korrespondenz von Laster und Strafart in der Petrus-
apokalypse.
2) Wenn Ign. to7to&eoiai u. avardaeig aQxovxixal der himmlischen
Mächte erwähnt, so erinnert das an die Engelklassen der jüdischen Angelo-
logie und darf wohl indirekt auch darauf zurückgeführt werden. Ign. be-
kennt, selbst in diesen Dingen noch Anfänger und Schüler zu sein.
III. 2. Die Auffassung des christlichen Heilsguts. 39
dass Leben, Gotteserfassung, mystische Gottes- und Christus-
einigung, und damit Vollendung des äp&Qcojioq und (ia^rjxr}q
Xq. elvai, die wesentlichen Heilsgüter des ignatianischen Christen-
tums sind. Von Herzensfrieden, Sündenvergebung, Bestehen im
Gerichte, Erlösung vom Sündenleib und sündlicher Schwachheit
ist auch hier nicht die Rede, dagegen wohl vom djt7]Qrc0fiivov
elvcu (Phld. 5, i) und dem Erfundenwerden als aXrjd-rjq fiaB-TjTrjq,
jtiöToq und wirklicher XgiöTiavoq (R. 3). Dass der Märtyrer
in Bezug auf seine Person diese Heilsgüter mit Zurückstellung
alles schon Vorhandenen wesentlich in ihrer zukünftigen Voll-
endung betrachtet, versteht sich psychologisch sehr leicht. Um
so wichtiger aber ist es, zu untersuchen, in welchem Verhält-
nisse die eschatologische und die gegenwärtige Betrachtungsweise
zu einander stehen, wenn er zu der Gemeinde von Gottesgemein-
schaft und Leben spricht.
2. Das Heilsgut als Gegenwärtiges und Zukünftiges.
Zweimal redet Ign. von einem xXrjgopOfielv der ßaGiXela #£Ot>
(Eph. 16,i. Phild. 3,3), aber in deutlichem Anklänge an 1. Cor. 6,9,
so dass wir dies als fremdes Eigentum hier nicht verwerten dürfen.
Ganz klar ist die eschatologische Fassung Pol. 2. Das &sov
hmxvyzlv ist das Ziel, wohin das Schiff durch Sturm und Wellen
geführt werden muss; im Wettkampfe des Lebens ist a<p&agola
xal $007) alcjvioq der zu erringende Kampfpreis, dessen Verbürgung
auch Polycarp fest glaubt. Ebenso weist auf das Ende das sehr
häufige Prädikat Christi „^ xoipt) eXmq tfftcov" Eph. 2, i. 2. Tr.
iscr. und 2, 2. Phild. 5, 2 und 11, 2, während das rb dXrjd-ivbv
rm&v Cfiv (Sm. 4, 1. Eph. 3, 2) und zumal M. 1, 2 zo öiä Jtavxbq
7j(icop Qfjp ein gegenwärtiges Gut nennt, welches allerdings auch
lediglich in der sicheren Hoffnung auf das in Christo verbürgte
Leben bestehen kann. Unentschieden lässt die Frage auch
Eph. 18, 1 1). Dagegen beweist das gegenwärtige Vorhandensein
des Heilsgutes deutlich Eph. 17, 2: dyvoovvreq rb xagiöyia, o
JtijtopKpev äXrjd-mq 6 xq.; auch Phld. 9, 2 ist dies vorausgesetzt,
M. 9, 1 2) klar ausgesprochen. Ob es aber im schon angetretenen
Besitze der Christen auf Erden ist, abgesehen vxm der Hoffnung,
1) axdvöakov axavgov tj/uiv owriQia xal ^a>^ ulwnoq.
2) % t,<ori tjfzdiv dvtzei/.e öi avxov.
40 v. d. Goltz, Ignatiuß.
bleibt auch nach diesen Stellen zweifelhaft. Tr. 9, 2 *) scheint
das „exopsv" dies vorauszusetzen, aber hier ist gerade vorher von
der künftigen Auferweckung die Rede. M. 5, 1 hat der Gegen-
satz fravarog und £a>?/ deutlich eschatologische Bedeutung, aber
am Schlüsse des Kapitels heisst es: oV ov kav firj av&aiQttcog
excofiev xo ajto&avelv elg rb avrov jtä&og, rb Cfiv avrov ovx
eoriv hv rjfilv. Hier hat das Cxjv augenscheinlich spezifisch
ethischen Sinn und ist damit jetziges Eigentum und gegenwärtiges
Gut. Das Gleiche gilt von der gawy , deren Anfang der Glaube,
deren rtXog die Liebe ist (Eph. 14, 1). Im ganzen genommen ist
also das Leben ein zukünftiges Gut, das aber jetzt schon fest
verbürgt ist, und zumal ,£cor]" wird in diesem Sinne gebraucht.
Aber die Gegenwärtigkeit dieser Verbürgung ist betont, und in
ethischem Sinne ist schon jetzt ein neues Leben in uns, zu dem
wir uns umschaifen sollen (Tr. 8, 1). Viel häufiger aber als mit
dem Ausdrucke £rjv wird dieser ethisch bedingte Heilsbesitz wie
bei Paulus ein slvai, ftivetv, evoe&rjvai iv XoiörqD genannt
(Eph. 10, 3: fisvsre Iv Xq. caoxixmg xal jrvsvfiarixojg). Auf
das ev Xq. 'Irjö. avQe&rjvai kommt es allein an, und dies setzt
das Sein in Christo voraus, mag man nun aus Furcht vor dem
Gerichte der Zukunft oder aus Liebe zu der gegenwärtigen
Gnade darin bleiben. Das Gleiche wird als ein Wohnen Gottes
in uns als in seinem Tempel bezeichnet (Eph. 15, 3), als ein
&eov etvac (Eph. 8, 1. R. 7, 1. Phld. 3, 2), ein &eov jtaptore
f/erexsiP (Eph. 4, 2), ein &bov yifiuv (M. 14, 1). Auch die tvwöig
&eov, obwohl sie Tr. 11 als verheissen genannt wird, soll in der
Gemeinde als oaQXixrj xal jtvevfianx^ bereits gegenwärtig sein
(M. 1, 2. 13, 2. Eph. 5, 1 etc.), worauf wir später zurückkommen
werden. Trotz alledem ist dem Ign. das d-sov kjtixvrfx^VBLV em
zukünftiges Ziel, an dem noch vieles fehlt (Tr.5,2. Sm.9,2. Pol. 2, 2).
Das Ergebnis dieser Prüfung ist mithin: Das individualistische
Element ist in der Eschatologie des Bischofs das durchschlagende.
Von der biblischen und jüdischen Vorstellung eines zukünftigen
Gottesreichs und eines eschatologischen Dramas zeigen sich kaum
Spuren. Zwar kennt auch Ign. einen Kampf der knovQavicov
xal extystcov, einen Kampf Gottes mit dem aqxaw tov alcovog
1) ovxwq iyeQtt o natriQ avvov iv Xq. 'Itjo., ov xwolq xo ccXtj&ivov
Xflv ovx e^OfjLSv.
IV. Das christliche Leben in Glauben und Liebe. 41
rovroVy aber dieser ist gleichsam ein ewiger Hintergrund, ein
überirdisches und überzeitliches Urbild des sich gleichzeitig schon
jetzt auf Erden vollziehenden Heilsprozesses. Der Sieg ist er-
fochten und doch geht der Kampf noch weiter, und der Ausgang
ist nicht unabhängig vom Verhalten der Menschen (Eph. 13, 2.
Eph. 19, 8 vgl. Tr. 9, 1). Das Heilsgut als neues Leben ist wesent-
lich eschatologisch: verbürgte Lebenshoffnung; dagegen die Gottes-
gemeinschaft und Gotteseinigung ist schon hier im Vollzuge und
wartet nur der Vollendung. Ideell sind beide voll und ganz in
Christo bereits gegeben. Was aber die ethische Seite des Heils-
gutes betrifft, so ist hier erst eine klare Anschauung zu gewinnen
durch die nunmehr folgende Betrachtung der ignatianischen Auf-
fassung vom christlichen Leben in Glaube und Liebe.
IT. Bas christliche Leben in Glauben und Liebe.
i. Glaube und Liebe als Grundprinzipien des Lebens.
Für unsere Betrachtung der ignatianischen Lebensauffassung
giebt uns das Ergebnis der bisherigen Untersuchung in verschie-
dener Beziehung die Richtung. Wir dürfen, wenn anders die Ge-
samtauffassung des Ignatius eine einheitliche ist, weder ein be-
sonderes Interesse an philosophischem Wahrheitsstreben erwarten,
noch ein tieferes Verständnis des christlichen Lebens als eines
Kampfes gegen die Sünde im eigenen Herzen in steter, frucht-
bringender Busse. — Die Erkenntnis ist nur religiös bestimmt
und dient nur zur Sicherung und zum Schutze einer wahrhaften
Erfassung Gottes in Christo. Der Kampf des Lebens ist nach
aussen gerichtet gegen Irrlehrer, Verführer und Friedensstörer
und vor allem die heidnische Welt, von denen man sich trennen
und hüten soll als den Werkzeugen des Teufels. Besteht das
Heilsgut in Gotteseinigung durch Christus in einem Leibe und in
verbürgter Lebenshoffnung, deren Lebenskraft schon jetzt in uns
wohnen muss, so ist der Glaube an die Wahrheit und geschicht-
liche Wirklichkeit der Offenbarung und das Vertrauen auf die
Treue des himmlischen Vaters und auf Christus ebenso die not-
wendige subjektive Voraussetzung für die Erfassung des Heils-
gutes, wie sein Besitz nur bestehen kann in der die Gläubigen
42 v- d. Goltz, Ignatius.
mit Gott, Christus und ihren Mitchristen zu einem Ganzen ver-
bindenden Liebe. Dem wesentlich zukünftigen christlichen Gute
ewigen Lebens steht aber der Weg des Unglaubens, der zum
Tode führt, gegenüber. So ist denn als Motiv, ein christliches
Leben zu führen, ebenso die Furcht vor diesem Wege zu Tod
und Gericht, als die Liebe zu dem Leben in Gotteseinigung und
Lebenshoffnung möglich. Dass in Glaube und Liebe sich that-
sächlich dem Bischöfe alles zusammenfasst, zeigen die Worte:
xb oXov toxi jclöxiq xal äyäjtrj mv ovöev jiqoxsxqixcci (Sni. 6)
und: agx> ftev Jtiöxiq, xeXoq de dyajtrj , xa de ovo iv ivoxrjxi
yevoftsva &soq hoxiv. xa de aXXa jtdvxa eiq xaXoxäyaMav äxo-
Xov&ä loxiv (Eph. 14). Dass aber für diesen Weg durch Glau-
ben und Liebe zu Gotteseinigung Ignatius zwei Motive kennt, die
schliesslich gleichwertig sind, wenn sie nur das eine Ziel er-
reichen, steht Eph. 11, i zu lesen: rj yäg xrjv piXXovoav 6oyy)v
g)oßt]&dJfiev r] xr)v eveöxcoöav xolqiv äyarnjöcofiev, ev xc5v ovo'
(aovov ev Xqiöxcq 'Itjöov tvoe&r/vcu eiq xb aXrj&ivbv Cfiv. Es
kommt aber viel darauf an, zu prüfen, in welchem Verhältnisse
Glaube und Liebe zu einander stehen, und welches von den Mo-
tiven des christlichen Handelns das beherrschende ist, die Liebe
zur Gnade oder die eudämonistischen Gedanken. Diese Unter-
suchung, in die wir nun eintreten wollen, ist deshalb von doppel-
tem Interesse, weil gerade an diesem Punkte die Schriften der
anderen apostolischen Väter eine starke Abschwächung und Ver-
flachung gegenüber dem N. T. zeigen.
Sehr wahrscheinlich ist zunächst, dass Ign. den Glauben als
von Gottes Gnaden geschenkt denkt, so gut wie er glaubt, dass
die Gnade die Herzen der Gemeinde zu einem guten Werke be-
reit macht. Jesus Christus allein hat auch die Macht, die irre-
geführten Gegner zur fiexdvoia zu bringen (Sm. 4, i), und deshalb
vertraut Ign. in dieser Beziehung auf die Gnade des Herrn, der
jede Fessel des Teufels lösen wird. Die fiexdvoia ist aber augen-
scheinlich nichts anderes als die Rückkehr vom Irrtum zur Wahr-
heit, vom Unglauben zum Glauben. So ist denn auch „der
Glaube" zunächst das Überzeugtsein von der Wahrheit des Christen-
tums, speziell der Wirklichkeit von Christi menschlicher Geburt,
Tod und Auferstehung. Da aber, wie wir sehen, diese Thatsachen
dem Ign. in seiner Polemik von Wert sind als Beweise der wirk-
lichen Erscheinung Gottes im Menschen, des Ewigen in der
IV. Das christliche Leben in Glauben und Liebe. 43
Zeit, so ist hierdurch auch der Begriff des Glaubens näher be-
stimmt als die Annahme und Ergreifung dieser Offenbarung Gottes
in Christo. Am deutlichsten ist der Sinn „Fürwahrhalten" im
Munde der Gegner Phld. 8, 2 *). In deutlicher Beziehung auf die
die Offenbarung Gottes verbürgenden, von den Doketen geleug-
neten Thatsachen steht es: Eph. 16, 2 (xLöxig, vjtlg rjg Xq. koxav-
Qco&rj) M. 6, 1. Tr. 2, 1.2) Sm. 3, 2.3) 6, 1.4) Phld. 8, 2 (ry jtlöxig öV
avxov).b) Da nun aber jene Glaubensthatsachen zugleich die
Hofmung ewigen Lebens verbürgen, so schliesst der Glaube auch
das Vertrauen auf den himmlischen Vater und Christi Treue
(/) xeXela Jtloxtg 'Itjö. Xq. Sm. 10, 2) ein, der sich seiner Gläubigen
nicht schämen, sondern die Verheissung an ihnen erfüllen wird.
Dieser Glaube an Gott und Christus in spezieller Beziehung auf
die Auferstehungshoffnung ist Tr. 2, 1. Eph. 3, 1. M. 9, 2 gemeint,
und ähnlich ist auch der Glaube der treu auf den Herrn warten-
den und dafür mit der Auferweckung belohnten alttestamentlichen
Propheten zu verstehen, auch wohl Eph. 10, 2 eÖQalog xf] Jtlöxei
und Sm. 1, 1 hf axivr\xca jtioxei. Soweit finden sich naturgemäss
auch Analogien bei den anderen apostolischen Vätern.*) Ign.
aber kennt Glauben nur in der engsten Verknüpfung mit einem
christlichen Leben, mit einer Bewährung bis ans Ende. Es fehlt
zwar jede Andeutung von einem Glauben an die sündenvergebende
Gnade, aber die ethische Kraft des paulinischen Glaubensbegriffes
ist ganz erhalten, wenn auch nicht so in das Wort hineingelegt,
sondern nur unumgänglich damit verknüpft. Eph. 14, 2: ovöüg
jtiotiv ijtayyeXXofievog anaqxavu ovöh ayäjttjv xsxxrjfiepog fli-
est, (pavegöv xo öevöqov anb xov xagjtov avxov. ovxcog 61
ijtccyyeXXoftepoi Xqloxov üvai, 61 cov jiqccgoovoiv o<pür\oovxai.
ov yaQ vvv ijiayyeXiaq xo BQyov, aXX* kv övvdfiu jtioxewg käv
xig evQS&f] xal slg xeXog; eine sonst nur bei Johannes zu findende
1) iäv (AT) iv zolq agxtioiq evgio, 4v z<jt evayyekty ov mozevat.
2) elq zov &avazoV.
3) palhjzol r^avxo xal iniozevoav.
4) etq xb aifjta.
5) Hier ist d. Glaube auch direkt auf Christum gerichtet wie auch
Eph. 14, 1.
6) Barn. 4, 8 iXnlq zfjq ntozta>q; cf. 12, 7, Herrn. Mand. 9, 6. 7. — Zahn,
niaziq b. Herrn. Jahrb. f. deutsche Th. 1870 p. 169 ff., dageg. Harnack,
Patr. apost. opp. III ad Mand. 1.
44 v- d. Goltz, Ignatius.
Schärfe spricht sich hier aus in der prinzipiellen Trennung von
Glaube und Sünde; ebenso wird Eph. 8 streng zwischen den
öagxixol und jivevfiaTixoi unterschieden. Wie der Glaube nicht
Werke des Unglaubens, so kann der Unglaube nicht Werke des
Glaubens thun. Man braucht nur die noch am meisten ver-
wandten Stellen der anderen Väter damit zu vergleichen, welche
dazu mahnen, den Glauben zu bewähren durch Hinzufügung der
Werke, um die viel originellere Kraft der ignatianischen Sätze
zu empfinden *). Dieser Glaube ist Phld. 8 neben seinen Objekten,
Christus, seinem Tode und seiner Auferstehung, als Grundlage
der Rechtfertigung genannt, wenn auch diese, wie wir gesehen
haben, nicht im paulinischen Sinne zu verstehen ist. Ist aber
der Glaube des Bischofs kein paulinischer Rechtfertigungsglaube,
so ist es doch eine innere Vertrauensstellung zu Christus als
seinem Gotte und seiner Hoffnung, eine innerlich so starke Über-
zeugung von der Wahrheit und Verlässlichkeit dieses Evangeliums
und damit ein unmittelbares Ergreifen Gottes im Fleische, dass
er gar nicht ohne Frucht denkbar ist. Deshalb ist eine wahre
Lehre an sich auch gar nichts wert, wenn nicht der Lehrer selbst
nach seinen Worten handelt, so wie Christus stets, selbst im
Schweigen, eine völlige Übereinstimmung seiner Worte, seiner
Gesinnung und seines Handelns bewies (Eph. 15). Auch die
Gegner sollten lieber, statt durch ihr gottloses Disputieren sich
den Tod zuzuziehen, Liebe üben, um auch auferstehen zu können.
Man erkennt die Verderblichkeit ihrer Lehre, mit der sie den
Glauben, das Vertrauen auf Gott zerstören (Eph. 16, 2), daran, dass
ihnen die Liebe fehlt (Sm. 6, 2). Glaube und Liebe gehören
also untrennbar zu einander und werden daher vom Verfasser
1) Herrn. Mand. 1 Tiioxevooy ovv avxd> xal <poßy{h]xi avxbv, <poßij&£lg
6h iyxgdxsvaai. Mand. 9, 6. Sim. VIII, 9, 1 änb 9eov ovx dneaxricsav äXX*
ivtfietvav xy nlaxei (jltj i^ya^ofisvoL xd %gya xfjg nioxswq.
Cf. Sim. 7, 9. 4. Sim. IX, 13, 2. 19, 2.
Barn. 4, 9 ovösv yag (utpeX^aei vfiag o nag %(>6vog xtjq niaxewq, iccv
pr] vvv iv x<3 dv6fji(p xaiQ& . . . . wg nghcsi vloig &sovy dvxiaxäififv, °iva yiry
o%y nageiaSvaiv b fieXag.
J16. 16, 2 ov yag (dipeXqosi 6 näg XQ°V0$ r*i$ nl<J*t<*><Z v/itüv, iciv firj
iv X(p ioxaxü) xatQ<f> X€Xei<o9fjx€.
2. Clem. 4, 3 iv xolg 'sgyoig avxbv bfioXoyw^iev. 1. Clem. 35, 5 rj öid-
voia rifiüiv diu. niaxewg-, cf. 35, 1. 60, 1.
IV. Das christliche Leben in Glauben und Liebe. 45
sehr häufig zusammengestellt (Eph. 1, 1. 9, i. 14, i. 20, i. M. 5, 2.
13, 1. Tr. 8, 1. Phld. 9, 2. 11, 2. Sm. iscr. 1, 1. 6, 1. 13, 2). Das
Fehlen dieser Wortverbindung im Rom.- u. Pol.-Brief ist auf-
fallend und wohl nur so zu erklären, dass die Wendung in den
anderen Briefen Bezug hat auf die niöxig an das wahre Leiden
und auf die ayäjrq, welche jede Spaltung unmöglich machen soll,
während diese polemisch-paränetische Tendenz im Pol.-Briefe und
zumal im Röm.-Briefe ganz zurücktritt. Diese spezielle Anwen-
dung ändert aber nichts an der grundlegenden Bedeutung dieses
Doppelklanges, zu deren näherem Verständnisse zumal Eph. 14
und Eph. 9 beitragen, Erstere Stelle nennt den Glauben den
Anfang (<XQXf'l), die Liebe das Ende des Lebens (xeXog). Zur
Erreichung des Lebens ist also der — Gott in Christo, das Leben
im Tode — ergreifende Glaube der Anfang, aber das Ganze wird
erst vollständig, wenn die Liebe hinzukommt und die övvapLig
Jtlozewg elg xeXog bewährt. Beides zusammen in Einheit stellt
den Besitz Gottes dar (xa öe ovo kv hvoxtjxi yevöfieva &eog köxiv),
und alles übrige, was zu einem edlen und guten, vollkommenen
Leben nötig ist, folgt von selbst nach als von Natur in Glaube
und Liebe mit einbegriffen (xd öe aXXa jidvxa elg xaXoxdyad-iav
dxoXovfrd köxiv). Derselbe Gedanke ist auch in dem Bilde von
Eph. 9 ausgedrückt, wenn der Glaube der dvaycoyevg elg &eov,
die Liebe die oöbg ävcupegovoa genannt wird. Sehr prägnant
werden daher die, welche den Charakter Gottes tragen, M. 5, 2
(Phld. 9) Jtiöxol kv äydjty genannt1). Die Wahl dieses Lebens
in Glauben und Liebe schliesst aber ein Absterben des alten
Menschen in sich (M. 5, 2) und deshalb für die Leser auch ein
Ablegen des jüdischen Sauerteiges, ein Sichverwandeln in den
neuen Sauerteig M. 10,2, der in Jesus Christus sich darstellt. Dieser
ist ja nach Eph. 20 der neue Mensch, auf den die ganze olxo-
vofila &eov abzielt kv xy avxov jtloxei xal kv xjj avxov äydjty,
1) Vgl. dagegen die Art, wie die Liebe, anderen Tugenden koordiniert,
ziemlich äusserlich dem Glauben angereiht wird: 2. Petri 1, 5— 8. Barn. 1,6
iknlq, öixaioovvTj, ayant] (als tQywv Sixccioovvtjq (xaQtvQia). Past. Herrn
Vis. 111,8,3.4. niaxiq u. ihre &vyarcQsg: iyxQCCTSia, anX6xrtq, imoxijftrj,
uxaxla, ae/uvoxrjQ, dydnrj. Sim. IX, 15, 2 tj/uZv TtQwxt} tiioxiq, rj öe öevxtQa sy-
xQaxeia, övvafxiq, (jloxqo9-v(xI(h, anloxijq, dxaxia, dyvela, IXccQOXTjq, d?.T]9sia,
ovveoiq, bfxovoia, ttyanri; cf. Mand. 8, 9. 6, 1. 12, 3. Näher stehen dem Ver-
ständnisse des Ign. : Pol. ad. Phil. 3 u. 1. Clem. 49.
46 v. d. Goltz, Ignatius.
kv jcad-u avrov xal avaöxadu. Wie nun durch das Eintreten
Christi in die Menschheit deren Umwandlung zu einer neuen
nicht nur ethisch, sondern, wie wir sahen, auch irgendwie natur-
haft gedacht ist1), und die a<pfraQöla durch die mystische Ge-
meinschaft wie durch ein gtccQfiaxov ad-avaöiaq mitgeteilt wird,
so wird auch das christliche Leben als eine Pflanzung durch den
Vater aufgefasst, so dass die Christen tpvreta JtaxQoq (Tr. 11, 1.
Phld. 3, i) sind. Dann haben sie eine tadellose und einfältige
(äötaxQiToq) Gesinnung, nicht nur in einzelnen Fällen (xara
XQfjow), sondern als die Grundrichtung und das Wesen ihrer
Persönlichkeit {xara <pvöiv). Das ist sicher der Sinn von Tr. 1,
und deshalb wahrscheinlich auch der von <pvöiq Eph. 1: „T(>
jtoXvayäjtrjTov öov ovopa o xsxttjg&s ipvöet [sv yva>^ oq&i}
xal] öixaia. xara jtlönv xal äyajn?v kv Xqlötcö yIrfiov reo öa>rrJQc
rjficov." Das „<pvöei öixaia" der griechischen Handschriften Gg
und der besten lateinischen L ist zu pleonastisch , und deshalb
wird Lightfoot mit seiner Konjektur nach der syrischen Über-
setzung2) (Cod. Cureton. 2) Recht haben, nach welcher er die
eingeklammerten Worte stehen lässt. Dann haben wir in dieser
Stelle einen ganz ignatianischen Ausdruck für die zur zweiten
Natur gewordene christliche Lebensgesinnung, sich zusammen-
fassend in Glauben und Liebe, in Geist und Kraft Jesu Christi
mit Hervorhebung der gerade bei den Lesern zu hütenden Grund-
lage einer die Offenbarung in ihrer Wahrheit sichernden Lehre.
Dazu passt auch, wenn der Bischof sie zur Vollendung des övy-
ysvixbv sQyov, d. h. des ihrer christlichen Natur entsprechenden
Werkes auffordert. Mag diese naturhafte Auffassung des christ-
lichen Lebensprinzips, wie Lightfoot will, gnostisch gefärbt ge-
nannt werden dürfen oder nicht, jedenfalls ist ihr christlicher
Charakter durchaus gewahrt, und sowohl durch den Zusammen-
hang als durch das Perfektum xtxr^od-e die Beziehung auf die
Neuentstehung dieser Natur erst durch Christum beschränkt. Vor
allem aber wird hier ganz klar, dass mit Glauben und Liebe dem
1) Barn. 6, 11. uvaxaivioai tj/uüq iv ty ä<peoet r<5v ufiagticüv ^noirjaev
rjftäg aXXov xxrnov wg natöitov e%eiv xr\v ipvxrjv, (bg icv ötj avanXaaaov-
zog avzov rjfiag; cf. 6, 14. Herrn. Sim. IX, 14, 3 xazey&ccQfitvwv tj/lkov xal
prj i%6vT<DV £?>7ilda zov tftv clvevtioae zr\v ZcatjV r/fzäiv. Vis. 111. 8, 9 (vgl.
Harn. z. d. St.).
2) natura (in) voluntate recte et iuste.
IV. Das christliche Leben in Glauben und Liebe. 47
Ign. alles gegeben ist, so dass das ganze christliche Leben im
Einzelnen ein Auswirken und Ausleben des Glaubens auf dem
Wege der Liebe ist, mit dem Ziele: elg &eov. Was für Einzel-
aufgaben solches Leben in Glauben und Liebe einschliesst, verrät
sich in unseren Briefen verhältnismässig wenig. Die meisten
Ermahnungen sind auf Gehorsam gegen den Bischof, Frieden
und Einigkeit gerichtet, oder betreffen sonst das Gemeindeleben.
Als Pflichten des Einzelnen nennt er zumal die Vergeltung des
Bösen mit Gutem (Eph. 10), das miteinander Wachen, Streiten
und Kämpfen in gegenseitiger Fürbitte (Pol. 6, i), in welche auch
die Irrenden und Ungläubigen eingeschlossen sind (Eph. 5, 2. 10, 1.
M. 14, 1. Tr. 12, 2 u. 3. 13, 3. R. 8, 3. Phld. 5, 1. 8, 2. 10, 1. Sm. 4, 1.
11. Pol. 7, 1). Im täglichen Verkehre gilt es, Geduld zu haben
(Pol. 6, 2), nichts gegen den Nächsten zu haben (Pol. 8, 2), lauter
und einfältig zu sein (M. 15. Tr. 1, 1. R. inscr.) und nicht hoch-
oder übermütig (M. 12. Tr. 4, 1. 7, 1. 6,2). Als zu Werken der
Liebe mahnt er zur Gastfreundlichkeit (R. 9, 1. Sm. 10, 2) und zur
Fürsorge für Witwen, Waisen, Betrübte^ Gebundene und Befreite,
Hungernde und Dürstende (Sm. 6, 2). Das sind gelegentliche Bei-
spiele der ndvxa aXXa, welche nach Eph. 14 von selbst im Ge-
folge von Glauben und Liebe sich einstellen.
2. Die Motive des christlichen Handelns.
Diesem Wege des Lebens und des Glaubens steht aber scharf
der andere des Todes und des Unglaubens gegenüber, eine Gegen-
überstellung, wie sie uns ja in dem Buche von den beiden
Wegen J16. 1 — 6. Barn. 17 — 20 vorliegt. Eigentümlich ist dem
Ign. die an Johannes erinnernde prinzipielle Schärfe der Tren-
nung beider „Charaktere". Es steht bei dem freien Entschlüsse
(av&aigercog) des Menschen, ob er auf Christi Leiden hin dem
Alten absterben will, sodass dann Christi Leben in ihm ist (M. 5, 2).
Für die Wahl des Lebensweges sind aber zwei Motive denkbar:
die Furcht vor dem Gerichtszorne und die Liebe zur gegenwär-
tigen Gnade. Beide lässt Ign. gelten, wenn nur das Ziel ev *Irj6.
Xq. svged-TJvai elg xo alrftivov C,?jv erreicht wird (Eph. 11). Zur
gerechten Beurteilung der Zulassung auch des unterwertigen
Furchtmotivs kann uns aber nur eine Untersuchung darüber
führen, welche Motive für das christliche Handeln der Bischof
selbst bei seinen Ermahnungen geltend macht. Auch unter den
48 v« d» Goltz, Ignatius.
Beweggründen, welche als Liebe zur kvsörcoöa XGQCS bezeichnet
werden, sind solche möglich, welche vor allem den zukünftigen
Lohn des Lebens und der Gottesgemeinschaft im Auge haben
und als eudämonistische mehr oder weniger mit den Furchtmo-
tiven verwandt sind, und solche, welche aus der inneren Gebun-
denheit an Gott und Christus ihren Ursprung haben, sich aber
einem äusseren Gesetztum nähern können. Mit der Betrachtung
der letzteren wollen wir beginnen.
a) Die innerliche Gebundenheit an Gott.
Die Gebundenheit des christlichen Handelns an Gott kommt
zunächst darin zum Ausdrucke, dass vor Gottes Auge nichts ver-
borgen ist, also alles in dem Bewusstsein seiner heiligen Allge-
genwart geschehen soll (M. 5, 2). Wichtiger noch ist, dass wir
vollkommen sein sollen, wie unser Vater im Himmel vollkommen
ist. Dieser Gedanke der Bergpredigt findet sich der Sache nach
bei Ign. mehrfach wieder, so in der Mahnung, alles xarä freov zu
thun (Eph. 2, 1. 8, 1. M. 3, 2. Phld. 4) und (iiftrjTal &eov zu sein
(Eph. 1. Tr. 1), am deutlichsten aber in der Wendung xaza 6fio-
i'j&stav &sov (Pol. 1, 3) oder ofiorj&eiav &eov Xaßovrsg (M. 6,2)*).
Ist das rj&og Gottes selbst unser Massstab, so ist dies auch ein
starkes Motiv, 0X01 opzsg d-eov (Eph. 8, 1) im ganzen Handeln zu
bleiben. Diese Motive sind ja nichts anderes als die Anknüpfung
an die Grundthatsachen, dass alle Gläubigen Gott haben, in ihm
sind, ihn allein lieben (Eph. 9, 2) und alles thun, um ihm zu ge-
fallen (R. 2, 1), und Bausteine seines Tempels, in dem er wohnen
will, zu bleiben (Eph. 9, 1). In dem schönen Worte: XQtoxiavbq
eavrov kgovöiav ovx lxel <*XXä &e<fi öxoka&t (Pol. 7, 3) fasst sich
diese volle Zugehörigkeit zu Gott zusammen. So ist auch ein
christliches Werk ebenso gut als eine That Gottes, wie als eine
That der Christen, aufzufassen (Pol. 7, 3). An diesem Worte wird
deutlich, wie die ignatianische Art, das Göttliche und Ewige im
Menschen wiederzufinden, ohne eine Beeinträchtigung der Trans-
scendenz und Lebendigkeit Gottes, auch hier im christlichen Leben
und Handeln sich geltend macht. Das wechselseitige „Gott in
uns" (Eph. 15, 3. M. 14, 1) und „wir in Ihm" ist das Grundmotiv,
1) Vgl. auch: imslxsta 9eov Z,wvioq (Phld. 1).
IV. Das christliche Leben in Glauben und Liebe. 49
b) Die innerliche Gebundenheit an Christus.
Da nun aber Gott nur in Christo ist, Glaube und Liebe zu
Gott immer zugleich auf Christum gerichtet sind, so drückt sich
dieselbe Thatsache auch aus in einer Gebundenheit an Christus
in der Liebe zu ihm. Das xaxa &$bv Cfiv ist ein xaxa 'Irjoovv
Xqiöxov £ijp (Tr. 2, 1); Gott wohnt in uns, sofern Christus in uns
wohnt (Eph> 15, s) und die Liebe Jesu Christi ist die Grundlage
jeder öiaxovia (Phld. 1, 1) und aller Dinge, die nach Gottes Willen
in der Gemeinde geschehen (R. iscr.). So ist Jesus Christus noch
jetzt das lebendige Prinzip christlichen Handelns, welcher in dem
Gläubigen als eine lebendige Kraft wirkt (Sm. 4) und deshalb
auch mit dem heiligen Geiste identifiziert werden kann (M. 15) *)•
o) Das Vorbild Christi.
Da nun aber, wie wir oben feststellten, Jesus Christus dem
Ign. zunächst immer der geschichtliche Jesus ist, so wird auch
eine Beziehung des christlichen Lebens auf sein Vorbild zu er-
warten sein. Im Verhältnisse zu dem kleinen Umfange der Briefe
und ihrer mehr gegen Irrlehre und Unfrieden gerichteten als all-
gemein-ethisch- paränetischen Tendenz, bestätigt sich diese Er-
wartung in überraschend reichem Masse. Der Bischof ermahnt
seine Leser, fiifirjral 'Itjoov Xqiotgv zu werden, so wie er es
zum Vater war. Gerade dies Verhältnis Jesu zu seinem Vater ist
ihm ein Gleichnis für die kindlich-gehorsame Stellung die er sei-
nen Gemeinden zu ihrem Bischöfe wünscht (Eph. 3,2. M. 7, 1. 13,2.
Sm. 8, 1). Aber auch der Bischof selbst soll mit seiner Gemeinde
Geduld haben, wie der Herr mit ihm Geduld hat (Pol. 1,2). Auch
Ign. freut sich in dem Gedanken, ein Nachfolger des Leidens
„seines Gottes" zu werden (R. 6, 3). Am lebensvollsten sind aber
die Beispiele Eph. 10 und 15. An erster Stelle ermahnt er seine
Christen zur Sanftmut gegen Zornige, zur Demut gegen Gross-
sprecherei, zum Gebet als Erwiderung auf Lästerung, zur Glau-
bensfestigkeit gegen Verführung, zur Stille und Ruhe (fifispop)
gegenüber dem Toben der Feinde und warnt davor, sich ihnen
gleichzumachen durch ähnliche Erwiderungen ihrer Bosheiten, vor
allem aber sollten sie suchen, ftifirjzal xvqlov zu werden. Wem
1) xexTTjfisvoi ddtdxgizov nvsvfia, 0$ iaztv 'It^o. Xq.
Texte n. Untersuchungen XII, 3. 4
50 *• d. Goltz, Ignatius.
sei mehr Unrecht geschehen, wer mehr beraubt und in seinem
guten Rechte völlig beeinträchtigt worden?1) Den Schluss aus
der selbstverständlichen Antwort überlässt er wirkungsvoll den
Lesern, nachdem er ihnen eine ganze Reihe von Bildern, zumal
aus der Leidensgeschichte, mit drei Worten ins Gedächtnis ge-
rufen. — Eph. 15 hält er den Lehrern das Beispiel des einen
grossen Lehrers vor, dessen Worten auch sofort die That folgte,
um daran zu erinnern, dass das Lehren nur helfe, wenn der Leh-
rer selbst nach seiner Lehre handle. Selbst das, was Jesus schwei-
gend that, war würdig seines Vaters. Wer sein Wort in Wahr-
heit zum eigenen Besitze gemacht habe, der könne auch aus der
rjövxla des Herrn heraus sein Wort verstehen und dann gleich-
wie der Herr selbst riXsiog sein, indem er wie jener handle, durch
das, was er rede, und doch auch in dem, wo er schweige, als
christlicher Charakter erkannt werden. Diese Stellen verraten uns
ein so innerliches tiefes Verständnis und Interesse für die Per-
sönlichkeit des Herrn, wie wir sie nur in den Evangelien, zumal
bei Johannes, finden, während uns selbst Paulus hier wenig merken
lässt. Zumal die anderen apostolischen Väter bleiben, was selb-
ständige Würdigung der Person Jesu anbetrifft, bei der Schätzung
des grossen Lehrers stehen, der, vom Himmel gekommen, bisher
unbekannte göttliche Geheimnisse mitzuteilen hat Auch auf diesen
weist Ign. hin mit der Ermahnung, auf niemanden sonst zu hören
(Eph. 6, 2. M. 9, 2). Aber als Vorbild und Anregung für das christ-
liche Leben stellt er des Herrn ganze Person hin und die Mah-
nung, xaxa xQiöTOftad-iav zu handeln (Phld 8, 2), hat bei ihm
einen reichen Inhalt. Ist es doch auch ein Zug der himmlischen
Vollendung, welche der Märtyrer erwartet, ein rechter [ia{h]T'i]q
'lrjö. Xq. zu werden (Eph. 1, 2. M. 9, 2. R. 4, 2. 5, 3. Pol. 3, 2), ein
Ideal, welches hier anfangen soll sich zu verwirklichen (M. 10, 1.
Tr. 2, s. Eph. 3, 1).
d) Dankbarkeit gegen Christus.
Damit sind aber die Motive für christliches Leben, die sich
an die Beziehung zu Jesus Christus knüpfen, noch nicht erschöpft.
Auch die Dankbarkeit gegen Christus treibt an, gegen seine
Freundlichkeit nicht unempfindlich zu sein, sondern seine Schüler
1) xig n?Jov dötxTj&tlg, zig dnooTiiQTjfalg, xig d9EZ7]&eig.
IV. Das christliche Leben in Glauben und Liebe. 51
zu werden (M. 10, 1). Zumal die Wechsel wendung: „Seit zu anderen
oder zu ihm, wie der Herr zu euch", schliesst diesen echt christ-
lichen Gedanken ein, so Eph. 2, 2: xara navra xqojiov öogä-
£eiv 'ItjOovv Xqiötov xov öo^aoavra vpäg cf. Sm. 1, 1 und
Eph. 15, 3.
e) Ehre Gottes and des christlichen Namens.
Viel häufiger aber ist die Rücksicht auf die Ehre und den
Ruhm Gottes und Christi (Eph. 21, 1. M. 3, 2. 15. Tr. 12, 2. R. 10,2.
Sm. 11, 2. Phld. 10, 2. PoL 4, 3. 5, 2. 7, 2), und einen besonders
wichtigen Inhalt bekommt diese Rücksicht durch die Beziehung
auf die Ehre des göttlichen Namens vor der Aussenwelt, die
Verantwortung hierfür und die Pflicht, durch einen christlichen
Lebenswandel nicht nur kein Ärgernis zu geben (Tr. 2, 3. 3, 2. 8, 2),
sondern die Predigt des Evangeliums zu unterstützen (Eph. 10, 1).
Wie das Leben der Gemeinde in Friede und Eintracht ein har-
monisches Lied sein soll, welches Jesus Christus darstellt (Eph. 4),
so hofft der Märtyrer, der seine Fesseln um Christi willen trägt
(Tr. 12, 2), ein Wort Gottes zu werden (R. 2, 1), welches der Welt
besser als alle vergeblichen Überredungsversuche die eigentliche
Grösse des Christentums offenbart1).
Alle diese Motive für christliches Handeln sind durchaus
innerliche Gebundenheit, welche aus der Natur von Glauben und
Liebe in ihrer persönlichen Beziehung zu Gott und Christus von
selbst folgen. Es ist eine Durchdringung des menschlichen Lebens
durch Gott, welche Pneumatisches und Sarkisches in sich begreift,
eine Heiligung xaxa jtdvra (Eph. 2, 2), ein eÖQaö&ai Jtlorei xcu
äyany caQxtxf] re xal jtvevftaTixfj (Sm. 13, 2). Der Zusammen-
hang mit der Wurzel, der Person Christi selbst, ist durchaus
festgehalten, und das ganze Leben nur die Anwendung des hier
ruhenden Prinzips. Da alles dies aber bei Ign. mehr Leben als
Theorie ist, und dieser Zusammenhang von uns beobachtet wird,
ohne dass vielleicht dem Bischöfe selbst dies als Vorzug bewusst
war, so bleibt die Möglichkeit offen, dass an diesem oder jenem
Punkte das sonst herrschende Prinzip durchbrochen ist.
1) R. 3, 3: ov nstafAOvfjg xo egyov äXXä fisyt&ovq iarlv 6 Xqioti-
aviGßos, otav fxiai'xat vnb xoafxov.
4*
52 v- d. Goltz, Ignatius.
f ) Gebote Christi und der Apostel.
Hierfür bietet in erster Linie die Würdigung Christi als des
einzigen Lehrers Gelegenheit, sobald nämlich seine Lehre und
seine Gebote als Gesetz, das in sich selbst seinen Wert hat, von
aussen fordernd sich geltend machen. Diese „Legalisierung"
macht sich bei Hermas und 2. Clem. schon recht bemerklich l)
und hat dann in der katholischen Kirche bestandig an Geltung
zugenommen. Basselbe ist nun auch dem Ignatius vorgeworfen
worden2). Es ist ja nun zweifellos, dass Ign. Gebote und An-
ordnungen Christi und der Apostel kennt und diese hoch respek-
tiert Damit sind sie aber noch kein äusserliches Gesetz, sondern,
wie es bei Barn. 2, 6 heisst, ein xcuvog vofioq avsv £vyov avayxriq.
Um der ganzen übrigen innerlichen Auffassung des Bischofs zum
Trotze ihm eine christliche Gesetzlichkeit, eine „realistische Modi-
fizierung des paulinischen Idealismus" (Pfleiderer) zuzumuten,
müssten sehr deutliche Beweise vorhanden sein. M. 13, i sagt
mit aller wünschenswerten Klarheit, dass es sich um ein ßeßacco-
&7Jvai iv rotg'Soy/iajSi xov xvqIov xal xwv dstootoXcov handelt,
und zwar nur zu dem einen Zwecke, dass alles in Glaube und
Liebe, ausserlich und innerlich in Ordnung geschehe in Sohn,
Vater und Geist, am Anfange und am Ende. Gerade diese Stelle
ist wertvoll, weil sie uns zeigt, wie der Gehorsam gegen öoyfiaxa
Christi und der Apostel den christlichen Grundprinzipien unter-
geordnet ist. Tr. 7, i lehrt uns genau dasselbe, dadurch, dass die
Untrennbarkeit von Gott oder Christus dem Gehorsam gegen
Bischof und Apostel vorangestellt ist Was es mit letzterem für
eine Bewandtnis hat, wird uns das nächste Kapitel lehren. Das
Bild Phld. 7 CvvevQV&ftiöxai (sc. d. Bischof) xaTg kvxoXalg dg
XOQÖaTg xifraga deutet doch wahrlich gerade auf eine innere
Harmonie, nicht auf einen gesetzlichen Gehorsam. Den Worten:
xaxä navxa x&coofirjfiivoi kv rätg hvxoXalg 'iqoov XqiOxov
(Eph. 9) gehen unmittelbar gerade die das innere Ineinander
charakterisierenden Beiworte: &eoq>6QOi xal vao<poQoi, xqigxo-
yoQoi, ayioqtOQOi voraus, während das xa&y oXov ßlov ovöiv
1) Cf. Herrn. Schluss aller Mand. u.Sim. I, 5. II, 5. V. VI, 1, l. VIII, 3, 2
2.C1.8,4.
2) Bei Hilgenfeld, Apost. Vät S. 250 u. 251. Pfleiderer, Pauli-
nism. S. 487.
IV. Das christliche Leben in Glauben und Liebe. 53
dyajtäxe el fit/ uovov xop freov nachfolgt Durch diesen Zusam-
menhang ist der so wie so harmlose Ausdruck vor jeder Verdächti-
gung auf kirchliche Gesetzlichkeit geschützt Ausdrücke wie xqloxo-
vofioq (Rom. iscr.), vofioq Xq. 'Itjoov (M. 2) beweisen für letztere so
wenig, wie pofioq xioxtcoq PI. Rom. 2, 27, poßoq xov xveufiazog PI.
Rom. 8, 2, vopoq xov Xqioxov GaL6, 2, Ippopoq Xqioxov 1. Cor. 9, 21,
sind vielmehr wahrscheinlich aus letztgenannter Stelle entlehnt Das
vjtoxaooeo&cu xclqixi wäre so gut paulinisch wie die vjtoxayTJ xr\q
ofioloylaq vfioZp 2. Cor. 9, 13. Vollends spricht der Singular „tf'kv-
xolfj" ohne nähere Bezeichnung (Tr. 13. Sm. 8) !) nicht für eine
kirchliche Gesetzlichkeit, sondern für ein inneres Grundgesetz. Dass
die einmalige Erwähnung des Gesetzes Mosis nichts bedeutet, er-
giebt der Sinn und Zusammenhang von Sm. 5, 1. Darüber, wie
über die positive Bedeutung der Autorität von Bischöfen und
Aposteln im nächsten Kapitel. Hier ist nur schon zu konstatieren,
dass der Gehorsam gegen sie der Gesamtbeziehung zu Christus
untergeordnet ist, und von einer äusseren kirchlichen Gesetzlich-
keit nicht die Rede sein kann. Zuzugeben ist nur, dass gemäss
der reiferen Entwicklung* des Christentums überhaupt und in-
folge des zeitlichen Abstandes von Christo selbst, die doy/iaxa
xvqIov xcu xo5p ajtooxbXmp in konkreter Vereinzelung sich mehr
als früher geltend machten. Um so wertvoller ist es festzustellen,
dass Ignatius der hierin liegenden Gefahr nicht unterlegen ist, was
nur aus der Kraft mit der er alles auf Jesum Christum bezog,
erklärt werden kann.
g) Aaketisohe Motive.
Viel näher liegt dem Bischöfe eine andere Gefahr. Haben wir
durchweg beobachten können, dass sein eigentliches Interesse am
Göttlichen, Ewigen, Pneumatischen haftet, während das Sarkische
nur Träger, paoq, und geschichtlich-irdische Daseins- und Ausse-
rungsform des Himmlischen ist, so lag es dem exzentrischen, der
jtQaoxTjg ermangelnden Charakter des sehnsuchtsvoll auf den Ein-
gang in das Himmlische gespannten Märtyrers nahe, in der Unter-
schätzung der ooq§ da, wo er sie aus apologetischen Gründen zu
betonen nicht gezwungen war, so weit zu gehen, dass er in ihr
1) Dies ist allerdings eine spätere, nachapostolische Wendung. Cf. Joh.
hrcoXii xaivrj, Past-Br. u. 2. Petr.
54 v. d. Goltz, Ignatiue.
selbst etwas Entheiligendes, zu Verabscheuendes sah. Das lag
ihm um so näher, als er kein inneres psychologisches Verständnis
für die Sünde hatte und daher geneigt war, die erlösungsbedürf-
tige Un Vollkommenheit des Menschen allein in der Vergänglich-
keit und Materialität der Oüq§ zu finden; denn dann musste der
Gedanke der völligen Einigung mit ihrem Gegenteile, dem Un-
vergänglichen, Überzeitlichen, Ewigen naturgemäss zu einer
Trennung und Ausscheidung von der oclq§ führen. In der
Christologie hat ihn die Überlieferung und das antidoketische
Interesse zum Gegenteil geführt und dies mit Recht, insofern
als er die paulinische Unterscheidung von Cafza und öapg nicht
kennt und ihm öapg mit der somatischen Erscheinungsform des
Ewigen identisch ist. Aber der Satz ovölv <patv6{tevoi> dya&ov
gilt doch selbst für Christus, denn das Wesen Christi wurde erst
recht offenbar, seitdem er nicht mehr für die Welt sichtbar war.
Also war die nicht mehr sichtbare öaQg eine höhere als seine
sichtbare. In der christlichen Lebensauffassung hat jener Satz
etwas viel Gefährlicheres, indem er die Askese und die Enthal-
tung von dem Sarkischen an sich zum' Selbstzweck machen kann.
Dies würde thatsächlich die Einfuhrung eines ausserchristlichen
Motivs und eine äusserliche Nebeneinanderstellung von Göttlichem
und Menschlichem bedeuten im Gegensatze zu der gleichmässigen
Durchdringung des Lebens in allen Teilen durch die Beziehung
auf Gott und Christus, die wir sonst bei ihm gefunden haben.
Am stärksten spricht sich die Verachtung der Welt und der vXtj
im Römerbriefe aus, wo der Blick des Märtyrers ganz auf das
Jenseits gerichtet ist und das irdische Leben abgeschlossen hinter
ihm liegt. Er hofft, dass die Tiere sein Ccofia ganz verzehren,
so dass davon nichts mehr sichtbar bleibt. Nichts mehr von den
rsQjtvä ton xoöftov und den rjöoval xov ßlov tovrov (R. 5. 6).
Seine Weltliebe ist gekreuzigt, und es brennt kein sivq q*iXovXov
mehr in ihm, sondern nur die lebendige Geistesstimme ruft: ösvgo
xqÖq xbv stariQa. Wenn die Römer ihn auf diesem Wege auf-
halten durch schützendes Eintreten für sein Leben, so ist das ein
Widerspruch gegen ihr Bekenntnis zu Christo und bedeutet ein
xoOfiov kmfrvuelv. Diese Äusserungen sind zwar etwas exzen-
trisch, aber begreifen sich in jener Situation sehr wohl, ohne dass
man eine mönchische, weltfeindliche Lebensauffassung dahinter
vermuten müsste. — Ganz anders spricht der Bischof da, wo er
IV. Das christliche Leben in Glauben und Liebe. 55
an den noch im Leben stehenden Polycarp seine Mahnungen
richtet: <pgovtpog ytvov olg oqpig kv djtaöiv xal dxegaiog elg
del dg r\ negiöxegd (vgl. Mt. 10, iö). öid xovxo öagxixog el xal
jrvevfiaxtxdc, Iva xa (paivb{Levd öov elg jzgoocojiov xoXaxevyg'
xa de dogaxa aixei, ha öoi giavegco&jj, oxcog (irjöevog Xeljrfl xal
navxbg xaglofiaxog jtegiooevyg (Pol. 2, 2). Er soll also das Irdische
und Sarkische nach Kräften benutzen, das Himmlische sich aber von
oben erbitten, um so recht vielseitige ^ap/tf/zat a zu beweisen und
in sich die Einheit von Sarkischem und Pneumatischem darzu-
stellen. Dass hier der ignatianische Grundgedanke der Erfassung
des Göttlichen und Pneumatischen gerade im Sarkischen in seiner
Anwendung auf die Ethik hervortritt, wird ganz deutlich Eph. 8
in dem Satze: a 6h xal xaxa ödgxa jtgdööexe, xavxa jcvevfiaxixd
höx iv. kv yl7jöov ydg Xgioxm jtdvxa jtgdooexe.
Dieser echt evangelische Grundsatz ist bei Ign. durchaus
aufrecht erhalten. Nur was seine Stellung zur Ehe betrifft, kann
man zunächst zweifelhaft sein. Bei der ganzen Haltung der
späteren griechischen Frömmigkeit, deren Grundanschauung doch
bei Ign. schon hervortritt, ist es naheliegend, auch bei ihm eine
Bevorzugung der Virginität und Herabsetzung der Ehe zu ver-
muten. Und in der That ist das 5. Kapitel des Briefes an Polycarp
vielfach so verstanden worden. Es heisst dort: xalg döeX<palg
fiov xgoöXaXei ayanäv xov xvgiov xal xolg övfißloig dgxelo&ai
oagxl xal jtvev/xaxi. oftoimg xal xolg döeX<polg pov jtagdyyeXe kv
ovofiaxi 'Itjöov Xgiaxov dyanav xovg ovfißlovg wg 6 xvgiog xrjv
LxxXrjolav. El xig övvaxai kv dyvela fxeveiv elg xtfirjv xrjg
oagxbg xov xvgiov kv dxavxrjola fievexco. käv xavx^orjxai djem-
Xexo' xal kdv yvcoc&g jiXiov xov kütioxbnov, lq>&agxai. jcgenei
de xolg yafiovd xal xalg yafiovfievaig fiexä yvmfirjg xov kjuöxo-
jcov xrjv %vcoöiv Jtoielod-ai, Iva 6 ydfiog i] xaxd xvgiov xal fir)
xax* km&vfiiav Jidvxa elg xifir)v &eov yiveö&a). Zuerst also
ermahnt der Bischof die Eheleute, sich innerlich und äusserlich
treu zu bleiben, an einander genug zu haben und sich zu lieben
wie der Herr die Kirche liebt. Damit ist der Ehestand als christ-
lich anerkannt, durch christliche Ermahnung geschützt und durch
den Vergleich mit der Liebe des Herrn zur Kirche geehrt und
geweiht. Doch spricht so auch noch heute die katholische Kirche
und hält trotzdem den Cölibat für etwas Gottseligeres. Sieht
man nun die folgenden Worte an, so liegt es zuerst nahe, in dem
56 v- d. Goltz, Ignatius.
Ausdruck Jkv *yvuq pivuv elg rifirjv xrjg GaQxog xov xvqIov"
eine Empfehlung der Virginität zu finden. Der Bisehof wünscht
jedenfalls, dass diejenigen, welche ehelos bleiben, dies zur Ehre
des Fleisches des Herrn thun. Da nun Ign. das Ziel des Christen
als eine tvcooig oaQxtxrj xal jtvev/iaxix?), als ein xQaO-ijvai xjj
öagxl xal xm Jtvevfiaxc auffasst, so lag es für ihn nahe, das
Reinbleiben von ehelicher Gemeinschaft für ein zur Ehre des
Fleisches des Herrn geschehendes zu betrachten, und von dieser
mystischen Seite aus werden doch die Worte verstanden werden
müssen. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass Ign. die Virgi-
nität absolut für den höheren Stand hält. Im Zusammenhang
des ganzen Kapitels sind beide Stände gleich berechtigt neben-
einander gestellt und unterstehen miteinander ohne Unterschied
dem abschliessenden Grundsatz jtavxa elg zip?)v &eov yiviöfrco.
In dem Satz ei xig övvaxai . . . hf dxavfflöLa fievttco liegt der
Ton auf dem li> äxavxrjoia. Dies setzt voraus, dass in der
Gemeinde die Gefahr vorlag1), dass die ehelos Bleibenden sich
als besonders heilig betrachteten. Dem tritt aber Ign. scharf
mit dem iv axavxrjöla entgegen. Er hält also jedes Hervor-
heben und Rühmen der Ehelosigkeit, jeden Anspruch auf höhere
Autorität oder Heiligkeit, der daran geknüpft werden konnte,
für Sünde und in sich nichtige Überhebung. Es ist also nicht
richtig, dass er, wie Zahn (Ign. v. A. S. 337) behauptet, die
katholische Auffassung teile. Er bleibt dem Grundsatz Eph. S
auch hier durchaus treu. Nur soviel wird doch wohl von der
anderen Auslegung festzuhalten sein, dass in der Motivierung
für die Zulassung der ayvda als einer zur Ehre des Fleisches
des Herrn dienenden Tugend eine mystisch-naturhafte Anschau-
ung verborgen liegt, welche, sobald das jtavxa elg xifirjv
&60V yivio&a)' vergessen ist, unmittelbar in die der griechi-
schen Kirche übergeht. Der freie Geist der evangelischen Auf-
fassung ist bei Ign. noch massgebend, die Form bereitet aber
die Verweltlichung und die Erstarrung zur Regel, zum Ge-
setz, zum ethischen Dualismus schon vor. Eine wirkliche Aus-
nahme aber davon, dass die ganze christliche Lebensauffassung
des Bischofs eine innerlich an Gott und Christus allein gebundene
1) Vgl. Harnack, D. Gesch. I« S. 200 Anm. 3. I» S. 226
Anm. 2.
IV. Das christliche Leben in Glauben und Liebe. 57
ist, aus welcher in Glaube und Liebe alle Pflichten des Lebens
sich frei ableiten, haben wir auch hier nicht, mithin nirgends
gefunden ').
h) Die Hoffnung auf Vergeltung.
Neben der Auffassung des christlichen Lebens als Bethätigung
der geschlossenen Lebensgemeinschaft mit Christo und Folge der
Gebundenheit an sie, kennt aber Ign. auch die andere Betrach-
tungsweise, welche nach vorwärts blickt auf das zukünftige Heils-
gut, den Siegerpreis eines bis zum Ende bewährten Kampfes
(PoL 2 und 3). Bereits die Untersuchung des vorigen Kapitels
ergab uns, dass das Heilsgut als ewiges Leben sogar vorwiegend
als zukünftiges betrachtet wird. Der Mittelpunkt der Betrachtung
ist auch hier Jesus Christus als r\ xoivrj hXriiq q/idiv (Eph. 1, 2,
21, 2, M. 11, 2, Tr. iscr. 2, 2, Phld. 5, 2, 11, 2) und die christliche
Tugend, die dem entspricht, ist die vjtofiovrj (Eph. 3, 1, Tr. 1, 1,
Sm. 12, 2, R. 10, 3, PoL 3, 1, 6, 2). Es kommt nun hierbei darauf
an, ob die Beziehung auf die künftige Gottesgemeinschaft das
allein herrschende Motiv ist, und ob diese als natürliche Frucht
des Lebens in Glauben und Liebe erscheint, oder ob etwa in rein
eudämonistischer Weise das ewige Leben als Lohn und Motiv für
gute Werke behandelt wird. Wirklich katholisch wäre dies nur
dann, wenn von einem menschlichen Verdienen des Himmels die
Rede wäre. Pol. 6, 2 kommt hier vor allem in Frage. Hier ist
das christliche Leben in dem auch paulinischen Bilde eines Feld-
zuges aufgefasst, und Ign. 'ermahnt, dem zu gefallen, der den Sold
austeilen werde. Taufe, Glaube, Liebe und Geduld sind die Schutz-
waffen des Christen. Die guten Werke aber werden als das Lohn-
guthaben bei Gott angeschrieben, wie von Geldgeschenken an
die Soldaten die Hälfte von der Kohorte verwaltet und am Schlüsse
des Feldzuges erst ausbezahlt wurde. Diese Auszahlung war dann
die der Tapferkeit des Soldaten angemessene Belohnung, während
bis dahin der Soldat durch sein eigenes Interesse mehr an die
1) Vgl. dagegen die mannigfachen Ansätze zu einer, von ihrem Zwecke
losgelösten , in sich selbst den Wert suchenden, Askese bei Past. Herrn. : d.
iyxQazeia u. Sim. V, 7, 1. Mand. IV, 4, 2: ovx ä/nagzdvei yijoiv (seil 0 yafiaiv)
iav & i<p* tavzov fulvy u<; (d. h. ehelos) negiaoorigav kavz<ä xifirjv xal
f/eydXijv öot-av tisqitioiutcu npog xov xvgiov. Cf. Vis. III, 8, 8. 4. Mand. VI, 1.
2. Clem. 5,5. 8, 4. 9, 8 auch 1. Cl. 35, 1: tyxQrhtta h ayiaofiüi und 38, 9.
58 ▼• d. Goltz, Ignatius.
Fahne gefesselt war. Dass diese Stelle auf eine katholische Ver-
geltungstheorie ausgedeutet werden kann, ist nicht zu leugnen;
ebensogut ist sie aber auch bei einer evangelischen Auffassung
des Lohnverhältnisses zu erklären, zumal hier nicht von einzelnen
guten Werken, sondern von ihrer Gesamtheit die Rede ist. Von
einem Schatz im Himmel (Mt. 19, 21) wird auch von Jesus ge-
sprochen, und der Gedanke, dass Gott denen, die Gutes thun wollen,
bereit ist, es zu vergelten (Sm. 11), ist an sich durchaus unbe-
denklich, zumal der Bischof Sm. 12 die Gnade als die Vergelterin
nennt. Wenn Eph. 4, 2 sie den Herrn bitten sollen, sich ihrer anzu-
nehmen, 61 a>v ei) jtQaooerSy so setzt das schon keinen Rechtsan-
spruch voraus, und der Zusatz „piXt} ovxaq rov vlov avrov" knüpft
alles wieder an die Hauptsache, die wesentliche Gemeinschaft mit
Christo, an. Lediglich durch Erinnerung an das Ziel der Gottes-
gemeinschaft wollen M. 1, 3. 3, 2. 9, 2 wirken. Nur R. 2, 1 klingt
etwas katholisierend: eäv ökoji^ctjts^ xqüttovi %Qy(p exere ijti-
YQaprjvai, aber auch kaum mehr als manche synoptische Sprüche.
Am reinsten und edelsten aber, und von jeder Verdächtigung frei
sind die Worte, in denen Ign. der Gemeinde wünscht, dass Gott
ihnen das vergelten möge, was sie an ihm gethan. (Sm. 9, 2. 11, s.
12, 1, Ph. 11, 1), und ebenso unbedenklich ist die Mahnung: vjco-
fiiveiv Jj(iäq öel, Iva xal avroq r^iäq vnofietvy Pol. 3, 1; ähnlich
R. 8, 1. Hier schliesst die Beziehung auf Christus jedes selbst-
süchtige Motiv aus.
i) Die Furcht vor Strafe.
Etwas geringer an Wert ist die Warnung, sich das Heils-
gut nicht entgehen zu lassen und nicht zu spät zu kommen, wenn
dieselbe auch durchaus christlich zulässig und praktisch ist. Sie
hat natürlich zumal bei der Abmahnung vor den Irrlehrern ihren
Platz (Eph. 5,2. 17, 1. M. 5,«. Tr. 2, 1. Phld. 3, s). Noch viel
menschlicher ist das Drohen mit dem Gerichte und der Strafe,
so wenig es auch bei der Erziehung zum Christentume entbehr-
lich ist, wie es denn ja auch der Herr zuweilen benutzt. Geist-
liche Tiefe und Einfachheit wird aber möglichst wenig damit
operieren. Ign. warnt Eph. 16, 2 vor dem unauslöschlichen Feuer
und droht Sm. 2 den Doketen mit einem leiblosen dämonischen
Dasein. Dazu erinnert er Sm. 6, 1 und Phild. 6, 3 an den Ernst
des Gerichtes. Das sind aber die einzigen Stellen. Bei der Fülle
V. Christus und die Gemeinde. 59
der anderen Motive ist das trotz der Kürze unserer Briefe ein
auffallender Umstand, und wir sehen, daß der Bischof selbst auf
dem Wege des Lebens bleibt aus Liebe zur ipsorcöocc #«(>*§, nicht
aber aus Furcht vor der OQyi) fiiXXovöa (Eph. 1 1), wenn er auch
in seiner von jeder Schablone entfernten Freiheit diesen Weg
anerkennt, es sei denn, dass er nur zu dem Iv Y^o. Xq. evQe&rj-
vai fuhrt. Wer die christliche Innerlichkeit der ignatianischen
Anschauung, die ja allerdings uns nirgends als theologische Theorie,
aber doch als einheitliche und bestimmte Lebensauffassung gegen-
übertritt, recht empfinden will, vergleiche auch hier die anderen
apostolischen Väter, die nicht nur die Aussicht auf den zukünf-
tigen Lohn und die Furcht ziemlich einseitig hervortreten lassen *),
sondern zum Teil schon sogar überverdienstliche Werke kennen2).
Nur das eine Moment haben wir bisher übersehen: die meisten
Mahnungen des Ignatius sind an Gemeinden, nicht an Einzelne
gerichtet, und auch sein Ideal eines Lebens in Glauben und Liebe
und einer evcooig &eov occqxixtj xal jtvevfiaTix?] gilt zuerst der
ganzen Gemeinde. Gerade von hier aus können auch noch Ein-
flüsse kommen, welche die innerliche Einheit seiner Lebensauf-
fassung in ihrer alleinigen Beziehung auf Gott in Christo und die
Gemeinschaft mit ihm stören. Ob und inwieweit dies der Fall
ist, soll der nun folgende Abschnitt zeigen.
T. Christas und die Gemeinde.
Was den ignatianischen Briefen ihr eigentümliches Gepräge
giebt, ist ausser ihrem christocentrischen Charakter ihre Anschau-
ung von der einen christlichen Kirche. Dieselbe ist im Zusam-
menhange mit der Echtheitsfrage seit langem vielseitig besprochen
worden, und man darf es wohl als jetzt ziemlich allgemein an-
erkanntes Resultat bezeichnen, dass die Hervorhebung und Hoch-
schätzung des Bischofamtes nicht eigentlicher Selbstzweck der
1) Lohn: Pol. Phil. 5, 10. Barn. 19, 10. 20, 2. 21. 8. 2. Clem. 11, 6 16, 4.
17, 4—6. 18. Herrn. Sim. II, 5. Furcht: 2. Clem. 18. Barn. 2, 2. 1. Clem. 2, 8:
21,8: nmq 0 <poßoq avrov xaXoq xal ftiyaq xal awt.cav navxaq xovq iv
avtät oaitoq dvaorpsipo/ulvovq iv xa&agä öiavola ; cf. 18, 1. Herrn.
Mand. VI, 1, 1. XII, 3, 1.
2) Herrn. Mand. IV, 4. 2. Vis. V, 5, 8.
60 v- d. Goltz, Ignatius.
Briefe ist, sondern nur das für die kleinasiatischen Verhältnisse
geschichtlich vorbereitete und sichere Mittel, die Einheit der Ge-
meinden zu schützen und ihre Auflösung in Konventikel, Sekten
und häretische Sonderbildungen zu verhüten, ein Bestreben, dessen
Anfänge wir für dieselben Gegenden im kanonischen Epheser-
briefe, in den Johannesbriefen, den Sendschreiben der Apokalypse
und den Pastoralbriefen beobachten können. Hier von neuem den
Beweis anzutreten, dass der Episkopalismus des Ignatius diesem
Gedanken der Einheit der Gemeinde untergeordnet ist und mit
hierarchischen Tendenzen — der Absicht nach — nichts zu thun
hat, würde Zeitverschwendung sein, und wir verweisen einfach
auf die Ausführungen von Rothe1), Dorner2), Zahn3), Light-
foot4), und besonders Reville5). Auch müssen wir, um nicht
in weitläufige, von unserm Thema abführende Auseinandersetzungen
zu geraten, die ganze historisch-archäologische Seite der Sache
von unserer Untersuchung ausschliessen. Jedoch ist auch die
dogmengeschichtliche Bedeutung der ignatianischen Gedanken über
die Kirche nicht völlig zu verstehen ohne eine kurze Vergegen-
wärtigung der historischen Situation und Veranlassung.
I. Die geschichtliche Veranlassung der kirchlichen Ermahnungen.
Die monarchische Organisation der Gemeindeverwaltung ist
als eine bereits thatsächlich vorhandene vorausgesetzt. Keine
Stelle der Briefe empfiehlt dieselbe als etwas Neues: nur die
Macht, Autorität und Bedeutung des einen Bischofs wird durch
die Ermahnungen des Ign. gehoben und gestärkt, aber auch dies
nicht um des Amtes selbst willen oder zu Gunsten seiner Träger,
sondern lediglich, um die Einheit und den Frieden in der Ge-
meinde zu erhalten. Dieser war in nicht geringem Masse gefährdet;
denn nicht nur von aussen traten Heidentum, Judaismus und
Häresie der Gemeinde gefahrbringend entgegen, sondern bei dem
1) Rothe, Anf. d. ehr. K. S. 445—482, 725-739.
2) Dorner, Gesch. d. Person Chr. S. 147— 167,-bes. Anm. 1&
3) Zahn, Ign. v. A. S. 424—453.
4) Lightfoot I. S. 389-402.
5) J. Reville, Revue sur l'histoire des r&ig. 1890. S. 267—288. Hier
ist der eigentümliche, noch ganz urkatholische Charakter des ignatianischen
Episkopalismus treffend geschildert. Es fehlt nur die wichtige religiös-dog-
matische Seite der Sache.
V. Christus und die Gemeinde. 61
in Kleinasien stark entwickelten Interesse für die Lehre war
wohl auch innerhalb der Gemeinde starke Neigung zur Separa-
tion. Eine solche aber war wiederum das Allergefahrlichste für
die Kirche in ihrem geistigen und äusseren Kampf mit der heid-
nischen Welt Verlor die Gemeinde ihr christliches Gemeinschafts-
bewusstsein, ihre sichtbare Einheit im Glauben und in der Liebe,
so verlor sie ihr wichtigstes Unterscheidungsmerkmal von allen
anderen Religionsvereinen und damit ihren Anspruch, etwas Be-
sonderes, ganz Neues und Universelles zu sein. Andererseits
steigerte die Intensität des christlichen Interesses, mit welchem
das Verständnis nicht gleichen Schritt hielt, die Gefahr, in Secten
und Schulen zu zerfallen. Hier verlor das ältere demokratische
Gemeindeverwaltungssystem bald seine Macht und hatte sich vor
Ign. bereits zu einem monarchischen gestaltet. Nun hatte Ign.
sich auf seiner Reise selbst davon überzeugen können, dass die
Bischöfe der Gemeinden tüchtige, gläubige Männer waren, deren
Charakter ein Unbeschädigtbleiben der Gemeinden garantierte,
wenn diese nur sich ihrem Leiter anschlössen. Das war aber
nicht gesichert, zumal einige derselben jung (M. 3) und im Reden
nicht gewandt (Eph. 6) waren. Ign. spricht deshalb auch mehr-
fach seine persönliche Hochschätzung der Männer aus, um die
an sich nicht ohne weiteres verbürgte Autorität der Bischöfe zu
stärken. Die Fülle, der Beredsamkeit, die er dazu aufwendet, zeigt,
dass der Gemeinde die Autorität des Bischofs nichts so Selbst-
verständliches war; es ist wohl möglich, dass Ign. in Antiochien
bereits mehr an sie gewöhnt gewesen. Jedenfalls war er in seiner
Stellung als Märtyrer und als über den Parteiungen der Gemeinde
stehend besonders geeignet dazu, solche Mahnungen an dieselben
zu richten. Der Brief an Polycarp zeigt überdies, dass er dem
Bischof nicht geringere Pflichten der Gemeinde gegenüber auf-
erlegte, als dieser gegenüber jenem. Dies Alles ist oft schon ge-
sagt worden, zeigt aber nur, dass Ign. keine hierarchische Tendenz
hatte, sondern nur aus edlen Motiven der Liebe und Fürsorge
aller Uneinigkeit vorbeugend handelte, wenn er zum Gehorsam
gegen den einen Bischof ermahnte. Die Feststellung dieser That-
sache l) genügt, um die Einwände derer, welche die Briefe ihrer
hierarchischen Tendenz wegen für unecht halten, zu beseitigen,
1) Vgl. den Beweis in den genannten Schriften.
62 v. d. Goltz, Ignatius.
genügt aber nicht, um die Anschauungen des Ign. zu verstehen
und richtig zu beurteilen. Ign. selbst giebt für seine Mahnung
nicht nur die Motive der Liebe zu Frieden und Einheit im All-
gemeinen an, sondern er thut dies in einer Weise, die mit seiner
ganzen religiös-mystischen Anschauung vom Christentum in engem
Zusammenhang steht. Dieser Zusammenhang ist bisher nicht ge-
nügend beachtet worden. Uns ist es nach allem Bisherigen nicht
allzuschwer, denselben nachzuweisen.
2. Die allgemeine Kirche und die Einzelgemeinde in ihrem Verhältnis
zu einander und zu Christue.
Beruht die Heilsbedeutung der Person Christi darin, dass er
die %v(öGiq &tov öaQxtxrj xal jtvevfiaTtxrj selbst darstellt und
Allen, die in ihm leben, vermittelt, so hat das ebenso, wie auf den
Einzelnen, auch auf die Gemeinde seine Anwendung.
Die Einigung von Göttlichem und Menschlichem, durch welche
sich das Ewige in der Zeit, der Geist im Fleische, Gott im Men-
schen darstellt, hat sich zuerst in der Person Christi vollzogen,
kommt dann in allen Christen und ihrem ganzen Leben in Glauben
und Liebe zur Darstellung und findet ihre Vollendung in der
Einheit der Gesamtgemeinde. Diese völlige Einheit von Christus
und der ganzen Kirche ist von Ign. mystisch gefasst und findet
ihren Ausdruck in dem paulinischen Bilde von Haupt und Glie-
dern an einem Leibe (Tr. 1 1), am deutlichsten aber in den Worten
Eph. 5: tovq avaxexQapivovg avrm (dem Bischöfe) coq fj sxxXTjcia
*Irj6ov XqiOtco, xal dg 'IrjOovg Xqlgtos T(P navyl, wa navra
hv \voxr\xi ovfigxjova #. Wie real und wirklich diese mystische
Einheit des Ganzen zu nehmen ist, zeigt die Verwendung der
Salbungsgeschichte Eph. 17. Indem Christus sich das Haupt
salben liess, vermittelte er der ganzen Kirche die Unverweslich-
keit. Dieser Leib Christi ist rj xa&oJLtxTJ kxxXrjOla — ein Aus-
druck, der hier (Sm. 8, 2) zum ersten Male vorkommt — , und
diese Kirche ist überall, ojtov av ij 'Irjöovq Xgcörog. Er oder
Gott ist ihr Bischof (R. 9. Pol. inscr. 8), und zu ihr gehören alle
Gläubigen aus Heiden und Juden (Sm. 1. M. 10). Ein principieller
Unterschied ist nirgends unter den Christen gemacht. Aber
wichtig sind die Analogien und Vergleiche der Gemeindeämter
mit den himmlischen Rangstufen. Dieselben beruhen auf dem
Grundgedanken, dass jede Einzelgemeinde das sichtbare irdische
V. Christus und die Gemeinde. 63
Abbild der xafroXtxr} IxxXrjOia ist. Die ganze himmlische Kirche
verhält sich zu Christus, wie dieser zu seinem himmlischen Vater
(Eph. 5). So hat auch die Einzelgemeinde im Bischof den Re-
präsentanten Gottes, des Bischofs der ganzen Kirche, im Presby-
terium eine Repräsentation der Apostel und in den Diakonen die,
welchen der Dienst Jesu Christi anvertraut ist (M. 6, 7. Tr. 3).
M. 13 ist die Gemeinde durch äXXtjXoiq mit in den Vergleich
eingeschlossen. Sm. 8 ist nur der Vergleich gezogen zwischen
dem Gehorsam aller gegen den Bischof und gegen das Presby-
terium und dem Gehorsam Christi gegen seinen Vater und der
Apostel gegen Christus. Die Diakonen sind als &eov lvxoXr\
extra gestellt. Immer ist also der Bischof ein rvjtoq Gottes, das
Presbyterium ein rvjtoq des Presbyteriums der Gesamtkirche,
jenes Gzttpavoc jiVEVfianxoq, den die Apostel bilden (vgl. auch
Phld. 5). Was im Bischöfe respektiert und geehrt wird, ist nicht
er selbst, sondern Gott, der Vater Jesu Christi, der Bischof Aller.
Wer den sichtbaren Bischof beleidigt, beleidigt den unsichtbaren:
ov jtQoq öagxa 6 Xoyoq, aXXa jiqoq &eov (M. 3, 2); gerade wie
lgn. in der Gewissheit, nach Gottes Willen zu handeln, erklärt:
Thut Ihr meinen Willen, so thut Ihr Gottes Willen fiäXXov ipov
yiveo&e rovreortv rov &eov (R. 7, 1)1). Selbstverständliche
Voraussetzung ist dem lgn. dabei, dass alle Bischöfe, wie Jesus
Christus des Vaters yvcofit] ist, ihrerseits sich iv yvcofif} 'Itjö. Xq.
befinden. Auf dieser Voraussetzung allein beruht dem lgn. der
Anspruch der Bischöfe, für die Gemeinde rvjtoq und yvcofit] &eov
zu sein (Eph. 3, 2 — 4, 1). Er ist also nicht Gottes Stellvertreter,
weil er rechtmässig gewählt oder von den Aposteln eingesetzt
oder geweiht ist, auch nicht deshalb, weil sonst reine Lehre und
Einheit gefährdet ist, sondern deshalb, weil er oberstes Glied der
sarkischen Einzeldarstellung der Kirche ist, in welcher der Geist
Gottes wohnt. Wenn lgn. nun die Apostel ein jiQeößvTioiov
rijq exxXrjölaq nennt, so überträgt er ja eigentlich eine Institution
der geschichtlichen Einzelgemeinde auf die himmlische Gesamt-
gemeinde. Ihm ist aber umgekehrt jener Oxi(pavoq Jtvsvfiatixoq
xcd ovpöeöfiog rmv ajioöxoXcov das Erste, das einzelne Presby-
terium das Zweite, das Abbild. Wenn M. 13, 2 das Presbyterium
1) Vgl. did. IV, 7: Tixvov /xov, xov XaXovvzog 001 rov Xoyov xov
&eov /ivr)o9-qoy vvxtog xal rjfiiQag' tifx^aeiq Ö€ avrov wg xvgiov.
64 v« d. Goltz, Ignatius.
nicht erwähnt wird, sondern direkt der Gehorsam der Christen
untereinander in der ganzen Gemeinde mit dem Gehorsam der
Apostel verglichen wird, so merkt man hier, dass auch das Pres-
byterium der Einzelgemeinde ihm vorwiegend ein Mittel und
Symbol der Einheit Aller, eine Repräsentation der ganzen Ge-
meinde ist. Immerhin ist es als ein besonderes Glied hervor-
gehoben, welches einer überirdischen Realität in der himmlischen
Gesamtkirche entspricht. Dagegen ist bei den Diakonen der Ge-
danke der symbolisierenden Repräsentation himmlischer Personen
nicht durchgeführt. Es zeigen sich hier in den Formeln des Ign.
besondere Unregelmässigkeiten. Eph. 1, 2. Eph.4, 1. M.6,2. M.J7,i.
Tr. 13, a. Phld. 8, 1 wird die Gemeinde nur zum Gehorsam und
zur Anhänglichkeit an Bischof und Presbyterium ermahnt, ohne
dass die Diakonen erwähnt werden. Sie sind an diesen Stellen
augenscheinlich in die Gemeinde mit eingeschlossen gedacht
(gerade wie Tr. 12, 2 auch die Presbyter). M. 2, 1 wird ein Diakon
gelobt, weil er dem Bischof und dem Presbyterium so treu ge-
horsam war, wie dies Ign. von allen •Gemeindemitgliedern fordert.
Tr. 2, 3 wird zuerst die Gemeinde zum Gehorsam gegen Bischof
und Presbyterium ermahnt, dann die Diakonen zu vorwurfsfreiem
Wandel und Dienst der Kirche, dann von Neuem die ganze Ge-
meinde zur Achtung (hvTQtjieöd-cu) vor den Diakonen, wie vor
Christo, gerade wie auch vor dem Bischof, dem Typos Gottes, und
vor den Presbytern als dem ovviÖQtov &eov. Der Umstand,
dass die Diakonen, obwohl die niedrigsten, hier vorangestellt sind,
erklärt sich daraus, dass Tr. 3, 1 sie die Hauptsache sind, während
die Achtung vor Bischof und Presbyterium nur nachträglich noch
einmal hervorgehoben wird. Jedenfalls zeigt die Stelle, dass die
Diakonen einerseits der Gemeinde (dem jtlrj&og) so nahe stehen,
dass sie gegenüber Bischof und Presbyterium mit dieser zu-
sammengefasst werden können, andrerseits als ötaxovoi 'Irjö. Xq.
der Gemeinde gegenüber noch ihre besondere Stellung haben,
welche sich unmittelbar an die des Bischofs anschliesst. Auch
Sm. 8, 2 sind die Diakonen als d-eov kvroXrj neben Bischof und
Presbyterium für sich gestellt. Nach alledem wird man sagen
müssen, dass trotz der Stellen, wo Bischof, Presbyterium und
Diakonen in der späteren Reihenfolge und Dreigliederung auf-
gezählt werden (M. 6, 1. M. 13, 1. Tr. 7, 2. Phld. iscr. 4. 7, 1. Sm.
12, 2. Pol. 6), der eigentliche Dreiklang des Ign. nicht wie später
V. Christus und die Gemeinde. 55
Bischof — Presb. — Diak. lautet, sondern 1) Bischof — 2) Presb.
— 3) JtXij&oq, analog der Reihe: 1) Gott-Christus — 2) Apostel —
3) // xa&oXix?} kxxX. Dies sind die 3 Stufen der Gemeinde, wie
sie die Stufen der himmlischen Kirche abbilden (vgl. Eph. 4 x &äoa
— x°Q^ — X°Q°& Zu letzterer gehören allerdings auch die
Diakonen (Tr. 3), jedoch gleichsam als ein Teil, ein Anhang des
Bischofs, des Vertreters Gottes und Christi, dessen Dienst sie
versehen, oder auch als ein Teil des jtXrj&og, dem sie als einem
Teil der kxxXrjola dienen. Dieser Dienst ist ein Gottesdienst und
ist deshalb unmittelbar zu dem des Bischofs gehörig, während
das Presbyterium eine Grösse für sich bildet. *) In dieser Weise
ist die Einzelgemeinde mit dem Bischöfe an der Spitze die sar-
kische Darstellung der pneumatischen Christusgemeinde. 2) Hierin
hat Sohm3) Recht. Jedoch kann Sm. 8 mit der xad 0X1x1)
exxXrjöla sicher nicht die Einzelgemeinde gemeint sein, sondern
diese ist eine sarkische Erscheinungsform der xad-oXixrj exxXrjöla,
Keineswegs wird dieser Begriff mit der „rechtlichen" Bischofs-
1) Diese Ausführungen zeigen, dass bei Ign, die Funktionen des Bi-
schofs und der Diakonen als von Gott und Christus ausgehende betrachtet
werden, während das Presbyterium ein Abbild des ovviögiov &€0v, des
ovvdzofibq änoaxokwv ist. Darin spiegelt sich vielleicht. wieHarnack in
den Analecten zu Hatch S. 242 ff. ausführt, der geschichtliche Unterschied
zwischen der episkopalen und der presbyterialen Organisation wieder. Nur
ist die Autorität der Apostel und Presbyter für Ign. eine ebenso himmlische
und religiöse Sache, wie die des Bischofs und der Diakonen, nicht eine
äus8erlich empirisch bedingte, wie Harnack meint. Ja sofern die Einzelge-
meinde ein Abbild der himmlischen Kirche ist, steht für Ign. grade
Bischof und Presbyterium als Repräsentation der analogen himmli-
schen Realitäten im Vordergrund, während bei den Diakonen nur ihr
Dienst als Dienst im Namen Gottes für die ixxkrjoia in Betracht kommt.
Der Gegensatz göttlich — äusserlich, Abbild vom Himmlischen und — empi-
risch bedingt liegt dem Ign. hier fern. Aber der Dienst der Diakonen ist
allerdings mit dem des Bischofs dadurch verbunden, dass er ein Dienst
Gottes und Christi unmittelbar ist, während das Presbyterium nur das
ovveÖQiov &sov repräsentirt.
2) Ähnlich sind die Vorstellungen 2. Clem. 14. Dort ist die präexi-
stente ixxXrjoia 7cvevfiauxq mehr das himml. Vorbild ohne diese enge
Verknüpfung mit dem irdischen. Sie stellt sich zuerst symbolisch dar iv xy
guqxI Xgiaxov [rj yaQ aäg^ avxrj avxlxvnoq toxi xov Tcver^xaxoq). Ign.
unterscheidet sich von 2. Clem. nur durch die mystische Auffassung dieses
Verhältnisses.
3) R. Sohm, Kirchenrecht I. Leipzigl892. S.197Anm.21u.S.200Anm.24.
Texte u. Untersuchungen XI7, 3. 5
(>(J v. d. Goltz, Ignatiiw.
gemeinde ganz identifiziert, sondern unter dem thatsächlichen
Vorhandensein der monarchischen Organisation ergiebt sich der
Anschluss an den Bischof von selbst als die notwendige Form,
die Einheit der Gemeinde zu retten und dadurch die mystische
Einheit der pneumatischen göttlichen Gesamtkirche als unver-
letzte Glaubenswahrheit innerhalb jeder einzelnen Gemeinde auf-
recht zu erhalten. Auf diese Grundwahrheit aber kommt es dem
Bischöfe allein an. Wie er daher die o<xq§ Christi nur betont,
um gegen die Doketen die Wirklichkeit und Ergreifbarkeit des
ewigen Gottes in ihm zu schützen, wie er den Tod Jesu nur
rühmt, um in ihm das ewige Leben zu haben, so schützt er die
Autorität des kntGxoxoq xaxa öagxa nur, weil die Einheit mit
ihm in der Gemeinde die einzige sarkische und äusserlich greif-
bare Verkörperung der Herrschaft Jesu Christi und seiner Ein-
heit mit den Gliedern seines Leibes ist. Hier wie dort besteht
derselbe Schein, als ob Ign. besonderen Wert auf das Mensch-
liche an Christus und seinem Leiden, oder auf eine menschliche
Bischofsautorität an sich lege, was die Kritiker lange getäuscht
hat, und überall ist es gerade das Ewige, Göttliche, Gott, die
mystische Einigung mit ihm, die Einheit der pneumatischen Kirche,
welche, obwohl unsichtbar und transcendent, doch dem Sarkischen
immanent verbunden, das alleinige Interesse des Ign. haben. Wie
wenig es ihm darum zu thun ist, eine formale göttliche Au-
torität des bischöflichen Amtes zu konstituieren, wie innerlich
und geistig er noch den Begriff der Kirche fasst, ist weiter
gut zu erkennen an der Art, wie er das Gesamtleben und die ge-
meinsamen Güter der Gemeinde kennzeichnet. Er macht hier
nichts anderes geltend als die Grundsätze christlicher Liebe und
die Forderungen eines geordneten christlichen Gemeinschaftslebens
überhaupt, so, wie sich ihre Anwendung auf die Bedürfnisse seiner
Leser ihm von selbst ergab. Alles, was er in dieser Beziehung
sagt, gilt der Einzelgemeinde, sofern dieselbe das sichtbare Einzel-
abbild der xad-oZtXT] hxxXr^ola sein soll. Was von letzterer gilt,
wird von ersterer ausgesagt resp. verlangt. Jegliche Störung im
Leben der Einzelgemeinde und in ihrem Gemeinschaftsleben durch
Verletzung des Glaubens oder der Liebe ist eine empfindliche
Verletzung des Glaubens an die erstere, und wer sie verursacht,
hat sich selbst ausgeschlossen. — Sehen wir uns die einzelnen
Aussagen des Ign. hierüber an.
V. Christus und die Gemeinde. 67
3. Das Gesamtleben und die gemeinsamen Güter der Gemeinde.
Zuerst kommen hier Eph. 4 und 9, zwei Bilder für das Ge-
samtleben der Gemeinde, in Betracht. Eph. 4: Presbyterium und
Bischof sollen harmonisch auf einander gestimmt sein, wie Harfe
und Saiten; die Gemeinde ist der Chor, und ihr Leben in Ein-
tracht und Liebe ist ein Lied, welches Jesus Christus selbst dar-
stellt, ein Loblied zur Ehre Gottes des Vaters durch Christus,
nach Gottestonart in einheitlichem Chor (<pcopy pia). In diesem
Bilde kommt deutlich genug zum Ausdrucke, dass Eintracht und
Liebe, die Ehre Gottes und die Darstellung Jesu Christi die
Hauptsachen sind, Bischof, Presbyter und Gemeinde aber in
Einheit zusammengehören, um das Lied „Jesus Christus" zu
singen. Eph. 9 ist überhaupt nur von der Gemeinschaft die Rede,
die sich aufbauen soll zu einem Tempel Gottes. Jesu Christi
Kreuz ist die Mechanik, welche die Bausteine an ihren Platz
bringt, das Seil ist der heilige Geist, der Glaube der Hinaufleiter
und die Liebe der Weg. — Dann wechselt das Bild. — Alle
sollen, wie bei einer Prozession die Heiden ihre Götter tragen,
auch ihrerseits mit einander zu Gott ziehen, Gott, Christus, den
Tempel, das Heilige in sich tragend und geschmückt — statt mit
Blumen und Kränzen — mit Wandel in Gehorsam gegen die
Gebote Jesu Christi. Auch dies Bild hat, so geistig und innerlich
es gemeint ist, wahrlich keinen hierarchisch-katholischen Charakter.
Da müsste doch ein Bischof als Bauherr und Führer der Prozession
fungieren. Bemerkenswert ist auch, dass der heilige Geist hier
ganz als Kraft verstanden ist, nicht aber als Person. Bei Christus
vermeidet Ign. die Beziehung des Werkzeuges auf ihn selbst,
beim heiligen Geiste ist das Bild unpersönlicher als beim Glauben.
Hier, wo wir von dem Gesamtleben der Gemeinde reden, ist
überhaupt der einzige Ort, auch das Nötige vom heiligen Geiste
zu sagen, der bei Ign. sehr wenig vorkommt. M, 15 erklärt uns
diesen Umstand, indem dort der Geist und Christus ganz identi-
fiziert sind *), was nur erklärlich ist, wenn der Geist nichts an-
deres ist als die Kraft Wirkung Gottes im Menschen, welche aber
zugleich eine Wirksamkeit Christi ist. Deshalb kann Ign. Phld.
1) Cf. 2. Clem. 14, 4 ov fiEra?.rj^ezai xov nvevftatoq, o iattv o Xqi-
oxoq. Anders und im Zusammenhange mit „udoptianischer Christologie'*
bei Herrn.
(J8 v. d. Goltz, Ignatiua.
inscr. auch schreiben, Jesus Christus stärke und befestige die
Vorsteher nach seinem Willen mit seinem heiligen Geiste, während
er wiederum Sm. 4 sagt, Christus sei in ihm mächtig 1). Was
dagegen die traditionelle christologische Formel „ix xvevpazoq
aylov" (Eph. 18) mehr bedeuten soll als das damit wechselnde
bc &aov, bleibt dunkel. Ohne das Prädikat „heilig*4 spricht Ign.
von r6 jzpsv/ia im Gegensatze zu menschlichem Meinen, Phld. 7,2:
ort ajto GctQxog avd-Qcomvrjq ovx eyvcov. rb 6h jcvevfia ixrjQvooev
Xtjov rdös. Er kann hier, wie auch R. 7, 2 in dem „vöcdq
$cqv xal ZaXovv iv ifiol, eom&ep fioi Xeyov ösvqo JiQog rbv
ttariQcP nur den in ihm wohnenden und redenden heiligen Geist
meinen, aus welchem heraus zu reden er so gewiss war, wie
irgend ein Apostel. PoL 1 wird der Bischof sogar ermahnt,
ein Jtvev(ia axoifirjrov zu haben, während Ph. VII, 1 das ajto
&eov oV mit grosser Plerophorie geltend gemacht wird. Auch
die Propheten waren schon Jünger Christi in diesem Geiste
(jia&rjTal ovreg rm jivevpaTi) M. 9. Ign. hat hier also die ein-
fache Vorstellung des neuen Testamentes, ohne sich irgendwelche
theologische Gedanken gemacht zu haben. ML 15 beweist nur,
dass diesen Geist alle Christen haben, und dass seine Wirksam-
keit die Christi ist. Eine völlige Identifikation von Christas und
Geist ist aber doch durch Eph, 18, 2. M. 9, 8. Ph. 7, 2 ausgeschlossen.
Die trinitarische Formel findet sich nur einmal (M. 13) in der
sehr undogmatischen Reihenfolge von 2. Cor. 13, is: Iv vlm xa)
Ttargl xal jr.vsvtuari in der Mitte zwischen Möret xal ayajty und
bf agxv xal riZst2). In den Grussüberschriften sind immer nur
Vater und Sohn genannt. Ein Anklang liegt ja auch M. 15 und
Eph. 9 vor. Ign. kennt also jedenfalls nur die „ökonomische'4
Trinität, gerade wie das N. T., und gewinnt ihr nur den Gedanken
der Wirkung Gottes in der Gemeinde durch Christus oder den
Geist ab. Nicht einmal als Einheitsband der Gemeinde wird der
heilige Geist genannt, was doch sehr nahe gelegen hätte. Als
solches gilt natürlich besonders die Einheit des Bistums und
Presbyteriums, sofern sie den Frieden und die Einheit der ganzen
1) Sm. inscr. cf. PI. Phil. 4, 18.
2) iva navxa oaa no leite xavEvoöa>&rjzE aagxl xal Jtvevpecti, nt~
azEi xal äydny, iv vl<3 xal nazpl xal iv Tivsvfiari, iv dQyy xal iv
ziXet etc.
V. Christus und die Gemeinde. 69
Gemeinde garantiert; dann der gemeinschaftliche Christenname l)
und der eine alle Zungen einende Glaube (M. 10, 3). Die Gruss-
überschriften nennen ausser Glaube, Liebe und Einigkeit und
ihren objektiven Voraussetzungen (Offenbarung, Tod und Auf-
erstehung) und ausser den speziellen Vorzügen des Gehorsams
und der Reinheit von Irrlehre, nur die gemeinsam erfahrene Gnade
nud Barmherzigkeit Gottes 2). Ganz dem Ignatius eigentümlich ist
die Betonung der Erwählung und Heilsprädestination der Einzel-
gemeinde 3) (bes. Eph. inscr. xjj jigoogiofidp^j jiqo ai&vmv elvat,
öia navxog elg öoSjpv xandfiopov). M. 3 hat er den Ausdruck
ß-eov xov d-eXrjOavrog tifiag vgL R. inscr. u. 8, 1.
4. Die gotte8dien8tuohe Einheit
Auch die Christenfreude ist ein Gut der Gemeinde (M. 7, 1.
Phld. inscr.) Am vollständigsten aber kommt das Gemeinsame
zum Ausdrucke M. 7, 1. 2 im Anschlüsse an die Warnung, nirgends
separatistischen Gottesdienst zu üben und ohne Bischof und
Presbyter in der Gemeinde nichts zu unternehmen, denn fila
jiooöevxrj, itia dtyoig, elg vovg, (da hXxiq hv ayanq, iv xq %aQa
xcp ä/Moficp, 6 lexiv yfTjoovg XQiöxog, ov cifistvov ovdiv eoxiv.
ndvxeg tag elg %va vaov ovvxQixexe &tov, mg im h> frvotaöxi]-
qlov hxl eva 'Itjöovv Xqiöxov xov dg)' evög xaxQoq JtooeX&ovxa
xal sig %va ovxa xal yworjöavxa. Dazu kommt noch Phld. 4
fiia evxaoiöxia und elg kjtioxojtog. Nach diesen Stellen ist Jesus
Christus als der eine Sohn des einen Vaters der Mittelpunkt;
der Gedanke der einen Kirche, des einen Heiligtums schliesst sich
unmittelbar an die religiöse Grundwahrheit von dem Einen Gott
und dem einen Sohn an, und in ihm sind wiederum alle Güter
des christlichen Gemeinschaftslebens, die ethischen sowohl wie die
gottesdienstlichen, beschlossen.
Die Aufhebung der Einheit der gottesdienstlichen Feier ist
dem Bischöfe die Zerstörung der Einheit überhaupt. Die Ge-
meinde aber ist da, wo der Bischof ist, und jeder Versuch, ohne
1) Eph. 1, 2: V7ihp xov xotvov ovofiaxoq xal iXntöos, vgl. M. 1, 2.
Eph. 3, 1. 7, 1.
2) Auch in der Grussüberschrift des Römerbriefs sagt Ign. nur das
oben Angegebene in besonders überschwänglicher Wortfiille.
3) Dies ist charakteristisch und bestätigt wieder die Beobachtung,
dass die Einzelgenieinde nichts als eine lokale Erscheinungsform der gött-
lichen allgemeinen Christuskirche ist.
70 v. d. Goltz, Ignatiua.
sein Wissen oder Beisein sich gottesdienstlich zu versammeln,
bringt Spaltung in die Gemeinde. Jede Spaltung aber ist der An-
fang alles Übels (Sm. 7). Noch mehr, jede Spaltung bringt einen
Riss in die Kirche, welche eins sein soll, wie Jesus mit dem
Vater war. Und da diese tvcooiq oaQxixrj xal xvsvnarixi) in der
Einzelgemeinde nur die Erscheinungsform der %vcooiq der ganzen
Kirche mit Christus und durch ihn mit Gott ist, so verletzt jede
Störung dieser Einheit unmittelbar ein tiefes religiöses Interesse.
Die Doketen bringen durch Leugnung des Todes Jesu die Hoff-
nung und Verbürgung ewigen Lebens ins Schwanken, die separa-
tistischen Gottesdienst« verletzen die mystische Gotteseinigung,
in welcher der einzelne Christ sich nur befindet als Glied der
grossen Kirche, der Gesamtheit der Gläubigen. So versteht sich
gerade von dem eigentümlichen, religiösen Grundgedanken des
Bischofs aus seine harte, scheinbar hierarchische Art, solchen die
Teilnahme am Heile, an Gottesgemeinschaft und ewigem Leben
abzusprechen, die sich dem Ganzen nicht fügen wollen, sondern
eigenen Gottesdienst halten. Gerade in den Stellen, welche be-
sagen, dass deshalb dem Bischöfe zu gehorchen sei, weil sonst
die Gemeinschaft mit ihm und das ewige Leben in Frage gestellt
werde, sind die, welche ihn vor Verdächtigung hierarchischer Be-
strebungen schützen und seinen Episkopalismus seinem lautern
und innerlichen religiösen Interesse unterordnen *). So ist jede
Institution, jede Äusserung, jede Handlung der Einzelgemeinden
ein Sichtbarwerden der himmlischen Gesamtkirche, aber auch jede
Störung und Verletzung der geistigen Güter der Lokalgemeinde
und infolgedessen auch der sie Benutzenden und verbürgenden
Autoritäten und Ordnungen eine Verletzung eines wichtigen
Glaubensinteresses. Dieser Grundgedanke des Ign. findet natürlich
insbesondere seine Anwendung auf die beiden wichtigsten gottes-
dienstlichen Handlungen der Gemeinde, die Taufe und die Eucha-
ristie, Beide sind Akte der himmlischen Gesamtkirche (vgl. Sm« 8
firjdelg x^Q^S r°v huoxoxov xi jigaOöfaco rcov avqxovTWv üq
ttivm lxxXi]6lap\ welche in den Diakonen ihre Diener hat, während
der Bischof den göttlichen Gesamtbischof vertritt Auch das
1) Cf. Eph. 3. 5. Tr. .7. Ph. 3. M. 3. Sm, 1 u. oft Von einem Dazwi-
schentreten des Bischofs zwischen Gott und den einzelnen Christen kann
keine Rede sein. Überall hat es der Christ direkt mit Gott zu thun, und
allein Christus ist &vqcl xov natQoq. Das steht auf jeder Seite zu lesen.
V. Christus und die Gemeinde. 71
Presbyterium wird erwähnt, ohne dass aber irgend eine spezielle
Beziehung zu diesen Handlungen erhellt. Um der Ordnung und
Sicherheit willen verlangt Sm. 8, dass der Bischof jede solche
Handlung gebilligt hat Seine persönliche Teilnahme scheint nicht
unerlässliche Bedingung zu sein. Werden nur die geistigen Güter
der Einheit und des Friedens gewahrt — was allerdings gegen
des Bischofs Wissen und Willen nimmermehr geschehen kann — ,
so ist die Handlung der lokalen Gemeinschaft auch ein Handeln
der kxxXrioia. So ist der Segen dieser kirchlichen Akte abhängig
von der rechten Beschaffenheit der Gemeinde nach ihrer Einheit
m't Gottes Stellvertretern. Hierdurch tritt die eigentümliche
Heilsauffassung des Ign. ebenso in Verbindung mit seiner An-
schauung von der Kirche wie seine Christologie, und je enger
diese Verbindung ist, desto empfindlicher musste der Bischof
sein gegen eine Gefahrdung dieser Güter, sei es durch Leugnung
der Grundwahrheiten, sei es durch Störung der Einheit der Kirche
mit ihrem Haupte und der Glieder untereinander.
Was die Sakramente im einzelnen betrifft, so erwähnt er die
Taufe nur Sm. 8 mit dem Verbote, sie ohne den Bischof zu üben,
und Pol. 6 dieselbe als eine Waffe im Kampfe des Lebens. Wie
das zu denken ist, bleibt dunkel, aber es ist immer wertvoll, dass
Ign. überhaupt eine Beziehung der Taufe zum Kampfe des Christen-
lebens kennt Es kann sich dies allerdings auch nur auf die in
der Taufe erworbene Reinigung beziehen. Eine Andeutung auf
eine solche ist die Ausdrucks weise Eph. 18: Iva tcp xa&ei xo
vö&Q xad-agloy, wo zunächst nur von Christi Taufe die Rede ist
Häufiger spricht Ign. vom Abendmahle, und zwar ausser R. 7,
wo er nur darauf anspielt, immer im Zusammenhange mit der
Mahnung, es einheitlich zu feiern. Er nennt es evxaQtCrla Eph. 13.
Phld. 4. Sm. 6, 8 oder dyäxrjv xoielv Sm. 8 *). Jedenfalls ist
es also ein Dankesopfer, was Gott dargebracht wird, sowohl
durch das damit verbundene Gebet (jcQoöivx^ Sm. 6) (doga
Eph. 13 cf. Aiö. 9) als durch die Liebesgaben, welche die Armen
dabei erhielten. Aber es ist auch eine öwQea rov &sov damit
verbunden, welcher die Gegner widersprechen (Sm. 7). Zur Strafe
1) Nur diese Stelle beweist durch den Zusammenhang mit der Taufe
diese Bedeutung sicher. Sm. 7 greift wahrscheinlicher auf Sm. 6, 2 zurück,
wo nur von Liebesübung die Rede ist. R. 7 ist von der durch den Tod
Jesu bezeugten ewigen Liebe Christi die Rede.
72 v. d. Goltz, Ignatius.
dafür sterben sie. Also ist die Gabe Gottes selbst das ewige
Leben. So heisst das Abendmahlsbrot ein (päo[iaxov ä&avaöiag
avrlöoxoq tov /ir) äjzofravelv aXXa £rjv kv 'irjoov Xoiöxoy öiä
jravrog (Eph. 20, 2). Das ist nichts anderes als das eine grosse
Heilsgut, welches Ign. überhaupt im Glauben an Jes. Chr. findet.
Die Erwerbung desselben, welche, wie wir sahen, sonst mit dem
christlichen Leben in Glauben und Liebe überhaupt gegeben ist,
wird hier besonders angeeignet wie eine Arznei. Die ähnliche
Auffassung eines unvergänglichen Nahrungsmittels finden wir in
der freien, mehr bildlichen Verwendung des Abendmahles R. 7:
ov% tjSofiat TQO<pyi <p&ooag ovÖh tjöovalq tov ßlov tovtov. clqxov
&eov d-eZco, 6 iozi öagf- Xqiötov, tov Ix OJtiQftccTog Aaßlö, xäi
jtofia d-sZco to alfta avTOV, 6 Iotiv äyajti] ag>&aoTog. Dem
ganzen Zusammenhange gemäss ist hier das Abendmahl der Aus-
druck für die volle Lebensgemeinschaft mit Christus, nach welcher
der Märtyrer sich sehnt. Auch Phld. 4 heisst es: fila öäo£ tov
xvqiov ftfiiov yJrjo. Xq. xcu tv xottjqiop Big Svcoöiv tov al'fiaTog,
wo ausser der Gemeinschaft mit Christus auch die Gemeinsamkeit
des Besitzes in der Gemeinde betont ist. Es sind also die beiden
grossen Heilsgüter: ewiges Leben und mystische Gotteseinigung,
welche im Abendmahle von Gott geschenkt werden. *) Diese
sind aber, wie wir im ersten Abschnitte sahen, darin verbürgt,
dass Gott im Fleische erschienen und Christus durch den Tod
zum Leben durchgedrungen ist. Hier wie dort aber nennt Ign.
nicht das Göttliche, Ewige, sondern gerade seinen sarkischen
Träger, weil dieser von den Gegnern geleugnet, und damit das
Göttliche, Pneumatische, auf welches es ankommt, illusorisch
wird. Da nun das Heilsgut der svxagiOTla kein anderes ist als
das des Christentums überhaupt, so hat sicherlich auch das Fleisch
Christi keine andere Bedeutung als die Vergewisserung des Be-
sitzes Gottes, und das Blut Jesu stellt die im Tode Jesu sich
offenbarende Liebe dar, welche für uns zum Leben hindurchdringt.
Sehen wir aber auf die subjektive Seite des Ganzen, so ist es
der Glaube, welcher Gott im Menschen, den Geist im Fleische
erfasst, und die unvergängliche Liebe, welche sowohl uns mit
1) diS. IX sind es l,wij und yv&oig. welche Jesus kundgethan hat An
Stelle der Erkenntnis Gottes tritt bei Ign. die Ergreifung Gottes in Christo
und die Einigung mit ihm; Jesus thut sie nicht nur kund, sondern ist selbst
i\ xoivrj iXnlq und stellt selbst die versprochene k'vtoaiq dar.
V. Christus und die Gemeinde. 73
dem Herrn zum ewigen Leben in ihm, als die Gemeinde unter
einander eint. So im Zusammenhange des Ganzen ist Tr. 8 ganz
leicht verständlich, wenn auch mit der herben Prägung des Ign.
ausgedrückt: avaxxloaod-e iavxovq kv Jtlöxei, 6 höxt oägg xov
xvglov xal hv äyajifl, o löxcv alfia 'Irjoov Xgidxov. Das Blut
Jesu Chr. heisst deshalb auch Phld. 1 xaQ^ olmvioq xal jtagd-
fiovog. *) Wie aber die Einigung der grossen pneumatischen
Kirche mit Gott und Christus, obwohl an sich selbst schon eine
oaQxtx?) xal jtvevfiaxixrj, ihren sarkischen Ausdruck in der Einzel-
gemeinde findet, so stellt sich die Idee der Einigung mit Christus
zum ewigen Leben, die in Fleisch und Blut ihre sarkische Ver-
bürgung hat, selbst wieder sarkisch dar im Genüsse von Brot
und Wein der Eucharistie. Und wie überall das pneumatische
Gut bei Ign. so eng mit seiner sarkischen Darstellung real ver-
knüpft ist, dass die Leugnung der Wirklichkeit der letzteren die
Realität des Pneumatischen selbst illusorisch macht, so ist es
ganz konsequent, wenn Ign. Sm. 7 schreibt, dass die, welche
leugnen: evxagioxlav odgxa elvac rov öwxrjgog tjficov 'irjG. Xg.
xr\v vjteg xmv dfiagxicöv ypicov jiafrovöav 2), i)v xy xgyG*6ri?Ti
6 jiarTjg jjyeigev, damit der öoogea rov d-eov überhaupt wider-
sprechen und dem Tode verfallen. Hier die katholische Identifi-
kation von Brot und Fleisch, Blut und Wein finden zu wollen,
ist genau dasselbe Missverständnis, welches dem Ign. eine die
menschliche Natur urgierende Christologie , eine den Tod Jesu
an sich betonende Heilslehre, einen katholischen Episkopalismus
zuschob. So eng hier überall das Göttliche, Pneumatische mit
dem Sarkischen verbunden ist, so weit steht doch beides von
einander ab. Dass die Mitteilung der Gotteseinigung nicht nur
etwas Mystisches, sondern auch etwas Naturhaftes an sich hat,
ist freilich nicht zu leugnen {xgoq>r\} <pagy.axov\ und es ist leicht
zu begreifen, dass auf diesem Boden Vorstellungen erwuchsen,
die alles Pneumatische selbst nur materiell und substantiell
dachten, oder solche, die in die materiellen Elemente als solche
göttliche magische Kräfte hineinlegten. Von beiden ist bei Ign.
noch keine Rede. Tr. 8 zeigt deutlich, dass ohne Glauben und
1) Die Auffassung von Steitz, der Glaube sei das aw/xa, in dem die
Liebe als Blut kreise, ist doch unbelegbar und zu gesucht.
2) über die Bedeutungslosigkeit des traditionellen vnhp r. afiagx. fj/*.
cf. Seite 31.
74 v. d. Goltz, Tgnatius.
Liebe dem Ign. auch im Abendmahle keine Gemeinschaft mit
Christo denkbar ist, und der Name svxaQioxla zeigt, dass der
Gott geopferte Dank für das in Brot und Wein sarkisch repräsen-
tierte Heilsgut allein den spezifischen Unterschied der Aneignung
desselben im Abendmahle von der im Christenleben überhaupt
angiebt. Nicht nur R. 7, sondern auch Eph. 5 ist oqxoq rov
&eov auch ohne direkte Beziehung auf das Abendmahl Sinnbild
des Heilsgutes. Gerade diese freie Verwertung auch ausserhalb
des Zusammenhanges mit der eucharistischen Feier, welche Joh. 6
ihre klassische Stelle hat, zeigt die pneumatische, innerliche,
durchaus noch nicht katholische Auffassung des Herrenmahles !).
Dass, wie Steitz meint, die Handlung des Genusses von Fleisch
und Blut eine Verkündigung des Todes Jesu sei, ein verbum
visibile, ist nicht richtig; denn von einer Gedächtnisfeier ist gar
nicht die Rede. Natürlich ist auch an den Tod Jesu gedacht,
aber überhaupt an seine 6oq§ und zumal an seine Auferstehung
und an die durch Gottesoffenbarung und Todesüberwindung ver-
mittelten Heilsgüter. Dass die Liebe, welche in der svxaQtöxia
mit Christus verbindet, zugleich auch in der Gemeinde sich er-
weist, versteht sich von selbst, ergiebt sich überdies aus dem
Zusammenhange von Sm. 6. Die ganze Feier ist ja nur eine
Vereinigung des xvqioq mit seiner hxxXrfiia, ein Opfer der letz-
tern, ein Geben ewigen Lebens von seiten Gottes, eine reale
Mitteilung der Gotteseinigung in den realen sarkischen Repräsen-
tationsmitteln 2).
5. Beurteilung der Anschauung des Ignatius von der Kirche.
Die Gegner des Ign. verletzten diese Glaubenswahrheiten ein-
mal durch die Leugnung der Realität der Erscheinung Gottes
im Fleisch und zweitens durch die Störung des Friedens der
Kirche, deren Einheit ein unverletzlicher Glaubenssatz ist
Für Ign. ist beides, die trxooiq d-eov GaQxixrj xal xvevfia-
rixtf, welche Christus in seiner Person darstellt, um sie auch
1) Diese Ansicht ist mit unwesentlichen Abweichungen schon darge-
legt bei Steitz, Abendmahlsl. d. gr. K. in d. Jahrb. f. deutsche Theol. IX,
1864 S. 417—429; Dorner, Gesch. d. Pers. Chr. I. S. 159; Höfling, Die
Lehre der ältesten Kirche v. Opfer. Erlangen 1851 S. 30—40.
2) ov yccQ ßQü)fidt(ov xal Ttoxdtv rfoi ötdxovoi, dX?' ixxXtjoiaq 9eov
vnr\Q£xai.
Y. Christus und die Gemeinde. 75
seinen Gliedern zu übermitteln, und die tvcoöiq ö. xäl xv., welche
die Kirche in allen einzelnen Teilen bewahren soll, miteinander
verknüpft. So eng schliesst seine Anschauung von der Kirche und
ihren Amtern sich an seine Gesamtauffassung vom Christentum
an, oder besser gesagt: seine Mahnungen zum Gehorsam gegen
den Bischof um der Einheit willen sind nichts als eine Anwen-
dung seiner christlichen Grundanschauungen auf die kirchlichen
Verhältnisse in einer bestimmten geschichtlichen Situation. In
unsern Briefen zwar erscheinen die zu Grunde liegenden prinzi-
piellen Anschauungen nur in der Form gelegentlicher Äusserung
und als unterstützende Begründung von Forderungen, welche
durch eine akute Gefahr veranlasst waren. In Wirklichkeit sind
sie die eigentlich treibenden Grundmotive, deren Explikation und
Einzelanwendung durch den Streit des Tages veranlasst sind.
Hiervon hat eine gerechte Beurteilung der ignatianischen Briefe
auszugehen. Diejenigen, welche in ihnen eine hierarchisch-katho-
lische Tendenz erkennen wollen, verkennen das ganz; andere be-
rücksichtigen zu sehr nur die geschichtliche Situation und ver-
mögen aus ihr die Sprache des Ign. doch nicht völlig zu erklären.
Vergleichen wir die Stellung des Ign. mit der des Paulus,
so sehen wir die geschichtlichen Verhältnisse in vielem geändert,
die religiöse Auffassung von den kirchlichen Amtern dagegen
sehr viel weniger. An Stelle einer vorwiegend freien und charis-
matischen Organisation ist eine bestimmt geordnete Organisation
getreten. Das ist an und für sich nichts, was dem Wesen der
Kirche und des Christentums widerspricht, wie neuerdings Kahl
gegen Sohm treffend ausgeführt hat1). Es ist lediglich eine
naturgemässe Fortentwickelting der Ordnungen des immer wach-
senden Gemeinschaftslebens in der Christenheit, welche auch in
der apostolischen Zeit neben der charismatischen Freiheit schon
ihre Anfänge hat. Wenn Ign. diese fortgeschrittene Ordnung,
welche schon vor ihm zu einer monarchischen geworden war,
als von Gott gewollte und geschützte voraussetzt, so hat er dazu
ein gutes christliches Recht; denn dass er sie, so wie sie war,
für die absolut einzig mögliche und ewig für alle Verhältnisse
1) W. Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts u. d. Kirchenpolitik.
1. Hälfte Kap. 5 S. 73 ff. (Freiburg u. Leipzig 1894) U.A. Harnack, Dog-
mengesch. I, 3. Aufl. 1S94 S. 304 u. 305 Anm. 1.
76 v- d. Goltz, Ignatiua.
unabänderliche gehalten hätte, davon steht nichts zu lesen; ver-
mutlich hat er darüber gar nicht reflektiert. Dass er mit grosser
religiöser Energie in Gottes Namen für dieselbe spricht und
überall seine Mahnungen zu Einheit und Gehorsam durch eine
Erinnerung an Gott und Christus verstärkt, kann ihm an sich
nur zur Ehre angerechnet werden, zumal er, wie wir sahen, seine
Motive vielmehr aus der innerlichen Gebundenheit an Gott und
Christus als aus eudämonistischen Reflexionen herleitet. Noch
mehr sein innerlicher Idealismus, in welchem er in allen Dingen
der Zeit die Ewigkeit, in allen Handlungen der Gemeinde Äusse-
rungen der unsichtbaren Kirche sieht, und die Energie, mit welcher
er die ethischen und kirchlichen Gedanken von Liebe und Ein-
heit an die persönliche Einheit mit Gott durch Christus, das
Verhältnis Christi zu seinem Vater und die Liebe Gottes an-
schliesst, alles das sind wertvolle Erbstücke aus der Zeit der
Apostel, über deren kräftige Erhaltung bei ihm man sich nur
freuen kann. Diese Überzeugung, dass in der christlichen Kirche
unmittelbar in Gottes Namen gehandelt und befohlen wird, dass
Christus selbst als Geist-Princip in ihr regiert und dass alles, was
in ihr geschieht, im Grunde nicht zeitlichen, sondern ewigen
überweltlichen Wert hat, hat immer gerade so viel Recht, als
wirklich Gottes Wille und Christi Geist in der Kirche herrschend
ist, und das ist nicht unabhängig von den Menschen. Letzteres
hat zur Folge, dass stets viel Menschliches, Fehlerhaftes und Ver-
gängliches sich der Entwicklung beimischt. Ausser Christus
giebt es keine Person, die Gottes Willen und Geist rein darstellte,
und daher auch keine Institution oder Ordnung oder Lehrformel,
welche auf rein göttlichen Charakter Anspruch machen dürfte.
Im apostolischen Zeitalter haben eigentlich beide Überzeugungen,
die von der Realität des Ideals